Verhandlungen
„Da bin ich!“, flüstert Lukas einige Wochen später in Paulas Gedanken, während sie gerade missmutig an ihrem Frühstücksbrötchen kaut. Irritiert schaut sie zu ihrem Hund, dessen verklärter Blick den Beweis liefert für unsichtbaren Besuch. Paula konzentriert sich kurz, sieht dann über ihr drittes Auge Lukas’ Lichtgestalt, sein vertrautes Gesicht und die Konturen des Körpers, die sich noch aus seinem letzten Leben andeutungsweise zeigen.
„Du bist also wirklich da, Lukas. Dabei fühle ich mich heute so dermaßen geistig verstopft. Naja, hab dich ja trotzdem bemerkt“, nuschelt Paula immer noch schlecht gelaunt.
Lukas lacht, lässt eine Krähe auf der Balkonbrüstung landen und diese krächzt nun ohrenbetäubend laut.
„Mir ist nach ein bisschen Hokuspokus, um dich aufzuheitern“, sagt er mit einem schelmischen Grinsen.
„Pah, da musst du dir schon etwas anderes einfallen lassen, mein Schätzchen. Ich mag Krähen. Wie wäre es vielleicht einmal mit Vogelspinnen oder Massenmördern?“, pariert Paula und steht auf, um der Krähe ein paar Brotkrumen zu spendieren.
„Geht doch“, stellt Lukas fest.
Als er noch im Körper lebte, hatten sie sich nie ernsthaft gestritten, aber dieses schlagfertige Worte-Ping-Pong liebten beide schon damals. Und sie erhielten es sich auch weiterhin auf die neue mediale Weise.
Paula wird nun langsam wieder warm, der Frust verfliegt und so fragt sie Lukas: „Was möchtest du denn? Frühstück gibt es nicht mehr. Und auf Transformation und so weiter habe ich heute irgendwie keinen Bock, der Tag fing schon so blöd an.“
Lukas hockt auf der Sofalehne und mimt eine Mischung aus Pastor und Psychotherapeut. „Wie sind denn heute unsere Befindlichkeiten, meine Liebe? Was darf es sein, Therapie oder doch eher eine Beichte ablegen? Aber um deine Frage zu beantworten: Mir war langweilig und ich hatte Sehnsucht nach dir. Ach, es ist schon schade, dass ich keinen Kaffee mehr vertrage, seit ich auf Lichtnahrung bin!“
Er seufzt laut und Paula lacht endlich wieder von Herzen. Die schlechte Laune ist verflogen und die Gründe dafür kommen ihr im Moment auch richtig albern vor.
„Im Ernst jetzt“, sagt Lukas. „Ich möchte dir einen Vorschlag machen, wie wir gemeinsam an dein „Brenn-Thema“ herangehen könnten. Ich möchte dir so gerne wieder einen Mann schicken, aber ohne die Gewissheit, dass du ihn sofort rückwärts die Treppe herunter jagst oder ihn mit fiesen E-Mails vergraulst. Womöglich ziehst du dann auch wieder aus lauter Angst deine berühmte Mutti- oder Therapeutinnen-Nummer ab. Nee, nee, da muss sich was ändern. Und ich habe eine Idee!“
„Na, da bin ich gespannt!“, antwortet Paula amüsiert. „Außerdem denke ich, dass Derjenige welcher das alles aushalten könnte und nicht gleich wegläuft. Diese Fluchttypen sind allmählich langweilig. Und du bist ja im Bilde, was ich, deine Paula, alles nicht mehr möchte. Leider habe ich auch kaum Ahnung, was ich denn möchte. Weißt du, ich habe soviel über das Spiegelgesetz gelesen und es auch zu einem großen Teil verstanden. Ob es wirklich so ist, dass jede Beziehung ein gegenseitiges Abarbeiten von alten Mustern ist? Dann bleibe ich vielleicht doch lieber alleine, denn das kann nur problematisch werden. Aber deine Idee darfst du mir trotzdem ruhig vorstellen, ich lausche.“
„Haha! Also doch interessiert!“, frohlockt Lukas, der sich inzwischen direkt auf Paulas Wohnzimmertisch lang gemacht hat. „Also, pass auf. Ich komme nun regelmäßig vorbei und wir legen eine Art gemeinsames Tagebuch an. So wie damals, als du mich noch nicht medial empfangen konntest und mir alle deine Erlebnisse geschrieben hast. Nur dieses Mal sind wir im Dialog. Das heißt, du schreibst im Wechsel als Paula und dann medial meine Ausführungen. Gut, oder?“
„Und was soll das dann bringen?“, wirft Paula skeptisch ein.
„So kannst du deine alten Muster besser verstehen und sie dir nochmals richtig bewusst machen!“, erklärt Lukas ihr geduldig. „Etwas, das ins Bewusstsein gerückt und erkannt ist, das brauchst du nicht erneut zu lernen. Weil es sich zum einen durch Erkenntnis und zum anderen durch die Kraft der Vergebung erlösen darf. Das wird eine richtig schöne Bewusstheits-Therapie.
