2 Grundlagen des Innovationsmanagements
2.1 Der Weg zum Innovationsmanagement 4.0 – ein Überblick
Rainer Völker/Andreas Friesenhahn
2.1.1 Innovation
Um den Prozess zu verstehen, der hinter dem systematischen Management von Innovationen steht, muss zunächst geklärt werden, was Innovationen sind. Der Begriff »Innovation« findet seinen etymologischen Ursprung in der lateinischen Sprache. Er leitet sich aus »novus« für »neu« bzw. aus »innovatio« für »Erneuerung« ab. Es existiert bis dato kein allgemeingültiger Innovationbegriff in der Literatur. In der Literatur besteht jedoch Einigkeit darüber, dass Innovationen als qualitativ neuartige Produkte, Dienstleistungen, Verfahren oder Prozesse definiert werden können, die sich gegenüber einem Vergleichszustand merklich unterscheiden.
Gleichzeitig soll die Neuerung über die Vermarktung einen Gewinn erzielen und sich dauerhaft am Markt behaupten können. Der Ökonom Joseph Alois Schumpeter war der erste, der die Begriffe Innovation und Invention klar abgrenzte. In seinem Werk »Die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung« spricht er davon, dass eine Invention eine notwendige Vorstufe für die folgende Innovation ist. Die Invention durchläuft den Ideenentwicklungsprozess, geht aber nicht in die Produktion. Eine Invention kann geplant, aber auch ungeplant entstehen. Von einem »Serendipitäts-Effekt« wird gesprochen, wenn eine Erfindung auf Grund von Zufällen entsteht. Ob und inwieweit eine Neuerung in die Produktion Eingang findet, hängt von vielen Gründen ab: Vor allem spielt das Timing eine entscheidende Rolle. Kunden sind nicht zu jeder Zeit bereit, eine Neuerung zu akzeptieren ( Abb. 2.1).
Spielkamp/Rammer (2006, S. 10) teilen neue Produkte in folgende Kategorien ein:
• Weltneuheit: Neue Produkte, für einen völlig neuen Markt.
• Neue Produktlinie: Neue Produkte, die dem Unternehmen Zugang zu einem bereits existierenden Markt ermöglichen:
– Produktlinienergänzung: Neue Produkte, die etablierte Produktlinien ergänzen.
– Weiterentwickelte Produkte: Neue Produkte, die leistungsfähiger sind und deren vom Kunden wahrgenommener Nutzen höher ist als der des Vorgängers.
• Repositionierte Produkte: Existierende Produkte, die auf neuen Märkten oder Marktsegmenten angeboten werden.
Abb. 2.1: Zeitbezogene Interpretationsmöglichkeit des Innovationsbegriffes (Quelle: Sammerl (2006), S. 30)
• Kostengünstige Produkte: Neue Produkte, die bei niedrigen Kosten vergleichbare Leistung erbringen.
Diese Unterscheidungen basieren auf dem Neuigkeitsgrad einer Innovation. Die Abbildung 2.2 skizziert verschiedene Innovationsausprägungen im Hinblick auf zwei Dimensionen von Neuigkeiten. Zur Veranschaulichung wurde die Daimler AG herangezogen. Mit diesem Beispiel soll verdeutlicht werden, dass Begriffe wie erweiterte oder erneuerte Produktlinie sinnvoll verwendbar sind, wenn ein konkreter Bezug zu existierenden Marktsegmenten und aktuellem technologischem Know-how gegeben ist.
Mit Hilfe der beiden Neuigkeitsdimensionen kann auch versucht werden, »radikale« und »inkrementelle« Innovationen ( Abb. 2.3) abzugrenzen, allerdings gibt es keine einhellig akzeptierte »Trennlinie« der beiden Kategorien.
Durch die Arbeiten von Christensen sind die Kategorien »disruptive« und »sustaining« bekannt geworden. Die »Disruptive Innovation«-Theorie bezieht sich auf Situationen, in denen neue Unternehmen relativ einfache, passende und preisgünstige Innovationen nutzen, um Wachstum zu kreieren und über mächtige etablierte Marktteilnehmer zu triumphieren. Die Theorie besagt, dass existierende Firmen es mit hoher Wahrscheinlichkeit realisieren können, sich gegenüber Attacken von neuen Marktteilnehmern zu wehren, wenn es im Wettbewerb miteinander um die Nutzung von »sustaining innovations« geht. Aber etablierte Firmen erleiden fast immer einen Verlust, wenn sie es mit »disruptiven« Innovationen zu tun haben. Abbildung 2.4 illustriert die »Disruptive Innovation«-Theorie, wobei drei verschiedene Typen von Innovationen dargestellt werden: »Sustaining innovations«, »low-end disruptive innovations« und »new market disruptive innovations«.
