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E-Book

Gute Mütter arbeiten

Ein Plädoyer für berufstätige Mütter

AutorRegine Schneider
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783105602409
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Höchste Zeit, daß dem ewig schlechten Gewissen berufstätiger Mütter ein Ende gemacht wird: Kinder brauchen Mütter mit eigenen Interessen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Regine Schneider, freischaffende Journalistin und Sachbuchautorin, wurde 1952 in Bochum geboren.

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Leseprobe

Auch ich hatte Schuldgefühle


Als meine Tochter Selma ein halbes Jahr alt war, wollte und mußte ich wieder arbeiten. Trotz des ganzen ideologischen Ballasts, den ich mir in der Schwangerschaft angelesen hatte, muß ich sagen, ich wollte gern wieder arbeiten. Ich mag meinen Beruf, und es war nach der neuen Erfahrung mit Kind für mich ein Terrain, wo ich mich auskannte und sicher fühlte. Meine Tochter hatte mein Leben und meine Beziehung ziemlich umgekrempelt, und alles war irgendwie aus der Bahn geworfen.

Aber aus diversen Büchern, Zeitschriften für Eltern und Gesprächen mit anderen Müttern wußte ich, daß man die Anwesenheit der Mutter für eine positive Entwicklung des Kindes für unverzichtbar hielt. Ich hatte gelesen, wie schnell ein Baby sein Urvertrauen verlieren kann, wenn man es »vernachlässigt«. Und da ich einen glücklichen Menschen mit großem Selbstvertrauen heranziehen wollte, war ich fest entschlossen, mich an alles zu halten, was Psychologie und Pädagogik für unerläßlich für eine glückliche Kindheit vorschrieben. Offensichtlich war dabei das wichtigste die ständige Anwesenheit der Mutter. Ich hatte die Ratgeber auch dahingehend ausgelegt, daß ich mich darauf drillte, bei jedem Pieps, den meine Tochter von sich gab, aufzuspringen, um ihre Bedürfnisse ohne zeitlichen Aufschub zu befriedigen. Ich hatte gelesen, daß es unverzichtbar für eine gesunde Entwicklung sei, daß man Babys nicht schreien läßt. Mit der Zeit führte mein Verhalten dazu, daß ich völlig ausgelaugt und fertig war. Meine Tochter meldete sich nämlich ständig, und ich sprang rund um die Uhr hektisch herum, um sie zu säugen, zu wickeln, stundenlang umherzutragen, ihr Liedchen vorzusingen, sie aufzumuntern oder an mich zu drücken. Ich fühlte mich bald wie ausgewrungen, wagte aber nicht, mich zu beklagen oder meine Tochter einmal jemand anderem anzuvertrauen, um mich endlich auch wieder um mich selbst zu kümmern. Ich gab und gab und wurde immer erschöpfter. Ich sehnte mich nach meinem Beruf, der mir wie eine Erholung von dem Baby-Dauerstreß erschien.

Zu allem, was ich mir an »Wissen« über die gesunde Entwicklung des Kindes angeeignet hatte, paßte es natürlich überhaupt nicht, mein Kind mit sechs Monaten in fremde Hände zu geben. Da mein Mann aber gerade erst mit dem Studium fertig war und die Familie noch nicht ernähren konnte, blieb mir nichts anderes übrig. Entsprechend verunsichert und mit drückendem Gewissen, fing ich an, eine Tagesmutter zu suchen. Und bekam auch gleich die Quittung. Ungläubig wurde ich gefragt: »Wie, so früh gibst du Selma weg? Hast du kein schlechtes Gefühl dabei?« Natürlich hatte ich ein schlechtes Gefühl dabei. Dafür wurde ja aus allen Ecken kräftig gesorgt. Keiner, der mich mal beruhigt und gesagt hätte: »Wenn du dein Kind zeitweise zu einer vertrauenswürdigen Tagesmutter gibst, kann das eine Bereicherung für dein Kind sein.« Nein, nur die möglichen Entwicklungsschäden, die meine Abwesenheit provozieren würde, wurden ständig wie Teufel an die Wand gemalt. Beim Mütteryoga wurde ich sogar angegiftet: »Drei Jahre gehört die Mutter wenigstens zum Kind, so etwas überlegt man sich vorher!« Ich fühlte mich bald wie ein geprügelter Hund. Entsprechend ängstlich war ich, was die Beurteilung der wenigen in Frage kommenden Tagesmütter anging. Gott sei Dank hatte meine Tochter ein sicheres Feeling, sie hat sich ihre Tagesmutter sozusagen selbst ausgesucht. Ich bemerkte gleich bei unserem ersten Treffen, wie vertrauensvoll sich die Kleine verhielt. Wir hatten diese Tagesmutter dann sechs Jahre lang.

