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E-Book

Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch

AutorTerry Eagleton
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783843714334
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Hoffnung ist mehr als bloßer Optimismus oder Wunschdenken. Sie steht für ein philosophisches Konzept. Terry Eagleton bringt den Begriff zurück in den Diskurs - leidenschaftlich und brillant. Zu erwarten, eine schlechte Situation würde sich ins Gute verkehren, ist schlicht irrational. Nach drei Tagen Dauerregen kann man nicht davon ausgehen, dass am vierten Tag die Sonne scheint, hoffen kann man es sehr wohl. Denn bloßer Optimismus ist banal, Hoffnung dagegen erfordert Reflexion und klares, rationales Denken. Und hält immer auch die Möglichkeit des Scheiterns bereit. Hoffnung ist tragisch und zugleich eine permanente Revolution gegen Selbstzufriedenheit und Verzweiflung. Klug, geistreich und virtuos widmet sich Terry Eagleton dem Konzept Hoffnung. Er analysiert, wie sich unser Verständnis davon in sechs Jahrtausenden gewandelt hat - eine brillante Chronik menschlichen Glaubens und Verlangens, ein Abriss der Ideengeschichte von der Antike über Marx bis zu Ernst Bloch.

Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy. Der international gefeierte Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker hat über 50 Bücher verfasst. Auf Deutsch liegen u.a. vor Der Sinn des Lebens (2008), Das Böse (2011), Warum Marx recht hat (2012) und Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch (2016).

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Leseprobe

2
Was ist Hoffnung?


Die drei sogenannten theologischen Tugenden – Glaube, Liebe, Hoffnung – haben alle ihre entarteten Doppelgänger. Glaube gleitet häufig in Leichtgläubigkeit ab, Liebe in Sentimentalität und Hoffnung in Selbsttäuschung. Tatsächlich ist es schwer, das Wort »Hoffnung« in den Mund zu nehmen, ohne die Aussicht des Scheiterns zu assoziieren, weil einem sofort Adjektive wie »leise« oder »vergeblich« in den Sinn kommen. Dem Begriff scheint eine unverbesserliche Naivität innezuwohnen, demgegenüber Missmut und Skepsis von einer gewissen Reife zu zeugen scheinen. Hoffnung suggeriert eine zaghafte, fast ängstliche Erwartung, einen schwachen Abklatsch robuster Zuversicht. In neuerer Zeit hat sie fast eine genauso schlechte Presse wie die Nostalgie, die mehr oder minder ihr Gegenteil ist. Hoffnung ist ein dünner Halm, ein Luftschloss, ein angenehmer Reisebegleiter, aber schlechter Führer, eine leckere Soße, aber wenig Fleisch. Im Wüsten Land ist der April der grausamste Monat, weil er die falschen Hoffnungen auf Erneuerung weckt.

Es gibt sogar Menschen, für die Hoffnung etwas Unwürdiges ist, etwas, das Sozialreformern zu Gesicht steht, aber keinem tragischen Helden. George Steiner bewundert eine Form der »absoluten Tragödie«, die von etwas so verächtlich Kleinbürgerlichem wie Hoffnung nur aufgeweicht würde. Er schreibt: »In der hohen Tragödie verschlingt das Nichts wie ein Schwarzes Loch«37, eine Situation, die durch den geringsten Anflug von Hoffnung nur verfälscht werden könne. Durch solch müßiges Sehnen werde der Tragödie ihre Größe genommen. Das gelte nicht für die Orestie des Aischylos oder für Shakespeares tragische Stücke, die für jedermanns Geschmack hoch genug sein dürften. Doch Steiner meint, das Tragische entspreche eigentlich nicht dem Naturell Shakespeares, weshalb er immer wieder das reine Wesen der Verzweiflung durch verschiedene vulgäre Hinweise auf Erlösung verwässere. Dagegen sei die Sichtweise in Christopher Marlowes Doktor Faustus, einem höchst unausgewogenen, holprigen Stück, extrem mitleidlos und damit von »zutiefst nicht-Shakespeare’schem« Charakter, wobei diese Charakterisierung als Kompliment gemeint ist. Die Tragödie verwirft alle gesellschaftliche Hoffnung und ist damit eine prinzipiell antisozialistische Haltung. Pessimismus ist ein politischer Standpunkt.38 Der katholische Philosoph Peter Geach hat keine bessere Meinung von der Hoffnung, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Wenn Hoffnung nicht auf den christlichen Glauben gegründet sei, meint er, gebe es überhaupt keine Hoffnung.39 Es sei kaum vorstellbar, dass die freudige Erwartung auf eine üppige Mahlzeit null und nichtig wird, nur weil sie nicht auf dem Glauben an den Tod und die Auferstehung Jesu fußt. Selbst wenn das Christentum die einzige und letzte Hoffnung der Menschheit wäre, folgte daraus nicht, dass jedes Bestreben, das sich nicht am Reich Gottes orientiert, zum Scheitern verurteilt wäre.

