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E-Book

Interaktionsbezogene Fallarbeit

Ein praxisorientiertes Handbuch

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl172 Seiten
ISBN9783170320550
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Die Methode der Interaktionsbezogenen Fallarbeit (IFA) stärkt die Kompetenz praktisch tätiger Therapeuten und ermöglicht es ihnen, sich in kollegialen Gruppen der eigenen Handlungsmuster im spezifischen Wechselspiel mit Patienten bewusst zu werden. In der verhaltenstherapeutischen Weiterbildung für psychotherapeutisch arbeitende Ärzte entwickelt, ist die IFA aber auch für andere Berufsgruppen und Anforderungsfelder einsetzbar. In diesem Manual für den therapeutischen Alltag beschreiben die Autoren die IFA ausführlich und bringen dabei ihre langjährigen Erfahrungen mit ein. Sie stellen die Strukturelemente der Methode detailliert vor und gehen auch auf den geschichtlichen Hintergrund ein. Anhand eines zentralen Fallbeispiels zeigen sie, wie ein typischer IFA-Prozess ablaufen kann, und entwickeln daraus eine praxisnahe Anleitung für Therapeuten.

Mechthild Kerkloh, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, seit 2001 niedergelassene Verhaltenstherapeutin in eigener Praxis in Berlin, DBT-Therapeutin, EMDR-Therapeutin, Supervisorin, Dozentin am IVT, seit 2008 zertifizierte IFA-Leiterin, seit 2013 Vorsitzende der IFA-Gesellschaft im Verband für integrative Verhaltenstherapie (VIVT). Unterstützt wird die Herausgeberin durch folgende Autoren: Johannes Grünbaum, Holger Feiß, Christin Eichner, Jens Nieswandt (alle Mitglieder der IFA-Gesellschaft als Arbeitsgruppe des Verbandes für Integrative Verhaltenstherapie), Dr. med. Christian Ehrig (Vorsitzender der Deutschen Ärztlichen Gesellschaft für Verhaltenstherapie) und Alexandra Heinke. Mit Beiträgen von: Christian Ehrig, Christin Eichner, Holger Feiß, Johannes Grünbaum, Alexandra Heinke, Mechthild Kerkloh, Jens Nieswandt und Althausen Friedrich.

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Leseprobe

1          Typisches Beispiel einer IFA-Gruppe


Mechthild Kerkloh


In diesem Kapitel möchten wir Ihnen ein typisches Beispiel einer IFA-Gruppe vorstellen, damit Sie einen Eindruck bekommen, was in einer IFA-Runde passiert. In Kapitel 4 werden die einzelnen Schritte differenzierter erläutert. Das Beispiel ist fiktiv, enthält aber alle wesentlichen Schritte und häufigen Reaktionen der einzelnen Protagonisten.

Das Beispiel findet in folgendem Setting statt: Die IFA-Gruppe besteht seit zwei Jahren und trifft sich monatlich, dadurch ist bereits eine vertrauensvolle und offene Atmosphäre entstanden. Sie setzt sich zusammen aus Psychotherapeuten und Ärzten. Die Teilnehmer duzen sich untereinander. Von zehn Teilnehmern sind sieben anwesend: Anna, Brit, Clara, Dirk, Eva, Fina und Günter.

1.1       Schritt 1: Einstimmung und Rückmeldung zur vergangenen IFA


Nachdem alle Teilnehmer angekommen sind, eröffnet die Leiterin die Sitzung der IFA-Gruppe. Anschließend bittet sie die Fallvorstellerin der letzten IFA-Runde um eine kurze Rückmeldung, wie es ihr mit der vorgestellten Patientin ergangen ist.

Anna:

»Für die, die nicht da waren: Ich hatte von einer Patientin berichtet, die ich als sehr farblos und kaum greifbar erlebt habe, was bei mir in den Therapiestunden immer zu kaum unterdrückbarer Müdigkeit geführt hatte. Die Gruppe hat im Rollenspiel einen Paravent zwischen mich und die Patientin gestellt, was meinem Empfinden ihr gegenüber sehr entsprach: Sie nicht sehen zu können und wie mit einer Wand sprechen zu müssen. Sehr geholfen hat mir, dass ich durch euer Spiel einerseits die Angst der Patientin vor Kontakt und Sichtbarwerden erleben konnte, andererseits ihr Bemühen um Kontakt, immerhin kommt sie sehr zuverlässig und ist wirklich motiviert. In den nächsten Stunden war ich dann viel wachsamer auch für ganz zarte Kontaktangebote ihrerseits und konnte meinerseits viel vorsichtiger darauf reagieren. Dadurch bekommt sie langsam für mich mehr Kontur und Farbe und ich bin nicht mehr so müde und erschöpft nach den Stunden. Euch noch mal vielen Dank für die hilfreiche Arbeit.«

1.2       Schritt 2: Eröffnungsrunde


Nach dieser Rückmeldung bittet die Leiterin jeden, kurz in sich zu gehen und sich auf die eigenen Patienten zu konzentrieren.

