Abkürzungen und Ausführlichkeit
Die Methode
In letzter Zeit begegne ich vermehrt Menschen, die sagen: »Ach ja, The Work, kenn ich«. Wenn ich nachfrage, ob sie die Work auch anwenden, höre ich: »Klar, mach ich. Aber ich nehme eine Abkürzung.« Ich habe auch schon gehört: »Die Work funktioniert nicht.« Oder nicht richtig, nur manchmal oder unter bestimmten Bedingungen. Und ja, wenn man nichts anderes mehr macht als eine Abkürzung, verliert die Methode ihre Kraft. Deswegen sei hier ein Loblied gesungen auf den Schatz, den ich heben kann, wenn ich durch den ganzen Prozess gehe. The Work gründlich und in Ruhe zu machen bringt sehr viel mehr an Problemlösung, Klarheit, neuen Ideen und Entspannung.
Schon bei der Auswahl des Glaubenssatzes ist es sinnvoll, gründlich zu sein. Ich selbst habe lange Zeit den erstbesten genommen, der mir in den Sinn kam. Das kann gut funktionieren. Aber besser ist es, einen zu suchen, der starke Emotionen freisetzt. Am allerbesten findet man die stressigen Glaubenssätze mit dem »Urteile-über-deinen Nächsten-Arbeitsblatt«, das Sie am Ende des Buches finden. Haben Sie keines zur Hand, können Sie folgendermaßen vorgehen:
1. Schritt – den richtigen Glaubenssatz finden
Wir arbeiten bei The Work mit Überzeugungen, die Stress auslösen. Sei es Trauer, Wut, Ärger oder Verzweiflung. Wenn mein gewählter Glaubenssatz kein starkes Gefühl auslöst, kann ich mich fragen: Was ist so schlimm an dem, was ich glaube?
Um den richtigen Glaubenssatz zu finden, erinnere ich mich an eine Situation, in der ich ein unangenehmes Gefühl gespürt habe. Zum Beispiel, als ich letzte Woche mit meinem Mann essen war. Den ganzen Abend hat er geredet, nichts davon hat mich interessiert, und ich bin überhaupt nicht zum Zug gekommen. Erst habe ich mich über so viel Unaufmerksamkeit geärgert, dann fühlte ich mich müde und ausgelaugt, und dann war da ein Gedanke, der sich einfach nicht wegdrängen ließ: Mein Mann sollte sich mehr für mich interessieren. Wenn mir dieser Glaubenssatz zu allgemein ist, kann ich mich fragen: Was ist für mich so schlimm daran, dass er sich nicht ausreichend für mich interessiert? Ich gehe in mich und stelle fest: Ohne echtes Interesse ist es keine Liebe. Wenn ich diesen Glaubenssatz denke, spüre ich, wie mein Hals zuschwillt und Trauer und Ärger noch einmal ansteigen. Denn Liebe will ich. Aber ich kann noch weiterfragen: Was ist so schlimm daran, dass mein Mann mich nicht liebt? Ich schließe die Augen und warte auf eine Antwort. Tränen drängen nach oben, und ich bekomme sie: Mit einem Mann zu leben, der mich nicht liebt, bedeutet, dass er mein Leben verschwendet. Deutlich kann ich spüren: das ist es, was ich befürchte.
Den Glaubenssatz in Form bringen
Es hat sich gezeigt, dass kurze, knapp gewählte Sätze den Prozess vereinfachen. Aus: »Mit einem Mann zu leben, der mich nicht liebt, bedeutet, dass er mein Leben verschwendet« mache ich: »Mein Mann verschwendet mein Leben«. Der Sinn bleibt erhalten und auch der Schmerz, der in diesem Gedanken steckt, ist weiterhin spürbar.
2. Schritt – die Überprüfung
Die erste Frage
Diesen Satz nehme ich, schreibe ihn auf und vergegenwärtige mir die Situation, in der dieser Gedanke aufgetaucht ist und ich ihn geglaubt habe. Ich saß mit meinem Mann im Restaurant. Er redete und redete. Hier tauchte der stressige Gedanke auf:
– Mein Mann verschwendet mein Leben.
Dann stelle ich mir die erste Frage der WORK:
Ist das wahr?
Ich lasse diese Frage in mir nachklingen. Meist habe ich schnell eine Antwort. In diesem Falle lautet sie Ja. Im Laufe meines Lebens habe ich mir angewöhnt, immer schnell eine Antwort zu haben. Ich möchte andere Menschen nicht warten lassen oder als unentschlossen gelten. Im Prozess der WORK hingegen nehme ich mir die Freiheit, einfach so dazusitzen, zu bemerken, dass es eine schnelle Antwort gibt, und dann nichts zu tun, als zu warten, bis weitere Antworten auftauchen oder Gedanken oder Bilder. In diesem Fall spüre ich, wie traurig es wäre, wenn mein Leben verschwendet würde.
Die zweite Frage
Wenn meine ehrliche Antwort auf die erste Frage noch immer Ja lautet, versuche ich nicht, mich selbst zu einem Nein zu überreden. Ich vertraue dem authentischen Ja und frage mich die zweite Frage der WORK:
Kann ich absolut sicher sein, dass mein Glaubenssatz wahr ist?
Kann ich mir also sicher sein, dass mein Mann mein Leben verschwendet?
Hier muss ich mich entscheiden, ob ich mir einhundert Prozent sicher bin. Oder gibt es ein kleines Prozent, was da hinter meiner Sicherheit hervorlugt?
