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Hexenwahn

Schicksale und Hintergründe. Die Tiroler Hexenprozesse

AutorHansjörg Rabanser
VerlagHaymon
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783709973653
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Über Hexen und Hexenverfolgung wurde schon viel geschrieben. Selten jedoch war ein Autor so nah dran an der Realität wie Hansjörg Rabanser, kaum einer hat so detailreich erforscht, wie es wirklich war in jenen Jahrhunderten, als Frauen, Männer und Kinder als Hexen, Zauberer und ihre Gehilfen angezeigt, angeklagt, verhört, gefoltert und verbrannt wurden. Grund dafür ist die Beschränkung auf eine beispielhafte Region und das dortige Geschehen. Seine exakte wissenschaftliche Arbeit über die Hexenprozesse in Tirol, wo schon Heinrich Kramer Material und Erfahrungen für seinen berühmt-berüchtigten 'Hexenhammer' gesammelt hat, dient ihm als Grundlage für dieses populäre Sachbuch, in dem man miterleben kann, wie es damals zugegangen ist. Man lernt Lebensumstände und Verfahrensweisen kennen, kann geradezu mithören, was die Angeklagten und ihre Mitbürger zu sagen haben, die Henkersknechte und Richter, aber auch die Gegner des Hexenwahns, die es immer gegeben hat. An die 250 Prozesse mit über 600 Betroffenen werden detailliert an Hand der Akten dargestellt und analysiert, von den nicht selten gehässigen Denunziationen über die verschiedenen Phasen der Untersuchung, die ausgefeilten Verhör- und Foltermethoden bis zu den Urteilen und ihren Begründungen. Seltene zeitgenössische Darstellungen, Aktenstücke, Fotos von Gerichts- und Hinrichtungsstätten u.a. bringen schon beim Durchblättern Zeit und Problematik nahe.

Hansjörg Rabanser geboren 1977 in Dornbirn, Studium der Geschichte und Kunstgeschichte in Innsbruck. Mitarbeit an historischen Projekten (Trento tra Nord e Sud) sowie im Rahmen von Praktika am Vorarlberger Landesmuseum und am Tiroler Volkskunstmuseum.

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Leseprobe

EINLEITUNG: VON ZAUBERERN UND HEXEN


Die Vorstellungen einer von (un-)heilvollen Wesen beseelten Welt führten in der Antike zu Kulten, Ritualen, Zauberpraktiken und Beschwörungen, um diese Erscheinungen zu beeinflussen. Belege für den Glauben an Dämonen und zauberkundige Frauen und Männer finden sich in allen Kulturen der antiken Welt (Circe, Hekate, Medea, Hexe von Endor etc.). Im 3. Jahrhundert v. Chr. entstand – beeinflusst vom iranischen Zoroastrismus, der Licht und Finsternis strikt trennte – eine dualistische Weltsicht von Gut und Böse. Diese Anschauung wirkte auf das Judentum und schließlich auch auf den christlichen Glauben ein. Zur antiken Weltsicht und Magie trat später der frühe, christlich gefärbte Volksglaube hinzu und vermischte sich mit den antiken Vorstellungen.

Christliche Bußbücher aus dem 5. bis 9. Jahrhundert bieten erste Belege für einen verbreiteten Glauben an Wahrsagerei, Zauberei, Traumdeutung und Geister. Die Zauberer wurden darin in drei Gruppen eingeteilt: die malefici (Schädiger), die tempestarii (Wettermacher) und die venefici (Giftmischer). Vorstellungen von fliegenden Hexen oder gar von einer geschlechtlichen Vereinigung von Menschen und Dämonen sind für diese Zeit noch nicht belegt.

Die Grundlagen zur Theorie des Dämonenpaktes hatte allerdings schon Augustinus (354–430) geschaffen. Magische Handlungen oder das Benützen magischer Gegenstände seien zwar nutzlos, so der Kirchenlehrer, doch es finde im Zuge solcher Praktiken eine Art Kommunikation mit dem Dämon statt, ein ausgesprochener oder stillschweigender „Pakt“ mit dem Bösen, eine Meinung, die durchaus nicht ohne Widerspruch blieb. Im Canon Episcopi des Regino von Prüm (ca. 906), eine Art kirchliche Rechtsordnung mit Anweisungen für die Bischöfe, findet man die früheste Erwähnung des Hexenfluges und der Tierverwandlung. Sie werden jedoch als Wahnvorstellung und Vorspiegelungen des Teufels angesehen, der Glaube daran als heidnischer Irrsinn abgetan. Der Großteil der Geistlichkeit des Früh- und Hochmittelalters sah in den Zauberern vorwiegend Personen, die einem gewissen Glaubensirrtum unterlagen und durch Bußstrafen wieder auf den rechten Weg zurückgeführt werden konnten.

