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Heimische Inseln in der Fremde - Fremdheitserfahrungen von VolontärInnen und Zivildienstleistenden in zwei christlichen Hospizen in Jerusalem (Israel)

Fremdheitserfahrungen von VolontärInnen und Zivildienstleistenden in zwei christlichen Hospizen in Jerusalem (Israel)

AutorDominik Jesse
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl111 Seiten
ISBN9783640183074
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Soziologie - Kultur, Technik und Völker, Note: 1,3, Universität Potsdam, 60 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Es ist eine bemerkenswerte Ambiguität in der (Möglichkeit zur) Begegnung mit 'dem' Fremden, denn an den Kontakt mit ihm knüpfen sich widersprechende Emotionen wie etwa Miss-trauen, Neid und auch Angst auf der einen sowie Neugier, Erwartung und Faszination auf der anderen Seite. Letztere Konnotationen betonen die Anziehungskraft des Unvertrauten, dem die verlockende Fähigkeit zu Eigen zu sein scheint, 'alte und belastende Gewohnheiten oder Routinen aufzubrechen, zu bereichern oder anzuregen' (Reuter 2002: 63). Damit wird dem Fremden potenziell die integrale Kraft zur Veränderung, Ergänzung und sogar Metamorphose unterstellt. Die Kehrseite des Fremden aber kann sehr schnell zu Tage treten, wenn er nämlich durch seine Nähe und sein Bleiben die alte Ordnung nicht mehr bereichert oder verändert, sondern bedroht und die Angst schürt, 'daß die 'übersichtlichen Verhältnisse', die wir in Wahrheit natürlich nie haben, durch das Fremde unübersichtlich werden; daß wir die Gebor-genheit in unserer Identität verlieren könnten' (Kast 1994: 224). Dabei zeigt sich das Problem mit Fremdheit oftmals als akutes Verstehensproblem, das eine Situation der Handlungsungewissheit oder auch -irritation nach sich zieht. Da man diese nicht einfach ignorieren kann, erhält es praktische Relevanz, denn mit diesem Verstehensproblem sind Störungen von Routineabläufen sowie eine Art von Krisenkommunikation verbunden. Verschärft wird dieses problemhafte Fremderleben dadurch, dass die klassischen Fremdenrollen heute keine ausrei-chende soziale Regelung mehr bieten und prinzipiell nicht mehr festlegen, was als fremd gilt. Denn immer mehr stoßen im Alltag getrennte Sinnwelten aufeinander, die durch eine Pluralisierung von Sonderrollen gekennzeichnet sind, in denen der Rückgriff auf universale klärende Modi misslingen muss (vgl. Schäffter 1991: 13). Wenn in dieser Arbeit von Fremdheitserfahrungen gesprochen wird, so bezieht sich dieser Begriff nicht auf die Fremdheitserlebnisse von Migranten oder allgemeiner auf die Fremdheit, die ein Mensch durchlebt, der sich im Zuge transnationaler Wanderungs- oder Flüchtlings-ströme und mithin aus Gründen eines spezifischen Zwanges einer unvertrauten Lebenswelt aussetzen und in ihr zurechtfinden muss. Vielmehr sollen im Folgenden die Fremdheitserfahrungen so genannter 'KosmopolitInnen' im Mittelpunkt stehen, also von Menschen, die das Privileg zum Reisen haben und es auch nutzen.

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Leseprobe

II. Datenerhebung


 


  II.1 Methodische Konzeption


 


 Mit Berücksichtigung der in Kapitel I geleisteten theoretischen Grundlagen sollen für diese Arbeit über eine Analyse qualitativer Interviews mit deutschen und österreichischen VolontärInnen und Zivildienstleistenden in Jerusalem (Israel) Erkenntnisse darüber erzielt werden, unter welchen Bedingungen Fremdheitserfahrungen entstehen und wie mit ihnen umgegangen wird. Berücksichtigt werden soll zudem der Rückgriff auf Steuerungsmechanismen von (potenziellen) Fremdheitserfahrungen, welche die beiden christlichen Häuser grundsätzlich ermöglichten, in denen die befragten Personen während ihres Aufenthaltes in Israel lebten und arbeiteten. Denn dadurch, dass sich die befragten Männer und Frauen zwar in einem ihnen „fremden“ Land aufhielten, aber zugleich die prinzipielle Möglichkeit zu einem (permanenten) Rückgriff auf kulturell vertraute Strukturen und Orientierungspunkte besaßen, konnten sie von vornherein (zukünftige) Fremdheitserfahrungen bewusst oder auch unbewusst minimieren, fördern, verändern oder einfach vermeiden. Dabei soll sich nicht auf Erfahrungen mit dem fremden Ort oder der fremden Wirklichkeit an sich konzentriert werden, sondern mit dem oder der Fremden innerhalb alltäglichen Interaktionszusammenhängen. Ausgangspunkt der grundlagentheoretischen Überlegungen ist dabei das Verständnis von sozialer Fremdheit als wahrgenommener Aspekt der Nicht-Zugehörigkeit sowie von kultureller bzw. lebensweltlicher Fremdheit auf der Basis einer erlebten Unvertrautheit, die innerhalb der geführten Interviews dadurch zu erkennen war, dass die VolontärInnen und Zivildiener sprachliche Hinweise einer relevanten Interaktionsproblematik gaben.

