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E-Book

Auf ins fette, pralle Leben

12 Experimente, wie man sich das Leben leichter machen kann

AutorIna Rudolph
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783641136925
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
In einem Selbstversuch begab sich Ina Rudolph für ein Jahr auf die Suche nach dem schönen und entspannten Leben. Ihr Ziel war es, herauszufinden, wie sie wirklich leben möchte. Jeweils einen Monat testete sie daher eine Idee, die dabei helfen soll, das Leben einfacher zu machen: Tu immer nur eine Sache auf einmal, sorge dich nicht um Dinge, die ziemlich wahrscheinlich nie eintreffen, lebe ganz im gegenwärtigen Moment.

In 12 lebendig erzählten Geschichten berichtet sie davon, wie es ihr bei dieser Reise in die Welt der eigenen Gewohnheiten erging. Ihre Erkenntnisse inspirieren dazu, das eigene Leben zu hinterfragen und zu überprüfen, was man selbst gerne ändern würde. So entsteht ein Bild davon, wie man wirklich leben will.

Ina Rudolph wurde an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« Berlin in der darstellenden Kunst ausgebildet. Sie arbeitete viele Jahre für Fernsehen und Kino und hat an Drehbüchern und Theaterstücken mitgeschrieben. Im Frühjahr 2008 erschien als erste Veröffentlichung der Erzählband »Sommerkuss« mit sieben Erzählungen. Seit 2001 ist sie als Trainerin für »The Work« von Byron Katie tätig und hält dazu Vorträge, schreibt Bücher, gibt Seminare und bietet Einzelberatungen an. Ina Rudolph lebt in Berlin.

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Leseprobe

Gelebte Umkehrungen – Gewohnheiten durchbrechen

Vorgestern fuhren meine Tochter und ich auf Fahrrädern zum Tempelhofer Feld. Ein stillgelegter Flughafen, jetzt Naherholungsgebiet für alle Berliner. Manchmal fahre ich dort auch ohne meine Tochter hin und drehe meine Runden. Ich will mal richtig in die Pedale treten, außer Puste und ins Schwitzen kommen. Normalerweise fahre ich durchs Tor, ein Stück geradeaus und biege dann nach rechts ab auf die ehemalige Startbahn. Vorgestern jedoch sagte meine Tochter zu mir, als wir das Tor passierten: »Mama, können wir mal andersrum fahren?«

Ich stockte, spürte einen Widerstand. Mein schöner Automatismus. Meine geliebte Rechtsrum-Strecke.

»Ach bitte!«

Ich atmete einmal aus, um zu fragen, was sie denn da wolle, warum das jetzt so wichtig sei – und spürte, so würde ich ins Diskutieren geraten. Ich murmelte irgendetwas vor mich hin, sah ihren fragenden Blick und sagte dann seufzend: »Okay.«

Wir fuhren also das gewohnte Stückchen geradeaus und bogen dann links ab. Mein Gefühl schrie: »He, was machst du? Das ist linksrum. Links! Das geht gar nicht!«

Mein Verstand erwiderte: »Stell dich nicht so an. Du wirst ja wohl noch ein klein wenig flexibel sein können. Es ist immer noch das Tempelhofer Feld. Nur andersrum.«

Wir fuhren ein paar Meter, und ich war mir nicht sicher: War das mein Tempelhofer Feld? Es sah alles so anders aus. War ich hier wirklich schon gewesen? Bäume links, Rasen rechts, der Asphalt, die Schilder mit den Rollwegweisern – es musste das ehemalige Flughafengelände sein. Mein Verstand wusste: Hier bin ich schon gewesen. Und doch konnte ich mich an nichts erinnern. An fast nichts. Es war alles neu. Frisch. Ungewohnt. Als wir die Runde fast rum waren, legten wir uns und unsere Fahrräder ins Gras. Mal schien die Sonne, und mal schoben sich Wolken vor. Ich schielte zu meiner Tochter hinüber.

»Komisch, darauf wäre ich nie gekommen, mal andersrum zu fahren …«

»Jo«, sagte sie, »dafür hast du ja mich.«

Ich nahm ihre Hand, die Sonne schien, und plötzlich fiel es mir ein: Sie hatte eine Umkehrung vorgeschlagen, ein Gegenteil von dem, wie wir es sonst immer machen, eine Gewohnheitsänderung. Ich setzte mich auf.

