Vorwort
Kennen Sie sich selbst? Ja? Ihr ganzes inneres Ich?
Wenn sie jetzt ja sagen, dann sitzen Sie wahrscheinlich grad irgendeinem falschen Guru auf. Dann steht der momentane Grad Ihrer Selbsterkenntnis sicher in direktem Verhältnis zu Ihrem jetzigen Kontostand. Aber keine Sorge: Das wird nicht lange anhalten! Sie kommen schon wieder zur Besinnung. Blöd nur, wenn Sie immer wieder neue Versuche in diese Richtung starten … und das werden Sie, glauben Sie mir! Selbstfindungseifer hat nämlich Verselbständigungspotential, ganz zur Freude der einschlägigen Glücksexperten.
Aha: Sie gehören nicht zu diesen Leuten, die sich von anderen was einreden lassen. Selbst ist der Mann, die Frau! Auch Selbstbetrug ist für Sie persönlich kein Thema? Sehen Sie, ich verstehe Sie: Sie brauchen tatsächlich keinen, der Ihnen was vormacht. Das besorgen Sie schon selber.
Tja, jetzt frage ich mich aber, wieso Sie überhaupt sowas wie das hier lesen?
Sie wissen doch schon Bescheid über sich selbst. Ich hab`s: Sie wollen sich bestätigen, dass Ihnen nichts davon neu ist! Und wissen Sie was: Sie haben vollkommen Recht! Nichts Neues steht in diesem Buch - genauso übrigens wie in keinem anderen Buch der Welt. Gratulation: Ihre sämtlichen Erkenntnisqualen, geistigspirituellen Übungen und Erleuchtungs-Maßnahmen haben gefruchtet, denn Sie haben das Wesentliche gecheckt: Nichts Neues unter der Sonne. Jawohl. Machen Sie sich doch lieber ran an die Wurst, ein erfülltes Leben im Einklang mit sich selbst, mit Gott und der Welt wartet nur auf Sie.
Gedacht ist dieses Buch auch gar nicht für Sie, die schon alles durchblicken, sondern für alle, die noch auf der Suche sind. Aber auf der Suche wonach? Wissen Sie es etwa schon oder sind Sie gerade erst auf der Suche, herauszufinden, wonach Sie auf der Suche sind?
Sie alle muss ich ebenfalls warnen: Versprechen Sie sich nur nicht zu viel! Dieses Buch wird Ihnen keine Gewissheiten bringen. Im Gegenteil: Es legt es fast schon darauf an, Ihnen Gewissheiten zu nehmen! Warum? Ganz einfach: Weil es sie nicht geben kann. Jedenfalls nicht in diesem Leben. Das wissen Sie bereits? Oh, da haben wir es mit einem/einer Experten/in zu tun. “Ich weiß, dass ich nichts weiß“... perfekt! Also, Sie könnten damit ebenfalls das Buch gleich wieder aus der Hand legen.
Es sei denn, Sie haben vielleicht das dumpfe Gefühl, dass man mit dieser ultimativen Erkenntnis, eigentlich nichts zu wissen, halt praktisch auch noch nicht viel anfangen kann? Dass mit dieser Weisheit letztem Schluss auch Schluss mit Nachdenken sein könnte, denn wer denkt schon nach, wenn er damit ohnehin auf keinen grünen Zweig kommt? Kurzum: Dieser Leitspruch kann den Geist genauso zur Stecke bringen wie die gegenteilige Gewissheit, alles zu wissen. Nur auf einem höheren geistigen Level eben – Holzweg für Superhirne oder viel erfahrene Selbsterfahrer – oder alle, die sich dafür halten.
Aber einmal realistisch betrachtet: Diese geistige Textur, liebe/r Leser/in, ist zugegeben eher selten, denn das Leben lässt ja keinen von uns mit all unseren glänzenden Deutungsmustern in Ruhe, sondern stellt unsere Interpretationen ständig auf harte Bewährungsproben.
Außerdem trifft diese Strategie-Variante offenbar auch nicht auf Ihre zu, denn sonst würden Sie sich diese Zeilen wohl nicht vor die Nase halten und jetzt bereits - sagen wir einmal: fünf Minuten …? lesen.
Warten Sie, es gibt eine weitere mögliche Erklärung: Finden Sie etwa amüsant, was ich da sage? Sie lesen weiter, weil sie sich Unterhaltung versprechen? Für diesen Fall seien auch Sie im Voraus gewarnt: Dieses Buch ist nicht als Lachfutter gedacht. Geht gar nicht. Tiefe Gedanken sind an sich nicht lustig. Also vergessen Sie es. Da müssen Sie sich schon eine andere Lektüre suchen, sorry.
So, nachdem der Schreiber jetzt die Spreu vom Weizen getrennt und alle möglichen falschen Erwartungen zunichte gemacht hat, schauen wir mal, was nach diesem Kahlschlag übrig bleibt. Dazu ist der Schreiber schon aus Eigeninteresse gezwungen, denn es ist als Autor äußerst unklug, einen großen Teil der Leserschaft bereits in der Einleitung abzuschießen.
Machen wir es so: Sie halten sich einfach drei grundsätzliche Möglichkeiten vor Augen.
Die beste ist die Variante A: Sie sagen: „Ja, ich will weiterlesen und der Sache auf den Grund gehen.“ Schlimmstenfalls haben Sie sich wieder einmal auf ein sinnloses Geschwafel in einem sinnlosen Buch eingelassen – es wäre ja nicht das erste Mal - das letzte wahrscheinlich auch nicht. Also nehmen Sie’s sportlich.
