Einleitung
Heute schon gejammert?
Ein schönes Restaurant, ein leckeres Essen, ein gutes Glas Wein – das Leben der meisten Menschen in unseren Breitengraden ist ziemlich perfekt, und es gibt wenig bis nichts zu jammern. Doch das gilt höchstens, wenn Sie als zufriedener Mensch ganz allein zu Hause speisen. Im Restaurant Ihrer Wahl wird es bereits schwierig, die Mahlzeit zu genießen, ohne durch Gejammer beeinträchtigt zu werden: Am Nachbartisch rechts reklamiert eine Dame den Garzustand des Entrecôtes, und von links tönt ein Herr in Nadelstreifen: »Dieser Rotwein ist garantiert zwei Grad Celsius zu warm!« Lauscht man achtsam den Gesprächen der anderen Gäste, so gibt es offenbar jede Menge Gründe zum Lamentieren: Die Politiker und Vorstände sind sowieso alle unfähig, der Wirtschaft geht es auch nicht gut, früher war sogar die Zukunft besser und und und ... Jammern und Klagen ist der Soundtrack unserer heutigen Gesellschaft.
Früher galt die Regel der höflichen Zurückhaltung: »Leide gefälligst, ohne zu klagen.« Aber das ist leider vorbei. Heute heißt die Devise: Jammere laut und penetrant, und dir wird geholfen. Es wird sich schon jemand finden, der den Rotwein unter Entschuldigungen in einen Eiskühler stellt oder das edle Stück Fleisch zurück in die Küche trägt. Schließlich ist der Kunde König – auch wenn er nur ein Jammerkönig ist.
Ich war ein fröhliches und unternehmenslustiges Kind – das ist Schicksal, ich habe es mir nicht ausgesucht. Meine Jugendzeit war geprägt von Spiel und Sport, das Erwachsenwerden von Militärdienst, Partys und Studium, das Erwachsensein von Medienkarriere, eigener Familie und Selbstständigkeit. Es gab wenig Zeit und Grund zu jammern. Und bei den meisten meiner jammernden Mitmenschen sieht es ähnlich aus: Obwohl sie keinen Grund dazu haben, jammern sie dennoch – und machen damit sich und ihre Mitmenschen unglücklich und unzufrieden.
Dabei gibt es einfache Rezepte gegen das Jammern. Es ist wie beim Kochen: Erst mal die Zutaten studieren und dann die Anleitungen befolgen. Die ersten Erfolgserlebnisse machen Lust auf mehr, und plötzlich realisiert man den persönlichen Nutzen: Man erleidet die Welt und das Leben nicht mehr, sondern gestaltet sie aktiv mit – vom Opfer der Umstände zum handelnden Subjekt. Das Umfeld nimmt einen anders wahr und reagiert mit Zuneigung und Respekt.
Wurzelbehandlung
Gerade im deutschsprachigen Raum wird auffällig viel gejammert. Im englischen Sprachraum beispielsweise ist die Frage »How are you?« keine Einladung zum Jammern und Klagen. Die erwartete Antwort lautet: »Fine, thanks!« – und zwar ganz egal, wie es einem tatsächlich geht. Im deutschsprachigen Raum hingegen wird die Frage »Wie geht es Dir?« gern als Startschuss für allerlei Jammerei genutzt und mit Klagefloskeln beantwortet, die die Schwere des Daseins verdeutlichen. Die Antwortmöglichkeiten sind regional unterschiedlich:
»Geht scho’!«, sagt der Österreicher.
»Es muess…«, klagt der Schweizer.
»Passt scho’!«, ist typisch bayrisch.
Und das höchste der hochdeutschen Gefühle lautet: »Ich kann nicht klagen!«
Mal ehrlich: Wie oft haben Sie schon geantwortet: »Mir geht es wirklich gut«? Und wenn Sie das gesagt haben, wird man Ihnen das wahrscheinlich nicht geglaubt haben, wäre zumindest irritiert und würde denken: »Das kann doch gar nicht sein.«
Auch finden sich in kaum einer anderen Sprache so viele Jammer-Synonyme wie im Deutschen. Kleine Auswahl gefällig? Klagen, nörgeln, motzen, zetern, lamentieren, maulen, beklagen, meckern, knautschen, mosern, nölen, murren, wehklagen … »Jammern« ist also tatsächlich eine ur-deutsche Wortschöpfung – Mittelhochdeutsch jāmer; lautmalerisch: Wiedergabe eines Klagelauts. Diese Begriffserläuterung legt die Vermutung nah, dass das Jammern nicht echt ist. Es ist mehr eine Wiedergabe, also eine Imitation, denn ein Ausdruck echter Not. Doch gehört eben dieses Jammern im deutschen Sprachraum mittlerweile zur Kultur. Interessanterweise bedeutet »Kultur« laut Brockhaus jedoch nicht nur »Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen«, sondern auch »Zucht von Bakterien«. Hatten Sie persönlich schon mit diesem Bakterium Kontakt? Und machen Sie die ewigen Jammerer nicht auch manchmal krank?
