Beginnen wir unsere Suche nach dem Jobglück mit Claudias Geschichte. Ihren Namen habe ich wie in allen Beispielgeschichten in diesem Buch geändert. Claudia ist eine meiner früheren Mitarbeiterinnen, die sich bei einem europaweit agierenden Textildiscounter beworben hatte. Ihr wurde die Leitung einer Filiale in der Nähe ihres Wohnortes versprochen. Hierfür unterschrieb sie einen Arbeitsvertrag. Die vereinbarte Einarbeitung in das Aufgabengebiet der Filialleitung blieb aus, und sie fand sich wenig später in einer Filiale am gefühlten Ende der Welt wieder, 150 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt. „Tja, was willst du machen, wenn das Unternehmen es so will? Wenn du direkt zu Beginn schon den Mund aufmachst, verlierst du möglicherweise alles.“
Also schwieg Claudia. Sechs Tage die Woche schuftete sie im gefühlten Nirgendwo, weit entfernt von Ehemann und Kind. Die Pension, in der sie untergebracht wurde, war preiswert. Sehr preiswert. Sie arbeitete im gefühlten Nirgendwo. Eingearbeitet wurde sie ebenfalls nirgendwo.
Aber da es sich ja bloß um eine „Einarbeitungs“-phase handeln sollte, sagte sie nichts und machte ihre Arbeit so gut wie möglich. Irgendwann wurde sie aus der Filiale in eine noch weiter entfernte Filiale versetzt. Ihre Arbeit wurde härter und nach eigenen Angaben „erhöhte sich die Taktzahl immens“. Die Einarbeitung zur Filialleiterin blieb aus.
Nach unzähligen Übernachtungen in billigen Herbergen wurde sie schließlich in die Nähe ihres Wohnortes versetzt. Endlich zu Hause. Statt aber als Filialleitung zu fungieren, war sie sozusagen alles in Personalunion: von der Warenannahme, dem Abladen von Europaletten, dem Auffüllen der Regale, dem Putzen der Geschäftsräume, den Abschlüssen der Tageskasse bis hin zur Sonntagsarbeit machte sie alles. Fast immer war sie allein im Geschäft.
Arbeiten bis der Arzt kommt?
War es die Arbeitsüberlastung oder war es Zufall? Wie dem auch sei, Claudia wurde krank. Aber sie meldete sich nicht krank, sondern biss sich durch. Schließlich gab es kein Personal, das ihre Ausfallzeit hätte kompensieren können. Die Arbeitssituation verschlechterte sich weiter. Claudias Bitte um personelle Unterstützung führte zu nichts.
Als ihr Gesundheitszustand ein kritisches Maß erreicht hatte, rief Claudia von ihrer Arbeit aus in der Zentrale ihres Arbeitgebers an. Sie betonte, nun wirklich dringend zum Arzt zu müssen. Sie musste sich mit der Auskunft begnügen, dass es keinen Ersatz für sie gäbe. Weder Bedauern noch Trost oder Hilfe kamen. Wieder wurde sie mit nichts konfrontiert.
Noch am selben Tag brach Claudia hinten im Geschäft zusammen. Ein Kunde fand sie in einer für sie lebensbedrohlichen Situation und rief Gott sei Dank den Notarzt. Im Krankenhaus wurde ein Herzinfarkt diagnostiziert.
Drei Tage später, Claudia lag noch im Krankenhaus, erhielt sie ihre Kündigung. Unnötig zu erwähnen, dass ich mehrmals schlucken musste, als Claudia mir ihre Geschichte erzählte.
Beschädigtes Vertrauen
Claudia hat nach diesem desaströsen Erlebnis im Job sicherlich ihren Glauben an die Arbeit und ihr Vertrauen an alle Arbeitgeber dieser Welt verloren. Es ist davon auszugehen, dass die folgenden Arbeitgeber es wesentlich schwerer bei ihr haben werden, Vertrauen und Motivation aufzubauen. Claudias Skepsis wird bei der gemachten Erfahrung riesig sein müssen.
Finden Sie Claudias Geschichte heftig? Ich finde sie unerträglich. Leider ist sie kein Einzelfall. Jeder kennt jemanden, der so etwas oder Ähnliches schon mal aus erster Hand gehört oder schlimmstenfalls selbst erlebt hat. Außerdem werden jährlich Zahlen, Daten und Fakten erhoben, die die Zufriedenheit der Arbeitnehmer in unserer Gesellschaft widerspiegeln.
Im Jahr 2016 leisteten etwa nach der Gallup-Studie1 70 Prozent der Mitarbeiter in ihren Jobs nur noch Dienst nach Vorschrift und 15 Prozent der Mitarbeiter hatten bereits innerlich gekündigt. Hingegen arbeiteten gerade einmal die restlichen 15 Prozent der deutschen Angestellten mit hoher Bindung an das eigene Unternehmen.
