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NEUN PRÜFSTEINE
Bisweilen mag es so erscheinen, als wäre einzig Optimismus gut und Pessimismus schlecht. Das ist ein Irrtum. Defensiver Pessimismus kann viele Menschen geradezu beflügeln. Denn die Annahme, dass etwas schlecht ausgehen könnte, spornt Pessimisten oft zu Höchstleistungen an. Eine positive Sicht der Dinge ist in diesem Fall wirkungslos. Vielen fällt es auch nicht leicht, dem gefühlten Zwang, immer fröhlich durchs Leben zu gehen, zu entsprechen. Und wer sich diesem Zwang nicht unterwerfen will, sollte dies auch nicht tun. Denn damit wäre niemandem gedient.
Allerdings sind fast alle depressiven Menschen auch Pessimisten. Überspitzt gesagt: Optimismus verhält sich zum Glück, wie Rauchen zu Lungenkrebs. Wer raucht, hat ein höhere Risiko an Lungenkrebs zu erkranken. Menschen mit einer optimistischen Einstellung haben, wie Martin Seligman eindeutig nachgewiesen hat, größere Chancen, glücklicher, gesünder und erfolgreicher zu sein. Seligman, der Begründer der Positiven Psychologie, ist einer der einflussreichsten Psychologen in Amerika und Verfasser des Bestsellers Der Glücks-Faktor. Warum Optimisten länger leben. Ich bin ihm und meinen Kollegen für ihre Erkenntnisse, Fortschritte und Methoden innerhalb der Positiven Psychologie zu großem Dank verpflichtet. Optimismus ist allerdings kein Allheilmittel, Optimismus ist ein Lebensstil. Wer sich diesen Lebensstil zu eigen macht, ist glücklicher, und oft gelingt es ihm sogar, dieses Glück an andere weiterzugeben. Probieren Sie es doch einfach einmal aus!
Dieses Buch umfasst neun Kapitel, die die acht wichtigsten Grundvoraussetzungen einer optimistischen Lebenseinstellung behandeln: open, positive power, transform, interact, meaning, inspire, smile, target. Die Anfangsbuchstaben dieser acht englischen Begriffe bilden das Wort OPTIMIST. Mit diesen Kapitelüberschriften kann man sich die elementare Botschaft des Buchs leicht merken. Das neunte Kapitel ist mit einem Satzzeichen überschrieben, dem Ausrufezeichen. Es soll die Dringlichkeit hervorheben: Werden Sie Optimist! Warten Sie nicht länger und packen Sie es an. It’s now or never. Don‘t worry, be happy.
Sie halten mit diesem Buch neun Prüfsteine in den Händen. Prüfsteine wurden früher von Juwelieren und Goldschmieden dazu benutzt, die Reinheit von Edelmetallen, vornehmlich von Gold, zu prüfen. Prüfsteine waren also dazu da, die Güte einer Sache zu ermitteln. Abstrakt würde man von »Kriterien« oder »Maßstäben« sprechen. Man versucht oft, das Unbestimmte zu bestimmen und das Unmessbare zu messen. Um den »Goldgehalt« einer Persönlichkeit zu bestimmen, muss man sein Wesen ausloten. Dafür aber gibt es weder feststehende Kriterien noch Probiersteine. Man kann höchstens versuchen, das Unbeschreibliche zu umschreiben, in der Hoffnung, aus Prüfsteinen Trittsteine zu machen, die unser Leben in eine positive Richtung lenken.
Das vorliegende Buch ist der letzte Teil einer Trilogie, die mit dem Buch Glück. The World Book of Happiness, in dem ich das Wissen und die Weisheit von hundert Glücksforschern versammelt habe, ihren Anfang genommen hat. Danach habe ich mich weiter mit dem Thema beschäftigt und so entstand Eine Schatzkiste voll Glück. The World Box of Happiness (mit 52 Glückskarten und 104 Tipps für ein glückliches Leben). Und nun habe ich die unterschiedlichen Elemente zusammengefügt: theoretische Wissenschaft, praktische Ratschläge und eine Geschichte, die uns zum Handeln inspirieren soll: Ab heute bin ich Optimist. Eine Starthilfe.
Man kann niemanden zu seinem Glück zwingen. Jeder hat ein Recht auf Kummer und Verdruss. Dieses Buch enthält keine Liste von Anweisungen, was Sie tun oder lassen sollten, um glücklich zu sein. Es zeigt Ihnen vielmehr anhand alltäglicher und inspirierender Beispiele, praxistauglicher Empfehlungen und persönlicher Berichte, wie Sie einen optimistischen Lebensstil entwickeln können. Im Grunde wissen wir recht genau, was wir dafür tun müssten. Aber oft handeln wir wider besseres Wissen. Optimisten sind gesünder und leben länger. Sie sind glücklicher und erfolgreicher im Sport, im Studium, in der Politik und in Freundschaften. Worauf warten Sie also? Werden Sie Optimist!
Leo Bormans
P.S. Sie halten hier ein Übungsbuch in Händen. Halten Sie Stift und Papier bereit, um sich Notizen zu machen. Sie werden hin und wieder auf kurze Fragen stoßen, die ausführlichere persönliche Antworten erfordern. Wer die Fragen bloß liest, statt sich die Mühe zu machen, eine Antwort schriftlich zu formulieren, verschenkt das Potenzial der Übung.
