Der charismatische Benediktinermönch aus Nordfrankreich kam in die Sümpfe bei der »Hammaburg«, baute die erste Holzkirche und gründete das Bistum Hamburg. Der Auftakt zu einer Erfolgsgeschichte.
Beim besten Willen heute nicht mehr vorstellbar: flaches Marschland, so weit das Auge blicken kann. Dort, wo das Flüsschen Alster in die Elbe mündet und sich in unmittelbarer Nähe jetzt die kühne Fassade der Elbphilharmonie 7 ( ? E 7) erhebt, nichts als Morast. Bis auf einige wenige, spärlich bekleidete Männer, die damit beschäftigt sind, ein paar Quadratmeter Land für den Ackerbau trockenzulegen und an ihren zeltartigen Wohnlagern aus Lehm und Zweigen zu bauen, nirgends eine Menschenseele. Auf dem Wasser ein paar dümpelnde Einbäume. Misstrauisch beäugen die Männer den Fremden in dem langen Gewand, der im Sommer 832 plötzlich auf ihrem Gelände erscheint und sie mit ausgebreiteten Armen im Zeichen des Kreuzes begrüßt. Der Benediktinermönch Ansgar ist gekommen, um an diesem seit Längerem schon als »Hammaburg« bezeichneten Schlickloch an der Alsterfurt seine erzbischöfliche Residenz zu errichten.
Ansgar wurde 801 in Nordfrankreich geboren; bereits als Fünfjähriger kam er nach dem frühen Tod seiner Mutter ins Benediktinerkloster von Corbie an der Somme. Als 20-Jähriger habe er eine Vision gehabt, so sein späterer Bericht, eine Stimme habe ihm befohlen: »Gehe hin. Mit der Krone des Martyriums wirst du zu mir zurückkehren.« Da brach Ansgar gen Norden auf.
Die Gründung eines Missionsbistums am nördlichen Elbufer ist nicht das erste Bauvorhaben, mit dem der Mönch betraut wird. Schließlich hat er bereits die heidnischen Dänen und Schweden erfolgreich bekehrt, und die römisch-katholische Kirche verehrt ihn wie einen Heiligen. Inzwischen gilt Ansgar als Spezialist für die Gründung von Klosteranlagen. Kein Wunder, dass Kaiser Ludwig der Fromme wieder ihn wählt, als es darum geht, an der Elbe eine Art Brückenkopf zu bauen und von dort aus die Heiden zu ordentlichen Christenmenschen zu machen. Ein waghalsiges Unternehmen! Denn noch haben die Franken das Gebiet keineswegs ganz unter ihrer Kontrolle. Nach wie vor ist es Schauplatz für heftige Fehden zwischen Sachsen, Slawen und Wikingern.
Vor allem aber: Was für Anstrengungen sind mit der Errichtung eines gut funktionierenden Missionsstützpunktes auf dem nicht nur sumpfigen, sondern auch von Trümmern und Schutt altsächsischer Festungsanlagen durchwühlten Gelände verbunden. Und dann der Wind und die immer wieder heftigen Stürme, denen Ansgar und seine Leute schutzlos ausgesetzt sind.
Ein Blick auf den heutigen Stadtplan: Im Herzen Hamburgs, dort wo die Steinstraße nach Westen in die Straße Speersort und weiter in die Große Johannisstraße führt und sich Rathaus und Börse dicht aneinander schmiegen, beginnen um 832 unter der Leitung Bischof Ansgars die Arbeiten zu einer Klosteranlage.
Als »Apostel des Nordens« hat man Ansgar bezeichnet. Dem hingebungsvollen Kirchenmann ist auf der Trostbrücke ein Denkmal 1 ( ? F/G 5) errichtet worden. Die steinerne Brücke, 1881 neu gebaut, führt über das Nikolaifleet. Ursprünglich verband sie die erzbischöfliche Altstadt mit der 300 Jahre später gegründeten Neustadt: Gold ziert das Gewand des Missionars, der in seiner linken Hand den Bischofsstab trägt, in der rechten ein Kirchenmodell. Ihm gegenüber der Sachsenherzog Adolf III. zu Schauenburg, Stormarn und Holstein, unter dem sich Hamburg mit der Neustadt und dem Hafen als Handelszentrum entwickelte.
ALLER ANFANG LIEGT IN DER »GOTTESSTADT«
In dem historischen Klinkerbau mit der Adresse Trostbrücke 4 hat eine Hamburger Institution ihren Sitz, die es seit 1765 gibt: Die Patriotische Gesellschaft wurde als gemeinnützige »Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe« gegründet. Eines ihrer Ehrenmitglieder: der Bankier Salomon Heine, wohlhabender Onkel des berühmten Dichters Heinrich Heine.
Gleich nebenan beeindruckt der Laeiszhof, das Kontorhaus des Reeders Ferdinand Laeisz. Ferdinand Laeisz und sein Sohn Carl gehören zu den Gründervätern der Hamburger Schifffahrt und wurden zu Symbolfiguren hanseatischen Mäzenatentums. Ihnen ist der Bau »einer würdigen Stätte für die Ausübung und den Genuss edler und ernster Musik« zu verdanken. Die Musikhalle heißt wieder Laeiszhalle 19 ( ? D 3) und steht am Johannes-Brahms-Platz.
