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E-Book

Honeckers Guckloch und das verschwundene Stück Kudamm

Berlins letzte Geheimnisse

AutorDiane Arapovic
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783644118911
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Killerkrabben in der Spree, Ulbrichts Pilzzucht und ein falscher König - Diane Arapovic erkundet die letzten Geheimnisse von Berlin Wer glaubt, im Stadtplan von Berlin gebe es keine weißen Flecken, der irrt gewaltig. Unsere Hauptstadt steckt voller Geheimnisse, Rätsel und Legenden: Warum zum Beispiel fehlt ein Stück vom Kudamm? Stimmt es, dass Honecker sein Volk durch ein Guckloch in einem Plattenbau am Alexanderplatz beobachtete? Verbaute man den roten Marmor aus Hitlers Reichskanzlei tatsächlich in einem U-Bahnhof? Zeit, dass endlich Licht ins Hauptstadtdunkel kommt. Diane Arapovic geht den Dingen auf den Grund: Sie erforscht die geheime Champignonzucht der SED, findet heraus, warum die Spree im Sommer rückwärts fließt und welchen Grund es hat, dass ein Boulevard erst mit der Hausnummer elf beginnt. Berlin ist eine der meisterkundeten, meistbeschriebenen und meistbesuchten Städte der Welt, doch nicht zuletzt seine wechselvolle Geschichte sorgt für ungezählte Mythen und Legenden. Diane Arapovic erzählt von ihnen - in überraschenden, komischen und vor allem erstaunlichen Geschichten über die Wahrzeichen der Stadt wie über nahezu unbekannte Orte. In jeder steckt ein Stück Wahrheit, wie Berlin wirklich war und ist. Ein mitreißendes Buch für alle, die die Hauptstadt neu entdecken wollen.

Diane Arapovic, Journalistin beim rbb-Sender radioeins, ist Berlinerin mit Leib und Seele, obwohl sie 1981 am Fuße der Schwäbischen Alb geboren wurde. Sie studierte in Köln Soziologie, Germanistik und Philosophie, verbrachte beruflich längere Zeit in Hongkong und Jakarta. Seit 2012 läuft auf radioeins ihre beliebte Kolumne «Großstadtgeheimnisse und Landlegenden», für die sie mit dem Kurt-Magnus-Preis ausgezeichnet wurde.

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Leseprobe

Aber bitte mit Sauce


Es ist das beliebteste Fastfood der Deutschen: der Döner Kebab. Rund vierhundert Tonnen Dönerfleisch werden täglich allein für die Imbisse und Restaurants in Deutschland produziert. Die Dönerindustrie macht hierzulande sogar mehr Umsatz als alle amerikanischen Burgerketten zusammen. Berlin ist anerkanntermaßen die Döner-Hauptstadt der Republik: Es gibt weit mehr als eintausend Imbissbuden und Restaurants, die zusammen 42 Tonnen Dönerfleisch am Tag verkaufen. Zum Vergleich, die Currywurst kommt in ganz Berlin nur auf hundertsiebzig Imbissstuben.

Als im Jahr 2007 mehrere tausend junge Berliner nach dem charakteristischsten Gericht ihrer Stadt gefragt werden, landet der Döner auf dem ersten Platz. Kulturwissenschaftler bezeichnen ihn deshalb längst als ein «esskulturelles Symbol» der Hauptstadt. Berlin und der Döner Kebab, das scheint eine innige Beziehung zu sein. Kein Wunder, soll er doch auch hier erfunden worden sein, wie es immer wieder heißt. Doch stimmt das wirklich? Und wieso musste ein eindeutig türkisches Gericht überhaupt in Berlin erfunden werden?

«Natürlich gab es Döner Kebab in der Türkei, lange bevor das Gericht nach Deutschland kam», sagt die Kulturwissenschaftlerin Maren Möhring. Die Professorin lehrt an der Universität Leipzig und hat ihre Habilitationsschrift ganz dem migrantischen Essen in Deutschland gewidmet. Die Geschichte des Döners gehört dabei, neben der von Pizza und Gyros, zu einem ihrer Hauptforschungsfelder. Unter Döner Kebab habe man in der Türkei noch etwas anderes verstanden als heute in den deutschen Dönerbuden, erklärt Möhring weiter. Döner Kebab heißt wörtlich übersetzt «gegrilltes drehendes Fleisch» und beschreibt damit auch gleich die Zubereitungsart des hierzulande meist aus Rind- und Lammfleisch bestehenden Fleischkegels.

