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E-Book

Helden (German)

AutorGeorge Bernard Shaw
VerlagOTB eBook publishing
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl76 Seiten
ISBN9783962726461
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Helden von George Bernhard Shaw demontiert in höchst vergnüglicher Weise die (Pseudo-) Helden des Krieges.

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Leseprobe

ZWEITER AKT


[Am 6. März 1886. In dem frischen hübschen Garten von Major Petkoffs Haus an einem schönen Frühlingsmorgen. Hinter dem Zaun tauchen die Spitzen von zwei Minaretts auf, die Wahrzeichen einer kleinen Stadt im Tal. Ein paar Meilen davon entfernt erheben sich die Balkanberge und umschließen die Landschaft. Wenn man vom Garten zu ihnen hinüberblickt, liegt zur Linken die Seite des Hauses, aus der eine kleine Tür mit Stufen davor in den Garten führt. Rechts schneidet der Stallhof mit seinem Torweg in den Garten ein. Den Zaun und das Haus entlang stehen Beerensträucher, die mit zum Trocknen ausgespannter Wäsche behängt sind. Ein kleiner Weg führt an dem Hause vorbei; er führt zwei Stufen empor an die Ecke und verliert sich dann.—In der Mitte ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen aus gebogenem Holz. Auf dem Tisch steht das Frühstück, eine türkische Kaffeekanne, Kaffeetassen und Brötchen usw. Die Schalen wurden schon gebraucht, und das Brot ist angebrochen.—An der Mauer zur Rechten steht eine hölzerne Gartenbank.

Louka steht, eine Zigarette rauchend, zwischen Tisch und Haus und kehrt mit zorniger Verachtung einem männlichen Dienstboten den Rücken, der ihr eben eine Strafpredigt hält. Es ist ein Mann in den besten Jahren, phlegmatisch und von niedriger, aber klarer und rascher Intelligenz. Er hat die Selbstgefälligkeit eines Dieners, der seine Dienste hoch einschätzt, und den unerschütterlichen Gleichmut eines kalt berechnenden Menschen ohne Illusionen. Er trägt weiße bulgarische Tracht, eine Jacke mit bunten Borten, weite Pumphosen, Schärpe und verzierte Gamaschen. Sein Kopf ist bis an den Scheitel glattrasiert, was ihm eine hohe japanische Stirne gibt. Sein Name ist Nicola.]

Nicola: Laß dich rechtzeitig warnen, Louka, ändere dein Benehmen. Ich kenne unsere Gnädige. Sie ist zu selbstbewußt, um sich jemals träumen zu lassen, daß eine Dienerin es wagen könnte, ihr gegenüber respektlos zu sein. Aber laß sie nur einmal bemerken, daß du ihr Trotz bietest, und du fliegst hinaus.

Louka: Ich trotze ihr doch; ich will ihr trotzen—was liegt mir daran?

Nicola: Wenn du mit der Herrschaft Streit bekommst, kann ich dich niemals heiraten; es ist genau so, als ob du dich mit mir nicht vertragen würdest.

Louka: Du nimmst also ihre Partei gegen mich?

Nicola [gelassen]: Ich werde immer von der Gnade unserer Herrschaft abhängig sein. Wenn ich den Dienst verlasse, um einen Laden in Sofia aufzumachen, dann wird ihre Kundschaft mein halbes Kapital bedeuten. Ein böses Wort von ihnen könnte mich zugrunde richten.

Louka: Du hast eben keine Kurage! Ich möchte sehen, ob sie sich unterstehen würden, über mich ein böses Wort zu sagen!

Nicola [mitleidig]: Ich hätte dich für gescheiter gehalten, Louka, aber du bist eben jung—noch sehr jung.

Louka: Gewiß. Ja, und du liebst mich darum um so mehr, nicht wahr? Aber so jung ich bin, kenne ich doch ein paar Familiengeheimnisse, von denen sie nicht wünschen würden, daß ich sie ausplaudere. Sie sollen es nur wagen, mit mir anzubinden!