»Sag mal, hat dir das Spaß gemacht?«

»Klar«, sagte sie, »mal was anderes.«

»Und hast du Lust, noch mehr davon aufzustöbern? An welcher Stelle würdest du denn gern mal was anders machen? Wo könnte ein bisschen frischer Wind rein?«

»Mein Zimmer«, fiel ihr als Erstes ein. »Und essen können wir auch mal woanders. Nicht immer am Küchentisch.«

»Gut«, sagte ich und hatte das Gefühl, ein Abenteuer beginnt. »Wollen wir mal einen Monat lang schauen, wo wir Gewohnheiten haben, die uns langweilen oder die unnütz sind, und es einfach mal anders machen?«

»Juchhu!«, rief sie und sprang auf. »Ich fahre mit deinem Fahrrad nach Hause und du mit meinem!« Sie griff nach ihren Sachen, zerrte mein Fahrrad in den Stand und warf die Sachen in mein Körbchen. Ich schraubte mich hoch und war nicht begeistert. Gedanken, das könnte gefährlich sein und wie das denn aussieht, ließen in mir keine Freude aufkommen. Sie sah mein Gesicht und radelte los, bevor ich Nein sagen konnte.

»Aber erst mal nur bis zum Tor«, rief ich hinterher und stieg auf ihr Rad. Mit gebeugtem Rücken und Knien bis zu den Ohren fuhr ich hinterher. Das war wackelig, das war schräg, das war unsicher. Nach ein paar Metern war es auch lustig. Wie meine Tochter vor mir fuhr, im Stehen, sah nicht wackelig aus. Um sie musste ich mir keine Sorgen machen. Leute kamen vorbei, erfassten den Zusammenhang und grinsten. Da war es gleich noch amüsanter.

Abendbrot gab es unter dem Tisch. Ein Picknick. Raten Sie mal, wessen Vorschlag das war! Meine einzige Bedingung für alle Gewohnheitsdurchbrechungsvorschläge war: Es musste praktisch sein. Wenn Dinge zu umständlich werden, bin ich nicht dabei.

Wir legten unsere gute Picknickdecke unter den Tisch, ich machte ein Tablett mit Lebensmitteln voll, warf das Toastbrot auf die Decke, und auch die Person, deren Idee es gewesen war, fasste mit an. Im Sitzen passte ich gerade so unter den Tisch, wir schmierten uns Brote und kamen uns vor wie im Zelt. Alles roch ein bisschen anders, schmeckte nicht ganz genauso wie sonst, sah improvisierter aus, und auch die Akustik war nicht die gleiche wie über dem Tisch. Doch, das war ein bisschen wie Urlaub.

Am nächsten Tag stehe ich vor meinem CD-Regal. Ich habe mich für mein kleines Sportprogramm umgezogen, das aus Yoga, Rückenkräftigung und Dehnübungen besteht. Dafür lege ich mir immer eine Musik auf. Heute nun stehe ich hier, und mir fällt nichts mehr ein. Ich kenne alles schon. Mein Gedanke ist: »Ich hab keine Musik.«

Sofort spüre ich eine Schwere. Undeutlich glaube ich, ich müsste mir mal was Neues besorgen, weiß aber gerade nicht, wie. Lust, mich durch alle CD-Ankündigungen bei iTunes zu wühlen, verspüre ich auch nicht. Hm. Was nun? Ich möchte mit meinem Sport beginnen. Ich sehe auf mein CD-Regal. 300 CDs. Mindestens. »Ich hab keine Musik.« Ist das wahr? Ich muss lachen. Kann man so nicht sagen.

Ich erinnere mich daran, dass ich einen Monat lang Gewohnheiten durchbrechen wollte. Wie ist meine Gewohnheit bis jetzt gewesen? Bis heute habe ich immer sorgfältig und nach Gefühl ausgesucht, welche Musik ich zu meinem Sport auflege. Was wäre ein Gegenteil?

