Kapitel 1
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Meine eigene Erfolgsgeschichte
Nur wer das Verpuppungsstadium durchlaufen hat, wird zum Schmetterling … Ihr könnt den Kokon nicht einfach zerreißen. Die ganze Reise ist ein Entwicklungsprozess, über den wir keine Kontrolle haben.
Ram Dass, Sei jetzt hier!
Als 25-Jährige habe ich nichts Überragendes geleistet – etwa die Welt verändert oder so – aber ich war absolut zufrieden damit, die Menschen mit »Live To Ride«-Harley-Davidson-Zubehör zu beglücken und in meiner Mittagspause beim Gedröhn von Motorrädern zu meditieren. Im Juli 2005 ahnte ich noch nicht, dass mein Traumleben als Marketingleiterin bei Harley Davidson kurz vor dem Aus stand – wie mir heute längst klar ist, hatte ich damals schon jahrelang sämtliche Warnzeichen für eine Verschlechterung meines Gesundheitszustands ignoriert. Als Erstes bekam ich Probleme mit der leicht ansteigenden Rampe, die von meinem Büro bei Harley zur Gemeinschaftsküche hinaufführte. Meine Beine taten weh, und es kribbelte darin. Kurz darauf begannen die Armfunktionen auszufallen: Meine körperliche Gewandtheit schwand dahin – so konnte ich beispielsweise die Arme nicht mehr über den Kopf heben, um mir die Haare zu waschen. Außerdem stolperte ich dauernd und fiel unzählige Male hin. Die Ärzte waren ratlos, ich völlig verängstigt, und mein Neurologe bestand darauf, mich krankzuschreiben.
Ich hatte rund um die Uhr Schmerzen, Linderung erfuhr ich nur, wenn ich mich mit Medikamenten in eine Art Tiefschlaf versetzte. Mein Dasein wurde von rasenden Schmerzen im gesamten Körper bestimmt. An meinem ganzen Körper blieb nicht ein Zentimeter verschont: Alles an mir – vom Scheitel bis zu den Fußsohlen – schrie vor Schmerzen. Da meine Krankheit nicht korrekt diagnostiziert und daher über lange Zeit unbehandelt geblieben war, hatten die Schäden an meinem Körper ein gigantisches Ausmaß angenommen. Bloß liegende Nervenenden in sämtlichen Gliedmaßen riefen brennende Schmerzen hervor, die nicht in einem bestimmten Rhythmus oder Muster auftraten, sondern ganz ohne Vorwarnung über mich herfielen. Infolge der voll ausgebildeten Arthritis in meinen Hauptgelenken war ich nicht mehr in der Lage, meine Beine so weit hochzuheben, dass ich hätte in die Badewanne oder Dusche steigen können. Oft konnte ich mich nicht mal ohne Hilfe auf die Toilette setzen, weil meine Hüften dem Druck, der sich durch die Verlagerung meines Körpergewichts beim Niedersitzen aufbaute, nicht mehr standhielten. Ich konnte mich nicht mehr auf die Schulter rollen, um mich im Bett aufzurichten, wenn ich es verlassen wollte. Meine Herzinnenhaut entzündete sich, was zu einem konstanten Herzrasen führte, so als wäre ich immer gerade einen Marathon gelaufen. Ich war dermaßen erschöpft, dass ich zeitweise nicht einmal mehr die Lippen zum Sprechen öffnen konnte, außerdem hinderte mich meine ausgeprägte kognitive Störung ohnehin daran, überhaupt Worte zu formen und über die Lippen zu bringen. Mein zutiefst geschwächtes Immunsystem konnte sich auch nicht gegen eine immer wieder aufflackernde Gürtelrose wehren, die so schlimm war, dass sich Narben bildeten und die betroffenen Regionen noch Jahre später wehtaten. Die Anzahl meiner weißen Blutkörperchen war so dramatisch gesunken, dass ich das Haus nicht mehr verlassen konnte, nicht einmal für den dringenden Besuch bei meinem Immunologen. Kein Organ und kein System in meinem Körper war mehr intakt. An die Stelle meines früheren Lebens war eine monströse Krankheit getreten, mit der kein Arzt etwas anfangen konnte. Damals fürchtete ich mich beinahe mehr vor dem Weiterleben als vor dem Tod.
Meine Versuche, mich heilen zu lassen
Nachdem einige Jahre verstrichen waren, in denen sich eine Fehldiagnose an die andere reihte und ich Behandlungen über mich hatte ergehen lassen, die mich beinahe umbrachten, erhielt ich – endlich! – meine korrekte Diagnose. Im Leben eines chronisch kranken Patienten ist das sozusagen der Sechser im Lotto mit Zusatzzahl. Wie mir die Ärzte erklärten, verdankte ich meine Qualen einer winzigen Zecke, von deren Existenz ich zuvor noch nicht einmal etwas geahnt hatte. Durch ihren Stich hatte sie mir das Bakterium Borrelia burgdorferi, den Erreger der Lyme-Borreliose, übertragen. Die Lyme-Borreliose ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die unbehandelt sehr ernsthafte, tief greifende Gesundheitsprobleme hervorrufen kann. Und genau das war bei mir der Fall. Die Diagnose »Lyme-Borreliose« zog buchstäblich eine ganze Kette weiterer Diagnosen nach sich, darunter eine autoimmune Schilddrüsenentzündung, Nierenfunktionsstörungen, eine Erkrankung des Bindegewebes, Fibromyalgie, Neuropathie, und das waren noch längst nicht alle. Ich hatte an mir nie einen Zeckenstich, eine Hautrötung oder etwas Derartiges entdeckt. Ich war sogar schon vorher einmal auf Lyme-Borreliose getestet worden, doch die Tests waren unzuverlässig, weil sich die Immunantwort erst allmählich aufbaut. Deshalb habe ich den positiven Befund erst mit jahrelanger Verspätung erhalten, nachdem mein Blut in einem Speziallabor untersucht worden war. Ich trug meine verspätete Diagnose der Lyme-Borreliose vor mir her wie eine riesige Einkaufstasche an der Supermarktkasse; ich umschlang sie mit beiden Armen so fest ich konnte und ich machte mich auf die Suche nach einem Heilverfahren.