In der zuständigen Wissenschaft, der Psychologie, hat man sich bislang wenig mit dem Jammer-Phänomen beschäftigt. Vielleicht rührt es daher, dass Psychologen vom Jammern leben. Warum sollte man etwas hinterfragen, das langfristig das Auskommen sichert? Selbst im Wortschatz Sigmund Freuds kam das Jammern nicht vor. Dabei ist es keineswegs ein neues Phänomen – doch anscheinend hat im Laufe der Jahrhunderte eine Bedeutungsverschiebung stattgefunden. Zwar ist bereits in der Bibel von den sogenannten Klageweibern die Rede, allerdings handelt es sich hierbei um Frauen, die an den Gräbern von Verstorbenen ganz professionell das Wehklagen übernehmen. Und auch viele ältere Wörterbücher und Enzyklopädien beschreiben unter dem Stichwort »Jammern« eine religiöse Totenklage.
Könnte es sein, dass es das Jammern im gegenwärtigen Sinn, also das rituallose, modische und destruktive Herumjammern, vor dem Beginn des Siegeszugs der Psychoanalyse und der Psychologie im frühen 20. Jahrhundert gar nicht gab? Die bahnbrechende »Erfindung« Freuds war es ja, dass er seine Patienten dazu ermunterte, über ihr Befinden zu reden und die banalsten Regungen und Störungen des Seelenlebens auszusprechen. Daraus entstand der Begriff »talking cure«: Körperliche und seelische Beschwerden können angeblich allein durchs »Drüber-Reden« nachlassen und bestenfalls verschwinden.
Verzagtheit und Weltüberdruss gab es schon immer, zweifellos, aber jahrhundertelang ertönten diese Klagen eher als rituelle Anrufung einer göttlichen Instanz. Erst seit der wissenschaftliche Glaube besagt, dass sich der Mensch durch bloßes Reden selbst kurieren kann, ist das Jammern als eine Art »Selbsttherapie« in der Welt.
Jammern beginnt im Kopf
Beim Jammern passiert Folgendes: Auf die Frage nach dem Befinden hin gleicht das Gehirn den aktuellen mit einem früheren Zustand ab und kommt zu einem negativen Differenz-Betrag. Die Kreuzschmerzen, der Streit mit der Partnerin, die neugebaute größere Garage des Nachbarn, das Gespräch mit dem Chef gerade eben, der neueste Lebensmittelskandal – wie kann es einem da denn überhaupt gut gehen?
Paul Watzlawick sagte: »Jeder konstruiert seine eigene Wirklichkeit.« Das bedeutet, Jammern ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Es ist der subjektive Ausdruck von Missfallen, der mit keinem anderen Menschen geteilt werden muss. Was dem einen missfällt, kann dem anderen gefallen. Es ist nur eine Frage des Kontextes, der Perspektive oder der Haltung. So wie in Aesops Fabel von den Fröschen, die in einem tiefen Milchtopf landen. Der eine braucht seine Energie fürs Jammern und ertrinkt. Der andere strampelt so lange, bis aus der Milch Butter – und somit fester Boden – wird und rettet sich.
Deshalb versteht man oft auch nicht, warum jemand jammert, weil man es schlicht und einfach nicht nachvollziehen kann. Der Jammerer ist seinen Emotionen ausgeliefert und verliert folglich die gesunde Distanz zum Problem. Aber trotz der Subjektivität des Jammerns ist es ansteckend – und wo viele Jammerer einstimmen, entsteht Stillstand. Eine negative Einstellung macht sich breit und es gibt kein Vorankommen mehr. Chronische Jammerer wirken daher wie schwarze Löcher: Sie ziehen Energie an und vernichten sie.
Fast alle jammern fast überall: Am Arbeitsplatz, in der Beziehung, im Internet. Der Freund abends beim Bier, der seit Ewigkeiten von seiner unerträglichen Ehe erzählt. Der Camper auf dem Zeltplatz, weil ihm der zugeteilte Platz nicht gefällt. Der Taxifahrer, der jeden Stau, jede Baustelle mit einem schweren Seufzer kommentiert. Der Kartenspieler, weil die anderen schon wieder bessere Karten haben als er. Doch das allgemeine Jammern – und das ist das Problem – geht nicht mit einem Wunsch nach Veränderung einher. Zweifellos steht am Anfang jeder Frustration das Gefühl »Es muss anders werden!«, aber wenn man einmal in der Jammerfalle und der Gewohnheit des monotonen, dauerhaften Gejammers feststeckt, erweist sich das Jammern als Mantra der Passivität. Das wird immer dann erkennbar, wenn man einem Jammernden nach Wochen des Zuhörens und geduldigen Aufmunterns vorschlägt, sein Problem aktiv zu überwinden: »Ja, dann kündige doch endlich deine Stelle und lass dir das nicht mehr bieten!« – dieser Ratschlag würde nichts als Befremden auslösen. Denn wer jammert, signalisiert letztlich, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Und in einer kleinen Ecke des Gehirns ist jeder Jammerer sich sehr wohl darüber bewusst, dass er selbst schuld ist an seiner misslichen Lage – wegen seiner Passivität oder seiner Angst vor Veränderung.
Anpacken anstatt aussitzen
Der Fokus dieses Buchs liegt nicht auf dem Bewahren des bejammerten Status quo, sondern auf leicht verdaulichen Veränderungsmöglichkeiten und praktikablen Lösungen. Verabschieden Sie sich von der »Kultur« des Jammerns und von allgemeinen Ausreden für das Festhalten an einem von Ihnen ständig beklagten Zustand. Wählen Sie einen neuen Weg. In diesem Buch erfahren Sie tschakka-freie Möglichkeiten, wie Sie die Welt auf relativ einfache Art und Weise zu Ihren Gunsten verändern können. Wie Sie Stolpersteine verwenden, um solide Wege aus dem Jammertal zu bauen. Wie Sie ein statisches und jammerndes...