»Sustaining innovations«, in Abbildung 2.4 durch die schrägen Pfeilen illustriert, stellen das dar, was Firmen zu klassischen Verbesserungstrajektoren führt. Dies sind Verbesserungen bezüglich existierender Leistungen in den Dimensionen, die historisch gesehen von Kunden besonders geschätzt werden: Flugzeuge fliegen weiter, Computer
Abb. 2.2: Innovation in Abhängigkeit von den Neuigkeitsgraden am Beispiel Daimler
rechnen schneller, Mobiltelefonakkus halten länger etc. Dies alles sind »sustaining innovations«.
»Disruptive Innovations« stellen dagegen Mehrwertangebote dar. Diese kreieren entweder komplett neue Märkte oder verändern existierende Märkte. Es gibt zwei Arten von »disruptive Innovations«: »low end« und »new market«. »Low end disruptive innovations« können in Erscheinung treten, wenn existierende Produkte oder Dienstleistungen »zu gut« und dadurch eigentlich zu teuer sind in Relation zum tatsächlich existierenden Kundennutzen. Wal Mart-Einkaufscenter oder Dells »Direct to customer«-Computerversand waren alle »low-end disruptive innovations«. Sie bildeten einen Ansatz, mit dem ein relativ einfaches Produkt zu einem niedrigen Preis an bereits existierende Kunden vertrieben werden konnte. Kodak Kamera, Bell Telefone, Sony Transistor Radio, Xerox Photokopierer, Apple Computer und der Ebay Marktplatz sind alle typische Beispiele für »new market disruptive innovations«. Sie alle führten zu Wachstum, da sie es Kunden ermöglichten, nun Dinge zu tun, die vorher nicht oder nur mit hohem finanziellen und kompetenziellen Einsatz möglich waren. Abbildung 2.4 zeigt, wie »new market disruptive innovations« Konsum in den Bereichen »Bisher keine Konsumenten« und »Nicht konsumfördernder Kontext« anregen.
Abb. 2.3: »Inkrementelle« versus »radikale« Innovationen
Abb. 2.4: Disruptive Innovationen
2.1.2 Innovationsmanagement
In der Literatur finden sich ebenfalls unterschiedliche Definitionen des Begriffes »Innovationsmanagement«. Etliche Autoren vertreten in diesem Zusammenhang eine systemtheoretische bzw. integrierte Sichtweise des Innovationsmanagements. Demnach umfasst das Innovationsmanagement die bewusste Gestaltung des Innovationssystems. Es werden also auch die Strukturen, innerhalb derer die Prozesse ablaufen, eingebunden. Auf der einen Seite steuert das Innovationsmanagement einzelne Innovationsprozesse. Auf der anderen Seite dient das Innovationsmanagement als Rahmen für einzelne Innovationsprozesse und zielt somit auf die Gestaltung des ganzen Innovationssystems ab. Die innovationsorientierte Gestaltung der Strategie, des Programmmanagements und der Kultur fällt in den systemorientierten Aufgabenbereich. Die Integration von normativen, strategischen und operativen Managementaspekten thematisiert das Management-Modell von Bleicher (2004). König/Völker (2002) greifen diesen Grundgedanken auf und nutzen das Modell als Grundlage für ihren Begriff des integrierten Innovationsmanagements. Das Zusammenspiel der Aktivitäten, Strukturen und das Verhalten ist dabei für den Innovationserfolg zentral.
Auch Gassmann (2011) vertritt diesen Ansatz. Demnach muss das Management von Innovationen ganzheitlich aus normativer, strategischer und operativer Ebene heraus erfolgen, indem sich das normative Management gezielt mit der Unternehmensvision, -mission, -werten und dem Leitbild auseinandersetzt, das strategische Management Aussagen bezüglich Ressourcen, Technologien, Wissen und Kompetenzen der Mitarbeiter beinhaltet und gleichzeitig Märkte, Kunden, Lieferanten, Kooperationspartner und Wettbewerber berücksichtigt und das operative Management sich aktiv mit der Gestaltung und Führung des Innovationsprogramms beschäftigt.
Die meisten Autoren wie Brockhoff (1999) betonten schon früh bei der Eingrenzung des Begriffs Innovationsmanagement das Zusammenspiel der betrieblichen Funktionen. Im...