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Hand in Hand mit dem inneren Kind

Wie Sie Bedürfnisse aus der Vergangenheit erfüllen und alte Wunden heilen

AutorGabriela Bunz-Schlösser
Verlagmvg Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783864158223
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Gabriela Bunz-Schlösser zeigt anschaulich, wie Sie mit ein wenig Fantasie gedanklich zu Ihrem inneren Kind zurückgehen können

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Leseprobe

Kapitel

2

Wer oder was ist das innere Kind?

 

Das innere Kind ist kein Phantom oder Hirngespinst. Es ist ein Teil von jedem von uns. Lassen Sie es mich an einem einfachen Beispiel aus dem Alltag erklären:

Wenn man auf einen Menschen wütend ist und vorhat, ihm ordentlich die Meinung zu sagen, ist es sehr sinnvoll, sich vorher zu überlegen, dass dieser Mensch nicht nur aus dem Anteil besteht, der einem im Moment maßlos auf die Nerven geht, sondern dass er (so ist es jedenfalls meistens) durchaus auch andere Anteile in sich hat, die man mag, liebt, schätzt usw. Es ist viel sinnvoller, wenn wir ihm erst sagen, was wir an ihm mögen, und ihm anschließend das mitteilen, was uns wütend macht, als wenn wir einen Rundumschlag durchführen. Letzteres führt schon rein bildhaft dazu, dass von der Person nichts mehr übrig bleibt als etwas „undefinierbar platt Gewalztes“. Entsprechend sehen häufig die Reaktionen dieses „Restes“ der Person aus. Wenn wir dem Menschen, mit dem wir ein „Hühnchen zu rupfen“ haben, allerdings erst klarmachen, dass wir nicht ihn als Ganzes verurteilen, sondern dass uns nur von ihm ein Teil gerade sehr auf die Nerven geht, dann bleibt bei unserem Gegenüber trotz der Kritik ein großer Teil an Persönlichkeit unangefochten, die nichts mit dem zu tun hat, was uns im Moment gerade „stinkt“. Dadurch haben Sie die Chance, dass der andere Ihre Kritik akzeptieren kann und sich zumindest überlegt, ob er sein Verhalten nicht ändern sollte.

Nebenbei ist immer sehr zu empfehlen, in zwischenmenschlichen Beziehungen zueinander einen Boden zu bauen. Einen Boden, auf dem man auch noch gut steht, wenn einem etwas Unangenehmes mitgeteilt wird. Diesen Boden kann man am besten bauen, wenn man dem anderen ganz viele kleine Details, die wir gut an ihm finden, so oft wie möglich mitteilt. Wenn der Mensch einmal genug positives Feedback erhalten hat, kann er Kritik meistens nicht nur gut ertragen, sondern sie auch konstruktiv umsetzen. Und es lohnt sich auch, den Menschen, mit dem man in einer wichtigen Beziehung steht, zu bitten, die positiven Dinge, die ihm an einem selbst auffallen, mitzuteilen. Wir haben das alle nicht gelernt, aber es ist meines Erachtens die wichtigste Grundlage für unsere positive Weiterentwicklung wie auch für den Abbau von Gewalt.

Menschen, die Gewalt ausüben, sind meist Menschen, die in ihrem Herzen unsicher und ängstlich sind und sich nicht trauen, „normale“ aggressive Reaktionen zu zeigen. So kommt dann die Gewalttat wie aus „heiterem Himmel“ – ohne Vorankündigung. Wenn wir es schaffen zu lernen, den Menschen viel mehr positive Rückmeldungen zu geben, werden sie sicherer und damit weniger ängstlich. Auf diese Weise könnte in vielen Fällen Gewalt verhindert werden.

Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass das Wichtigste für eine gute Weiterentwicklung eines jeden Menschen das Bauen dieses Bodens ist. Loben ist sehr einfach. Man kann sich gut daran gewöhnen! Man muss nur daran denken, die Menschen auch mal zu loben, und dies sollte natürlich ehrlich gemeint sein! Wenn ich jemandem dauernd sage, dass er toll sei, und mir im Stillen das Gegenteil denke, sind solche falschen Lobesworte geradezu schädlich. Sie fördern nur das eingebildete Ego des Menschen und versetzen ihn damit in eine Scheinwelt, aus der er früher oder später böse herausfallen wird.

Das Kind in Ihnen braucht auch diesen Boden, den es meistens nicht hat. Und so erscheint es nur allzu logisch, dass ein großer Teil des Heilungsprozesses darin besteht, dass Sie diesen Boden herstellen, indem Sie Ihrem inneren Kind gut zureden, Mut machen, es loben, anerkennen usw.

Kommen wir noch einmal darauf zurück, wie wichtig es ist, den Menschen in seinen verschiedenen „Anteilen“ zu sehen und zu lernen, diese auch in der jeweiligen Situation auseinander zu halten. Es könnte z.B. sein, dass Sie einen sehr liebenswerten Anteil in sich haben, einen hilflosen, einen rechthaberischen, einen überpeniblen, einen, auf den man sich 150-prozentig verlassen kann, einen schüchternen, einen starken, wenn es um Ihre Rolle im Beruf geht, usw.