Vor gut zweihundert Jahren sollen in Anatolien die ersten Köche darauf gekommen sein, in Joghurt und Kräutern marinierte Fleischstücke aufzuspießen und zu grillen. Der Ur-Döner bestand vor allem aus dem kräftig schmeckenden Hammelfleisch. Serviert wurden die abgesäbelten Fleischstücke damals aber auf einem Teller, mit Reis und gegrilltem Gemüse. Es war ein Gericht, für das man sich zum Essen an einen Tisch setzen musste, und eines, das sich nicht alle leisten konnten. Ganz anders als der Döner, den es heute in Berlin für ein paar Euro an fast jeder Ecke zu kaufen gibt.

«Der Döner, wie wir ihn heute kennen, ist ein deutsch-türkisches Erfolgsprodukt», sagt Kulturwissenschaftlerin Möhring. Erst sein «hybrider Charakter» habe ihm zu seinem jetzigen Erfolg verholfen. Demnach verbinden sich zwei Traditionen im modernen Döner, die türkische und die deutsche. Türkisch ist die Zubereitung des Fleisches, die Art, es zu würzen und zu grillen. Deutsch hingegen ist die Art des Essens. Wie das Würstchen im Brot oder die Currywurst im Pappteller wird der Döner heute meist «auf die Hand» serviert. Das perfekte Gericht, um es im Stehen, im Gehen und – oft zum Leidwesen der Mitfahrer – in der U-Bahn zu essen.

Doch nicht nur das sei typisch deutsch, ergänzt Möhring – was den Döner vor allem zu einem binationalen Gericht mache, seien die verschiedenen Saucen, die dazu angeboten werden. «Die Deutschen lieben einfach ihre Saucen.» Das erkenne man zum Beispiel auch daran, dass die aus Italien stammende Pasta hierzulande oft mit doppelt so viel Sauce gegessen werde wie in ihrer Heimat. Zum gegrillten Dönerfleisch habe es in der Türkei ursprünglich überhaupt keine Sauce gegeben. Die sei erst in Deutschland hinzugekommen. Egal ob Kräuter, Joghurt oder Knoblauch, «mit scharf» oder ohne, das deutsche Dönerfleisch schwimmt in der Regel in einer Sauce, die nur von Tomaten- und Gurkenscheiben sowie einer Krautsalatmischung – übrigens auch ein deutsches Update – davon abgehalten wird, aus dem Brot zu tropfen.

Aber genauso lieben die hiesigen Fastfood-Fans ihren Döner. Und weil er mittlerweile so oft verkauft wird und sich eine milliardenschwere Dönerindustrie um ihn herum entwickelt hat, gibt es seit 1989 sogar eine gesetzliche Verordnung, die genau festlegt, wie des Deutschen liebster Imbiss zubereitet sein muss: Die «Berliner Verkehrsauffassung für das Fleischerzeugnis Döner Kebab» schreibt unter anderem vor, dass nur Rind-, Lamm- oder Schafs- bzw. Hammelfleisch verwendet werden darf. Wer gegrilltes Hähnchenfleisch mit Salat und Sauce in ein Fladenbrot steckt, darf dieses Gericht streng genommen nicht als «Döner Kebab» verkaufen.

Mittlerweile gibt es viele solcher Abwandlungen, rein vegetarisch und sogar mit Fisch. Doch der Erfolg des klassischen deutsch-türkischen Döners ist nahezu ungebrochen. Wer nun hat das internationale Fastfood-Gericht erfunden?

Klar ist, dass der Döner mit den türkischen Einwanderern ins Land gekommen ist. 1961 vereinbart die Bundesrepublik mit der Türkei, Arbeiter für ihre Fabriken anwerben zu dürfen. Den vom Wirtschaftsaufschwung mitgerissenen deutschen Unternehmen fehlen die Arbeitskräfte. Die Lösung: Gastarbeiter aus Südeuropa, die für zwei Jahre hier arbeiten und danach wieder nach Hause zu ihren Familien zurückkehren sollen. Besonders die Westberliner Unternehmen profitieren von dem Zuzug aus der Türkei, denn durch den plötzlichen Mauerbau fehlen ihnen auf einen Schlag Tausende Arbeiter. Haben vor 1961 gerade mal 284 Türken in Westberlin gewohnt, sind es zehn Jahre später mehrere tausend.

Als der Aufschwung ins Stocken gerät und sich eine Wirtschaftskrise anbahnt, stoppt die Bundesrepublik im Jahr 1974 die Anwerbung neuer Arbeiter. Doch viele von denen, die schon da sind, wollen nicht mehr zurück. Im Gegenteil, sie holen ihre Familien nach und richten sich dauerhaft in der neuen Heimat ein. Das Problem: Durch die Rezession werden nun auch hier die Arbeitsplätze knapp. Die Ersten, die eine Kündigung erhalten, sind die ausländischen Arbeiter aus dem Süden.