Die politische Linke hat Gründe, die Hoffnung ebenso kritisch zu beurteilen wie die Steiner’sche Rechte. Beispielsweise spielt Claire Colebrook mit dem Begriff eines »hoffnungslosen Feminismus«: »Vielleicht müsste der Feminismus die Hoffnung aufgeben – Hoffnung auf einen reichen Freund, größere Brüste, schlankere Oberschenkel und eine noch unerschwinglichere Handtasche –, um sich eine Zukunft ausmalen zu können, die ›uns‹ von den Klischees befreit, mit denen wir uns betäubt haben, bis sie uns den Verstand geraubt haben. Möglicherweise ist Utopia nur mittels radikaler Hoffnungslosigkeit zu erreichen.«40 Allerdings unterstützt Colebrook eine solche Politik nicht vorbehaltlos, und das mit gutem Grund: Es mag sein, dass Frauen zahlreiche falsche oder negative Hoffnungen hegen, doch sie haben auch eine ganze Reihe berechtigter Erwartungen. Trotzdem ist der Argwohn der Linken gegenüber der Hoffnung nicht völlig unbegründet. Allzu leicht können Vorstellungen von Utopia Energien vereinnahmen, die sonst für dessen Aufbau zur Verfügung stünden.

Die Menschen, die Hoffnung hegen, erscheinen in der Regel weniger entschlossen als die, die keine mehr haben, obwohl es Zeiten gibt, in denen nichts unrealistischer ist als Pessimismus. In neuerer Zeit hält man Schwermut für feinsinniger als Frohsinn. Nach Buchenwald und Hiroshima scheint Hoffnung kaum mehr zu sein als der unbegründete Glaube, die Zukunft werde einen Fortschritt gegenüber der Gegenwart bringen, was an Samuel Johnson erinnert, der die Wiederverheiratung sarkastisch als den Triumph der Hoffnung über die Erfahrung bezeichnete. Doch selbst die schrecklichsten Ereignisse unserer Epoche können Gründe zum Hoffen liefern. So schreibt Raymond Williams, einerseits habe es natürlich die Menschen gegeben, die in den Vernichtungslagern der Nazis zugrunde gegangen seien, doch andererseits hätte es auch Millionen gegeben, die ihr Leben geopfert hätten, um die Welt jenen zu entreißen, die sie erbaut hätten.41

Im Großen und Ganzen ist die Hoffnung die arme Verwandte der theologischen Tugenden geblieben, da sie zu weniger gelehrten Untersuchungen Anlass gegeben hat als Glaube und Liebe. Obwohl Peter Geach sein Buch Truth and Hope nennt, weiß er eigentlich nichts über die Hoffnung zu sagen, und auch in The Virtues fallen seine Kommentare über diese Tugend erheblich spärlicher aus als jene über den Glauben. Es sei darauf hingewiesen, dass die drei Grundhaltungen eng miteinander verknüpft sind. Augustinus schreibt im Enchiridion: »Daher ist die Liebe nicht ohne die Hoffnung, noch die Hoffnung ohne die Liebe, und keine von beiden ohne den Glauben.«42 Glaube ist eine Art liebevolle Verpflichtung oder leidenschaftliche Überzeugung, die nach der orthodoxen christlichen Lehre in erster Linie möglich wurde, weil Gott in die Menschen vernarrt war. »Ein Gläubiger ist doch wohl ein Verliebter«, schreibt Kierkegaard in Die Krankheit zum Tode. Glaube ist eine Frage des Vertrauens, das sich dann zu einer Form der Liebe oder Selbsthingabe entwickelt. Dem liegt die feste Überzeugung zugrunde, dass der andere einen nicht fallenlässt. Dieses Vertrauen darauf, dass man nicht im Stich gelassen wird, ist die Grundlage der Hoffnung. Das Oxford English Dictionary gibt a feeling of trust als eine alte Bedeutung von hope an. Hoffnung ist die Zuversicht, dass die eigenen Pläne in Erfüllung gehen, was einmal bezeichnet wurde als »aktives Bekenntnis zur Wünschbarkeit und Realisierbarkeit eines bestimmten Ziels«.43 Insofern schließt der Begriff das Verlangen ein und damit, im weitesten Sinne, auch die Liebe. Der Glaube offenbart, worauf man legitimerweise hoffen kann, und beide Tugenden sind letztlich in der Liebe verwurzelt.