Leiterin:

»Schließen Sie bitte für einen Moment die Augen und richten Sie die Aufmerksamkeit auf ihre Arbeit. Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn? Ist da z. B. ein Patient, der Sie besonders beschäftigt und bei dem Sie Irritation oder ein diffuses Gefühl von Ärger, Angst, Trauer, Unsicherheit oder Hilflosigkeit spüren? Oder bemerken Sie, dass Sie sich bei einem Patienten anders verhalten als üblich, z. B. die Stunden überziehen, häufiger auf die Uhr schauen oder sogar erleichtert sind, wenn eine Absage auf Ihrem Band ist. Vielleicht gibt es auch eine Konfliktsituation bei der Arbeit, z. B. im Team, die Sie belastet? Dann vergegenwärtigen Sie sich diesen Patienten oder diese Situation und schauen, ob Sie das heute vorstellen möchten.«

1.3       Schritt 3: Kurzvorstellung potenzieller Fälle


Nach einer Pause, nach der die Leiterin den Eindruck gewonnen hat, dass die meisten einen Entschluss gefasst haben:

Leiterin:

»Wer hat denn heute etwas mitgebracht?«

Anna:

»Ich habe diesmal nichts, ich war ja auch das letzte Mal dran.«

Clara:

»Bei mir ist in der Probatorik ein Patient aufgetaucht, bei dem ich diagnostisch nicht auseinanderhalten kann, ob er paranoide Ideen hat oder tatsächlich überwacht wird. Er ist in der linksautonomen Szene aktiv, so dass es sogar nicht unwahrscheinlich wäre, andererseits hat er mir eine akribische Beweisliste vorgelegt, was schon wieder ziemlich übertrieben wirkte. Mich hat es irritiert. Das würde ich gerne anschauen.«

Dirk:

»Ich habe eine Patientin mit einer histrionischen Störung. Sie hatte in der letzten Woche Geburtstag und saß allen Ernstes die Stunde darauf bei mir und weinte, weil sie von ihrem Mann nicht die 400-€-Schuhe bekommen hatte, die sie sich so sehr gewünscht hatte. Nach meinem Dafürhalten hatte sich der Mann große Mühe gegeben, ihr die Wünsche zu erfüllen, die sie in den letzten Monaten geäußert hatte. Ich kam in einen großen Loyalitätskonflikt, weil ich meine Patientin so dreist und undankbar fand, obwohl ich ja auch ihre Problematik kenne und weiß, was in solchen Situationen bei ihr passiert und wie schlimm sie sich dann fühlt. Auch wenn ich in der Situation erstmal ganz okay reagiert habe, hat mich das noch länger beschäftigt. Ich spüre so etwas wie ein inneres Schnauben über so viel Dreistigkeit und Anmaßung auf Seiten der Patientin, dass ich es kaum fassen kann!«

Eva:

»Bei mir laufen gerade alle Therapien gut.«

Fina:

»Mich beschäftigt seit längerem ein älterer Patient, der oft sehr polterig sein kann. Wenn der schon zur Tür hineinkommt, habe ich ein mulmiges Gefühl, ich werde dann immer unsicherer und fühle mich unwohl. Wenn er dann noch eine abwertende Bemerkung z. B. über meine Arbeit macht, ist es ganz vorbei. Ich lasse ihn dann zu viel reden und fühle mich klein, unfähig und schlecht. Nach der Stunde ärgere ich mich sehr über mich, nicht souverän auf ihn reagiert zu haben, und insgeheim hoffe ich manchmal, dass er die Therapie abbricht.«

Leiterin:

»Wer hat denn noch etwas? Wie ist es mit Ihnen, Brit?«

Brit:

»Gestern habe ich von einer Patientin geträumt, das hat mich irritiert. Ich erlebe sie als sehr bedürftig und anhänglich und in meinem Traum war sie ständig an Orten, an denen ich auch war – im Park, bei einer Ausstellung, im Fitnessstudio. Ich habe immer versucht, sie zu ignorieren, fühlte mich aber zunehmend verfolgt. Ich hatte sie wirklich zwei Tage vorher zufällig im Kaufhaus getroffen, was auch okay war, ich habe sie kurz begrüßt und bin gegangen, aber scheinbar hat das doch noch nachgewirkt.«

Günter:

»Mir geht ein Konflikt mit einem Pfleger durch den Kopf. Der verhält sich mir gegenüber immer wieder stark konkurrierend, aber nicht offen, sondern hinter meinem Rücken. Dann erfahre ich z. B. von Patienten, dass er meine Medikation falsch fand und mit ihnen diskutiert hat. Die Patienten sind dann verständlicherweise sehr verunsichert. Ich habe ihn schon zweimal in einem persönlichen Gespräch damit konfrontiert, aber da leugnet er und spielt den Unschuldigen. Ich könnte dann vor Ärger platzen, was ich nicht mache, die Blöße würde ich mir nicht geben, aber im Nachhinein verunsichert es mich und ich beginne, an mir zu zweifeln.«

1.4       Schritt 4: Auswahlrunde


Nach der Vorstellung der potenziellen Fälle bittet die Leiterin die Teilnehmer, sich für einen Fall zu entscheiden.

Leiterin:

»Da haben wir ja heute fünf schöne potenzielle IFA-Fälle. Da wir nur für einen Zeit haben, lassen Sie uns jetzt abstimmen, welchen Fall Sie heute bearbeiten möchten? Ich fasse noch einmal kurz zusammen, was eingebracht wurde: Clara ist unsicher, ob ihr Patient paranoide Gedanken hat oder wirklich abgehört wird; Dirk spürt ein ›inneres Schnauben‹ über die Maßlosigkeit einer Patientin, die verzweifelt reagiert hat, weil sie zum Geburtstag die gewünschten 400-€-Schuhe nicht bekommen hat; Fina fühlt sich – wie hat sie gesagt – ›klein, unfähig und schlecht‹, wenn ihr Patient abwertende Bemerkungen über sie macht und sie ärgert sich nach der Stunde über ihre Reaktion; Brit sah sich im Traum von einer Patientin verfolgt, die real sehr bedürftig und anhänglich ist, und Günter ist verärgert und verunsichert aufgrund eines Pflegers, der vermutlich hinter seinem Rücken die Anordnungen von Günter bei den Patienten schlechtredet. Welcher der möglichen Fälle spricht Sie am meisten an, bei wem sehen...

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