Und genau diese beiden Faktoren begünstigen die Erfindung des deutschen Döners. Zum einen vermissen die nachgezogenen Familien die Nahrungsmittel, die sie aus ihrer Heimat kennen – so sind damals etwa Auberginen, Oliven oder Zucchini nahezu unbekannt in der breiten deutschen Bevölkerung. Zum anderen müssen sich die ehemaligen Gastarbeiter, die nun von einem Tag auf den anderen auf der Straße stehen, ein neues Auskommen suchen. So beschließen nicht wenige Türken, sich in der Lebensmittelbranche selbständig zu machen. Dieser Schritt ist vergleichsweise leicht, denn im Gegensatz zum Handwerk erfordert der Betrieb einer Imbissbude oder eines Gemüseladens keinen Meisterbrief oder sonstige Befähigungsnachweise. Natürlich siedeln sich die ersten gastronomischen Betriebe dort an, wo die meisten Landsmänner und -frauen wohnen. So gibt es in Berlin schon bald eine große Zahl von türkischen Läden, besonders in Kreuzberg. In manchen gibt es auch Döner Kebab zu kaufen, serviert wie in der Türkei als Tellergericht.

Doch wer hat als Erster das Dönerfleisch in ein Stück Brot gesteckt? Kulturwissenschaftlerin Maren Möhring ist sich unsicher. Sie spricht von einem kollektiven Prozess, der schließlich dazu geführt habe, dass der Döner im Brot landete. Immerhin scheint ein Mann namens Mehmet Aygün dabei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt zu haben. Denn er ist einer der erfolgreichsten türkischstämmigen Geschäftsmänner Deutschlands, Besitzer einer Restaurant- und Hotelkette mit Umsätzen in Millionenhöhe, und taucht bei Möhrings Recherchen immer wieder auf.

Aygüns Geschichte, die in zahlreichen Artikeln erzählt wird, klingt nach einer klassischen Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Erfolgsstory. Mit siebzehn soll er nach Deutschland gekommen sein, wo er sich nach den ersten Jobs als Putzmann und Kellner schließlich bis zum Restaurantbesitzer hochgearbeitet hat. Und tatsächlich wird er immer wieder als Erfinder des Fastfood-Döners bezeichnet. Als er im Restaurant seines Onkels in Kreuzberg gearbeitet habe, soll er den modernen Döner kreiert haben. Wann das jedoch genau war, darin unterscheiden sich die Aussagen. Einmal soll der erste Döner 1971 verkauft worden sein, ein anderes Mal drei Jahre später, wieder ein anderes Mal sogar erst 1984. Leider kann Mehmet Aygün bei der Aufklärung dieser Geschichte nicht persönlich weiterhelfen. Auf Interviewfragen an die Familie Aygün folgen nur Absagen, niemand ist zu näherer Auskunft bereit.

Eine Nachfrage beim Verband der Dönerindustrie hingegen ist von mehr Erfolg gekrönt. Hier ist der erfolgreiche Landsmann Mehmet Aygün selbstverständlich auch bekannt, doch keineswegs als Erfinder des Döners. Für die Verbandsmitglieder gebührt diese Ehre einem ganz anderen Mann. «Der Döner im Brot, wie wir ihn heute kennen, ist dank Kadir Nurmann entstanden», ist sich der Berliner Dönerfleischproduzent und ehemalige Vorsitzende des Vereins türkischer Dönerhersteller in Europa Tarkan Tasyumruk sicher. 2011 wurde Nurmann sogar auf der Berliner Branchenmesse als «Vater des Döners» ausgezeichnet.

Laut Tasyumruk habe Nurmanns Imbissbude zu dieser Zeit in der Nähe vom Bahnhof Zoo gestanden, wo er Anfang der 1970er Jahre beobachtete, dass die Deutschen wegen ihrer kurzen Mittagspause nur schnell im Stehen essen wollten. Dabei sei der ehemalige Gastarbeiter dann auf die Idee gekommen, das Dönerfleisch wie ein Würstchen ins Brötchen zu stecken. Erst etwas später benutzt er dafür Fladenbrote und fügt noch Salat und Sauce hinzu.

Auch deutsche Kunden kommen immer öfter in seinen kleinen Laden. Wie jede gute Idee habe auch diese schnell Nachahmer gefunden, sodass sich das Gericht in Windeseile in der ganzen Stadt verbreitete, erzählt...

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