 

  II.2 Auswahl der Intervieworte


 


 Für die Datenerhebung wurden in den Monaten Juli, August und September 2007 deutsche und österreichische Freiwillige befragt, die zum Zeitpunkt der Interviews in christlichen Hospizen in Jerusalem (Israel) ein Volontariat oder einen Zivildienst absolviert haben.

 

 Auf die israelische Hauptstadt fiel die Wahl deshalb, weil sich dieser Ort aufgrund seiner Multikulturalität und seiner Multikonfessionalität für potentielle Fremdheitserfahrungen geradezu anbot. Dabei ergibt sich die kulturelle Vielfalt in Jerusalem nicht allein wegen der konzentrierten Anwesenheit verschiedenster religiöser und ethnischer Divergenzen in Form der im Land lebenden Menschen, sondern auch über die multikonfessionellen und -ethnischen ausländischen Besucher, welche v.a. als Touristen und Pilger alljährlich in großer Zahl die Stadt bereisen. Hinzu kommt die bemerkenswerte räumliche Segregation des Stadtgebietes: Diese besteht einmal im groben Rahmen zwischen der Altstadt und der Neustadt, aber auch innerhalb der Altstadt, die sich in das muslimische, das christliche, das jüdische und das armenische Viertel unterteilt und verschiedene adaptive Verhaltensweisen und Handlungskompetenzen erfordert. Weiterhin tritt die starke militärische Präsenz in Form der israelischen Armee und der verschiedenen Checkpoints im Stadtgebiet hinzu, welche sicherlich den anhaltenden Nahost-Konflikt im Bewusstsein halten. Angesichts dieser Verhältnismäßigkeiten lag bei der Wahl von Jerusalem als Ort angenommener Fremdheitserfahrungen also die starke Vermutung zu Grunde, bei jeder der interviewten Personen auf irgendeine Weise relevante Erfahrungen von Fremdheit beobachten zu können.

 

 Bei den beiden christlichen Trägereinrichtungen nun, in denen die befragten Personen während ihre Aufenthaltes im Land lebten, handelte es sich um das „Österreichische Hospiz zur Heiligen Familie“ und um das „Paulushaus“.[5] Zu beiden Institutionen bestand bereits ein persönlicher Kontakt, auf den aufgebaut werden konnte. Die Wahl fiel aber aus anderen Gründen auf diese beiden Hospize.[6] Aufgrund der besseren Verständigung und Nachvollziehbarkeit der im Interview zu erwartenden Aussagen sollten ausschließlich VolontärInnen und Zivildienstleistende befragt werden, deren Muttersprache Deutsch ist und bei denen aufgrund ihrer kulturellen Herkunft eine geteilte kulturelle Sinngebung angenommen werden durfte.[7] Außerdem sollten diese Personen in beiden Häusern in ähnliche arbeitstechnische und lebensweltliche Strukturen eingebunden sein, die sich kulturell und logistisch nachvollziehen lassen sowie denen der Heimat der befragten Personen ähneln und teilweise sogar gleichen. Die Probanden hatten also grundsätzlich die Möglichkeit, in diesen hauseigenen Strukturen ein stückweit „Heimat“ wahrzunehmen, denn nur so konnte von vornherein eine Steuerung (zukünftiger) Fremdheitserfahrungen erwartet werden. Dabei ähnelten sich die Arbeits- und Lebensbedingungen innerhalb der Hospize dahingehend, dass neben einer österreichischen bzw. deutschen Hausleitung vor allem deutsche oder österreichische Personen in den Häusern beschäftigt wurden, sei es als Angestellte, als Konventsmitglieder oder als freiwillige Helfer auf Zeit. Beide Häuser erhalten ihre Direktiven außerdem aus Deutschland oder Österreich und waren intern ähnlich strukturiert. Eine weitere Gemeinsamkeit ist es, dass beide Hospize keine geschulten Experten (etwa medizinisch versiertes Fachpersonal o.ä.) verlangten, sondern mehr oder weniger jedem/r potenziellen Bewerber/in einen längeren Aufenthalt gewähren. Gleichzeitig weisen sowohl das Österreichische Hospiz als auch das Paulushaus eine sehr starke räumliche Trennung zur als kulturell unvertraut wahrgenommenen Umgebung auf, d.h. zwischen einem „innerhalb“ und einem „außerhalb“ des Hauses, so dass mit dem Verlassen des jeweiligen Hospizes ein schwellenhafter Wechsel zu vollziehen war, der potenzielle Fremdheitserfahrungen verstärken konnte. Dieser Aspekt ist für diese Arbeit einer der hilfreichsten gewesen, denn er ermöglichte Beobachtungen bezüglich einer Schwellenerfahrung, die für die Unterscheidung zwischen vertrauter und unvertrauter Lebenswelt nicht überschätzt werden kann. Mit diesem Umstand korrespondiert eine weitere Gemeinsamkeit, welche beide Häuser aufweisen: Sie gewährleisten allen VolontärInnen und Zivildienern eine unbedingte Freiwilligkeit in der Intensität der Fremdheitserfahrungen. D.h. sie sind so ausgerichtet, dass sie aufgrund ihrer hauseigenen Strukturen und logistischen Gegebenheiten jedenfalls theoretisch jeder/m Volontär/in und jedem Zivildienstleistenden die Möglichkeit bieten, sich fast ausschließlich im Haus aufzuhalten und einem Kontakt zum „Fremden“ weitest gehend zu vermeiden.

