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E-Book

Jesus

AutorDavid Flusser
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644554016
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Jesus, ein Prophet oder ein Aufwiegler, der «Erlöser» oder nur ein anderer Religionsgründer? Wir kennen ihn nicht allein durch das Zeugnis der Evangelisten. Eine Fülle historischer Spuren verweist auf sein Leben und sein Wirken unter seinen Zeitgenossen. Aus diesen Quellen entwirft David Flusser das facettenreiche Bild eines außergewöhnlichen, seiner Sendung bewussten Menschen in einer an verhängnisvollen Ereignissen reichen Epoche des jüdischen Volkes. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

David Flusser, geboren am 15. September 1917 in Wien, studierte in Prag klassische Philologie und Germanistik. Im November 1939 gelang es ihm noch, nach Palästina zu emigrieren. Er studierte in Jerusalem klassische Philologie und jüdische Geschichte, war bis 1988 Professor an der Hebräischen Universität und lehrte jüdische Geistesgeschichte, Urchristentum und antike Religion. David Flusser forschte und lehrte auch nach seiner Emeritierung weiter. Er veröffentlichte zahlreiche Studien über Jesus, das Neue Testament und das Urchristentum, die Schriftrollen vom Toten Meer und über das antike Judentum. David Flusser starb am 15. September 2000, seinem 83. Geburtstag.

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Leseprobe

Die Herkunft


Jesus ist die übliche griechische Form des Namens Josua. Zur Zeit Jesu wurde der Name Jeschua ausgesprochen, und so heißt manchmal Jesus von Nazareth in der antiken jüdischen Literatur. Manchmal heißt er dort auch Jeschu. Das ist fast sicher die galiläische Aussprache des Namens. Durch seine besondere galiläische Aussprache verriet sich ja auch Petrus nach der Festnahme Jesu (Mt. 26,73). Der Name Jesu gehörte damals zu den üblichsten Namen der Juden. In den Schriften des antiken jüdischen Historikers Flavius Josephus werden zum Beispiel zwanzig Männer dieses Namens erwähnt. Der erste ist der biblische Josua, der Nachfolger des Moses, der das Heilige Land erobert hat. Die antiken Juden haben aus religiöser Scheu bestimmte wichtige biblische Namen gemieden, unter ihnen David und Salomo, Moses und Aaron. Vielleicht war damals der Name Jeschua-Jesus so verbreitet, weil man den Namen des Nachfolgers des Moses stellvertretend benutzt hat.

Auch der Vater Jesu und seine Brüder trugen sehr verbreitete Namen. Seine Brüder[1] hießen Jakobus, Jossi, Juda und Simon (Mk. 6,3); dies sind Namen des biblischen Erzvaters Jakob und drei seiner Söhne, und sie waren damals so häufig wie heute Hans und Fritz. Jossi ist eine Kurzform von Joseph – so hieß ja auch der Vater Jesu. Heute ist es bei den Juden kaum möglich, dass ein Kind nach seinem lebenden Vater benannt wird; dagegen war es in der Antike eine ziemlich verbreitete Sitte. Jesu Mutter hieß Maria; der Name entspricht dem hebräischen Mirjam. Auch das war damals ein häufiger Name. Obwohl uns aus der Antike nicht viele Frauennamen bekannt sind – wir wissen zum Beispiel, dass Jesus auch Schwestern hatte, doch ihre Namen sind nicht überliefert –, erwähnt Josephus acht Frauen, die Mirjam hießen. Die erste ist die Schwester des Moses, und nach ihr heißen die Übrigen.

Die wunderbare Geburtsgeschichte Jesu in zwei literarisch unabhängigen Fassungen findet sich bei Matthäus und Lukas; sie fehlt bei Markus und Johannes und wird sonst im Neuen Testament an keiner Stelle vorausgesetzt. Außerhalb des Neuen Testaments erwähnt als erster Ignatius von Antiochien (gest. 107 n. Chr.) die jungfräuliche Geburt Jesu.

