DAVONTREIBEN
Thel Dar lag still in der endlosen Finsternis der immerwährenden Leere schwebend im Geist Gottes. Als Über-Licht-Bewusstsein hatte Thel Dar Zugang zur umfassenden Gesamtschau der sich durchdringenden Schichten der überhaupt nur möglichen Welten in der gesamten Unendlichkeit. Kein Teil der Schöpfung war so unbedeutend, als dass er ihn nicht liebevoll beobachtete.
Im Zwielicht des Kali-Yuga hatte Thel Dar an einem fortgeschrittenen Datensammler, einem Körperfahrzeug gearbeitet, durch das andere strahlende Lichtwesen Leben erfahren und ausdrücken könnten. Als sich nun Thel Dar drei Wesen näherten, die Thel Dar recht ähnlich sahen – zuerst erschienen sie als Hyper-Licht-Gedanken und danach als blendend strahlende Lichtwesen –, wusste Thel Dar, weshalb sie gekommen waren.
»Meine lieben Freunde«, sprach Thel Dar, »ich tue mein bestes. Bald wird es zumindest drei Sätze von Erbgut geben, die weit genug entwickelt sind, um euch Freude zu machen.«
Die drei, zustimmend nickend, lächelten in freudiger Erwartung. Da ihre Frage beantwortet war, entfernten sie sich. Thel Dar blieb allein zurück, um seine Bemühungen zu vollenden.
Sich in der reichen potenten Schwärze emporkräuselnd, atmete Thel Dar ein und richtete seine Aufmerksamkeit auf einen Ort in der dritten Dimension von Planet Erde: den pazifischen Nordwesten der USA.
Clarissa, unfähig ihren Kopf vom Kissen zu heben, starrte in die weiße Leere, die sie umgab. Das früher kuschelige Doppelbett sah jetzt riesig aus, verlassen. Michael war zu einer Visionssuche nach Peru gefahren, und nur die Götter, wer sie auch sein mochten, wussten, wann er zu ihr zurückkommen würde. Sie fühlte sich im Stich gelassen und einsam; ihr Bett war ein einziges Durcheinander, und in ihr sah es genauso aus.
Sie fühlte sich auch krank. Die Ärzte hatten ihr zwar gesagt, dass mit ihr alles in Ordnung sei; die Untersuchungen waren ergebnislos geblieben. Doch jeden Tag spürte Clarissa ein unerklärliches »Blubbern« in sich. Verwirrt und verängstigt fragte sie sich, ob das Unwohlsein etwas mit der Welle zu tun hatte, von der alle redeten, und seit kurzem hatte sie Angst, die Jahrtausendwende nicht mehr zu erleben.
Das nahende Ende des Jahrtausends machte die Menschen toll; in ihrer Angst vor dem kommenden Weltuntergang, suchten sie verzweifelt nach Antworten. Manche sagten, dies sei das Ende des Kali-Yuga, das Endstadium materialistischer Illusionen und geistiger Verdunkelung auf dem Planeten Erde. Das kommende neue Zeitalter würde alles verändern. Da sie die Veränderungen näherkommen spürten, versuchten die Menschen, sich auf sie einzustellen. Manche klammerten sich krampfhaft an die Vergangenheit und ihren materiellen Besitz, während andere ganz plötzlich ihr Zuhause und ihre Familien verließen und sich Kulten und Sekten anschlossen. Andere gingen einfach in die Wüste, um mit ihrem Gott allein zu sein.
Die Welle wurde als ein Energiefeld in Form eines endlosen Stromes von Photonen verstanden – ein Meer aus Plasma, das aus den Tiefen des Raumes kommt und ein hochfrequentes Bewusstsein abstrahlt, wenn es die Erde eindeckt. Es hieß, dass jenen, die sich entschlossen, sich der Welle zu öffnen, bei der Anpassung an die kommenden Veränderungen geholfen werden würde. Die Welle würde ihre Zellen auf eine höhere Frequenz heben und die schlummernde DNS in ihnen aufwecken.
Sich widerstrebend aus ihrem Bett erhebend, beschloss Clarissa, einen Spaziergang zu machen. Vielleicht würde die feuchte, diesige Luft etwas Klarheit in ihren Kopf bringen. Die Gegend, in der sie und Michael lebten, war voller Bilderbuchhäuser. Die baumbestandenen Straßen schienen sicher; dies war ein idealer Platz, um Kinder großzuziehen.
Clarissa sehnte sich danach, von Michael Kinder zu bekommen. Sie hatten sich an der Universität kennengelernt und sich gleich verliebt; Clarissa war noch nie mit einem anderen Mann zusammengewesen. Sie liebte ihn aus ganzen Herzen, und nun, da er fort war, hatte sie das Gefühl, als fehle ihr eine Hälfte.
»Wo war er jetzt?« fragte sie sich und versuchte, sich Machu Picchu oder ein Stehcafé in Lima vorzustellen. Fuhr er gerade in einem rumpelnden Zug durch die Berge oder trank er ein duftendes Pilzgebräu mit einem Schamanen? Sie hatte Michael nichts davon gesagt, dass ihre Zellen »blubberten«. Wann würde er wieder nach Hause kommen?
