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Jung bleiben!

Warum wir altern - und was wir wirklich dagegen tun können

AutorBill Gifford
VerlagHeyne
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl432 Seiten
ISBN9783641182342
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Warum altern wir? Lässt sich dieser Prozess stoppen? Und was ist dran an Superfoods und der wöchentlichen Spritze Stammzellen? Bill Gifford war in Labors und Forschungszentren, die dem Altern auf der Spur sind. Sein ebenso unterhaltsamer wie spannender Überblick über die aktuelle Anti-Aging-Forschung vermittelt tiefe Einblicke, wie genau der Mensch altert und was den Körper jung und gesund hält. Gifford deckt auf, welche falschen Versprechungen in Sachen ewige Jugend gemacht werden, welche Verfahren kurz vor dem Durchbruch stehen und warum Kaff ee, Rotwein und Schmerzmittel uns schon auf einen guten Weg bringen, das Herpes-Virus uns aber noch einen Strich durch die Rechnung machen könnte.

Bill Gifford ist ein bekannter amerikanischer Sport- und Wissenschaftsjounalist. Er war Redakteur bei Men's Journal und Chefredakteur des Philadelphia Magazine. Heute schreibt er u. a. für Men's Health, Businessweek und Outside Magazine. Gifford ist begeisterter Rad- und Skifahrer, Läufer und Esser. Seine Großmutter Doris ist knapp 100 Jahre alt, und das will auch er schaffen.

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Leseprobe

PROLOG

Das Lebenselixier

Du bist nie zu alt, um jünger zu werden.

– Mae West

In den Sekunden, ehe er bewusstlos auf dem Boden seines Labors zusammensackte, mochte der junge Wissenschaftler erkannt haben, dass es nicht seine beste Idee gewesen war, sich komplett mit Klebstoff einzuschmieren. Aber er war ein Mann der Wissenschaft, und die Neugier kann eine grausame Lehrmeisterin sein.

Schon länger hatte er über die Funktionen der menschlichen Haut nachgedacht, die so robust und doch so zart ist, so empfindlich für Verbrennungen durch Sonne und Feuer, so leicht aufzuritzen. Was würde geschehen, fragte er sich, wenn man sie vollständig mit Leim bestrich?

Und so zog sich Professor Charles Édouard Brown-Séquard – ein auf Mauritius geborener britischer Staatsbürger, der über Paris und Harvard in die vornehme Stadt Richmond, Virginia, gekommen war – an einem ansonsten völlig normalen Tag in seinem Labor am Medical College nackt aus und machte sich mit einem Pinsel und einem Eimerchen besten Fliegenfängerleims an die Arbeit. Schon bald hatte er jeden Quadratzentimeter seines nackten Körpers mit der klebrigen Pampe überzogen.

Damals war das wichtigste Versuchskaninchen eines Wissenschaftlers meist er selbst. Als er sechsunddreißig war, applizierte Brown-Séquard in einem anderen Experiment einen Schwamm in seinem Magen, um Proben seiner Verdauungssäfte zu nehmen; die Folge war, dass er zeitlebens unter Sodbrennen litt. Mit solcherlei Versuchsanordnungen war er das »bei Weitem schillerndste Mitglied unserer Fakultät«, wie einer seiner Studenten später erzählte.1

Die Episode mit dem Fliegenfängerleim nährte diese Legende weiter. Bis ein Student zufällig über den Professor stolperte, kauerte der bereits schlotternd in der Ecke seines Labors und schien dem Tod nahe zu sein. Sein Körper war so braun, dass der Student erst genauer hinsehen musste, bis er erkannte, dass es sich nicht um einen entflohenen Sklaven handelte. Der junge Mann fackelte nicht lange und kratzte das klebrige braune Zeug fieberhaft von der Haut, unter dem Gezeter des Opfers, das sich wütend darüber beschwerte, dass ihn »diese aufdringliche Person aus der Ecke zerrte, in der ihn der Klebstoff zu Boden gestreckt hatte, und gerade in dem Moment, in dem er seinen letzten Atemzug tat, bösartig die Schicht abschmirgelte«.