Jesus Christus bedeutet bekanntlich Jesus der Messias, und nach der uralten jüdischen Auffassung sollte der Messias ein Nachkomme Davids sein, «der Sohn Davids». Sowohl Matthäus (1,2–16) als auch Lukas (3,23–38) bringen einen Stammbaum Jesu, der auf David zurückführt. Nach diesen zwei Genealogien stammt Joseph – und nicht Maria – vom König David ab. Wesentlich ist, dass sich die beiden Stammbäume Josephs gerade in jenen Evangelien befinden, die auch die Geschichte der jungfräulichen Geburt Jesu bringen, nämlich bei Matthäus und Lukas. Es scheint also, dass die beiden Evangelisten die Spannung zwischen der Abstammung Jesu von David durch Joseph und der Geburt ohne einen irdischen Vater nicht verspürt haben. Dabei ist noch zu bedenken, dass die beiden Geschlechtsregister eigentlich nur von Abraham bis David übereinstimmen.[2] Die inneren Schwierigkeiten der beiden Listen und ihre große Verschiedenheit erwecken den Eindruck, dass beide Stammbäume Jesu sozusagen ad hoc konstruiert wurden, um die davidische Abstammung Jesu zu beweisen.

Damals wäre es an sich völlig normal gewesen, jemanden, von dem man erwartet hatte, dass er der Messias ist, im Rückblick als Nachkomme Davids zu legitimieren. (So geschah das mit Bar Kochba, gest. 135 n. Chr.) – Inzwischen hat sich allerdings herausgestellt, dass es zur Zeit Jesu viele echte Nachkommen aus der Familie Davids gab. In den letzten Jahren ist sogar ein Ossuarium entdeckt worden, das für Gebeine des Hauses David bestimmt war.[3] – Allerdings wird damit zugleich deutlich, dass das Wissen, aus der Familie Davids zu stammen, nicht allein schon genügen konnte, messianische Ansprüche zu begründen. – Außerdem können wir – trotz allem – nicht sicher sein, ob Jesus selbst wirklich zur Linie Davids gehörte.

Matthäus und Lukas bringen die davidische Genealogie Jesu; nach ihnen ist Jesus auch in der Geburtsstadt Davids, in Bethlehem, geboren. Allerdings gibt es in diesem Punkt wichtige Unterschiede zwischen den zwei Berichten: nach Lukas (2,4) zog die Familie Jesu nur wegen der Volkszählung nach Bethlehem. Sie wohnte vor der Geburt Jesu in Nazareth und kehrte dann dorthin zurück. Nach Matthäus dagegen war die Familie vor Jesu Geburt in Bethlehem in Judäa sesshaft, und erst nach der Flucht nach Ägypten siedelte sie sich in Nazareth an (2,23).[4] Es scheint also, dass sowohl die Tradition, nach der Jesus in Bethlehem geboren wurde, als auch die Bezeugung seiner davidischen Abstammung deshalb entstanden sind, weil damals viele geglaubt haben, der Messias werde aus dem Stamme Davids sein und wie er in Bethlehem geboren werden. Dies folgt offenbar aus Johannes 7,41–42. Gegen den Glauben an die Messianität Jesu wenden dort einige ein: «Kommt denn der Messias aus Galiläa? Hat nicht die Schrift gesagt, daß der Messias aus dem Samen Davids und von dem Dorfe Bethlehem, wo David war, kommt?» Johannes hat also weder den Geburtsort Bethlehem noch die davidische Abstammung gekannt. Gleichzeitig beweisen die Worte, dass man diese zwei Bedingungen als Legitimation des Messias vielfach verlangt hat.