Selma wurde größer, und irgendwann fing sie an, mein schlechtes Gewissen nach Strich und Faden auszunutzen. Saß ich am Schreibtisch und arbeitete, hörte ich garantiert nach einer halben Stunde ein zartes Klopfen an meiner Tür. Wenn ich sie dann fragte: »Warum spielst du nicht mit Papa?« bekam ich vorwurfsvoll zur Antwort: »Immer mußt du arbeiten. Ich will aber so gerne bei dir sein.« Wer schickt da sein Kind wieder weg? Sie kam auch in eine Phase, da weinte sie morgens und fragte: »Warum muß ich immer zu einer Tagesmutter?« Ich kam mir vor wie die letzte Rabenmutter. Mein armes Kind! Heute kann ich solche Dinge besser einordnen, ohne sie gleich dahingehend zu interpretieren, daß mein Kind Defizite durch meine zeitweilige Abwesenheit bekommt. Auch Kinder von Vollzeitmüttern beschweren sich irgendwann, daß sie täglich in den Kindergarten oder zur Schule müssen. Mein schlechtes Gewissen kennt fast jede Mutter, die früher oder später wieder berufstätig geworden ist. Das Sich-schuldig-Fühlen hört nie auf. Egal, wie das Kind sich verhält, egal, wie es sich entwickelt, immer wieder wurde und werde ich gefragt: »Liegt es wohl daran, daß es so früh zu einer Tagesmutter kam?« Einmal sagte eine Nachbarin, als Selma übermäßig stark trotzte: »Wahrscheinlich läßt die Tagesmutter zuviel durchgehen.« Meine Nachbarin hat meine Tagesmutter noch nie gesehen. Aber unausgesprochen stand der Vorwurf dahinter: Das passiert, wenn man sein Kind fremden Leuten überläßt. Daß jedes Kind, egal ob bei der Mutter, in der Kinderkrippe oder bei der Tagesmutter groß geworden, seine Trotzphase durchmachen muß, wird dabei völlig vergessen. Wenn ein Kind sich »schlecht« benimmt, jammert, nörgelt, weint, wird das immer der Mutter angelastet. Man ignoriert, daß jedes Kind mit einer eigenen Persönlichkeit zur Welt kommt und daß das menschliche Leben, auch das kindliche, nun einmal nicht nur harmonisch und glücklich verläuft. Doch kaum tut ein Kind etwas, was als »negativ« bewertet wird, ist die Mutter schuld. Unausgesprochen oder auch laut geäußert, steht immer der Vorwurf im Raum: Du bist eine schlechte Mutter, weil du dein Kind nicht selbst aufziehst, sondern es in fremde Hände gibst.

Ich habe mir das schlechte Gewissen lange einreden lassen. Weil ich es nicht besser wußte, weil ich den diversen »Psychoratgebern«, meinen Bekannten, von denen viele alles besser wußten (vor allem, wenn sie kein Kind hatten), und meinen Nachbarinnen geglaubt habe. Weil ich dem Muttermythos aufgesessen bin, der besagt: Eine gute Mutter hat rund um die Uhr für ihr Kind dazusein, hat sich klaglos aufzuopfern und ihre eigenen Interessen hintanzustellen. Ihr einziger Lohn ist das sich gut entwickelnde Kind. Und damit ist die Mutter zufrieden. Daß dieser Muttermythos dazu führt, daß alle Mütter ständig Schuldgefühle produzieren müssen, ist mir erst nach und nach klargeworden.