Nicola [mitleidig und überlegen]: Weißt du, was sie täten, wenn sie dich so sprechen hörten?

Louka: Was könnten sie tun?

Nicola: Dich wegen Lügenhaftigkeit entlassen. Wer würde dir dann jemals wieder ein Wort glauben, wer dir eine andere Stellung verschaffen? Wer in diesem Hause würde es wagen, auch nur wieder mit dir zu sprechen? Und wie lange würde dein Vater auf seinem kleinen Bauernhof belassen werden?! [Sie wirft ungeduldig den Rest ihrer Zigarette fort und tritt darauf]: Du großes Kind! Du weißt eben nicht, was für eine Macht so hohe Herrschaften über unsereins haben, sobald wir armen Teufel versuchen, uns gegen sie aufzulehnen. [Er tritt nahe an sie heran, mit leiser Stimme]: Schau mich an! Seit zehn Jahren diene ich in diesem Hause—glaubst du, daß ich da keine Geheimnisse weiß? Ich weiß Dinge von unserer Frau! Nicht um tausend Leu würde sie wollen, daß ihr Mann sie erführe! Und ich weiß Dinge von ihm, wegen deren sie ihm ein halbes Jahr lang zusetzen würde, wenn ich sie ausplaudern wollte. Ich weiß Dinge von Fräulein Raina! Die Auflösung der Verlobung mit Sergius wäre die Folge, wenn—

Louka [sich rasch zu ihm wendend]: Woher weißt du denn das? Ich habe dir doch nie etwas gesagt?

Nicola [reißt die Augen verschmitzt auf]: Das also ist dein kleines Geheimnis! Ich dachte gleich, es könnte so was sein. Nun, befolge meinen Rat, benimm dich ehrerbietig und laß die Gnädige fühlen, daß, ganz gleich, was du weißt oder nicht weißt, sie sich darauf verlassen kann, daß du reinen Mund halten und deiner Herrschaft treu bleiben wirst. Das ist's, was sie gern haben, und auf diese Weise wirst du am meisten von ihnen herauskriegen.

Louka [verachtungsvoll]: Du bist eine Bedientenseele, Nicola!

Nicola [vergnügt]: Jawohl, das ist das Geheimnis des Erfolges im Dienste. [Ein lautes Klopfen mit einem Peitschenknopf an das hölzerne Tor wird vom Hofe her gehört.]

Männliche Stimme [von außen]: Hallo! Heda! Nicola!

Louka: Der Herr, aus dem Kriege zurück!

Nicola [rasch]: Meiner Treu, Louka, der Krieg ist vorüber! Mach, daß du fortkommst, und bring frischen Kaffee! [Er läuft hinaus auf den Stallhof.]

Louka [während sie Kaffeekanne und Tassen zusammenräumt und auf dem Servierbrett in das Haus hineinträgt]: Du wirst aus mir niemals eine Bedientenseele machen! [Major Petkoff kommt vom Stallhofe her, Nicola folgt ihm. Der Major ist ein leicht erregbarer heiterer, unbedeutender, ungebildeter Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Von Natur aus ohne Ehrgeiz, nur um sein Einkommen und seine Wichtigkeit in der Lokalgesellscbaft bekümmert, ist er jetzt doch äußerst zufrieden mit dem militärischen Rang, der ihm während des Krieges als einer der Hauptpersonen seiner Stadt eingeräumt wurde. Das Fieber eines tollkühnen Patriotismus, den der Angriff der Serben in allen Bulgaren hervorrief, hat ihm durch den Krieg durchgeholfen, aber er ist sichtlich froh, wieder zu Hause zu sein.]

Petkoff [mit seiner Peitsche auf den Tisch zeigend]: Hier draußen das
Frühstück?

Nicola: Jawohl, gnädiger Herr. Die gnädige Frau und Fräulein Raina sind soeben ins Haus gegangen.

Petkoff [setzt sich und nimmt ein Brötchen]: Geh hinein und sage, daß ich gekommen bin, und bringe mir frischen Kaffee.