Für sie
Sie wartet, bis sich der Saal nach meinem Vortrag über »Das Geheimnis des Glücks« und der anschließenden Signierstunde geleert hat. Sie bleibt, bis auch der letzte Besucher gegangen ist. Schließlich verabschiedet sie auch noch ihre Freundin. Sie möchte etwas Persönliches mit mir bereden. »Meine Freundin hat mich heute Abend regelrecht zwingen müssen, mitzukommen und mir Ihren Vortrag anzuhören«, sagt sie. »Ich wollte wirklich nichts mehr über Optimismus und Glück hören. Meine Freundin weiß nicht, wie schlecht es mir wirklich geht. Ich habe dieses Jahr bereits vier Selbstmordversuche unternommen. Ich weiß nicht mehr weiter.« Gerade hat sie mein Buch gekauft. Sie bittet mich, ihr eine Aufgabe hineinzuschreiben. »Beginnen Sie einfach mit Schritt 1«, sagt sie. »Ich war schon bei unzähligen Psychologen und habe genug Ratschläge bekommen. Das funktioniert bei mir nicht. Aber heute Abend habe ich das Gefühl, ich könnte Schritt 1 umsetzen. Was Sie sagen, erscheint mir mit einem Mal einleuchtend. Die Geschichte, die Sie erzählen, klingt so einfach. Ich kann es diesmal schaffen.« Sie sieht mich freundlich und entschlossen an. Ich tue ihr den Gefallen. Dann verlässt sie den Saal. Ich habe sie nie wiedergesehen, hoffe aber, dass sie dieses Buch irgendwann lesen wird. Ich widme es auch ihr. Und Ihnen. Und allen, die ihre Träume in die Tat umsetzen möchten.
DIE REISE UNSERES LEBENS
War Optimismus vor kurzem noch etwas für Sinnsprüche, die auf Postkarten in den Zimmern junger Mädchen hängen, ist Optimismus heute ein anerkanntes Forschungsobjekt der Psychologie, Soziologie, Ökonomie und Neurobiologie. Mittlerweile rümpft darüber niemand mehr die Nase. Fachzeitschriften veröffentlichen immer häufiger die neusten Forschungsansätze und Erkenntnisse. Seitdem vor nicht allzu langer Zeit die Bereiche in unserem Gehirn identifiziert worden sind, die bei einer depressiven oder aber bei einer optimistischen Gefühlslage aktiv werden, macht die Wissenschaft große Fortschritte.
Heute reisen wir häufiger als je zuvor in ferne Länder – was auch große Gefahren mit sich bringt. Gingen wir solche Abenteuer nicht mit einer gehörigen Portion Optimismus an, würden wir nie und nimmer ins Ungewisse aufbrechen. Doch unser Optimismus und unsere Abenteuerlust treiben uns an. Selbstverständlich schließen wir noch rasch eine Reiseversicherung ab und auch die Reiseapotheke steckt für alle Fälle immer griffbereit im Rucksack. Das nennt man gesunden Menschenverstand. Die meisten Menschen sind viel optimistischer, als wir glauben. Durch die zunehmenden Kommunikationsmöglichkeiten sind wir heute besser über Katastrophen, Unglücke, Kriege, Verbrechen und den Klimawandel informiert. Das mag auch ein Grund dafür sein, dass wir die Zukunft unserer Gesellschaft und unseres Planeten immer pessimistischer einschätzen. Aber dennoch sehen wir unserer eigenen Zukunft verhältnismäßig optimistisch entgegen (und das seit Jahren relativ gleichbleibend). Das Gehirn trickst uns nämlich gerne aus. Bei gesunden Menschen wählt es mehr positive als negative Nachrichten aus. So ist allgemein bekannt, dass die Scheidungsrate derzeit recht hoch ist, dennoch schätzen Liebende, die den Bund der Ehe eingehen, ihre Chancen recht gut ein, für immer zusammenzubleiben. Auch die hohen Prozentzahlen an Krebserkrankungen und Verkehrsunfällen sind bekannt. Trotzdem glaubt die Mehrheit der Bevölkerung, dass es sie selbst eher nicht treffen wird. Zehn Prozent der Amerikaner glauben sogar, dass sie über hundert Jahre alt werden. Dabei liegen die Chancen dafür gerade einmal bei 0,02 Prozent.
Menschen begeben sich seit jeher gern in Gefahr. Hätten unsere Urahnen ihre bekannte Umgebung nie verlassen und nie den Antrieb verspürt sich andernorts anzusiedeln, würden wir wohl noch heute in Grotten und Höhlen leben. Sie müssen Optimisten gewesen sein. Tatsache ist, dass unser Optimismus einsetzte, als wir erkannten, dass wir sterblich sind. Diese fatale Erkenntnis hätte bei unseren Urahnen ebenso gut dazu führen können, vollkommen zu resignieren. Denn was sollte angesichts unseres eigenen Todes oder des Todes unserer Angehörigen denn noch der Mühe wert sein? Wozu Kinder in die Welt setzen, warum das Feld beackern oder Wissen erwerben? Und doch hat sich die Menschheit nicht entmutigen lassen. Getrieben von Hoffnung und Wissensdurst entwickelte sich die Menschheit immer weiter. Diese Kraft wurde über die Jahrhunderte hinweg genetisch weitergegeben. Währenddessen formte sich allmählich die Vision einer besseren Zukunft. Das menschliche Gehirn ist nicht nur von Erinnerungen an die Vergangenheit angefüllt, wie viele Psychologen lange angenommen haben, sondern entwickelt sich auch weiter, wenn Menschen sich über die...