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Einleitung
Gibt es eigentlich noch etwas zu entdecken oder wissen wir schon alles? Werden wir immer einen Großteil unseres Lebens arbeiten müssen, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen? Wird es immer Krankheiten geben? Sind wir auf ewig dazu verurteil, alt und schwach zu werden und schließlich zu sterben? Werden wir jemals die Sterne erreichen? Die Zivilisation hat seit der Entwicklung der Dampfmaschine vor 200 Jahren eine stürmische Entwicklung durchlaufen. Davor gab es in Europa regelmäßig Hungersnöte, kaum jemand hatte fließendes Wasser oder eine Kanalisation. In kalten Wintern erfroren Menschen. Elektrizität gab es nicht, die Reichen reisten mit Pferdekutschen, aber die meisten gingen zu Fuß. Im Vergleich zu der Zeit vor der industriellen Revolution leben wir heute in unvorstellbarem Wohlstand. Diese rasante Entwicklung wurde getragen durch Tatendrang, Mut, Neugierde und Optimismus. Die Öffentlichkeit verfolgte die Wettrennen der Entdecker zu den unerforschten Polarregionen, sie bewunderten die Riesenknochen der Dinosaurier und debattierten eifrig, wie alt die Erde denn sein könnte. Das Jahrhundertgenie Albert Einstein erreichte mit seiner Relativitätstheorie eine Popularität, um die ihn so mancher Popstar beneidet hätte. Geht diese Pionierzeit der spektakulären Entdeckungen und des rasanten Fortschritts nun zu Ende? Heute scheint es, als sei alles Wichtige bereits entdeckt und es ginge in der Forschung nur noch um Details.
Im Gegensatz zur Grundlagenforschung beschäftigt sich die Angewandte Forschung hauptsächlich mit Details. Beispiele sind die Entwicklung leistungsstärkerer Batterien oder sparsamerer Automotoren. Mit dieser Denkweise hätte niemand versucht, etwas so radikal Neues wie Flugzeuge zu entwickeln. Man würde noch immer in Pferdekutschen reisen, die allerdings sehr viel bequemer, leiser und preiswerter wären. Nur die Grundlagenforschung kann etwas wirklich Neues entdecken, das die Zukunft verändert. Grundlagenforschung macht allerdings nur dann einen Sinn, wenn es noch Grundlegendes zu entdecken gibt. Ein Beispiel ist die Geografie. Heute gibt es auf der Weltkarte keine weißen Flecken mehr. Entlegene Regionen können zwar noch besser kartografiert werden, aber einen neuen Kontinent wird man nicht mehr entdecken. Für die gesamte Naturwissenschaft gibt es diese Begrenzung aber nicht, denn die Natur und das Universum sind grenzenlos. Jeden Moment kann eine Entdeckung die Tür zu neuen, noch unerforschten Regionen der Realität aufstoßen. Wo die Grenzen des bekannten Wissens liegen und wo sich neue, unbekannte Regionen verbergen könnten, darum geht es im vorliegenden Buch.
Ein grundlegendes Rätsel: Die Naturkonstanten
Früher glaubten die Menschen, dass die Welt von Göttern erschaffen und gelenkt wurde. Naturgesetze waren göttliche Gesetze. Dagegen sieht die Physik das Universum als ein Uhrwerk an, das, einmal in Gang gesetzt, den Gesetzen folgend abläuft. Eines dieser Naturgesetze ist das Newtonsche Gravitationsgesetz. Die Überlieferung berichtet von einem Apfel, den Newton vom Baum fallen sah. Die Kraft, die den Apfel fallen lässt, ist die Schwerkraft der Erde. Newton kam auf die Idee, dass die gleiche Kraft den Mond auf seine Kreisbahn um die Erde zwingt und leitete aus dieser Überlegung ein Gesetz ab. Nach Newton ziehen sich alle Massen gegenseitig an. Bei großen Massen wie der Erde ist die Anziehung stark und mit wachsendem Abstand nimmt die Kraft ab. Das Gesetz gilt immer und überall. Es gibt eine große Anzahl solcher Naturgesetze, die jedes Detail im Universum regeln. Dazu gehören die Eigenschaften der Elementarteilchen, die vier Naturkräfte und die Naturkonstanten. Es ist eine lange Liste von Zahlen und Formeln und sie charakterisiert unser Universum.
Wissenschaftler haben sich überlegt, wie das Universum aussähe, wenn eine dieser Zahlen einen etwas anderen Wert hätte. Sie sind dabei zu einem erstaunlichen Ergebnis gekommen. Wären die Naturgesetze nur ein klein wenig anders, gäbe es kein Leben. Die Sonne würde nicht lange genug brennen, um der Evolution Zeit für die Entwicklung der Arten zu geben. Die vielfältigen Moleküle des Lebens würde es nicht geben, denn ihre Existenz hängt von den besonderen Eigenschaften des Kohlenstoffatoms ab, die wiederum von den genauen Werten der Naturkonstanten abhängen. Das gilt für praktisch jede Naturkonstante, jedes Kraftgesetz und für die Eigenschaften der Teilchen, aus denen die Materie aufgebaut ist. Wären diese Zahlen und Gesetze nur ein klein wenig anders, gäbe es kein Leben und vielleicht auch keine Erde.
