Einleitung
Warum dieses Buch jetzt?
Der amerikanische Soziologe Daniel Bell versuchte in seiner bahnbrechenden Studie „The Coming of Post-Industrial Society. A Venture in Social Forecasting“ zu zeigen, dass Wissen die maßgebende Ressource der zukünftigen postindustriellen Gesellschaft darstellen werde. In den zuvor industrialisierten Gesellschaften hatten vor allem die Nutzung der Rohstoffe und Anhäufung von möglichst viel Kapital im Mittelpunkt wirtschaftlichen Schaffens gestanden. Nach Bell lässt sich der Strukturwandel der Gesellschaft an der Entwicklung zur Dienstleistungswirtschaft beobachten. Der Harvard-Ökonom Peter Drucker prägte darauf in den späten Sechzigerjahren als erster Wirtschaftswissenschaftler den Begriff der Wissensgesellschaft („knowledge economy“).
Drucker sagte eine massiv steigende Anzahl von Mitarbeitenden als Wissensträger in Firmen voraus, die hauptsächlich zur Produktivität beitragen. Die Frage ist, wo Unternehmen heute stehen. Wie nutzen Manager intern vorhandene Wissensressourcen? Nach Einschätzung einer der jüngeren Ausgaben des Harvard Business Review (2014) braucht die Mehrheit von Firmenchefs Unterstützung in der Transformation ihrer Unternehmen in eine wissensbasierte Organisation. Denn Innovationskraft durch interkulturellen Wissensaustausch wird in der globalen und sich weiter digitalisierenden Wirtschaft immer relevanter. Die Motivation für internationale Kooperationen und damit verbundenen interkulturellen Wissensaustausch kann unterschiedlich gelagert sein. Zwei Trends werden in diesem Buch zur Grundlage genommen:
Fachkräftemangel
Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ist der wachsende Fachkräftemangel Anlass für Unternehmen, Fachkräfte und deren Wissen weiterhin vermehrt aus anderen Kulturkreisen zu rekrutieren, Geflüchtete aus außereuropäischen Ländern eingeschlossen.
Geschäftserweiterungen
Unter der weiterhin gängigen Prämisse, dass Wachstum endlos sein soll, ergibt sich eine hohe Motivation für Geschäftserweiterungen in internationalen Märkten, das heißt, in andere Gesellschaften mit vielfältigen kulturellen Eigenschaften, Verhaltensweisen und unterschiedlichen Vorlieben für Kommunikationsformen einzudringen. Diese Erschließung neuer Märkte vollzieht sich häufig durch Mergers (Firmenzusammenschlüsse) oder Akquisitionen (Firmenübernahmen). Bei stabilem konjunkturellem Wachstum eines Marktes in einem bestimmten Industriebereich ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass der Appetit auf Investitionen in ausländischen Märkten anhält.
Damit werden Kooperationen mit Menschen aus kulturell gemischten Teams immer häufiger. Ob dies durch Rekrutierung von Fachkräften bei organischem Wachstum geschieht oder durch Mergers oder Akquisitionen – es kann bei beiden Szenarien mit erhöhter Komplexität in der Integration vielschichtiger kultureller Unterschiede gerechnet werden. Denn die Frage, mit der sich deshalb dieses Buch beschäftigt, ist, wie Mitarbeitende unterschiedlicher Herkunft ihr Wissen austauschen. Dieser Frage liegt die Klärung zugrunde, ob Manager überhaupt Wissensaustauschprozesse führen können, und wenn ja, mit welchem Stil und welchen Mitteln sie zum Austausch des wertvollen Gutes motivieren können. Und wie führen Manager Innovationsprozesse an, wenn diese auch noch digital mit virtuell arbeitenden Teams optimal funktionieren sollen?
Verbunden mit dieser Fragestellung liegen diesem Buch zwei weitere Trends zugrunde:
Flexible Arbeitsorte
Globale Start-up-Unternehmen mit E-Business-Produkten oder -Dienstleistungen und „digital nomads“, also Menschen ohne festen Arbeitsort, die auf virtuelle Kommunikation angewiesen sind, nehmen zu. Konzerne und KMU passen sich dem Trend an, um auf dem Arbeitsmarkt attraktive Arbeitgeber zu sein, indem sie flexible Wochentage einführen, an denen Mitarbeitende außerhalb des stationären Arbeitsplatzes arbeiten. Hinzu kommt der steigende Trend von Wochenendarbeit; die Bereitschaft zur E-Mail-Kommunikation, inklusive des Austauschs von Information und Wissen außerhalb klassischer Arbeitszeiten, ist in der freien Wirtschaft bereits Norm.
Digitale Transformation
In Deutschland werden diverse Weiterbildungsmasterstudiengänge angeboten, die die digitalen Geschäfte und deren Management in den Mittelpunkt stellen. Damit reagieren vor allem die Fachhochschulen auf den dringenden Bedarf an Fach- und Führungskräften in der digitalen Wirtschaft. Alle Branchen sind davon betroffen, digitale Transformationen zu vollziehen. Studien von „Deloitte Digital“ und „Heads!“ liegt die These zugrunde, dass die erfolgreiche Umsetzung der digitalen Transformation maßgeblich über das Überleben von Unternehmen entscheiden wird. Diese Transformation erfordert, so mag vermutet werden, eine „Digital Leadership“, das heißt eine Führungsform, die verstärkt virtuelle Teams oder auch Projektgruppen aufbaut. Fraglich ist, ob es überhaupt möglich ist, Mitarbeitende digital zu führen. Wenn dem so wäre, würden doch Roboter oder andere Kreaturen mit künstlicher Intelligenz Menschen führen können. In diesem Buch gehen wir davon aus, dass Menschen von Menschen geführt werden und die Nuancen der Führungs- und Kommunikationsstile sogar entscheidend für die Innovationskraft dieser heterogenen Teams oder Gruppen sind. Ähnlich argumentiert Liebermeister (2017) in ihrem Buch „Digital ist egal“.