Nach Schätzungen der amerikanischen Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (Centers for Disease Control and Prevention, CDC), der US-Behörde zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, infizieren sich in den USA rund 300 000 Menschen pro Jahr mit Lyme-Borreliose, wobei die Krankheit bei gerade einmal etwa 10 Prozent der Betroffenen korrekt diagnostiziert wird!1 Analog zu dieser Zahl tritt die Lyme-Borreliose etwa doppelt so häufig auf wie Brustkrebs und sechsmal so oft wie HIV/AIDS. Etliche Fälle werden überhaupt nie gemeldet. Das heißt, viele Menschen werden mit Fehldiagnosen wie Fibromyalgie, Lupus, Chronisches Erschöpfungssyndrom, multiple Sklerose, Arthritis, Migräne, Lernbehinderung, Bipolare Störung, Parkinson, Herzrhythmusstörungen und Ähnlichem belegt und allein gelassen.
Obwohl ich eine Therapie mit hochwirksamen Antibiotika erhielt, die den Borreliose-Bakterien und den damit zusammenhängenden Co-Infektionen den Garaus machen sollten, ging es mir nach wie vor sehr schlecht. Zusätzlich zu meiner Intensivtherapie mit 44 (!) Tabletten sowie mehreren intramuskulären Antibiotika-Spritzen pro Tag hatte ich auch noch die ganze Palette der alternativen Heilweisen ausgeschöpft. Irgendwann war mein Körper wieder so weit »funktionsfähig«, dass ich zwar noch sämtliche Symptome aufwies, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, aber keine Rund-um-die-Uhr-Versorgung mehr brauchte. Damals stieß ich auf den Namen von Frau Dr. Geeta Shroff, der Gründerin und Leiterin einer Klinik für die Erforschung und Behandlung mit embryonalen Stammzellen in Neu-Delhi. Laut meinen Internetrecherchen gingen die Meinungen über Frau Dr. Shroff sehr weit auseinander – das Spektrum reichte von »Genie« bis zu »Hochstaplerin«. Doch nachdem ich einige Male mit der Ärztin telefoniert und die Geschichten anderer Patienten mit erfolgreicher Stammzellenbehandlung gehört hatte, war ich mir sicher, dass die embryonalen Stammzellen das Potenzial hatten, nicht nur mein Immunsystem wieder auf die Beine zu bringen, sondern auch die geschädigten Organe, Nerven und Zellen meines Körpers zu regenerieren. Ich spürte: Das war genau die »Wundergabe«, die mein Leben würde retten können.
Am 9. Dezember 2007, genau neun Monate nach meiner Diagnose »Lyme-Borreliose«, stieg ich in ein Flugzeug nach Neu-Delhi, ohne zu wissen, ob die Behandlung mein Leben retten oder mich umbringen würde. Ich fand mich in einem Land wieder, das mich einerseits liebevoll umfing, zugleich jedoch meinen gesunden Menschenverstand permanent auf die Probe stellte. Doch mein Herz sagte mir, dass ich beides gleichermaßen brauchte. Also bemühte ich mich, alles dort anzunehmen, und das mit so viel Anmut wie möglich – ich meine die Unmengen von Curry, die überall wild herumspringenden Affen wie auch die Angst, die mich von oben bis unten erfüllte.
Obwohl mir mein unverwüstlicher Optimismus immer eine gute Stütze war, wurde doch schnell deutlich, dass er den Anforderungen einer Kultur, die auf Gedanken wie »Der Geist siegt über die Materie«, »Die Macht des positiven Denkens« und anderen spirituellen Konzepten basiert, nicht genügte. Mit der Folge, dass ich mich selbst für meine Krankheit verantwortlich machte. »Die Stammzellen können ihren Teil beitragen, aber Sie haben die Kraft, sich selbst zu heilen«, wiederholte Frau Dr. Shroff beinahe täglich, wie eine Endlosschleife, die ich verzweifelt zu stoppen versuchte.
Nach neun Wochen mit täglichen Stammzellen-Injektionen und ausgerüstet mit einem auf Lebenszeit angelegten Vorrat an Konzepten für das Persönlichkeitswachstum verließ ich die Klinik auf meinen eigenen beiden Füßen. Der Erfolg war mir wirklich nicht geschenkt worden, aber er war da. Nach einem Kampf, der dem Versuch glich, einen Elefanten niederzuringen, war ich geheilt. Wenigstens schien es so.
Die Rückkehr der Symptome
Ein paar Jahre später bekam ich die ersten Stöße eines Gesundheitsbebens unter einem in meinen Augen leidlich stabilen Fundament zu spüren. Während eines zweimonatigen Londonaufenthalts überfielen mich mit einem Mal und ohne Anlass...