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E-Book

'Ich dachte, die Kleine wäre bei dir!?'

Von Familien- und anderen Stressgeschichten

AutorSara Timothy
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783451800849
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Mit hinreißendem Witz und liebenwsürdiger Ironie erzählt Sara Timothy von den Wirren und Freuden einer jungen Vollzeit-Mutter zwischen Windeln wechseln und Erziehungsratgeber lesen. Es sind Geschichten aus dem Alltag mit kleinen Kindern, gewöhnlich Situationen von verblüffender Absurdität. Von der ersten Schwangerschaft, mit der eine Blasenschwäche und seltsame Gelüste nach Zitronenwasser einhergehen, über Playmobilteile, die in der Kindernase verschwinden, bis hin zu nicht enden wollenden Autofahrten mit drei singenden und nörgelnden Kinder auf der Rückbank - die Leser sind immer hautnah dabei; Lachtränen garantiert!

Sara Timothy junge Mutter von drei munteren Kindern und wohnt mit ihrer Familie im Kanton Zürich in der Schweiz.

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Leseprobe

Geburtsvorbereitungskurs oder die Rituale indigener Völker


Wir sind erst vor ein paar Monaten aus dem Ausland zurück in meine Heimat, die Schweiz, gezogen und an unserem jetzigen Wohnort kenne ich noch nicht allzu viele Leute, besonders keine mit kleinen Kindern. Ich entschließe mich deshalb, einen Geburtsvorbereitungskurs im nahe gelegenen Krankenhaus zu besuchen. Nicht etwa weil ich herausfinden möchte, wie viele dokumentierte Schwangerschaftsbeschwerden es nun tatsächlich gibt, welche Gebärpositionen während den Presswehen besonders förderlich sind oder ich mich mit Begriffen wie »Mayahocker« und »Pezziball« vertraut machen möchte, sondern weil ich denke, dass es eine gute Gelegenheit ist, um andere werdende Eltern kennenzulernen.

Mein Mann und ich machen uns auf den Weg, nachdem wir die nötigen Sachen gepackt haben. Mitzubringen sind ein T-Shirt, eine praktische Turnhose, rutschfeste Socken und ein Badetuch. Ich frage mich insgeheim, ob ich mich wirklich für den pränatalen Kurs angemeldet habe oder ob ich aus Versehen beim postnatalen Rückbildungsturnen eingetragen worden bin, vor allem weil man sich um 19.00 Uhr in der Krankenhausturnhalle einzufinden hat. Doch in den Umkleidekabinen bestätigen mir die verschiedenen Kugelbäuche sofort, dass meine Kursanmeldung problemlos und ohne Verwechslungen verlaufen ist.

Nun sitzen wir alle in bequemer Jogginghose, obwohl uns Frauen nicht mehr nach Joggen zumute ist, in einem Halbkreis auf unseren Badetüchern auf dem Turnhallenboden. Es dauert eine ganze Weile, bis wir Schwangeren eine einigermaßen bequeme Position gefunden haben. Einige liegen auf der Seite, ein Kissen unter dem Bauch, eines zwischen den Knien. Andere sitzen im Schneidersitz, der Bauch so groß, dass sie ihn problemlos auf den Oberschenkeln abstützen können. Die Männer dagegen müssen sich mit ganz anderen Problemen herumschlagen. Sie beäugen sich gegenseitig und überlegen wahrscheinlich im Stillen, wer von ihnen denn nun die besten Turnschuhe anhat – natürlich trägt kein einziger von ihnen rutschfeste Socken, was ich gänzlich verstehen kann. Rutschfeste Socken sind etwa so en vogue wie die Mode der 80er-Jahre, ich denke da spontan an Schulterpolster der Größe einer südamerikanischen Mango und riesige geföhnte Dauerwellen à la Flashdance. Auch ich habe mich in diesem Punkt der Packliste widersetzt und bin barfuß. Ich riskiere lieber einen Fußpilz, als dass ich Socken mit roten Gummipunkten trage.