Jemand anders könnte die CD auswählen, die ich jetzt hören werde. Das wäre einfach. Keine Wahl – keine Qual. Ich schaue mich um. Niemand da, der diese Aufgabe übernehmen könnte. Ha! Ich hab’s! Ich schließe die Augen, taste mich mit den Fingern bis zu den kantigen Hüllen vor und fahre darüber. Sie wackeln in ihren Fächern, während ich sie berühre. Meine Hand fährt die Reihen hoch und bleibt an einer Stelle stehen. Ich nehme die CD aus dem Regal und bin gespannt. Oh! Tom Waits. Hab ich ewig nicht gehört. Diese CD lege ich ein, keine Widerrede! Und beginne mit meinem Sport. Tom pfeift sich eins, und in mir werden Erinnerungen lebendig. An die Zeit, als diese CD rauf- und runterlief. Meine erste Wohnung im Prenzlauer Berg, die ich selbst ausgebaut habe. Ich, auf Knien in der Küche, schmeiße den Zement in die aufgestemmten Fugen für die Elektrik. Ich, im Bad, beim Verfugen der Kacheln. Ich, im Wohnzimmer, das gleichzeitig Schlafzimmer war, als ich um 23 Uhr noch ein Regal aufbaute, der Tom sich eins pfiff und der Nachbar wutschnaubend an meiner Tür klingelte. Wie schön, dass ich diese Musik mal wieder höre.

Hätte ich niemals ausgesucht. Die Musik nicht bewusst zu wählen könnte nicht nur eine Gewohnheitsdurchbrechung sein, sondern tatsächlich eine Gewohnheitsänderung werden. Mein Regal reicht ja für circa ein Jahr. Keine Wahl – keine Qual.

Am Wochenende veranstalte ich ein Seminar in Berlin. In diesem Einsteigerseminar für Leute, die lernen möchten, wie sie The Work anwenden können, ist alles voller Gewohnheiten, die mir lieb geworden sind. Sie sind praktisch, funktionieren, und ich muss die Abläufe nicht immer wieder neu erfinden. Ich bin neugierig. Wird sich eine Gewohnheit zeigen, die ich gern mal durchbrechen würde? Ich muss ja nicht um jeden Preis etwas ändern. Nur wenn’s Spaß macht oder wie etwas Nützliches aussieht.

Am Freitagabend halte ich immer einen Vortrag. Ich erzähle über die Macht der Gedanken, zeige den Teilnehmern die Technik, und wir gehen alle einmal gemeinsam durch den Prozess. Das ist immer schön. Ich komme im Seminarhaus an, und eine ungewohnte Ruhe empfängt mich. Normalerweise steppt dort der Bär, verschiedene Gruppen arbeiten in den unterschiedlichen Räumen, und es ist ein Kommen und Gehen. Heute nicht. Leise klingelt das Windspiel im Zug des geöffneten Fensters. Ich lege ab und gehe den Flur entlang ins Büro, in dem die Leiterin des Seminarzentrums sitzen müsste. Da sitzt sie auch. Wir begrüßen uns.

»Nix los heute, ne?«

»Nö, nix los. Außer, wenn gleich dein Vortrag beginnt …«

Wir grinsen. Dann bietet sie mir den größten Raum an, den das Seminarzentrum hat. »Ist ja heute sowieso frei.«

Ich kucke erstaunt. Woher weiß sie, dass ich gerade nach Gelegenheiten suche, Dinge anders zu machen? Ich hab sonst immer den zweitgrößten Raum. Der hat Teppichboden, ist gemütlich, und auch wenn viele Leute drin sind, ist er noch groß. Ich kucke wohl immer noch erstaunt.

»Na«, sagt sie, »nur wenn du willst. Überleg’s dir.«

Ich überlege tatsächlich. In dem Raum, in dem ich immer bin, kenne ich mich aus, da bin ich zu Hause. Im nächsten Jahr will ich aber sowieso in den großen Raum umziehen … Also? Heute mal vorfühlen? Ich stelle mich zwei Minuten hinein in den großen Raum, er hat Dielen, ist heller, und der Blick geht weit über die Dächer. Na klar, heute mal vorfühlen.

In der Pause vom Vortrag verabschiedet sich die Leiterin des Seminarzentrums von mir. Ihr Blick fragt, wie es denn so ist im neuen Raum. Ich frage zurück, ob ich ihn für das ganze Wochenende ausprobieren darf. Ich darf.

Am nächsten Morgen beginnt das Seminar um zehn. Ich bin gegen neun da, koche Tee, breite meine Arbeitsmaterialien aus und schaue auf meine Notizen.

Ich habe einen Plan, wie das Seminar beginnt. Bevor wir anfangen zu arbeiten, erzähle ich, wie ich zur Work kam und wie The Work funktioniert. Als ich mir heute die wichtigsten Eckpunkte ins Gedächtnis rufen will, fällt mir auf, dass ich dabei bin, es so...

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