Im 13. Jahrhundert kam es dann durch eine veränderte Einstellung der Theologen zu einem Wandel dieses Bildes: Thomas von Aquin (1225–1274) erläuterte etwa, dass die Dämonen mit den Menschen in der Form eines Succubus (weiblicher Dämon, der sich dem Mann „unterlegt“) und Incubus (männlicher Dämon, der sich der Frau „auflegt“) verkehren, und dass die Taten der Hexen dank eines geheimen Einverständnisses mit dem Teufel erfolgten und tatsächlich ausgeführt würden. Damit wurden Zauberer und Hexen zu Teufelsanbetern und Verschwörern gegen den christlichen Glauben erklärt und den verfolgungswürdigen Ketzern gleichgestellt. Die Ketzerverfolgungen des 12. Jahrhunderts legten schließlich auch die Strukturen zu den später organisierten Zauberer- und Hexenverfolgungen.

Die Anfänge der Hexenverfolgung


Bereits um 1400 wurde den Hexen neben dem Teufelspakt und den strafrechtlich relevanten Schadenzaubereien weitere Delikte vorgeworfen: Zum Pakt kam die Teufelsbuhlschaft, außerdem Hexenflug und die Versammlungen der Hexensekte. Damit war der klassische Hexereibegriff voll ausgebildet.

Allerdings wurde den Ketzern nur das Delikt der Teufelsanbetung, nicht jedoch das Verbrechen des Schadenzaubers vorgeworfen, dessen Bild demnach einen anderen Ursprung haben muss. Neueste Forschungen ergaben, dass dafür mit ziemlicher Sicherheit alte Judenstereotype herangezogen wurden. Den Juden wurde vorgeworfen, durch Schadenswerke – etwa den Ritualmord (vorwiegend an Kindern), die Hostienschändung und die Vergiftung von Brunnen – die christliche Gemeinschaft zerstören zu wollen. Auffallenderweise finden wir die selben Anklagepunkte später bei den Hexen. Weiters dürfte es kein Zufall sein, dass die Zusammenkünfte der Hexen mit dem hebräischen Begriff Synagoge oder Sabbat (was sich durchsetzte) bezeichnet wurden. Warum sich aus den traditionellen Feindbildstereotypen der Ketzer und Juden das Stereotyp der Hexensekte entwickelte, ist bis heute unklar.

Eine Erklärung bietet vielleicht der geographische Rahmen, in dem das Zauberei- und Hexereidelikt seinen Anfang nahm, nämlich das Herzogtum Savoyen, zu dem das Gebiet um den Genfer See und des Pays de Vaud, das obere Wallis, das Aostatal, der Residenzort Chambéry und das Piemont bis Nizza gehörten. Unter Herzog Amadeus VIII. (1416–1434) kam es in Savoyen nach den Juden- und Waldenserverfolgungen zu einer verstärkten Bekämpfung von Zauberei und Hexerei.

Das Konzil zu Basel (1431–1449) wurde bezüglich des Zaubereidelikts schließlich zu einer bedeutenden Drehscheibe der gelehrt-theologischen Wissensvermittlung und befahl das Vorgehen gegen Irrlehren aller Art: 1437 machte Papst Eugen IV. (1431–1447) alle Inquisitoren mittels Bulle auf die Sekte der Teufelsanbeter und Zauberer aufmerksam. Als Eugen IV. das Konzil ab 1438 nach Ferrara sowie ab 1439 nach Florenz verlegte und die in Basel verbliebene Mehrheit Herzog Amadeus VIII. von Savoyen zum Gegenpapst Felix V. (1439–1449) erklärte, war das der Propagierung des Zaubereiverbrechens nur dienlich.

