2. Immun gegen Probleme
Womit fangen Probleme an? Was sind die ersten kleinen Vorboten? Was kommt zuerst, wenn man den Beginn eines Krisenfilms ganz langsam abspielt? Für mich und die Menschen, die Krisen kraftvoll überlebt haben, zeigen sich zu Beginn jedes Problems als Erstes die ständigen Begleiter des Lebens: Irritationen. Mit ihnen beginnt es; wie wir sie begrüßen, mit ihnen umgehen und sie bewerten, führt zu Problemen, Lösungen, Stress, Interesse, Krise oder Lernen.
Der Beginn des Problems: Irritationen
Irritationen sind Momente neuen Lernens.
Waren Sie schon mal irritiert? Ich bin das mehr oder weniger ständig. Die Frage ist für mich dabei immer, wie ich auf meine Irritationen reagiere. Irritationen können die ersten Boten von Problemen, Stress und Krisen sein, und doch sind sie unmerklich Teil des alltäglichen Lebens. Hier und da mal irritiert zu sein, ist auch noch lange kein Problem, führt vielleicht noch nicht einmal zu Stress und schon gar nicht in die Krise. Die Frage ist immer, wie ich auf meine Irritationen reagiere. Im Prinzip treten sie bei uns immer dann auf, wenn unsere Muster im Denken, Fühlen und Handeln nicht mehr funktionieren. Genauer gesagt, wenn wir ein gewünschtes Ergebnis auf dem gewohnten Weg plötzlich nicht mehr erreichen. Irritationen sind Momente neuen Lernens.
Gewissermaßen könnte man Irritationen als Türsteher am Ausgang der Zone des normal gelingenden Lebens beschreiben. Diese kann man auch als Komfortzone bezeichnen. Bei diesem Begriff springen aus Erfahrung sofort diverse leistungsorientierte Seiten in Menschen an. Sie rufen laut Dinge wie »Wer rastet, der rostet«, »Müßiggang ist aller Laster Anfang« und »Je schwerer, desto besser«. Der Begriff »Komfortzone« ist mit meinem Erleben der deutschen Arbeitsethik, die geprägt ist von Leistung, Anstrengung und Stress, nur bedingt vereinbar. Dazu aber später mehr.
Zurück zur Irritation. Also, ein Muster funktioniert nicht so, wie ich es erwartet habe, ich erhalte nicht das gewünschte Ergebnis und plötzlich zeigt sich die Irritation. Die alles entscheidende Frage ist dann, wie ich auf diese reagiere. Oft nutzen Menschen in diesem Moment Lösungen vom Typ »mehr desgleichen«. Sprich, man probiert es genauso noch einmal, das muss doch gehen! Manchmal funktioniert es dann, interessant wird es, wenn es erneut nicht funktioniert. Dann entscheidet sich, in welche Zone man eintritt.
Eine Zone, die typischerweise mit mildem Stress verbunden ist, kann man als Problem- oder Stresszone beschreiben. Auch hier kann man sich theoretisch wieder entscheiden, wie es weitergehen soll. Mehr vom Gleichen führt auch hier wieder zu mehr Stress, einem im subjektiven Erleben größer werdenden Problem und bringt einen Menschen dann irgendwann zielsicher in die Krisen- oder Panikzone. Wichtig ist hierbei die Erkenntnis, und das kann ich gar nicht oft genug wiederholen, dass es sich um anerkennenswerte und psychologisch begründbare Lösungsversuche handelt: Wir wiederholen unter Stress altes Verhalten und reproduzieren alte Muster.
Wo und wie kann ich also meine Immunität gegen Probleme, Stress und Krisen stärken? Idealerweise beim ersten Kontakt mit Irritationen.
Dazu gleich ein kleines Experiment.
Experiment: Aktion und Reaktion
Nehmen wir an, Sie wollen mit einem Menschen sprechen, den Sie kennen und von dem Sie annehmen, dass er Sie zumindest ein bisschen mag. Sie gehen zu ihm hin, wo auch immer das ist, und sagen »Hallo«. Dieser Mensch schaut Sie an, verzieht leicht das Gesicht und schaut wieder weg. Wie reagieren Sie?
Hier ein paar Möglichkeiten aus dem vielfältigen Verhaltensrepertoire, das jeder Mensch in sich trägt:
•Sie könnten sich denken, dass er Schmerzen hat, und fragen, ob Sie etwas für ihn tun können.
•Sie könnten sagen: »Dann eben nicht.«
•Sie könnten sich an Ihre Kindheit und eine ähnliche Situation erinnern mit dem Gedanken: »Geht das schon wieder los – keiner mag mich.«
Sie könnten so vieles mehr tun … erwartet hatten Sie sicherlich das, was die letzten Male passiert ist, z. B. dass der andere Ihr »Hallo« erwidert und ein Gespräch beginnt.
