Vorwort
Ich liebe, was ist handelt von Großzügigkeit. Wie können wir nicht nur gelegentlich, sondern jeden Tag, bis ans Ende unseres Lebens, großzügig sein? Das ist ein scheinbar unerreichbares Ideal – was aber, wenn es doch möglich ist? Was, wenn Großzügigkeit genauso selbstverständlich werden kann wie das Atmen? Das Buch zeigt, wie es geht. Aufgeschlossenheit und der Wille, alle aufkommenden belastenden Gedanken zu untersuchen, ist alles, was dafür notwendig ist. Wenn wir verstehen, wer wir hinter unserer verwirrten Denkweise wirklich sind, entdecken wir in uns eine ungezwungene und anhaltende Großzügigkeit. Sie ist unser Geburtsrecht.
Byron Katie Mitchell (jeder nennt sie Katie) spricht aus ihrer innersten Erkenntnis heraus. Ihre Methode der Selbstuntersuchung, die sie »The Work« nennt, ist eine Art erweiterte Achtsamkeit. Wenn wir The Work machen, bleiben wir nicht nur unseren Stress, Wut, Trauer und Frustration auslösenden Gedanken gegenüber wachsam, wir hinterfragen sie auch, und dadurch verlieren diese Gedanken ihre Macht über uns.
»Bedeutende spirituelle Texte«, sagt Katie, »beschreiben das Was – also was es bedeutet, frei zu sein. The Work ist das Wie. The Work führt dir vor, wie du jeden Gedanken, der dir diese Freiheit vorenthält, identifizieren und untersuchen kannst. The Work ermöglicht dir den direkten Zugang zum erwachten Geist.« Mit dem Buch Ich liebe, was ist wirst du die Welt mit den Augen eines in der Realität erwachten Menschen sehen, den leuchtenden Moment erkennen und eine Gnade erleben, in der es keine Trennung gibt und das Herz vor Liebe überfließt.
Für Leser, die noch nie etwas von Byron Katie gehört haben, hier einige Hintergrundinformationen: Mitten in einem gewöhnlichen amerikanischen Leben – zwei Ehen, drei Kinder, eine erfolgreiche Karriere – geriet Katie in eine zehn Jahre dauernde Abwärtsspirale voller Depressionen, Platzangst, Selbsthass und suizidaler Verzweiflung. Sie trank im Übermaß, und ihr Ehemann brachte ihr Tonnen von Eis und Kodein-Tabletten, die sie wie Süßigkeiten verspeiste, bis sie schließlich mehr als 90 kg wog. Sie schlief mit einem .357-Magnum-Revolver unterm Bett. Jeden Tag betete sie darum, am nächsten Morgen nicht wieder aufzuwachen, und nur wegen ihrer Kinder nahm sie sich nicht das Leben. Während der letzten beiden Jahre dieses Martyriums konnte sie das Haus kaum noch verlassen und blieb tagelang in ihrem Schlafzimmer, ohne sich auch nur zu duschen oder die Zähne zu putzen. (»Wozu soll das gut sein?«, dachte sie. »Es bringt sowieso alles nichts.«) Schließlich, im Februar 1986, begab sie sich im Alter von 43 Jahren in ein Rehabilitationszentrum für Frauen mit Essstörungen – die einzige Einrichtung, deren Kosten ihre Versicherung zu übernehmen bereit war. Die anderen Bewohnerinnen hatten solche Angst vor ihr, dass sie ein Zimmer unterm Dach zugewiesen bekam und die Treppe nachts mit einer Falle versehen wurde. Man befürchtete, sie würde nach unten kommen und den anderen etwas Fürchterliches antun.
Nach etwa einer Woche im Rehabilitationszentrum machte Katie eines Morgens eine lebensverändernde Erfahrung. Während sie auf dem Fußboden lag (sie meinte, es nicht wert zu sein, in einem Bett zu schlafen), krabbelte ihr eine Kakerlake über den Knöchel und den Fuß entlang. Sie öffnete die Augen, und plötzlich waren ihre Depressionen und Ängste sowie all ihre quälenden Gedanken verschwunden. »Während ich am Boden lag«, so Katie, »wurde mir klar, dass es – als ich schlief, also noch vor der Kakerlake auf dem Fuß sowie vor jeglichen Gedanken und vor jeglicher Welt – nichts gab, nichts gibt. Das war der Geburtsmoment der vier Fragen von The Work.« Ein Gefühl der Freude überkam sie. Die Freude hielt an – stunden-, tage-, monate- und schließlich jahrelang. Als sie nach Hause zurückkehrte, erkannten ihre Kinder, die in beständiger Angst vor ihren Ausbrüchen gelebt hatten, sie kaum wieder. Ihre Augen hatten sich verändert. »Das Blau war so klar, so schön geworden«, sagt ihre Tochter Roxann. »Wenn man hineinsah, konnte man erkennen, dass sie unschuldig wie ein Baby war. Sie war von morgens bis abends glücklich, und das jeden Tag. Dabei schien die Liebe im Übermaß aus ihr herauszufließen.« Meistens schwieg sie und saß stundenlang am Fenster oder draußen in der Wüste. Ihr jüngerer Sohn Ross sagt: »Vor der Veränderung war ich nicht in der Lage, ihr in die Augen zu schauen. Danach konnte ich nicht damit aufhören.«
Es dauerte Jahre, bis Katie über ihren Zustand sprechen konnte. Ihr Bewusstsein stand mit nichts Äußerlichem in Zusammenhang; sie hatte nie spirituelle Bücher gelesen oder von irgendwelchen spirituellen Gepflogenheiten gehört. Sie ließ sich einzig von ihren eigenen Erlebnissen leiten, und alles, was sie brauchte, war die in ihr lebendige Untersuchung der Gedanken.