Um 1440 hatte die Hexensekte schließlich einen von den Waldenserverfolgungen im Pay de Vaud geprägten und nun amtlich anerkannten Namen erhalten: Vaudenses. In den deutschsprachigen Gebieten setzte sich allerdings der schweizerdeutsche Begriff hexereye durch.

Damit nahm das Zeitalter der legalen Hexenverfolgungen ab zirka 1430/40 im französisch-italienisch-westschweizerischen Grenzbereich seinen Anfang und breitete sich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts über den Großteil Europas aus; dieser Wahn sollte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts andauern.3

Volksmagie – Zauberei – Hexerei


Paracelsus (eigentlich Theophrastus Bombastus von Hohenheim; um 1493–1541) schrieb im Vorwort zum ersten Traktat seines Werkes Die große Wunderartzney (Frankfurt am Main, 1530), dass er während seiner Forschungen zur Heilkunde viele Länder besucht habe, und in allen den Enden und Orten fleißig und emsig nachgefragt, Erforschung gehabt gewisser und erfahrner wahrhaften Künsten der Arznei, nit allein bei den Doktorn, sondern auch bei den Scherern, Badern, gelehrten Arzten, Weibern, Schwarzkünstlern, so sich des pflegen, bei den Alchemisten, in Klöstern, bei den Edlen und Unedlen, bei den Gescheuten und Einfältigen.

Der berühmte Arzt kontaktierte nicht nur eingefleischte Schwarzkünstler, Gelehrte und Ärzte, sondern auch Mönche, Alchemisten, Adelige sowie einfache Leute. Es scheint geradezu so, als habe sich damals jeder mit Magie oder okkulten bzw. heilerischen Praktiken auseinander gesetzt. Diese Annahme mag zum Teil auch stimmen, denn ein althergebrachtes Wissen um die Geheimnisse der Natur, verbunden mit abergläubischen Vorstellungen und Praktiken, war weit verbreitet und spielte in vielen Lebenslagen neben christlichen Gebeten eine bedeutende Rolle zur Lebensbewältigung. Die Magie galt als eine normale Erscheinung, wohingegen sie aus heutiger Sicht gern als abergläubischer Tand abgetan wird. Aber man sollte nicht vergessen, dass auch heute noch alte Hausmittel und brauchtümliche Riten (z.B. Segnungen) durchaus üblich sind und als „normal“ angesehen werden.

MAGISCHE VOLKSKULTUR UND
LÄNDLICHER HEXENGLAUBE

Zauberei und Magie wurde vom Volk in vielen Belangen und in vielerlei Hinsicht angewandt, um sich gegen die feindliche Umwelt und deren Einflüsse zu verteidigen oder zu schützen. Das beschränkte sich nicht nur auf Segnungen, Beschwörungen, Abwehr des Bösen (in Form von Truten, Unholden etc.), Wahrsagerei, Rückholung verlorenen oder gestohlenen Gutes und Schatzgräberei, sondern erstreckte sich auch auf kleinere Probleme des Alltags: Das Stück vom Holz eines Galgens im Bett vertrieb etwa Wanzen, und bei der richtigen Anwendung eines einschlägigen Spruches konnte man sogar zukünftige Spielschulden von vornherein vermeiden. Magie und Zauberei galten nicht als Sünde oder schweres Vergehen, sondern bildeten ein legitimes Mittel, sich seiner Rechte zu behaupten, den eigenen Lebensraum vor möglichen Gefahren zu schützen, verletzte Ordnungen wiederherzustellen und zu stabilisieren. Dass der Schutz vor Zauberei dabei dieselben Züge trug wie die Zauberei selbst und ebenfalls magische Praktiken oder Sprüche beinhaltete, war eine allgemein akzeptierte Normalität.

Die Grenzen zwischen Zauber und Gegenzauber waren fließend, wie das folgende Beispiel zeigt: Im Jahr 1610 stand der Bauer Wolfgang Mitterhofer aus Aufhofen vor dem Gerichtsgremium von Bruneck und musste sich für seine verbotenen, in den Augen der Obrigkeit als verdächtig geltenden Heilungen verantworten. 13 Personen wurden als Zeugen herangezogen, die dem Gericht ein umfangreiches Bild ihrer...

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