Abb. 1.1 Ein früher Wissenschaftler versucht, die grundlegenden Gesetze und Mechanismen zu entdecken, die für die Naturgesetze verantwortlich sind (Quelle: Camille Flammarion, L’Atmosphere: Météorologie Populaire (Paris, 1888), pp. 163).
Es wäre nur allzu menschlich, aus dieser Beobachtung die Existenz eines höheren Wesens abzuleiten. Aber mit menschlichen Kategorien, wie es die Annahme der Existenz eines universellen intelligenten Bewusstseins wäre, lässt sich unser Universum nicht erfassen. Die Naturwissenschaft geht einen anderen Weg, um eine Antwort auf die Frage zu finden, warum die Naturkonstanten die Werte haben, die sie haben. Es gibt zwei denkbare Antworten. Die eine Möglichkeit ist, dass es Gründe gibt, warum die Konstanten diese Werte haben, aber wir haben die Gründe noch nicht entdeckt (Abb. 1.1). Die andere mögliche Antwort ist, dass die Werte dieser Zahlen tatsächlich Zufall sind. Dahinter steckt die Idee, dass es viele Universen geben könnte. In beiden Fällen hat die Forschung bisher nur einen kleinen Teil der Realität entdeckt und es gibt noch viel zu tun. Wie die Frage nach dem erstaunlichen Design des Universums letztlich beantwortet wird, bleibt abzuwarten. Vorerst gilt es, unsere Welt weiter zu erforschen und die Grenzen der bekannten Zone weiter auszudehnen. Vielleicht ergibt sich dann ganz von selbst eine einleuchtende Erklärung für das erstaunliche Zusammenwirken der Naturgesetze.
Das Zeitalter des Pessimismus
Heute stehen viele Bürger in Deutschland der naturwissenschaftlichen Forschung skeptisch gegenüber. Pessimismus hat den Optimismus der Pionierzeit verdrängt. Bei jeder Entdeckung fragt die Öffentlichkeit, ob dies nicht gefährlich sei und man es besser nicht weiter erforschen sollte. Manche meinen sogar, ein dunkles Zeitalter stehe bevor, weil die gleiche Technologie, die so viel Fortschritt gebracht hat, nun unsere Lebensgrundlagen zerstöre. Sie lehnen ein weiteres Wachstum ab und fordern den Übergang in eine »nachhaltige« Lebensweise.
»Nachhaltig« bedeutet, dass nur der Anteil an Ressourcen verbraucht wird, den die Natur ständig erneuern kann. Der Mensch war über viele Jahrtausende zu einer solchen Lebensweise gezwungen. Die Jäger und Sammler der Steinzeit und auch die frühen Bauern konnten nicht anders als »nachhaltig« leben. Nachhaltigkeit bedeutete damals Mangel und Armut. Das änderte sich erst mit der Dampfmaschine. Damit konnte die Energie in der Kohle in Arbeit umgewandelt werden. Der Zugang zu neuen Energiequellen und der damit einhergehende technische Fortschritt brachte erstmalig für eine immer größere Zahl von Bürgern Wohlstand und sogar Überfluss. Wissenschaft, Technik, Kunst und Kultur machten riesige Fortschritte. Allerdings lebte der Mensch nun nicht mehr nachhaltig. Er verbraucht viel mehr, als die Natur erneuern kann.
Die vier großen Probleme der Erde sind heute die Armut, das Bevölkerungswachstum, der Ressourcenverbrauch und die Klimaveränderung. Nur mit massiven Innovationen in Wissenschaft und Technologie besteht eine Chance, diesen enormen Problemen entgegentreten zu können. Dabei ist der entscheidende Punkt die Energie. Eine Hochtechnologiezivilisation, die allen Menschen einen hohen Lebensstandard bieten kann, kann nur auf der Basis neuer und starker Energiequellen existieren. Sie ist darauf angewiesen, dass die Naturwissenschaft neue Energiequellen entdeckt. Aber es geht nicht nur um Energiequellen. Um langfristig einen hohen Lebensstandard sichern zu können, sind vielfältige weitere Innovationen auf der Basis naturwissenschaftlicher Forschung notwendig. Die Chancen für neue Entdeckungen stehen gut. Welche Entdeckungen das sein könnten, wird im vorliegenden Buch diskutiert.
Ist eine Zukunft ohne Entwicklung möglich?
Wie kam es zur Entwicklung der Intelligenz? Intelligenz hat einen entscheidenden Vorteil. Sie ermöglicht es dem Einzelwesen, schnell auf sich verändernde Umweltbedingungen zu reagieren. Ein instinktgesteuertes Tier bleibt in seinem programmierten Verhalten gefangen, auch wenn das Verhalten unter veränderten Bedingungen sinnlos geworden ist. Ursprünglich hat sich die Intelligenz des Menschen in Afrika entwickelt, als dort die Umwelt in kurzen Intervallen immer wieder drastische Veränderungen durchlief. Urwald wurde von Wüsten verdrängt, die sich später in Feuchtsavannen verwandelten. Die chaotischen Klimazyklen wiederholten sich mehrmals. Die frühen Menschen waren Nomaden. Sie reagierten auf Dürren und Nahrungsmangel, indem sie in andere Regionen wanderten. Dort fanden sie neue Umweltbedingungen vor. Je nach Umgebung wechselten die...