Aber zurück zu Bischof Ansgar und seiner schlichten kleinen Marienkirche aus Holz, die von einem hohen Erdwall umschlossen ist. Im Schutz dieser »Gottesstadt« fühlen sich die Siedler sicher, und es kommen immer mehr, vorwiegend Fischer und Handwerker, vor allem aber Schiffskaufleute, die als Begleiter für Missionare wie Ansgar auf ihren Reisen in ferne Länder unentbehrlich sind. Nicht nur, dass sie Schiffe bauen können. Die Männer sind auch exzellente Nautiker. Zielsicher verstehen sie es, ihre Boote und Schiffe durch die Küstengewässer zu steuern, egal ob bei Ebbe oder Flut, seichter oder stürmischer See.
Zu Füßen der Hammaburg macht immer mal wieder eine Kogge an der hölzernen Kaimauer fest. Dann belebt sich der kleine Siedlungsplatz. Waren werden entladen. Mehr und mehr entwickelt sich ein reges Markttreiben. Doch Kontinuität ist Hamburgs erstem Hafen, der im Bereich des Alten Fischmarkts lag, noch lange nicht gesichert. Gefahr droht dem eben gegründeten Bischofssitz von allen Seiten.
Es ist ein später Abend im Frühjahr 845, die Flut setzt gerade ein, als sich, von den Bewohnern völlig unbemerkt, dänische Wikinger der Hammaburg nähern und Dutzende von Schiffen die Siedlung umzingeln. Nach einem eisigen Winter hat Dänemarks König sein Heer zum Raubzug auf die Elbe geschickt. Zwei Tage lang nisten sich die Piraten in der Burg ein, plündern, rauben und stecken Ansgars Kirche in Brand, bevor sie bei ablaufendem Morgenhochwasser mit ihren beladenen Booten wieder davonsegeln.
Auf der Hammaburg tobt ein Feuersturm. Im Nu ist die gesamte Klosteranlage in Flammen aufgegangen, die Bibliothek mit den alten Abschriften und Büchern niedergebrannt, die Kaiser Ludwig dem Benediktinermönch als Geschenk mit auf den Weg an die Elbe gegeben hat, sind alle weiteren kirchlichen Schätze und Utensilien geraubt oder zerstört.
Aus der Traum, Hamburg zu einer Missions-Metropole machen zu wollen. Nun, da seine Klosteranlage restlos zerstört ist, sieht Ansgar keine Möglichkeit mehr für sich, den kirchlichen Dienst auf der Hammaburg jemals wieder aufnehmen zu können – viel zu sehr ist die Region von den Verwüstungen dänischer Wikinger bedroht. Daran wird sich auch im Laufe der nächsten zwei Jahrhunderte nichts ändern. Erzbischof Ansgar bleibt nichts anderes übrig, als diesen unglücklichen Ort zu fliehen.
Natürlich hat das Kirchenrecht für solche Fälle Lösungen parat. Was läge näher, als Ansgar zum Nachfolger des kürzlich verstorbenen Bremer Bischofs zu ernennen. Kaum 130 Kilometer liegen zwischen dem Bistum Bremen und dem Erzbistum Hamburg. Einleuchtend, die beiden kleinen Städte 845 zum Erzbistum Bremen-Hamburg zu vereinigen und sich von hier aus weiterhin um die Bekehrung der Nordländer zu bemühen.
In Bremen lässt Ansgar Krankenhäuser bauen, kauft Gefangene frei, setzt sich gegen den Sklavenhandel ein und gründet drei Klöster. Heute erinnert die Kirche St. Ansgarii im Stadtteil Schwachhausen an den angesehenen Erzbischof von Bremen. Sein Nachfolger Rimbert sagte über ihn: »Er wollte den Blinden Auge, den Lahmen Fuß und den Armen ein wahrer Vater sein.«
Niemals hätte sich Ansgar vorstellen können, dass eines Tages an genau jener Stelle ein Mariendom errichtet würde, wo er einst seine Marienkapelle bauen ließ. Es gibt diesen Dom nicht mehr, der um 1400 vollendet wurde. Der Hamburger Senat beschloss 400 Jahre später, ihn wegen Baufälligkeit abreißen zu lassen.
EIN JAHRMARKT ERINNERT AN DEN DOM
Im Hamburgmuseum 11 ( ? C 4) steht ein Modell des Mariendoms. Es zeigt die fünfschiffige Hallenkirche, die nach der Reformation verwahrloste und im Laufe der Zeit verfiel, bis Staub und Spinnweben Altar und Bänke überzogen. Nach und nach suchten etliche Händler im Innern des Gemäuers Schutz vor Regen und Kälte und nutzten die Kirche als Marktplatz mit Ständen für Brot, Gemüse, Leinen und Bücher. Handwerker boten ihre Waren und Dienste an. Zu einer Pilgerstätte wurde der Mariendom um die Weihnachtszeit, wenn zahlreiche Buden mit duftendem Gebäck lockten.
So erinnert nicht nur ein Straßenname, nämlich die Domstraße, heute noch an Hamburgs älteste Kirche, sondern auch ein großer Jahrmarkt. »Auf den Dom gehen«, sagen die Hamburger und feiern mit dem Hamburger Dom 9 ( ? C 3) auf dem Heiligengeistfeld nahe der Reeperbahn dreimal im Jahr, im Frühjahr, Sommer und Winter, ein riesiges Volksfest mit Feuerwerk, Karussells, Doppel-Looping-Bahnen,...