Jesus war also ein galiläischer Jude und wahrscheinlich in Nazareth geboren; dort hat er sicher bis zu seiner Taufe durch Johannes den Täufer wahrscheinlich etwa dreißig Jahre (Lk. 3,23) gelebt. Er wurde entweder im Jahre 27/28 oder 28/29 n. Chr. getauft.[5] Schwerer ist über die Frage nach der Dauer seiner öffentlichen Wirksamkeit zwischen der Taufe und der Kreuzigung zu entscheiden. Nach den Angaben der ersten drei Evangelien scheint es, dass diese Zeitspanne höchstens ein Jahr umfasste, wogegen man nach Johannes einen Zeitraum von zwei, vielleicht sogar drei Jahren wird annehmen müssen. Heute ist es ziemlich klargeworden, dass Johannes der Theologe kaum beabsichtigt hat, ein Historiker zu sein, und darum ist es nicht ratsam, seine Chronologie und seinen geographischen Rahmen ohne Überprüfung als historisch anzunehmen.[6] Allerdings wird man sich auch fragen müssen, ob die ersten drei Evangelien einen historischen und geographischen Aufriss wirklich bieten wollen und wie weit ein solcher durch theologische Überlegungen der einzelnen Evangelisten bedingt ist. Es sind sachliche Überlegungen, die uns dazu führen, den synoptischen Evangelien in diesen Punkten zu trauen. Jesus mag zwar schon vor seiner Reise in den Tod in Judäa und in Jerusalem gewirkt haben, aber der eigentliche Raum seiner Verkündigung war in Galiläa, am nordwestlichen Ufer des Sees von Genezareth. Es wird sich auch zeigen, dass die Geschehnisse am leichtesten von der Voraussetzung aus verstanden werden können, dass zwischen der Taufe und der Kreuzigung nur eine kurze Zeit liegt. Es gibt Forscher, die annehmen, Jesus sei im Jahre 30 oder 33 zu Ostern gestorben. Am wahrscheinlichsten wird also sein, dass Jesus im Jahre 28/29 getauft wurde und im Jahre 30 gestorben ist.

Wie wir gesehen haben, hatte Jesus vier Brüder und Schwestern. Die Familie Jesu in Nazareth bestand also aus wenigstens sieben Kindern. Wer die jungfräuliche Geburt Jesu als historisch annimmt und gleichzeitig zugibt, dass die Geschwister Jesu wirklich seine Brüder und Schwestern waren, muss zu der Folgerung gelangen, dass Jesus das erstgeborene Kind Marias war. Wenn man jedoch die Geburtsgeschichten bei Matthäus und Lukas für unhistorisch hält, wird man sich fragen müssen, ob Jesus vielleicht doch nicht der älteste seiner Geschwister war. Lukas (2,22–24) berichtet, dass die Eltern Jesu ihn nach seiner Geburt nach Jerusalem gebracht haben, ihn dem Herrn darzustellen, so wie es im Gesetze des Herrn geschrieben steht. «Alles Männliche, das den Mutterschoß öffnet, soll als dem Herrn geheiligt gelten.» Zwar konnte man den Erstgeborenen überall von einem Priester loskaufen[7], doch gab es fromme Leute, welche die Gelegenheit benutzt haben und zu diesem Zweck mit dem Söhnlein nach Jerusalem, zum Tempel Gottes gepilgert sind. Hat also Lukas – oder seine Vorlage – die Geschichte wegen der jungfräulichen Geburt erfunden, oder war Jesus wirklich das älteste Kind Marias?

Der Vater Jesu ist wohl schon vor der Taufe des Sohnes gestorben; vielleicht starb er, als Jesus noch sehr jung war. Zur Zeit des öffentlichen Auftretens Jesu begegnen wir seiner Mutter und seinen Geschwistern, aber der Vater bleibt unerwähnt. Nach Lukas (2,41–51) lebte Joseph noch, als Jesus zwölf Jahre alt war. «Seine Eltern zogen alljährlich am Passahfest nach Jerusalem. Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf, wie es Brauch war beim Fest, und verbrachten dort die Tage. Als sie heimkehrten, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem zurück, und seine Eltern wußten es nicht. Da sie aber meinten, er sei bei den Mitreisenden, kamen sie eine Tagesreise weit und suchten ihn bei den Verwandten und Bekannten. Und als sie ihn nicht fanden, kehrten sie um nach Jerusalem, um ihn zu suchen. Und es geschah nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzend mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie ausfragte. Es waren aber alle, die ihm zuhörten, außer sich über seinen Verstand und seine Antworten.»

Diese Anekdote aus dem Leben des Knaben Jesus hat eine besondere Bedeutung: es ist eine Geschichte des frühreifen Gelehrten, fast würde man sagen, eines jungen Talmudisten. Heute wird ein jüdischer Junge mit dreizehn Jahren als erwachsen betrachtet, aber damals gab es...

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