Nicola: Ist schon bestellt, gnädiger Herr. [Er wendet sich gegen die
Haustür, Louka kommt mit frischem Kaffee, einer reinen Tasse und
einer Flasche Schnaps auf ihrem Servierbrett]: Haben Sie die gnädige
Frau verständigt?

Louka: Ja, die Gnädige kommt gleich. [Nicola geht in das Haus hinein.
Louka stellt den Kaffee auf den Tisch.]

Petkoff: Na, die Serben scheinen dich nicht geraubt zu haben?

Louka: Nein, gnädiger Herr.

Petkoff: Das ist recht. Hast du mir Kognak gebracht?

Louka [die Flasche auf den Tisch setzend]: Hier, gnädiger Herr.

Petkoff: So ist's recht. [Er gießt ein paar Tropfen Kognak in seinen Kaffee. Katharina, die zu der frühen Stunde nur eine sehr flüchtige Toilette gemacht hat, tritt aus dem Hause. Sie trägt eine bulgarische Schürze über einem ehemals prächtigen, aber jetzt halb abgetragenen roten Schlafrock. Ein farbiges Kopftuch ist um ihr dickes schwarzes Haar gewunden. Sie hat türkische Pantoffeln an den bloßen Füßen. Sie sieht trotz ihrer Toilette erstaunlich hübsch und stattlich aus. Louka geht in das Haus zurück.]

Katharina: Mein lieber Paul, nein, ist das eine Überraschung für uns!
[Sie beugt sich über die Lehne seines Stuhls, um ihn zu küssen]:
Hast du schon frischen Kaffee bekommen?

Petkoff: Ja, Louka hat schon für mich gesorgt.—Der Krieg ist aus, der Friede wurde schon vor drei Tagen in Bukarest unterzeichnet, und der Abrüstungsbefehl für unsere Armee ist gestern ausgegeben worden.

Katharina [springt auf, mit sprühenden Augen]: Der Krieg zu Ende! Paul, haben euch die Österreicher vielleicht GEZWUNGEN, Frieden zu schließen?

Petkoff [unterwürfig]: Meine Teuere, sie haben mich nicht gefragt, was konnte ich tun? [Sie setzt sich und wendet sich von ihm ab]: Aber natürlich haben wir dafür gesorgt, daß der Vertrag ein ehrenhafter sei, er sichert den Frieden.

Katharina [beleidigt]: Frieden!

Petkoff [sie besänftigend]: Aber durchaus keine freundschaftlichen Beziehungen, merke wohl. Sie wollten das hineinsetzen, aber ich bestand darauf, daß es gestrichen würde—was hätte ich noch mehr tun können?

Katharina: Du hättest Serbien annektieren und den Prinzen Alexander zum Kaiser des Balkans machen können; das hätte ich getan!

Petkoff: Ich zweifle nicht daran, Teuerste. Aber ich hätte zuvor das ganze österreichische Kaiserreich unterwerfen müssen, und das hätte mich zu lange von dir ferne gehalten; du hast mir schon sehr gefehlt.

Katharina [freundlich]: Ah! [Sie streckt ihren Arm liebevoll über den Tisch, um seine Hand zu drücken.]

Petkoff: Und wie ist es dir ergangen, Liebste?

Katharina: Oh, bis auf meine gewohnten Halsschmerzen recht gut.

Petkoff [mit Überzeugung]: Das kommt davon, daß du dir täglich den
Hals wäschst; ich habe dich schon oft davor gewarnt.

Katharina: Das ist Unsinn, Paul.

Petkoff [über seinem Kaffee und der Zigarette]: Ich bin sehr dagegen, daß man diese modernen Gewohnheiten zu sehr nachahmt; das ewige Waschen kann nicht gesund sein, es ist unnatürlich. In Philippopel war ein Engländer, der die Gewohnheit hatte, sich jeden Morgen nach dem Aufstehen über und über mit kaltem Wasser zu begießen....

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