Oder Sie nehmen die Abkürzung und greifen gleich zu Variante B: Sie sagen: „Was will der Clown? Dafür ist mir die Zeit zu schade.“ Sie legen das Buch zur Seite oder in den Papierkorb oder ins Holzfeuer. Sie können es natürlich auch zerreißen oder zerbeißen und darauf herumtrampeln wie das Rumpelstilzchen oder es jemanden in die Fresse hauen, wenn Ihnen gerade danach ist. Kann Frust abbauen. Falls Sie aber nachhaltig denken, dann recyceln Sie es lieber: Verschenken Sie es an jemanden, der es nötig hat oder verwenden Sie es als Unterlage für ihren wackeligen Wohnzimmertisch. Das lasse ich ganz bei Ihnen - könnte ich ohnehin nicht verhindern.
Last but not least Möglichkeit C: Sie sagen vielleicht! Diese dritte Variante ist allerdings keine echte Alternative, denn sie kommt in der Praxis der Variante B gleich: Wer sich nicht entscheiden kann, ob er ein Buch lesen will oder nicht, hat sich in dem Moment, wo er es mit einem „vielleicht?“ aus der Hand legt, eh schon dagegen entschieden es jemals zu lesen.
Jetzt aber einmal ernsthaft: Was erwartet Sie als Leser/ Leserin nun wirklich? Und was könnte dieses Buch gerade Ihnen bieten?
Zuerst nochmal die Kernfrage: Kennen Sie ihr „wahres Gesicht“? Ihr „wahres inneres Ich“? Wieweit, glauben Sie, sind Sie schon zu sich selbst vorgedrungen? Ich wage die Behauptung, dass Sie genau so weit sind, inwieweit Sie erkannt haben, dass es nicht einen einzigen, homogenen Kern Ihres inneren Wesens gibt! Sie müssten also die Erfahrung gemacht haben: Es gibt mehrere Versionen von Ihnen selbst! Und alle sind wahr.
Kennen Sie zum Beispiel Ihren inneren Optimisten, genauso wie den Pessimisten, Ihre mutige und Ihre ängstliche Seite, die emotionale und die rationale Seite, die unsichere und die selbstbewusste Seite, die falsche und die ehrliche Seite, Ihr inneres Kind und den Erwachsenen usw. Das könnte man natürlich ewig fortsetzen.
Ausgehend von dieser Erkenntnis dürfte es um die Frage gehen, wieweit es einem nur dann gutgehen kann, wenn man die vorgefundenen Gegensätze und Dissonanzen auflöst. Ob man einfach alle widersprüchlichen Teile seiner individuellen Persönlichkeit annehmen und sich mit dieser Spaltung abfinden soll und kann. Ob es am Ende gar gefährlich ist, sich überhaupt dieser inneren Gegensätze voll bewusst zu werden, indem man sie an die Oberfläche zerrt? Zerlegt man sich dabei nicht noch mehr in alle Einzelteile? Und nix ist mehr fix?
Eines steht jedenfalls fest: Sich in seiner multiplen Identität zu erleben, ist für uns oft schmerzhaft, denn jeder sehnt sich nach Ganzheit und Auflösung aller Widersprüche, Kanten und Ecken. Das ist einfach so. Für jeden eine Lebensgrunderfahrung.
Und was alles tun wir, um diese Widersprüche und Risse zuzukleistern! Und wenn es nur darum geht, sie vor unseren Mitmenschen zu kaschieren und ein rundes Bild abzugeben. Keiner liebt Widersprüche, weder am anderen, noch an sich selbst. Und obwohl jeder um seine ungeliebten Seiten weiß - und sie noch viel leichter am anderen erkennt - hält jeder an diesem Rollenspiel fest, als wäre das Leben ein grandioses Theaterspektakel. Aber dieser Selbst- und Fremdbetrug rächt sich für jeden der Akteure! Es mögen sich Mitmenschen für eine gewisse Zeit betrügen lassen: Unser inneres Ich ist unbestechlich! Die Wahrheit über uns selbst liegt ständig auf der Lauer und lässt uns höchstens zu einer Scheinruhe kommen. Unter der mühsam geglätteten Oberfläche führen unsere verdrängten Seiten und Teilpersönlichkeiten ein Eigenleben, welches wir niemals völlig kontrollieren und bewusst steuern können – allen falschen Glücksexperten und verschiedensten Betäubungsstrategien zum Trotz. Und je mehr man die eigenen Gaga-Seiten verleugnet und verdrängt, desto mächtiger und unkontrollierbarer werden sie und sabotieren unser Leben. Sie sind sogar im Stande, Koalitionen zu bilden und in unserem Inneren heftige Kämpfe gegeneinander auszutragen, um Macht über die andere Seite zu gewinnen.
Nun, das ist natürlich der schlechteste Weg, denn das bindet gewaltig viel Energie, die dann für die lustvollen Lebensseiten nicht mehr zur Verfügung steht. Außerdem festigt sich durch Kampf auch jede Gegnerschaft, und so kann eine Persönlichkeit immer weiter auseinanderreißen.
Genau diese Kämpfe habe ich jahrelang in meinem Inneren ausgefochten.
Ich war, ohne es zu wissen, in einen Konflikt mit mir und der Welt geraten, gleichzeitig aber sehnte ich mich nach Frieden und Harmonie. Ich...