Kapitel 36
FRAGE Als Kind erlebte ich oft Zustände vollkommenen Glücks – man könnte es fast als Ekstase bezeichnen – die später verschwanden. Doch seit ich in Indien bin, sind sie wieder aufgetaucht, besonders seit ich Sie getroffen habe. Doch diese Zustände sind, wie wunderbar sie auch sein mögen, nicht von Dauer. Sie kommen und sie gehen, und man weiß nie, wann sie wieder auftauchen.
MAHARAJ Wie könnte es Ruhe geben in einem Verstand, der selber unruhig ist?
FRAGE Und wie kann ich meinen Verstand ruhig werden lassen?
MAHARAJ Wie kann sich ein unruhiger Verstand selbst zur Ruhe bringen? Selbstverständlich ist das unmöglich. Es liegt in der Natur des Verstandes, umherzuschweifen. Sie können lediglich den Fokus Ihres Bewußtseins auf etwas jenseits des Verstandes verlagern.
FRAGE Wie macht man das?
MAHARAJ Weisen sie alle Gedanken zurück, außer dem einen: Den Gedanken „Ich bin“. Anfangs wird sich der Verstand wehren, doch am Ende wird er der Geduld und Ausdauer nachgeben und ruhig bleiben. Sind Sie einmal ruhig, beginnen Dinge spontan und recht natürlich zu geschehen, ohne daß Sie eingreifen müssen.
FRAGE Kann ich diesen langwierigen Kampf mit meinem Verstand vermeiden?
MAHARAJ Das können Sie! Leben Sie Ihr Leben einfach so, wie es kommt, jedoch mit Wachsamkeit, mit Aufmerksamkeit. Lassen Sie die Dinge geschehen, wie sie geschehen, indem Sie die natürlichen Ereignisse sich auf natürliche Weise entfalten lassen – ob Leid oder Freude – wie es das Leben bringt. Dies ist einer der möglichen Wege.
FRAGE Nun gut, dann kann ich auch heiraten, Kinder haben, ein Geschäft betreiben, glücklich sein.
MAHARAJ Gewiß doch. Sie werden glücklich sein oder auch nicht, nehmen Sie die Herausforderung an.
FRAGE Und dennoch suche ich Glückseligkeit.
MAHARAJ Wahres Glück kann nicht von Dingen kommen, die sich verändern und vergehen. Freude und Leid wechseln sich unweigerlich ab. Glück kommt nur vom Selbst und kann auch nur im Selbst gefunden werden. Finden Sie Ihr wahres Selbst (Swarupa), und alles andere kommt automatisch.
FRAGE Wenn mein wahres Selbst Friede und Liebe ist, warum ist es dann so ruhelos?
MAHARAJ Es ist auch nicht Ihr wahres Wesen, das unruhig ist, sondern seine Reflektion im Verstand scheint unruhig zu sein, wohingegen der Verstand ruhelos ist, wie die Reflektion des Mondes im Wasser, das durch den Wind Wellen schlägt. Der Wind der Begierden erzeugt Wellen im Verstand und im „Ich“, welches aber nur eine Reflektion des Selbst im Verstand ist und sich somit zu verändern scheint. Doch diese Vorstellungen von Bewegung, von Unruhe, von Freude und Schmerz geschehen alle nur im Verstand. Das Selbst ist jenseits des Verstandes, gewahr, doch unberührt.
FRAGE Wie kann man es erreichen?
MAHARAJ Sie sind das Selbst, hier und jetzt. Lassen Sie den Verstand in Ruhe, seien Sie gewahr und unberührt, und Sie werden feststellen, daß Sie wach und doch losgelöst sind, daß Sie die Ereignisse beobachten, wie sie kommen und gehen. Dies ist ein Aspekt Ihrer wahren Natur.
FRAGE Was sind die anderen Aspekte?
MAHARAJ Es gibt unendlich viele Aspekte. Erkennen Sie einen davon, und Sie werden alle erkennen.
FRAGE Geben Sie mir eine Hilfestellung.
MAHARAJ Sie wissen selbst am besten, was Sie brauchen.
FRAGE Ich bin ruhelos. Wie kann ich Frieden finden?
MAHARAJ Wozu brauchen Sie Frieden?
FRAGE Um glücklich zu sein.
MAHARAJ Sind Sie nicht in diesem Augenblick glücklich?
FRAGE Nein, das bin ich nicht.
MAHARAJ Was macht Sie denn unglücklich?
FRAGE Ich habe, was ich nicht will, und ich will, was ich nicht habe.
MAHARAJ Warum drehen Sie das Ganze nicht einfach um und akzeptieren, was Sie haben, und kümmern sich nicht um das, was Sie nicht haben?
FRAGE Ich suche die Freude und vermeide das Leiden.
MAHARAJ Woher wissen Sie denn, was angenehm ist und was nicht?
FRAGE Natürlich aus der Erinnerung.
MAHARAJ Geführt von Ihren Erinnerungen haben Sie also das Angenehme verfolgt und versucht, das Unangenehme zu vermeiden. Hatten Sie damit Erfolg?
FRAGE Nein, ganz gewiß nicht. Das Angenehme ist nicht von Dauer, und das Leid steht bald wieder vor der Tür.