Heute sehe ich das alles anders. Ich sehe die positiven Seiten daran, daß Selma früh mehrere Bezugspersonen hatte. Ich bin froh, daß sie frühzeitig die Bekanntschaft anderer Kinder gemacht hat – und das nicht nur bei der Tagesmutter, wo es insgesamt vier waren. Als Selma drei war, ging sie zusätzlich halbe Tage in den Kindergarten, wo sie noch mehr Kinder kennenlernte. Sehr gut kann ich mich auch noch an die Diskussion erinnern: Krippe oder Tagesmutter. Die Krippe wäre finanziell günstiger gewesen. Aber eine Tagesmutter galt gemeinhin als das »kleinere Übel«. Ich hatte eine Freundin, die konnte sich keine Tagesmutter leisten. Ich beobachtete ihren Sohn mit Argusaugen, und er tat mir von Herzen leid. Meine Freundin im übrigen auch, denn natürlich hatte sie ein noch schlechteres Gewissen als ich. Einen Säugling in die Krippe zu geben hatte und hat den Beigeschmack von »abgeschoben« und »in ein Heim« gegeben. Die Assoziationen »soziale Deprivation«, »Fehlverhalten«, »psychische Schäden« stellten sich sofort ein.

Lange beneidete ich die Frauen, die es sich »leisten« konnten, sich das »Vergnügen« zu gönnen, sich ohne finanzielle Sorgen ausschließlich um ihre Kinder zu kümmern. Ich habe oft damit gehadert, daß ich das nicht konnte.

Meine Freundin und ich haben damals nicht gewußt, daß Kinder sich schon sehr früh gern – das ist wissenschaftlich belegt – anderen Personen zuwenden. Mit 18 Lebensmonaten haben bereits ein Viertel aller Kinder – sofern ihnen die Möglichkeit geboten wird – fünf oder mehr wichtige Bezugspersonen. Denn auch Babys sind schon soziale Wesen, das wird nur häufig unterschätzt. Der Pädagogikprofessor Dr. Peter Erath, der an der Katholischen Universität in Eichstätt lehrt, sagt: »Es bereitet schon Babys Vergnügen, mit anderen Menschen zusammenzusein.«[1] Kleinkinder finden sich durchaus in ihrer Kinderkrippe zurecht. Schließlich verfügen Kinder »über eine außerordentliche Anpassungsfähigkeit und Vitalität – und natürlich ebenso über eine große Portion Neugierde auf das Leben.«[2]

Heute bin ich nicht mehr neidisch. Weder Selma noch der Sohn meiner Freundin haben sich »fehlentwickelt«. Im Gegenteil! Ich bin durch eigene Erfahrung und Beobachtung zu dem Ergebnis gelangt, daß ich meiner Tochter etwas Gutes getan habe. Heute bin ich überzeugt, Kinder brauchen früh andere Kinder. Und Erwachsene brauchen den Kontakt mit Erwachsenen. Wenn ein Erwachsener sich ausschließlich um ein Kind kümmert, kommen beide zu kurz.

Bei uns aber ist es so, daß eine Frau, sobald sie Mutter geworden ist, sich, wenn sie kann, völlig aus ihrem gewohnten Leben zurückzieht und sich ihre gesamten Aktivitäten plötzlich nur noch um ihren neuen Mittelpunkt, das Baby, drehen. Das Baby wird der Nabel der Welt, das Projekt der Mutter, die einzige Daseinsberechtigung für ihr ausschließlich häusliches Leben. Die Mutter hat bald keine sozialen Kontake mehr, außer zu Müttern, deren Leben sich ebenfalls ausschließlich um ein Baby dreht. Dabei wird der Mutter eingebleut, daß dieses Leben sie glücklich macht, ihre Erfüllung sei. So krabbeln vormals intelligente Menschen mit einer qualifizierten Berufsausbildung...

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