Ich ruckle mich auf meinem Sofa zurecht und warte auf die Antwort. Ich bin mir bewusst, dass ich mir nicht in die Tasche lügen will. Ich warte auf die ehrlichen Antworten. Und wie ich so meinen Kopf anlehne und mich entspanne, fällt mir eine Situation ein, letzte Woche, als mein Mann mein Fahrrad repariert hat. Und das, ohne es anzukündigen oder Lob dafür haben zu wollen. Und noch eine ähnliche Situation kommt mir in den Sinn, vor zwei Monaten. Ich warte noch ein bisschen. Meine Antwort ist Nein. Ich kann mir nicht einhundertprozentig sicher sein, dass er mein Leben verschwendet.
Und wenn die Leserin, der Leser an dieser Stelle denkt: Phh, so einfach wird das bei mir nicht laufen, dann möchte ich daran erinnern, dass mein Beispiel nur ein Beispiel ist. Mein ganz persönliches Beispiel. Alle Teilnehmer eines Seminars könnten mit demselben Glaubenssatz arbeiten und würden zu unterschiedlichen Antworten gelangen. Das mag ich so gern an dieser Methode, jeder gibt seine eigenen Antworten, findet zu seiner eigenen Weisheit.
Die dritte Frage
Wie reagiere ich/was geschieht, wenn ich diesen Gedanken glaube:
– Mein Mann verschwendet mein Leben.
An dieser Stelle werde ich von einem beengenden Gefühl übermannt. Ich nehme mir Zeit, das zu fühlen. Ich will es nicht weghaben, wie sonst, in meinem Alltag, wo kein Platz dafür ist. So fühlt es sich also an, wenn ich diesen Gedanken glaube. Dann ist es sinnvoll, detaillierter hinzusehen. Wie reagiere ich? Wie genau? Was tue ich, wenn ich unter dem Einfluss dieses Satzes stehe? Ich persönlich werde fahrig und versuche verkrampft im restlichen Teil meines Lebens gaaanz viel Sinn zu schaffen, damit es von niemandem verschwendet werden kann. Ich fühle, wie anstrengend das ist.
Würde ich diesen Teil der Work weglassen, würde ich nicht bemerken, wie viel zusätzlichen Druck und Stress ich mir mache, und mit welchen Handlungen. Denn in den alltäglichen Abläufen fällt mir das nur flüchtig auf.
Unterfragen zu dieser dritten Frage sind extrem hilfreich. Ich würde mir die Unterfrage stellen, wie ich mit meinem Mann umgehe, wenn ich glaube, dass er mein Leben verschwendet. Ich warte auf Antworten und Bilder und sehe: Ich höre ihm nicht richtig zu, und wenn er nicht mehrmals am Tag etwas Kluges von sich gibt, was mich in meinem Leben bereichert und weiterbringt, dann bestätigt das nur meine Sicht auf ihn. Das fühlt sich eingefahren und fordernd an.
Und wie behandle ich mich selbst, wenn ich glaube, dass er mein Leben verschwendet? Ich lehne mich zurück und schaue mir mein Leben an wie einen Film. Zuerst spüre ich, wie ungeduldig und fahrig ich mich fühle. Aber ich weiß, wie gut es ist, detailliert zu betrachten, wie ich in solchen Momenten mit mir umgehe. Was auftaucht, ist: Ich beschuldige mich, immer wieder auf den gleichen Typ Mann zu fliegen und deshalb nicht den Einen, den Richtigen zu finden. Das tut weh.
Eine Unterfrage, die den Horizont noch weiter spannt, lautet: Wie ist mein ganzes Leben, wenn ich glaube, dass mein Mann es verschwendet? Rastlos. Unglücklich. Wertlos. Und alles nur, weil ich diesen Gedanken glaube.
Die dritte Frage behandelt meine Gefühlswelt mit dem Gedanken. Oft ist es deprimierend, was wir in diesem Arbeitsschritt zu sehen bekommen. Deshalb stehe ich danach kurz auf, trinke einen Schluck, atme einmal tief durch oder tue etwas, was mich daran erinnert, dass ich lebe.
Nun bin ich bereit für die vierte Frage.
Die vierte Frage
Wer oder was wäre ich ohne diesen Gedanken?
Ich sehe meine Situation vor Augen. Wir sitzen am Tisch im Restaurant, er erzählt seit einer Stunde drauflos, er stellt mir nicht eine einzige Frage, und in mir taucht nicht der Gedanke auf: Er sollte sich mehr für mich interessieren, oder er verschwendet mein Leben. Wie wäre es dann?
Ha! Ich muss lachen. (Sie würden vielleicht anders reagieren.) Ich würde ihm einfach sagen, dass mich das Thema nicht interessiert. Du lieber Gott! Das ist alles. Es liegt in meiner eigenen Verantwortung.
The Work bringt mich oft zu dem, was ich selber tun kann. Das mag ich. Mit dem stressigen Gedanken war ich hilflos und anklagend. Ohne den Gedanken bin ich handlungsfähig. Mein Mann scheint jedenfalls nicht das Problem zu sein.
Wenn ich nicht mehr glauben würde, dass sich irgendjemand für mich mehr interessieren sollte, als er/sie es von selber tut, wäre jeglicher Kontakt zu anderen Menschen einfach. Wunderbar. Bereichernd. Ich würde die Menschen freilassen, mit denen ich zu tun habe. Sie bräuchten sich nicht zu verstellen oder krampfhaft nach Themen suchen, die mich interessieren könnten. Das wäre mein Beitrag...