So ist das mit unseren Mustern, die in früheren Ereignissen gelernt und gebildet wurden. Wir erwarten eine gewisse Wiederholungs-Wahrscheinlichkeit. Tritt diese nicht auf, geben wir dem Bedeutung. Je nach eigenem Zustand, gestresst oder entspannt, optimistisch oder pessimistisch, ist die Deutung des Verhaltens konstruktiver oder destruktiver.
Von der Irritation zur Handlungsfähigkeit
Bei der Immunisierung gegen Probleme – wie auch gegen Stress und Krisen – ist es unsere erste Reaktion auf Irritationen, die einen großen Unterschied macht. Wie kommen wir also von der Irritation zu Kraft und Handlungsfähigkeit?
Einer der effektivsten Wege ist die Beziehungsgestaltung zur Irritation, und die können Sie in den folgenden vier Schritten mal ausprobieren:
Vier Schritte zu mehr Handlungsfähigkeit
Erinnern Sie sich an eine Situation, in der Sie irritiert waren? Das kann auch ein Treffen, ein Telefonat oder die Begegnung mit einem verhaltenskreativen Menschen gewesen sein. Wichtig ist, dass Sie sich an den Moment der Irritation erinnern und diesen wachrufen. Was wäre, wenn Sie damals so etwas gesagt oder gedacht hätten wie:
1.Schritt: »Das ist ja interessant.«
2.Schritt: »Ich bin mir sicher, dass meine Irritation gerade Sinn ergibt.«
3.Schritt: »Irgendetwas will mir dieser Mensch oder dieses Ereignis mitteilen.«
4.Schritt: »Ich bin erst mal offen für das, was kommt, und sage: willkommen.«
Das heißt nicht, dass Sie ab heute alles und jeden in Ihrem Leben willkommen heißen sollen. Es soll nur heißen, dass, wenn wir unsere Erstreaktion auf Irritationen lösungs- und beziehungsorientiert gestalten, Probleme, Stress und Krisen deutlich unwahrscheinlicher werden.
Diese vier Schritte im Umgang mit Irritationen stammen aus dem Generativen Coaching von Robert Dilts und Stephen Gilligan und sind für den Alltagsgebrauch sehr gut anwendbar. Sie laufen innerlich ab, und ich erlebe sie als sehr nützlich im Umgang mit den kleinen und großen Irritationen des Alltags. Nach einigen Wochen der Übung werden sie automatisiert und vielleicht bemerken Sie, dass sie zu einer Art Grundhaltung im Kontakt mit Neuem, Ungewöhnlichem und Irritationen aller Art werden.
So kam es, dass ich einmal in einer Situation, in der mich ein fremder Mann in der S-Bahn unvermittelt anbrüllte, sofort dachte, dass das jetzt ja echt interessant sei. Weiter kam ich gar nicht und hörte mich mit lauter Stimme sagen: »Kann es sein, dass Ihnen hier etwas wichtig ist?« Der Mann blickte mich völlig verdutzt an und nickte. Ein wenig leiser fragte ich, was ich jetzt tun könne, damit wir beide eine gute Fahrt hätten. Er bat mich daraufhin, nicht direkt vor seinem Koffer zu stehen, weil er gleich aussteigen würde, tat das auch an der nächsten Station und zog still seines Weges. Zugegeben, den Satz, dass ihm wohl etwas wichtig sein müsse, hatte ich mal geübt, weil ich als Trainer, Berater und Coach in Organisationen immer mal wieder mit, sagen wir, emotionalen Situationen zu tun habe. Aus der Lautstärke der Rückmeldungen höre ich das Bedürfnis, gehört zu werden. Diese Menschen würden auch nicht schreien, wenn ihnen das, weswegen sie schreien, nicht wichtig wäre. Indem ich ihnen mit meiner Aussage in ihrer Welt begegne, schaffe ich ein Verständnis und einen ersten Schritt zur Verbindung. Vielleicht merken Sie sich den Satz, und bei der nächsten Gelegenheit, wenn jemand sehr laut etwas von sich gibt, können Sie ihn sich einfach sagen hören …
Die ProblemWerkstatt
Sie wissen jetzt, wie Sie einer Irritation begegnen können. Wie schon erwähnt, können wir trotzdem nicht alle Probleme vermeiden. Kommen wir also zu Problemen und den Bestandteilen, aus denen sie erzeugt werden. Dass Problemerleben oftmals mit einer Irritation beginnt, haben wir ja gerade schon erörtert. Wenn man jemanden fragt, was er mit dem Wort »Problem« assoziiert, wird interessanterweise in über 85 Prozent der Fälle das Wort »Lösung« genannt. Deswegen vorab zwei Erkenntnisse zu Problemen und Lösungen, die mir das Leben erheblich leichter machen:
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