„Oh je!“, seufzt Paula. „Das kann ja heiter werden.“
„Ich werde dich vielleicht ein bisschen quälen“, gibt Lukas zu. „Aber danach sprühst du nur so vor Erkenntnissen, wirst deine Muster sehen, sie ändern und hoffentlich dir selbst, sowie allen an den Geschichten beteiligten Menschen vergeben, soweit dies noch nicht geschehen ist. Zwischendurch ab und an nach draußen in die Welt zum Üben, bis zur praktischen Prüfung. Und? Was sagst du? Bin ich genial? Diese Therapie kostet dich nichts, nur ein wenig guten Willen und Durchhaltevermögen.“ Paula atmet erst einmal durch, lässt sich Zeit, trinkt noch einen Schluck Kaffee. Dann antwortet sie: „O. K., du komischer Engel. Der Aspekt, dass es nichts kostet, der hat mich jetzt überzeugt, denn ich bin ohnehin schon wieder pleite. Aber wenn du mich zu sehr ärgerst, dann fahre ich auf der Stelle meine Antennen ein.“
„Und ganz ehrlich …“, betont sie jetzt etwas verhaltener. „Ich habe Angst! Angst, dass ich es nicht schaffe, mir das alles noch eine Etage tiefer anzuschauen. Oder, dass es nicht klappt und ich wieder in das nächste Drama rutsche. Ich habe einfach keine Kraft mehr für Dramen. Das letzte war schon sehr heftig. Ich bin müde. Und vergiss’ bitte nicht mein letztes Jahrzehnt, das nur aus spiritueller Innenarbeit bestand. Ich habe eine Vorbildung und nicht mehr soviel Zeit.“ Über ihren letzten Satz muss Paula nun selbst grinsen.
Lukas schickt ihr wieder seinen warmen Gänsehautstreichler und tröstet: „Es wird gar nicht so schlimm, du wirst sehen. Aber wenn du künftig dramenfreie Verbindungen eingehen möchtest, dann müssen wir erst die Dramen in dir und deine Resonanz darauf aufspüren. Du weißt ja um die Gesetze. Es geht immer noch eine Schicht tiefer. Deine völlige Isolation jetzt ist ja wohl auch keine Dauerlösung. Ich werde dann mal wieder verschwinden. Denke noch einmal über meinen Vorschlag nach und wenn du möchtest, bin ich bereit. Ruf mich einfach.“
Paula nickt, winkt Lukas müde hinterher. Dann startet sie in ihren Tag, indem sie das Frühstücksgeschirr aus dem Wohnzimmer in die Küche trägt und es gleich abwäscht. Sie mag ihre kleine Küche und freut sich sogar darüber, wieder per Hand abwaschen zu können. Das ist richtig meditativ. Noch vor einem halben Jahr hatte sie eine moderne Küche und einen Geschirrspüler gehabt. „Trennung ist fast so wie abgebrannt!“, spricht sie laut zu sich selbst, aber es klingt nicht bitter. Sie liebt ihre Wohnung im Plattenbau, die sie schlicht, aber mit Liebe und ganz nach ihrem eigenen Geschmack eingerichtet hat. Eine gut bezahlbare Miete, einen See fast direkt vor der Haustür und die Nähe zu ihrer Mutter und ihrer Tochter, machen es Paula sehr leicht, sich in ihrem neuen Nest wohl zu fühlen.
Während sie dann nach dem Abwaschen noch die Zimmer durchsaugt, fliegen ihre Gedanken zu der geplanten Innenarbeit mit Lukas. Sie formen sich zu chaotischen Klumpen, machen Angst, immer wieder Angst.
Paula versteht das nicht, denn sie hat sich schon so vieles angesehen, soviel aufgelöst, selbst Rückführungen unter therapeutischer Anleitung gemacht, um zahlreiche Traumata und Verletzungen zu heilen, um letztendlich aus dem Opfer-Status herauszufinden.
Was macht ihr jetzt noch solche Angst? Was lauert da? Sie findet keine Antwort und tut das, was sie in solchen Situationen meistens als hilfreich empfindet: Ablenkung durch Häkeln. Manchmal klären sich dabei ihre Gedanken auf überraschende Weise.
Am späten Abend dieses Tages schmerzen ihr so die Finger, dass sie die angefangene Decke beiseitelegt und ratlos nach Lukas ruft.
Er erscheint sofort und tröstet. „Das ist normal, dass du jetzt so reagierst. Die Energie baut sich auf bis zu einem gewissen Punkt, damit wir dann das Thema gemeinsam anschauen und klären können. Die Angst, die du jetzt spürst, bringt dich an diesen wichtigen Punkt, er ist der Startschuss für deine neue Zukunft, in der du alles Alte friedvoll integriert und somit geheilt hast.“
„Wie soll das denn funktionieren, Lukas?“, hinterfragt Paula, schon fast verzweifelt von dieser unangenehmen Angst, die in ihrem Bauch wühlt.
„Wir gehen gemeinsam noch einmal in die Vergangenheit, um eine göttliche Ordnung darin zu entdecken und die Essenz des Ganzen zu finden“, antwortet Lukas und versucht es noch genauer zu erklären. „Diese Essenz ist der Schatz deines bisherigen Lebens, ein großer Teil, weswegen du überhaupt hierhergekommen bist. Das Abarbeiten, wie du es immer nennst, ist erledigt. Glaub mir!“
„Bist du sicher?“, wirft Paula skeptisch ein. „Gerade jetzt habe ich das Gefühl, immer noch eine Müllhalde im Inneren zu beherbergen.“
„Keine Panik!“, ruft Lukas laut. „So schlimm ist es nicht.
Aber das Neue kann erst erscheinen, wenn auch deine Gedanken- und Gefühlswelt dies begriffen hat, wenn dein Körper es in jeder Zelle angenommen hat. Der Geist ist viel schneller als dein irdisches System. In dir sind immer noch tiefe Ängste, die das Neue verhindern, weil sie es ständig in alte Kategorien und Vorstellungen verpacken wollen. Deine Erfahrungen, die dir ja dienlich sein sollen, blockieren momentan noch, indem sie Ängste verursachen. Es gilt, eine neue Sichtweise zu erreichen, warum dir das alles geschehen ist. Es...