Dem geistesgegenwärtigen Medizinstudenten ist es zu verdanken, dass Brown-Séquard noch zu einem der größten Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts wurde. Heute gilt er als Vater der Endokrinologie, der Lehre von den Drüsen und Hormonen. Und als wäre das noch nicht genug, bereicherte er die Wissenschaft mit wichtigen Erkenntnissen zur Wirbelsäule. Eine bestimmte Art der Lähmung wird noch heute als Brown-Séquard-Syndrom bezeichnet. Doch er saß beileibe nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft. Einmal kämpfte er in seiner Heimat Mauritius, einer abgelegenen Inselgruppe mitten im Indischen Ozean, monatelang gegen eine tödliche Choleraepidemie. Um eine neue Behandlung an sich selbst zu testen, infizierte er sich getreu seinen Prinzipien absichtlich mit der Krankheit, indem er Erbrochenes seiner Patienten zu sich nahm. (Auch das brachte ihn fast um.)

Die Professur in Richmond überdauerte das Jahr nicht. Brown-Séquards Exzentrik und seine dunkle Haut kamen in der Südstaaten-Metropole nicht gut an, und so kehrte er nach Paris zurück und pendelte den Rest seiner Laufbahn zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten hin und her. Alles in allem verbrachte er sechs Jahre seines Lebens auf dem Meer, was seinen verstorbenen Vater, seines Zeichens Kapitän, wohl stolz gemacht hätte. Nun war er zwar fast ununterbrochen unterwegs, doch dem Alter konnte er nicht entkommen. Als Brown-Séquard die sechzig überschritten hatte, arbeitete er wieder in Paris, mittlerweile als Professor am Collège de France. Zu seinen Freunden gehörten Louis Pasteur, Namensgeber des Pasteurisierens, und Louis Agassiz, ein Mitbegründer der amerikanischen Medizin. Im Jahr 1880 wurde Brown-Séquard, das arme Waisenkind aus dem fernen Mauritius, in die französische Ehrenlegion aufgenommen, und es folgten weitere prestigeträchtige Ehrungen, die 1887 in seiner Wahl zum Präsidenten der Société de Biologie gipfelten. Seine Stellung als einer der führenden Köpfe der französischen Naturwissenschaften war unangefochten.

Brown-Séquard war damals siebzig Jahre alt, und er war müde. In den vorangegangenen zehn Jahren hatte er Veränderungen an seinem Körper wahrgenommen, und keine davon war positiv. Er hatte immer vor Energie gesprüht, beim Treppensteigen mehrere Stufen auf einmal genommen, geredet wie ein Wasserfall und dann plötzlich innegehalten, um seine neueste brillante Idee auf einen Zettel zu kritzeln, der in seiner Tasche verschwand. Er hatte nachts nur vier oder fünf Stunden geschlafen, seinen Arbeitstag am Schreibtisch oft um drei Uhr morgens begonnen. Seinem Biografen Michael Aminoff zufolge könnte er an einer bipolaren Störung gelitten haben.2

Doch nun hatte ihn seine einst grenzenlose Energie verlassen. Dafür gab es auch handfeste Belege, denn er hatte seinen Körper beobachtet, Muskelkraft und andere Parameter gemessen und genau Buch geführt. Als Mittvierziger hatte er mit einem Arm ein fünfzig Kilogramm schweres Gewicht stemmen können. Nun schaffte er bestenfalls achtunddreißig Kilogramm. Er wurde schnell müde, schlief aber schlecht, wenn überhaupt, und wurde von Verstopfung geplagt. Als Wissenschaftler machte er sich natürlich daran, dem Problem auf den Grund zu gehen.

Am 1. Juni 1889 hielt Professor Brown-Séquard vor der Société de Biologie einen Vortrag, der sich nachhaltig auf seine Laufbahn, seinen Ruf und die Haltung der Menschen zum Altern auswirkte.3 Er berichtete von einem verblüffenden Experiment: Er hatte sich eine Flüssigkeit injiziert, die aus den pürierten Hoden junger Hunde und Meerschweinchen bestand und angereichert war mit Sperma und Blut aus der Hodenarterie.