Wenn wir die Gruppe der Unzufriedenen und die der total Frustrierten zusammenfassen, kommen wir zur ersten wichtigen und erschreckenden Erkenntnis:
85 Prozent der Erwerbstätigen sind in ihrem Job unzufrieden.
85 Prozent, das sind über 30 Millionen Erwerbstätige in Deutschland (ohne Berücksichtigung der Selbstständigen). Konkret heißt das: Es schleppen sich über 30 Millionen Menschen Tag für Tag frustriert zur Arbeit! Diese Erkenntnis ist mehr als bitter. Sie sollte uns wachrütteln.
Bei dieser überwältigenden Zahl von unzufriedenen Arbeitnehmern ist es nicht verwunderlich, dass die sozialen Netzwerke sonntags überschwemmt werden mit Aussagen wie:
• „Ich habe schon einmal angefangen, den Montag scheiße zu finden!“
• „An alle, die jetzt noch gute Laune haben: Morgen ist Montag!“
• „Montag hat angerufen. Er kommt schon morgen, der Arsch!“
• „Noch ist Sonntag, aber ich fühle mich schon durch den Montag belästigt.“
• Der Montag sagt im Gegenzug: „Ich kann doch nichts dafür, dass ich immer nach dem Super-Sonntag komme!“
Wir haben gesehen: Der Montag hat einfach einen schlechten Ruf, an dem schwer zu rütteln ist. Kein Wunder, dass wir Autos, die immer wieder zur Werkstatt müssen, „Montagsautos“ nennen – unmotivierte Monteure müssen wohl an einem Montag daran rumgewerkelt haben. Der Montag ist ein Symbol für das ganz große, wöchentlich grüßende Arbeitsungeheuer, dem wir nicht entfliehen können.
Wen verwundert es, dass es so ist? Es gibt mittlerweile genügend Studien, die bestätigen, dass die Arbeitswelt unsere Psyche immer mehr belastet. Der Stressreport Deutschland 2012 stellte hierzu, wie ich finde, etwas förmlich und nüchtern fest, dass die „psychische Belastung“ in den Unternehmen in Deutschland „zunehmend an Bedeutung gewinnt“.2 Daher fällt unsere zweite Erkenntnis leider noch erschreckender aus:
Arbeit wird belastender und stressiger!
Richtig spannend wird es, wenn wir uns die Frage stellen, inwieweit die Belastungen im Job und der damit einhergehende Arbeitsfrust mit Krankheit zu tun haben könnten. Wird jemand eher krank, wenn er im Job unglücklich ist? Werden glückliche Arbeitnehmer seltener krank?
Der oben zitierte Stressreport formuliert es zunächst schon einmal eindeutig für den Fall, dass jemand psychischen Belastungen ausgesetzt ist: „Ein Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Erkrankung besteht. Welchen Anteil die arbeitsbedingte psychische Belastung an psychischen Störungen und anderen Erkrankungen hat, kann gleichwohl noch nicht auf Prozent und Promille beziffert werden.“3
Zum Glück wird in der Gallup-Studie dieser Zusammenhang genauer in den Blick genommen. Untersucht werden die Arbeitsunfähigkeitstage von Mitarbeitern im Verhältnis zum Grad der Bindung des Mitarbeiters zum Unternehmen, also der Motivation, fürs Unternehmen gut zu arbeiten. Tatsächlich gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit der Mitarbeiter und dem Aufkommen von Arbeitsunfähigkeit. Wir können sagen:
Je zufriedener ein Mensch in seinem Beruf ist, desto seltener wird er krank!
Das ist eine krasse Erkenntnis. Jobzufriedenheit trägt also offensichtlich zur Gesundheitsvorsorge bei. Leider bedeutet es im Umkehrschluss: Dauerhaft unzufriedene Arbeitnehmer sind eher, häufiger und länger krank!4
Vor dem Hintergrund unserer ersten Erkenntnis, dass sich mehr als 30 Millionen Menschen tagtäglich mies gelaunt zur Arbeit schleppen, kommen wir zur dritten wichtigen und erschreckenden Erkenntnis:
Millionen Menschen sind im Job frustriert und riskieren dadurch ihre Gesundheit!
Vielleicht haben Sie auch schon einmal folgende Situation erlebt: Sie beobachten, wie sich ein Bekannter oder Freund über einen lang andauernden Zeitraum Dauerfrust und Stress im Job zumutet. Sie bekommen schon das ganz konkrete Gefühl, dass das irgendwann schiefgehen muss. Sie denken: „Das hält er nicht mehr lange durch“ oder „Wenn das so weitergeht, wird ihn diese Situation in die Knie zwingen“. Und in der Tat, etwas später wird er arbeitsunfähig. Ob der Ausfall durch Rückenschmerzen, durch Magenprobleme oder durch pochende Dauerkopfschmerzen ausgelöst wird, ist hier nicht wirklich entscheidend.
Tatsache ist: Die Vorboten, Anzeichen und Symptome einer Erkrankung werden nicht genug beachtet. Allen Leuten im Umfeld ist klar, dass die Person aufgrund der...