MAHARAJ Welches Leiden?
FRAGE Das Verlangen nach Freude und die Angst vor Leiden sind beides Zustände von Verzweiflung. Gibt es überhaupt einen Zustand von ungetrübter Freude?
MAHARAJ Jegliche Freude, physisch oder mental, benötigt ein Instrument. Das physische und das mentale Instrument sind beide materieller Art, daher ermüden und verbrauchen sie sich. Die Freude, die sie geben können, ist gezwungenermaßen in ihrer Intensität und Dauer begrenzt. Schmerz ist der Hintergrund all Ihrer Freuden. Sie suchen sie, weil Sie leiden. Andererseits ist die Suche nach Freude in sich die Ursache des Leidens. Es ist ein Teufelskreis.
FRAGE Ich kann den Mechanismus meiner Verwirrung erkennen, doch ich sehe keinen Ausweg.
MAHARAJ Die Erforschung dieses Mechanismus zeigt den Ausweg, denn Ihre Verwirrung ist lediglich in Ihrem Verstand, der bislang nie gegen diese Verwirrung rebelliert hat und nie mit ihr zu Rande kam. Er hat immer nur gegen das Leiden rebelliert.
FRAGE Also kann ich nichts anderes tun als weiterhin verwirrt zu sein?
MAHARAJ Seien Sie wach. Hinterfragen Sie, untersuchen Sie, erkennen Sie alles über Ihre Verwirrung – wie sie operiert, was sie mit Ihnen und anderen macht. Indem Sie sich über Ihre Verwirrung klar werden, befreien Sie sich von ihr.
FRAGE Wenn ich tief in mich hineinschaue, dann ist es mein stärkster Wunsch, ein Monument zu errichten, etwas zu schaffen, das mich überlebt. Auch wenn ich an ein Zuhause denke, an eine Frau und Kinder, dann nur, weil sie ein dauerhafter, solider Beweis meiner selbst sind.
MAHARAJ Gut, bauen Sie sich ein Monument. Wie gedenken Sie, das zu verwirklichen?
FRAGE Es spielt kaum eine Rolle, was ich baue, solange es von Dauer ist.
MAHARAJ Doch Sie können sicherlich selber feststellen, daß nichts von Dauer ist. Alles verbraucht sich, bricht zusammen, löst sich auf. Selbst die Basis, auf der Sie bauen, löst sich auf. Wie können Sie etwas errichten, das Sie überlebt?
FRAGE Intellektuell, verbal ist mir bewußt, daß alles vergänglich ist, und trotzdem sucht mein Herz nach etwas Dauerhaftem. Ich möchte etwas erschaffen, das bestehen bleibt.
MAHARAJ Dann müssen Sie es aus etwas Beständigem bauen. Was haben Sie, das beständig ist? Weder Ihr Körper noch Ihr Verstand ist von Dauer. Sie müssen also woanders suchen.
FRAGE Ich sehne mich nach Beständigkeit, aber ich kann sie nirgendwo finden.
MAHARAJ Sind nicht Sie selbst von Dauer?
FRAGE Ich wurde geboren, ich werde sterben.
MAHARAJ Können Sie tatsächlich behaupten, daß Sie vor Ihrer Geburt nicht existiert haben, und können Sie, wenn Sie tot sind, wirklich sagen: „Nun existiere ich nicht mehr“? Sie können nicht aus eigener Erfahrung sagen, daß Sie nicht existieren. Sie können nur sagen: „Ich bin“. Auch niemand anderer könnte behaupten, daß Sie nicht existieren.
FRAGE Im Schlaf gibt es kein „Ich bin“.
MAHARAJ Bevor Sie Behauptungen von solcher Tragweite aufstellen, sollten Sie Ihren Wachzustand genauer untersuchen. Sie werden feststellen, daß er voller Lücken ist, wenn der Verstand abgeschaltet ist. Nehmen Sie wahr, wie wenig Sie sich an Dinge erinnern, selbst wenn Sie wach sind. Sie können nicht behaupten, daß Sie im Schlaf nicht bewußt sind. Sie erinnern sich nur nicht daran. Eine Lücke im Gedächtnis bedeutet nicht notwendigerweise eine Lücke im Bewußtsein.
FRAGE Ist es mir möglich, mich an meinen Zustand im Schlaf zu erinnern?
MAHARAJ Selbstverständlich! Indem Sie die Intervalle des Ungewollten in Ihrem Wachzustand ausmerzen, werden Sie allmählich die langen Intervalle von Gedankenlosigkeit, die Sie Schlaf nennen, auslöschen. Dann werden Sie wahrnehmen, daß Sie schlafen.
FRAGE Und doch ist das Problem von Beständigkeit, von Kontinuität des Seins nicht gelöst.
MAHARAJ Beständigkeit ist lediglich eine Idee, geboren aus dem Ablauf von Zeit, und auch Zeit ist abhängig von der Erinnerung. Mit Beständigkeit meinen Sie ein unfehlbares, immerwährendes Erinnerungsvermögen. Sie wollen den Verstand verewigen, und das ist unmöglich.
FRAGE Was ist dann also ewig?
MAHARAJ Nur das, was sich zu keinem Zeitpunkt verändert. Sie können nichts Vergängliches verewigen –...