2 Theoretischer Bezugsrahmen
Dieser Abschnitt bildet die theoretische Grundlage für die folgenden Kapitel und soll einen allgemeinen Überblick über das Thema und den Umfang der durchgeführten Forschung aufzeigen. Zu Beginn werden die globalen Herausforderungen und der Wandel der Entwicklungspolitik betrachtet, mit besonderem Augenmerk auf der Agenda 2030, die als Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung dienen soll. Zweitens wird der Begriff „Innovation" eingeführt, indem die vielseitige Verwendung in der Fachliteratur skizziert wird. Des Weiteren werden aktuelle Innovationsmethoden vorgestellt – die in Erwartung einer Zukunft, in der der Wandel nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein wird – immer höheren Stellenwert in Unternehmen finden.
2.1 Globale Herausforderungen
„Die Welt ist aus den Fugen geraten.“
Außenminister Frank-Walter Steinmeier
(Schrapers und Hihat 2016)
Die Anzahl, Intensität und Komplexität von lang andauernden Krisen, ethnischen oder religiösen Kriegen und Konflikten in vielen Teilen der Welt haben weltweit zugenommen (Healy 2008) einschließlich ihrer dramatischen Folgen. Außerdem kommt es, teils ausgelöst durch Klimaveränderungen, immer häufiger zu Naturkatastrophen wie Dürren, vermehrte Waldbrände, Wirbelstürme, starke Niederschläge und Überschwemmungen. Die Welt steht vor gewaltigen Herausforderungen. Auch die Kluft zwischen Arm und Reich, anhaltender Hunger und Mangelernährung, Bevölkerungswachstum und Urbanisierung, globale Epidemien, der mangelnde Zugang zu sozialer Sicherung und Grundversorgung einschließlich der Gesundheitsversorgung haben sich zu globalen Herausforderungen mit unmittelbaren humanitären Auswirkungen entwickelt (Auswärtiges Amt, Die deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 2011). Nicht zuletzt die Rekordzahlen von Flüchtlingen, Vertriebenen und Migranten die vor Krieg, Terror und Armut aus ihren Heimatländern nach Europa flüchten (Öhlschläger und Sangmeister 2016) spielen vermehrt eine bedeutende Rolle in den Medien und somit im Bewusstsein der Menschen (Bruns 2015), auch hier in Deutschland.
Nach Angaben der UN Nothilfeorganisation OCHA (Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) waren im Jahr 2013 150 Millionen Menschen von Naturkatastrophen, Kriegen oder Konflikten unmittelbar betroffen. Die Zahl der daraus resultierenden hilfsbedürftigen Menschen hat sich im vergangenen Jahrzehnt nahezu verdoppelt (OCHA, World Humanitarian Data and Trends 2015. 2015).
Internationale Hilfsorganisationen kämpfen bereits, diesen wachsenden und immer komplexer werdenden Anforderungen gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang fordern viele Experten radikale Veränderungen, zum einen was die humanitären Akteure tun und vor allem wie sie es zukünftig tun (Ramalingam, Howard, et al. 2015).
Um die politischen Rahmenbedingungen besser zu verstehen, werden nachfolgend der Wandel der Entwicklungspolitik und die Entwicklungskonzepte der Gegenwart dargestellt.
2.1.1 Der Wandel der Entwicklungspolitik
In der Wissenschaft dominiert die Meinung, dass ein großer Teil der bisherigen westlichen Entwicklungspolitik eine Geschichte des Scheiterns ist (Nuscheler 2008, Moyo 2010, Ziai 2006, Neubert 1997). Die entwicklungsstrategische Diskussion im engeren Sinne begann Mitte der 1940er Jahre und erlebte mit der Entkolonialisierung ihren ersten Höhepunkt. Die Pionierphase der 1950er Jahre und die vorherrschende Keynesianischen Denkweise3 führte zur Entwicklung des Credos: „Wirtschaftswachstum zuerst, Umverteilung später bzw. erst Industrialisierung und dann Demokratisierung“ (Menzel, 40 Jahre Entwicklungstrategien = 40 Jahre Wachstumsstrategien 1992). Politischer, sozialer und mentaler Wandel sollten der Förderung des Wirtschaftswachstums dienen. Der Zusammenhang zwischen Wachstum und intakter staatlicher Institutionen wurde durchaus erkannt, deren Förderung aber nicht sonderlich vorangetrieben. „Ein Versäumnis, das sich fünfzig Jahre später bitter rächen sollte“ (Menzel, Paulo Freire Zentrum 2007).
Das erklärte Ziel der ersten Entwicklungsdekade der 1960er Jahre war die Entwicklung moderner Industriegesellschaften nach westlichem Muster und die Einbindung in den Weltmarkt. Als dessen Scheitern deutlich wurde, wurde in den siebziger Jahren die zweite Dekade ausgerufen, die Grundbedürfnis- und Selbsthilfestrategie. Der Wandel war der Erkenntnis geschuldet, dass der wirtschaftliche Aufschwung nicht bei den Ärmsten ankommt. „Es ging nun darum, die zum Überleben wichtigen Grundbedürfnisse sicherzustellen“ (Scheuermann 2014) sowie menschliche Kapazitäten zu stärken (Stichwort „Hilfe zur Selbsthilfe“) und Nachhaltigkeitsansätze zu entwickeln.