 

 Alle diese kurz dargestellten Charakteristika machen die beiden ausgewählten Hospize also zu (nicht künstlich hergestellten) idealen Orten, um die für diese Arbeit vorzunehmenden Untersuchungen anstellen zu können. Beiden sind die vorherrschende deutsche Sprache gemeinsam – Fremdsprachenkenntnisse waren erwünscht, aber nicht Bedingung - sowie die deutsch-österreichischen Strukturen als Möglichkeit zur „nationalen Beständigkeit“. Weiterhin zeichnen sie sich durch eine festungsähnliche Abgrenzung zur unmittelbaren muslimischen Umgebung aus - hier wie dort der arabische Souq (= Bazar) - und mithin durch eine schwellenhafte Trennung zwischen innerhalb und außerhalb des Hauses. Ihren Gästen und Mitarbeitern bieten sie genügend Möglichkeiten zum Rückzug, so dass eine Intensivierung des Fremdkontaktes jedem einzelnen überlassen ist. Ein längerer Aufenthalt ist grundsätzlich jedem möglich, wenn auch das Paulushaus ein Volontariat an das christliche Bekenntnis hängt. Der Zivildienst ist in beiden Institutionen möglich. Fast idealtypisch ist auch das gemeinsame Selbstverständnis beider Häuser. Das Österreichische Hospiz hat sich zum Ziel gesetzt, „‚Heimat fern der Heimat’ zu sein“ (www.austrianhospice.com/de/jerusalem.htm, 20.02.2008) sowie „eine Oase der Ruhe und Entspannung“ (www.austrianhospice.com/de/bewerbung.htm, 20.02.2008). Das Haus bietet den VolontärInnen und Zivildienern alle Annehmlichkeiten wie einen großen Garten, mehrere Terrassen, eine Kapelle, einen Salon mit Bösendorfer-Flügel, ein original österreichisches Caféhaus, einen Kinoraum, kostenlosen Internetzugang, freies Essen dreimal am Tage, nicht-alkoholische Getränke ohne Zuzahlung sowie einen eigenen Wäscheservice. Auch das von den Maria-Ward-Schwestern („Congregatio Jesu“) geleitete Paulushaus offeriert solche Annehmlichkeiten wie eine große Dachterrasse, ein Klavier, Aufenthaltsräume, eine hauseigene Kapelle, einen Lesesaal, freie Kost, freien Wäscheservice und sogar ein kleines Museum und sieht sich „inmitten des pulsierenden Teils von Jerusalem wie eine Oase, aber auch wie eine feste Burg. Von der Betriebsamkeit des nur wenige Meter entfernten Basars ist kaum etwas zu spüren“ (www.heilig-land-verein.de/html/paulus-haus_jerusalem.html, 20.02.2008). Das Haus, zu dem auch die seit 1886 bestehende Schmidt-Schule für christliche und muslimische Mädchen gehört, zeichnet sich „durch die massive Bauweise, gute Lärmdämmung und Abschottung“ aus und nimmt sich selbst explizit als „eine kleine deutsch-geprägte Insel inmitten des Trubels“ der Altstadt wahr (www.heilig-land-verein.de/html/paulus-haus.html, 20.02.2008). Die freiwilligen Helfer und Zivildiener werden von deutschsprachigen Mitarbeitern der Häuser sofort nach Ankunft auf dem Flughafen David Ben Gurion (Tel Aviv) abgeholt und von dort nach...

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