Die Kursleiterin, eine junge Hebamme mit burschikosem Kurzhaarschnitt, heißt uns herzlich willkommen und macht eine kurze Vorstellungsrunde, in der wir auch gleich noch sagen sollen, was für Erwartungen wir an den Kurs haben und welche Fragen wir geklärt haben möchten. Erwartungen? Fragen? Äh, darf man auch einfach zwecks geselligen Zusammenseins und Kontaktaufnahme mit Menschen in einer ähnlichen Lebenssituation teilnehmen? Doch Gebären scheint eine ernste Sache zu sein und schon sehr bald reden wir nicht mehr über die gegenseitige Befindlichkeit, sondern über Nabelschnurblut und Stammzellen, die Risiken einer Periduralanästhesie, Saugglocke und Sterngucker. Sterngucker? Was um alles in der Welt ist das denn? Ein an Astronomie interessiertes Neugeborenes wohl eher nicht. Ich hätte mich vielleicht besser bei einem einschlägigen Social-Media-Forum anmelden sollen, als einen Geburtsvorbereitungskurs zu besuchen.

Die nette Hebamme hört sich geduldig alle Fragen und Erwartungen an, macht fleißig Notizen und verspricht, später darauf zurückzukommen, beendet die Vorstellungsrunde dann aber gekonnt, indem sie einen Haufen blauer Kärtchen auf dem braunen Turnhallenboden verteilt. Mit zugekniffenen Augen versuche ich die Wörter zu lesen, die mit dunkelblauem Filzstift so sorgfältig und gleichmäßig auf die Kärtchen geschrieben worden sind, als handle es sich um die Gästenamen bei der Sitzordnung hochzeitlicher Feierlichkeiten. Doch als meine kurzsichtigen Augen die ersten paar Begriffe entziffern können, vergehen mir jegliche Assoziationen mit rauschenden Festen und kreativer Tischdekoration. Da stehen Wörter wie Übelkeit, Erbrechen, Sodbrennen, Zahnfleischbluten und unheilverkündende Fachausdrücke wie Ödeme, Varizen, Konstipation und Präeklampsie. Unsere Hebamme scheint nicht viel von der Kraft positiven Denkens zu halten und pflügt unbeirrt durch das große Feld der Schwangerschaftsbeschwerden. Nun dürfen wir Frauen die Kärtchen mit denjenigen Begriffen holen, die wir in den letzten Monaten am eigenen aufgequollenen Leib erfahren haben. Die Frau zu meiner Rechten hält einen Stapel Kärtchen in der Hand, so groß, man könnte meinen, sie bereite sich auf eine Vokabelprüfung in Französisch vor und nicht auf eine Geburt. Sie erzählt der Gruppe mit angespannter Miene vom Martyrium der letzten Wochen: Senkwehen, wilde Wehen, Ödeme, sie könne keinen Ring mehr tragen, geschweige denn geschlossene Schuhe, permanente Verstopfung und folglich schmerzhafte Hämorrhoiden. Die Arme! Als ich an der Reihe bin, ist es mir fast etwas peinlich, dass ich nur ein einziges lausiges blaues Kärtchen vor mir liegen habe, während andere in ihrer Schwangerschaft offenbar mit ungefähr der Hälfte aller existierenden Leiden Bekanntschaft machen. Aber was kann ich denn dafür, dass sich Erbrechen und Übelkeit schon jemand geschnappt hat, zudem dauerten diese nur 4 Monate an, Sodbrennen war auch schon weg, also habe ich mich mit dem netten Kärtchen Zahnfleischbluten begnügt. Bis jetzt habe ich nicht einmal gewusst, dass es sich dabei um eine Schwangerschaftsbeschwerde handelt. Trotzdem teile ich der mitfühlenden Gruppe mit, wie gewöhnungsbedürftig es sei, wenn sich der Zahnpastaschaum dreimal täglich rot verfärbt. Ich wage es dabei aber nicht, die Frau anzuschauen, deren Beine in dicken Kompressionsstrümpfen stecken. Wie gewöhnungsbedürftig das ist im Juli bei 30 Grad, will ich mir gar nicht ausmalen. Ich danke Gott, dass meine Gliedmaßen die gleiche Form aufweisen wie sonst auch immer und bis jetzt keinerlei Ähnlichkeit mit den Armen und Beinen einer aufgedunsenen Wasserleiche haben.