In den vier kurz skizzierten parallelen Entwicklungen liegen zwei miteinander verwobene Hauptaspekte, die den Wissensaustausch in der Zukunft überhaupt ermöglichen werden:
Die Kooperation innerhalb virtueller Teams und deren Führung sowie die Kooperation innerhalb heterogener Teams und die interkulturelle Führung.
Neue Strategien für Wissensaustausch erforderlich
Alle vier Entwicklungen erfordern Strategien, wie Wissensaustausch auf semivirtueller (also zum Teil virtueller) oder virtueller Ebene in interkulturellen Teams und Arbeitsgruppen stattfinden kann, davon ausgehend, dass Innovation und kontinuierliche Prozessverbesserungen als wettbewerbsfördernde Faktoren unternehmensweit als Ziele erkannt werden.
Grundsätzlich sind semivirtuelle und virtuelle Gruppen mit einem Dilemma konfrontiert: Analog zu Erkenntnissen aus der Arbeits- und Sozialpsychologie haben sie das Bedürfnis der informellen Direktkontaktkommunikation, können es jedoch nur eingeschränkt für Wissensaustausch und Wissensintegration als Gesamtgruppe befriedigen.
Kulturell bedingte Aspekte kommen hinzu: Die Wahrscheinlichkeit für interkulturell bedingte Missverständnisse steigt bei virtueller Kommunikation, es besteht also antizipierender Handlungsbedarf.
Die in diesem Buch dargestellten Handlungsorientierungen beruhen auf den Erkenntnissen einer wissenschaftlichen Arbeit der Verfasserin und sind empirisch mehrfach belegt. (Voigt 2017)
Was dieses Buch leistet
Auf Basis der dargelegten aktuellen Forschungsergebnisse zu Wissensaustauschprozessen werden Strategiemöglichkeiten und Ansätze für optimierten Wissensaustausch in heterogenen virtuell kooperierenden Arbeitsgruppen oder Teams vorgeschlagen. Sie beruhen auf jüngsten Erkenntnissen aus der Führungsforschung, dem Wissensmanagement und aus der Organisationpsychologie sowie aus der Tätigkeit der Autorin als Dozentin für internationales Management und Executive Coach in Unternehmen. Im Grundansatz geht es stringent um zwischenmenschliche Verhaltensweisen und die mentale persönliche Bereitschaft, Wissen miteinander auszutauschen. Dabei werden die Rahmenbedingungen, wie Organisationsstruktur und Unternehmenskultur, aus psychologischer und soziologischer Perspektive in den Fokus genommen. Grundtenor dieses Buches ist die Darstellung der möglichen Einstellung von Menschen in wissensbasierten Unternehmen und die Frage, wie sie motiviert werden, Wissen auszutauschen und an der Innovationskraft ihrer Organisation mitzuarbeiten. Auf die Ausführung technischer Rahmenbedingungen wird verzichtet, da Tools letztendlich nicht von alleine Wissen austauschen – aber die Menschen dahinter.
Es geht um eine handlungsorientierte Darstellung für die Unternehmenspraxis, die ad hoc umsetzbar ist. Das Buch kann als Weiterführung von einschlägigen Büchern über Wissens- und Innovationsmanagement (wie Probst 2010 oder Hauschildt 2016) verstanden werden, mit der aktuellen Ergänzung durch den interkulturellen Faktor und das Thema der digitalen Führung. Das Buch ist auch eine Weiterführung bisheriger Werke mit interkulturellem Fokus auf Führung, Management und Kommunikation (wie Voigt 2009), denn die neuen Aspekte der netzwerkorientierten Organisationsstruktur und einer ausgeprägten Unternehmenskultur haben einen zusätzlichen zentralen Stellenwert für eine innovative Wissensgenerierung oder Wissensvertiefung in virtuellen, semivirtuellen und lokalen Teams mit integrierter interkultureller Kooperation. Zur Veranschaulichung, welche Innovationsstrategien bei welchem Unternehmenstypus greifen, werden konkrete Fallbeispiele von sehr unterschiedlich organisierten Unternehmen und deren verantwortlichen Geschäftsführern, Projekt- und Kommunikationsverantwortlichen dargestellt.
Wer dieses Buch liest
Wahrscheinlich sind Sie, liebe Leserin oder lieber Leser, in der Personalentwicklung, im Diversity Management, in der Geschäftsführung eines Unternehmens, als Ausbilder oder Ausbilderin von Fachkräften, Kommunikationsexperten, Wissensmanagern tätig; oder Sie sind einfach Führungsperson und Experte und jemand, der das eine oder das andere werden will und sich mit interkultureller Teamentwicklung, Führung und Wissenskommunikationsprozessen beschäftigen und dabei den Trends nicht nacheilen,...