Dahinter stand die Vorstellung, dass die jungen Tiere ihre jugendliche Energie irgendwoher beziehen mussten, vermutlich aus den Genitalien. Und davon wollte er etwas abhaben. Nachdem er sich die Substanz drei Wochen lang gespritzt habe, berichtete er, habe sich eine dramatische Kehrtwende vollzogen: »Zur großen Überraschung meiner Assistenten konnte ich mehrere Stunden lang Experimente im Stehen durchführen, ohne das Bedürfnis zu verspüren, mich hinzusetzen.«

Auch andere positive Effekte stellten sich ein. Wie seine Messungen bestätigten, war seine Kraft zurückgekehrt: Er konnte nun fünfundvierzig Kilogramm stemmen – eine deutliche Verbesserung – und war wieder in der Lage, bis spät in die Nacht zu schreiben, ohne zu ermüden. Er maß sogar seinen »Urinstrahl« und stellte fest, dass er fünfundzwanzig Prozent weiter reichte als vor den Injektionen. In Hinblick auf seine Verstopfungsprobleme notierte er stolz, dass »die Kraft, die ich vor langer Zeit besessen hatte, zurückgekehrt war«.

Seine Kollegen im Vorlesungssaal schwankten zwischen Entsetzen und Verlegenheit. Ein Extrakt aus ... Hundehoden? War er im Alter übergeschnappt? Einer seiner Kollegen ätzte später, Brown-Séquard habe mit seinem absonderlichen Experiment lediglich bewiesen, dass man »Professoren, wenn sie die siebzig erreicht haben, in den Ruhestand versetzen muss«.

Brown-Séquard stellte unterdessen seine Zauberessenz (die mittlerweile aus Bullenhoden hergestellt wurde) unverzagt anderen Ärzten und Wissenschaftlern gratis zur Verfügung, weil er hoffte, sie würden seine Ergebnisse bestätigen. Bei einigen geschah das auch, doch insgesamt waren die Reaktionen seiner Kollegen vernichtend. Ein Mediziner aus Manhattan schimpfte im Boston Globe: »Das ist die Rückkehr zur Medizin des Mittelalters.«

Abseits der Vorlesungssäle allerdings wurde Brown-Séquard auf Anhieb zum Helden. Fast über Nacht begannen Versandfirmen, »Séquards Lebenselixier« zu verkaufen, fünfundzwanzig Injektionen zu 2,50 Dollar. Seinen Namen nutzten sie, ohne dass sie mit ihm in Verbindung gestanden hätten. Für die Zeitungen war das Ganze natürlich ein Fest – endlich konnten sie das Wort »Hodenextrakt« drucken. Der Profi-Baseballspieler Jim »Pud« Galvin aus Pittsburgh nahm das Elixier ein, weil er hoffte, so gegen Boston besser werfen zu können – der erste dokumentierte Einsatz einer leistungssteigernden Substanz durch einen Sportler in der Moderne. Der alte Professor wurde sogar in einem beliebten Lied gefeiert:

Der neuste Renner: das Elixier von Séquard,

bringt tattrige faltige Greise auf Trab,

Medizin ist passé, nichts tut mehr weh,

kein Mensch muss mehr enden im dunklen Grab.

Diese letzte Zeile erwies sich leider als Wunschdenken: Am 2. April 1894, sechs Tage vor seinem siebenundsiebzigsten Geburtstag und fünf Jahre nach seiner Rede vor der Société de Biologie, starb Charles Édouard Brown-Séquard. Ungeachtet seines Ruhms hatte er nicht einen Franc an seinem Elixier verdient. Zwar kamen seine Wissenschaftlerkollegen zu dem Schluss, dass die wundersame Wiederbelebung, die Brown-Séquard auf seine »orchitische Flüssigkeit« zurückgeführt hatte, wohl nur als Placeboeffekt interpretiert werden konnte, doch er hatte einen Verjüngungswahn in Gang gesetzt, der auch den vernünftigsten Männern und Frauen den Verstand raubte.

Die nächste Modeerscheinung war die sogenannte Steinach-Operation, die dem Mann seine Vitalität wiedergeben sollte. In Wahrheit war sie nur eine gewöhnliche...

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