Unsere Kursleiterin beendet die Mitteilungsrunde – schön, dass wir darüber reden konnten – und nun kommen die rutschfesten Socken ins Spiel. Eine emsige Physiotherapeutin stößt zu uns, baut verschiedenste Turngeräte auf und verbreitet eine Atmosphäre, die nach körperlicher Anstrengung riecht. Doch der gleich zu absolvierende Parcours hat nichts mit kardiovaskulärem Training zu tun, sondern soll vielmehr das Vertrauen zwischen den Partnern stärken und eventuell vorhandenen Geburtsängsten entgegenwirken, erklärt sie uns enthusiastisch. Niemand sagt ein Wort und alle stehen etwas verloren in der großen Turnhalle, nicht ganz sicher, was für eine Reaktion von uns erwartet wird. Ein mögliches Szenario wäre: Oh ja, was für eine brillante Idee, ich wollte schon immer mit Hilfe eines Schwedenbalkens das Vertrauensverhältnis zu meinem Mann vertiefen und an der Reckstange meine vorgeburtlichen Bedenken abbauen!

Aber es kommt noch besser und die Physiotherapeutin zieht einen weiteren Trumpf aus ihrem Ärmel. Wir dürfen nun nicht nur paarweise über den Parcours gehen, sondern einander auch gleich noch die Augen verbinden. Abwechselnd, versteht sich. Wenn alle blind durch die Turnhalle straucheln würden, wäre die Verletzungsgefahr vielleicht doch ein wenig zu groß. Die jeweils »blinde« Person muss nun also völlig darauf vertrauen, dass ihr Partner sie sicher führt und gut aufpasst, dass sie nicht versehentlich in die Sprossenwand knallt oder über einen Medizinball stolpert. Mein Mann und ich finden die Übung ausgesprochen nützlich und können uns keine bessere Vorbereitung auf ein Ereignis wie eine Geburt vorstellen, denn schließlich weiß ja jeder, dass Geräteturnen einen unglaublich positiven Effekt hat auf Partnerschaften, in denen das Vertrauen fehlt und man nicht über Ängste reden kann. So ein bisschen Blinde Kuh spielen hat schon unzählige Beziehungen wieder gekittet, da bin ich mir ganz sicher.

Mein Mann verbindet mir die Augen mit einem angenehm kühlen Stoff und ich bin überzeugt, dass er gefährlich nahe vor meinem Gesicht irgendwelche Kung-Fu-Schläge imitiert, nur um sicherzugehen, dass ich tatsächlich nichts sehe und mich ganz diesem vertrauensfördernden Exerzitium hingeben kann. Ich sehe sein Jackie-Chan-Gefuchtel zwar nicht, spüre aber den Luftzug deutlich. Er nimmt mich an der Hand und raunt mir ins Ohr: »Spürst du, wie dein Vertrauen zu mir wächst und deine Geburtsängste schwinden?« Er kann sich das Lachen kaum verkneifen. Ohne größere Zwischenfälle beenden wir den Parcours und dürfen uns nun zu zweit darüber austauschen, wie wir die Übung erlebt haben. Ähm, also, was soll ich sagen? Wir sind allem Anschein nach beide nicht so empfänglich für experimentelle Erfahrungspsychologie und diskutieren stattdessen leise die Frage, wo wir nachher essen gehen wollen.

Die flotte Physiotherapeutin gibt uns Schwangeren noch ein paar Tipps, wie wir die Durchblutung in den Beinen fördern können, um Krampfadern entgegenzuwirken. Sie marschiert zielstrebig durch die Turnhalle und rollt bei jedem Schritt von der Ferse bis auf die Zehenspitzen ab. Dieses Abrollen sollen wir uns doch angewöhnen, man könne es überall praktizieren, beim Einkaufen, Spazieren, ja sogar im Gespräch mit Bekannten oder auf einer Party. Auch im Stehen solle man sich immer mal wieder auf die Zehenspitzen stellen, um die Durchblutung in Gang zu bringen. Ich bin begeistert! Diese Fortbewegungsart nimmt es locker mit John Cleeses »Silly Walk« auf und ich stelle mir gerade vor, was meine Freunde sagen werden, wenn ich beim Gehen von nun an...

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