Das innere Kind ist auch so ein Anteil von uns, ebenso wie es der Erwachsene in uns ist, der wir heute sind (ich gehe davon aus, dass dieses Buch in erster Linie „Erwachsene“ lesen). Ein dritter Anteil, der auf diese Ebene passt, ist der Mensch, der wir in Zukunft sein werden. Dieser „Zukunftsmensch“ weicht von dem „Erwachsenen“, der wir heute sind, nur dann ab, wenn wir uns weiterentwickeln. Aber selbst wenn wir das nicht bewusst tun, werden wir z.B. in den nächsten 20 Lebensjahren viele neue Erfahrungen machen, die uns vielleicht verändern, ohne dass wir selbst viel dazu beigetragen hätten.

Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, dass Sie Ihre momentane Lebenssituation anders sehen, wenn Sie diese in 20 Jahren noch einmal rückwirkend betrachten. Durch den Abstand zur heutigen Situation können Sie sie wahrscheinlich objektiver betrachten.

Der Rollenwechsel vom Erwachsenen zum Kind und umgekehrt bedeutet gleichzeitig immer, dass Sie die Szene, um die es sich gerade handelt, aus unterschiedlichen Blickwinkeln sehen können. Sie werden erstaunt sein, wie oft Sie Situationen aus der Kindperspektive anders betrachten und empfinden, als wenn Sie sich in der Erwachsenen-Rolle befinden und sich von dort aus in das eigene Kind „einfühlen“. Ich bin immer wieder verblüfft, dass der Rollenwechsel Perspektiven hervorbringt, an die man als Erwachsener gar nicht denkt.

So zeigt sich auch, dass wir uns in unsere eigenen Kinder immer nur bedingt einfühlen können. Um wirklich zu erahnen, was in ihnen vorgeht, ist ein gedanklicher Rollenwechsel (auch in die Körpergröße und entsprechende Perspektive zur Umwelt) notwendig und Erfolg versprechend. Und ebenso wird es Ihnen gehen, wenn Sie als der Erwachsene, der Sie heute sind, an Situationen aus Ihrer Kindheit und Jugendzeit denken. Heute sehen Sie alles mit Abstand. Damals steckten Sie mittendrin in den Freuden und Leiden des jeweiligen Alters.

Das innere Kind ist also der Anteil in Ihnen, der Sie früher einmal waren. Wenn Sie ein ängstliches Kind waren, ist es der ängstliche Anteil in Ihnen, der heute vielleicht auch noch so ab und zu plötzlich in Form von Ängsten auftaucht, die Sie eigentlich als Erwachsener in dem Maße gar nicht mehr haben müssten. Aber Sie erleben die Ängste in der entsprechenden Situation als unangemessen stark. Oder Sie waren vielleicht ein recht wildes Kind und man hatte Mühe, Sie zu bändigen. Irgendjemand hat dies aber dann vielleicht mit Brachialgewalt geschafft. Und heute sind Sie möglicherweise alles andere als wild, sondern überangepasst und zurückhaltend, und Sie wären, wenn Sie es sich selbst erlauben würden, oft gerne temperamentvoll, würden gerne Tango tanzen oder beispielsweise auf eine andere Art voller Spaß herumtoben. Aber nein: Man hat Ihnen dies mit Gewalt abgewöhnt und Sie sind bis heute in sich „eingerostet“ und müssten ordentlich „geölt“ werden, damit Sie wieder so in die Gänge kommen, wie es Ihrem eigentlichen Wesenskern entspricht. Das alles vermag die Arbeit mit dem inneren Kind.

Wir reagieren als Erwachsene in manchen Situationen noch genauso, wie wir als Kind reagiert haben, weil irgendetwas in uns noch nicht verstanden hat, dass wir in der Zwischenzeit längst erwachsen geworden sind und z.B. die böse Großmutter, die uns früher das Leben zur Hölle gemacht hat, „eigentlich“ längst nicht mehr unser Leben bestimmt. Doch irgendwie tut sie es noch immer, obwohl sie vielleicht schon vor langer Zeit gestorben ist. Sie tut natürlich gar nichts mehr, aber wir reagieren immer noch mit der Überlebensstrategie, die wir uns als Kind zurechtgelegt haben, um die Situation heil zu überstehen. Das kann so aussehen, dass wir in einer Situation, in der uns ein anderer Mensch in der heutigen Zeit das Leben zur Hölle macht, noch genauso reagieren, wie wir es als Kind taten, nämlich z.B. verängstigt, schweigend, mit Druck im Bauch usw., anstatt diesem Menschen klare Grenzen zu setzen.

Das Wort „Überlebensstrategie“ bezeichnet eine der wichtigsten Verhaltensweisen, die wir uns als Kind unbewusst zurechtgelegt haben. Wir sind immer so schnell dabei, andere Menschen für individuelle Verhaltensweisen zu verurteilen. Wenn wir lernen, die dahinter verborgene Überlebensstrategie zu erkennen, können wir solches Verhalten anders einordnen. Wenn ich verstehe, wie ein Mensch zu seinen problematischen Verhaltensweisen gekommen ist, kann ich besser damit umgehen. Ich werde sein Verhalten dann z.B. nicht sofort auf mich beziehen, sondern als Muster erkennen, wie der andere früher mit solchen Situationen fertig geworden ist. Das heißt aber nicht, dass wir ein ungutes Verhalten akzeptieren sollten. Wir können auch keinen Mord tolerieren, aber wenn wir versuchen zu verstehen, wie ein Mörder zu seiner Tat kam, werden wir vielleicht anders mit ihm umgehen können.

Das Fatale ist, dass wir oft gar nicht begriffen haben,...

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