Clarissas Blick fiel auf einen weißen Lattenzaun. Dahinter waren dicht mit Löwenmaul bewachsene Beete mit duftendem weißem Steinkraut und tiefblauen Lobelien eingefasst, der Art, deren Schönheit fast den Augen wehtat.
Clarissa verhielt den Schritt, gebannt vom Anblick des Gartens. Da gab es alte Rosen, Damaszener- und Moosrosen mit ihren berauschenden Düften, und Kräuter aller Art, Basilikum, Lavendel und Pfefferminze. Clarissa fühlte sich von dem Zauber des Gartens angezogen.
Sie blickte zum Haus hinauf und sah eine Frau auf der Veranda sitzen, die ihre beiden großen Hunde mit kleinen Leckerbissen fütterte. Die riesenhaften Hunde sahen wie Wölfe aus, schienen aber freundlich zu sein und wedelten mit den Schwänzen.
»Hallo!« rief die Frau.
»Hallo. Ich habe gerade Ihren Garten bewundert. Er ist wunderschön.«
»Kommen Sie nur herein und essen Sie ein paar Kekse mit uns«, lud die Frau sie ein. »Keine Angst, die Hunde tun nichts; sie mögen alle!«
Clarissa musterte die herrlichen Geschöpfe und ihr harmloses Betragen; sie kam zu dem Schluss, dass sie sich tatsächlich gefahrlos nähern konnte. (Sie selbst hatte Katzen lieber, mochte aber alle Tiere.) Also öffnete sie die Tür und ging auf das Haus zu, das ihr mit einem Mal merkwürdig vertraut vorkam.
»Ich heiße Clarissa.«
»Und ich bin Gracie, und diese beiden Hunde sind Bär und Rhiannon. Hier, nimm dir einen Keks. Ich wollte mir gerade einen Kaffee machen. Willst du auch einen?«
Clarissa lächelte und nickte; als sie Gracies Hand schüttelte, hatte sie das unheimliche Gefühl, dass sie sich irgendwo schon einmal begegnet waren; dass sie sich irgendwie schon immer gekannt hatten. Als Gracie sich in die Küche begab, vernahm Clarissa die Worte eines sehr alten Liedes, das aus Gracies Haus erklang.
» … befreie meine Seele … und treib dahin.«
Weit entfernt, in der Nähe des Mittelpunkts der Galaxis, stand Inanna, eine schöne blauhäutige Frau von den Plejaden, in der Großen Halle des Intergalaktischen Föderationsrates und wartete auf den Beginn einer wichtigen Sitzung. Der Mann, dem zu begegnen sie sich schon so lange erträumt hatte, hatte gerade ihre Hand in seine genommen.
»Erlaube mir, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Jehran«, sprach er sanft. Inanna fühlte sich in seine Augen hineingezogen; und in demselben Augenblick hörte sie in den entfernten Gängen ihres Geistes Klänge, die sie als Rock’n Roll von der Erde erkannte.
» … befreie meine Seele … und treib dahin.« Inanna durchforschte ihr Bewusstsein und begegnete Gracie, einem ihrer multidimensionalen Selbste, die auf dem Planeten Erde lebte, im Zeit-Raum-Kontinuum des 20. Jahrhunderts. In letzter Zeit kam der Impuls von Gracies Lebenskraft als eine sehr starke Frequenz bei ihr an. Schnell hatte Inanna sich vergewissert, dass es Gracie gut ging und sie keine unmittelbare Unterstützung brauchte, und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit wieder auf ihre Gegenwart und ließ sich in den feurig dunklen Augen des Mannes aufgehen, der sich ihr gerade als Jehran vorgestellt hatte.
Während sie sich in einer Art Trance treiben ließ, dachte Inanna daran, wie lange sie darauf gewartet hatte, ihrem Herrn Richtig zu begegnen; und jetzt stand er endlich vor ihr. Ihre mühselige Reise durch die schwankende Unsicherheit der dichten stofflichen Ebenen der Erde hatte sie von Angesicht zu Angesicht vor Jehran geführt.
Angetrieben von ihrer Liebe zur menschlichen Rasse, die von ihrer selbstbezogenen Familie genetisch verändert worden war, hatte Inanna sich in dem heldenmütigen Versuch, die verborgenen Erbanlagen der Menschen zu aktivieren, selbst in diese Rasse projiziert.
Andere Mitglieder ihrer Familie – der Familie von Anu, ihres Urgroßvaters – waren Inanna in die Verletzlichkeit von Fleisch und Blut hinab gefolgt. Indem sie sich einschalteten, hofften sie, die beschädigten menschlichen Erbanlagen wiederherzustellen.
Vor etwa 500.000 Jahren hatten Mitglieder der Familie von Anu die Erde kolonisiert, um dort Gold für die beschädigte Atmosphäre ihres Planeten Nibiru zu gewinnen. Ihre obersten Wissenschaftler, Ninhursag und Enki, verschmolzen die Gene einer wilden irdischen Kreatur, des Homo erectus, mit den plejadischen Genen, und auf diese Weise schufen sie eine Sklavenrasse, die in den Goldminen arbeitete.
Im Laufe der Jahrhunderte...