Katies Wiedergeburt war von radikalerer Art als das von William James in Die Vielfalt religiöser Erfahrung dokumentierte Wandlungserlebnis. So radikal, dass sie tatsächlich alles über das Menschsein wiedererlernen (aus ihrer Sicht eher »lernen«) musste: im Raum-Zeit-Gefüge zu funktionieren, die Realität in Substantive und Verben runterzubrechen, um mit Menschen kommunizieren zu können, sowie vorzugeben, Vergangenheit und Zukunft seien real. Die Wirkung war insofern genau das Gegenteil von einer üblichen Bekehrungserfahrung, als dass Katie keinen religiösen Glauben annahm. Ihre Klarheit ließ keinen einzigen Glauben mehr zu und brannte sämtliche religiöse Vorstellungen gemeinsam mit allen anderen Gedanken nieder. Nach ihrem Erwachen spürte Katie – war sie – weiterhin die kontinuierliche Gegenwart der Liebe in Form derer sie erwacht war. »Ich hatte das Gefühl, allein das Aussprechen meiner Freude würde das Dach des Rehabilitationszentrums – des ganzen Planeten – zum Zerbersten bringen. Dieses Gefühl habe ich noch immer«, sagt sie.
Im Laufe dieses ersten Jahres kamen ihr inmitten der riesigen Freude immer wieder Glaubenssätze und Konzepte in den Sinn, derer sie sich mithilfe der Untersuchung annahm. Oft ging sie allein in die wenige Blocks hinter ihrem Haus im kalifornischen Barstow gelegene Wüste hinaus und hinterfragte all diese Gedanken.
Jede mir in den Sinn kommende Überzeugung – wobei »Meine Mutter liebt mich nicht« die schwerwiegendste war – explodierte mit der Wucht einer Atombombe in meinem Körper, und ich spürte ein Beben, Kontraktionen und die anscheinende Vernichtung des Friedens. Manchmal flossen bei dieser Überzeugung auch die Tränen und mein Körper versteifte sich. Für einen Außenstehenden hat das womöglich so ausgesehen, als wäre ich vom Scheitel bis zur Sohle verärgert oder traurig. Doch in Wirklichkeit fühlte ich weiterhin dieselbe Klarheit, den Frieden und die Freude wie damals auf dem Boden des Rehabilitationszentrums, als ich ohne »Ich« und ohne Welt erwachte. Die Überzeugung wurde schwächer und löste sich im Licht der Wahrheit dann ganz auf. Das Beben des Körpers rührte von einer Anhaftung an die Überzeugung her, was sich in Form eines unangenehmen Gefühls bemerkbar machte. Dieses Unbehagen machte mir unwillkürlich klar, dass der Glaubenssatz nicht wahr war. Nichts war wahr. Das klare Bewusstsein dessen ging mit einem wunderbaren Humor, mit einer herrlichen, glückseligen Freude und Begeisterung einher.
Katie setzte die Untersuchung ungefähr ein Jahr lang fort, bis alle Überzeugungen und Konzepte niedergebrannt waren. Sie prüfte die Methode im Laboratorium ihrer eigenen Erfahrung. Dabei legte sie einen enorm hohen Maßstab an die Plausibilität des Ganzen. Sie hinterfragte rigoros jeden Gedanken und jedes mentale Ereignis, das sie aus der Balance zu reißen drohte, und alles, was eine ihren Frieden und ihre Freude schmälernde Reaktion auslöste, und zwar so lange, bis sie dem Gedanken mit Verständnis begegnen konnte und er so seine Macht verlor. »Ich will nur das, was ist«, sagt Katie. »Alle auftretenden Vorstellungen als Freund zu betrachten, erwies sich als meine Freiheit. The Work beginnt und endet genau da: in mir. The Work zeigt, dass du alles ganz genauso lieben kannst, wie es ist. Sie zeigt dir auch exakt wie.« Am Ende dieser Vorgänge, im zweiten Jahr ihres Erwachens, war nur noch Klarheit übrig.
Bald nachdem Katie aus dem Rehabilitationszentrum nach Hause zurückgekehrt war, verbreitete sich die Nachricht über eine »Erleuchtete«, und manche Leute fühlten sich von ihr und ihrer Freiheit magnetisch angezogen. Als immer mehr Menschen sie aufsuchten, gelangte Katie zu der Überzeugung, dass diese Leute, wenn überhaupt, nicht ihre persönliche Anwesenheit brauchten, sondern eine Methode, mit der sie eigenständig zu dem gelangen konnten, was sie selbst erkannt hatte. The Work ist die Verkörperung der in ihr erwachten wortlosen Untersuchung. Sie hatte sie gelebt und geprüft, nun formulierte sie sie sozusagen in Zeitlupenform, damit andere sie anwenden konnten. In den letzten gut dreißig Jahren hat The Work Millionen von Menschen auf der ganzen Welt geholfen, sich selbst von Stress, Frustration, Wut und Traurigkeit zu befreien.
Ich liebe, was ist wird strukturiert durch das Diamant-Sutra, einen der bedeutendsten spirituellen Texte der Welt. Das Sutra ist eine längere Meditation über Selbstlosigkeit. Selbstlos ist im gewöhnlichen Sprachgebrauch ein Synonym für großzügig und bedeutet »eher zum Wohle einer anderen Person, als zum Wohle seiner selbst zu handeln«. Seine wörtliche Bedeutung lautet jedoch »ohne das Selbst«, was sowohl »kein Selbst haben« als auch »Erkennen, dass es so etwas wie ein Selbst nicht gibt« heißt....