Die dritte Entwicklungsdekade der achtziger Jahre „das verlorene Jahrzehnt“ stand unter dem Einfluss der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer. Verloren deshalb, weil die innovativen Ansätze der 70er und 80er Jahre (Neue Weltwirtschaftsordnung, Grundbedürfnisorientierung) gescheitert sind und weil sich der Zustand in einer wachsenden Zahl der Entwicklungsländer dramatisch verschlechtert hat (Menzel, 40 Jahre Entwicklungstrategien = 40 Jahre Wachstumsstrategien 1992).
In dieser Zeit wurden „langfristige Entwicklungsstrategien zugunsten von kurzfristigen Stabilisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen vernachlässigt“ (Obser und Schure 2011). In dieser Zeit mussten die Sonderorganisationen der Vereinten Nationen Weltbank und IWF (Internationaler Währungsfond) mit neuen Kreditpaketen einspringen, um das internationale Finanzsystem zu stabilisieren (Obser und Schure 2011). Die Kreditvergaben wurden jedoch eng an Forderungen an die jeweiligen Empfängerländer gebunden. Die Konditionen umfassten Reformen des Staatssektors durch Strukturanpassung, Deregulierung und Privatisierung sowie Wechselkurs- und Zinsanpassungen.
Unter starker Führung der UN wurde in den neunziger Jahren dann das Gießkannenprinzip durch gezielte Projektförderung ersetzt. Es war die Zeit, der nachhaltigen und menschlichen Entwicklung (Scheuermann 2014). Erstmals wurden Themen wie Gleichstellung der Geschlechter, Ressourcenverbrauch und „local ownership“ diskutiert. Globale Strukturpolitik, nachhaltige und menschliche Entwicklung sowie „good governance“, also eine gute Regierungsführung standen von nun an auf der Tagesordnung.
„Am Ende der vier sogenannten Entwicklungsdekaden musste konstatiert werden, dass das Problem der Massenarmut sich relativ und absolut nicht verringert, sondern noch verschärft hatte“ (Lötzer 2008). Viele Entwicklungsländer versanken in Überschuldung, politischer Instabilität und das Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich nahm zu. Ende der 90er Jahre wurde dann allgemein akzeptiert, dass es keine Blaupause für Entwicklung gibt, sondern jedes Land seinen eigenen Weg finden muss (Dicke 2012).
Zur Jahrtausendwende entschlossen sich die damals 189 Mitgliedstaaten der UN die großen weltweiten Probleme gemeinsam anzugehen. Die Entwicklungskonzepte der Gegenwart werden in den nachfolgenden Punkten diskutiert.
2.1.2 Millennium Development Goals (2000 – 2015)
Extreme Armut und Hunger, Kinder- und Müttersterblichkeit, HIV/Aids und Malaria bekämpfen sowie Bildung, Geschlechtergerechtigkeit und Umweltschutz verbessern. Dazu haben sich im Jahr 2000 Staats- und Regierungschefs aus 189 Nationen verpflichtet. Die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen (engl. Millennium Development Goals, kurz MDGs) beschreiben die Aufgabenstellungen für die internationale Politik im 21. Jahrhundert und lenken die Aufmerksamkeit der Welt auf die wichtigsten Herausforderungen (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Hrsg.) 2015). „Diese acht Entwicklungsziele [die bis 2015 erreicht werden sollten, d. Verf.] vereinten die Welt wie nie zuvor in dem Bestreben, die Lebensbedingungen aller Menschen zu verbessern“ (Kroll 2015).
Dabei ist es gelungen die weltweite Armut zu halbieren, 90 Prozent der Kinder erhalten nun eine Grundschulbildung, Mädchen haben beim Schulbesuch aufgeholt und es gab bemerkenswerte Fortschritte im Kampf gegen Malaria und Tuberkulose (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Hrsg.) 2015, Vereinte Nationen (Hrsg.) 2015, Trumpf 2014, European Commission 2015).
Dennoch bleiben viele globale Herausforderungen bestehen oder haben sich gar verschärft. Die Bekämpfung des Hungers, Erhalt der biologischen Vielfalt und die Verbesserung der Mutter-Kind-Gesundheit sind aktueller denn je.
Bei der Konferenz der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung Rio+204 im Jahr 2012 griffen die Regierungen die Kritik am begrenzten Fokus der MDGs auf und vereinbarten, internationale Ziele für nachhaltige Entwicklung (engl. Sustainable Development Goals, kurz SDGs) zu formulieren. Diese Ziele sollten alle Dimensionen nachhaltiger Entwicklung berücksichtigen und für Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer gleichermaßen gelten. Diese Entscheidung war bemerkenswert, denn damit richtet sich die neue Agenda nicht mehr alleine an den Globalen Süden, wie es die MDGs de facto...