Liebe unterscheidet sich für Thomas von Aquin dadurch von der Hoffnung, dass sie – zumindest im Geist – bereits mit ihrem Objekt vereinigt ist; doch wie Denys Turner, Thomas paraphrasierend, erläutert, erzeugt »wahre Liebe die Art von Hoffnung, die einen Freund veranlasst, auf einen anderen zu zählen, denn auf jene, die durch Liebe unsere Freunde sind, können wir uns am ehesten verlassen«.44 Nach Thomas von Aquin sind Glaube und Liebe der Hoffnung logisch vorgeordnet, während Kant und John Stuart Mill meinen, wir würden durch die Hoffnung auf Gott veranlasst, seine Existenz zu postulieren. Das Gleiche gilt für Miguel de Unamuno, der in seinem Werk Das tragische Lebensgefühl behauptet, wir würden glauben, weil wir hoffen, und nicht umgekehrt. Expräsident Bill Clinton verband einmal die Tugenden Glaube und Hoffnung miteinander, als er erklärte: »Ich glaube noch immer an einen Ort, der Hope heißt«, womit er die Stadt meinte, in der er aufgewachsen ist. Hätte er diese Empfindung etwas anders ausgedrückt, etwa »Ich glaube noch immer an einen Ort, den ich liebe, und der heißt Hope«, hätte er in seinem Satz die drei theologischen Tugenden untergebracht.

Im Allgemeinen gilt, je rationaler die Gründe, die wir für unseren Glauben haben, desto mehr können wir hoffen, denn desto wahrscheinlicher ist es, dass sich unser Glaube als gerechtfertigt erweist. Wer beispielsweise an die menschliche Leidenschaft für Gerechtigkeit glaubt, von der die gesamte Geschichte zeugt, hat die berechtigte Hoffnung, dass sie nicht ohne Widerstand von der Erde getilgt wird, selbst wenn sie am Ende nicht siegen sollte. Für die Christenheit heißt, an Gott zu glauben, der Jesus von den Toten auferstehen ließ, Grund zu der Hoffnung zu haben, dass die Menschheit schließlich die gleiche Verwandlung erleben wird. Ebenso kann man an die menschlichen Fähigkeiten glauben, obwohl man gleichzeitig ihre Erfolgschancen als ziemlich vernachlässigbar einschätzt. Die Hoffnung folgt dem Glauben also nicht immer auf den Fersen. Umgekehrt kann man auf Frieden und Gerechtigkeit hoffen und zugleich kaum an die Macht der Menschen glauben, solche Zustände herzustellen. Man kann auch leidenschaftliche Liebe für die Menschheit empfinden, ohne im mindesten an sie als Spezies zu glauben oder die geringste Hoffnung zu haben, dass sich ihre Situation nennenswert verbessern könnte. Es könnte sich also durchaus um eine verzweifelte Liebe handeln.

Was aber, wenn die Hoffnung eine Illusion ist? Das wäre kein hinreichender Grund, um sie abzuschreiben. In seinem Versuch über den Menschen vertritt Alexander Pope die Ansicht, Hoffnung sei eine therapeutische Fiktion, die uns am Leben erhalte, indem sie uns dazu bringe, ein schimärisches Ziel nach dem anderen zu...

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