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E-Book

Kaktusmenschen

Zum Umgang mit verletzenden Verhaltensweisen

AutorRotraud A. Perner
VerlagVerlag Orac im Kremayr & Scheriau Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783701505678
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Sie brüllen herum. Sie hüllen sich in tagelanges Schweigen. Sie verspotten ihr Gegenüber, am liebsten vor Publikum: Kaktusmenschen - Menschen, die sich Dornen und Stacheln haben wachsen lassen und sie bevorzugt dort einsetzen, wo eigentlich Vertrauen und Verständnis angesagt wären: im Beruf wie in der Partnerschaft. Anhand von Fallbeispielen aus Privatbeziehungen und aus der Arbeitswelt zeigt Rotraud A. Perner auf, wie man sich als Betroffene vor verletzenden Verhaltensweisen schützen kann: - Wie erkennt man sie, - womit muss man rechnen, - wie kann man sich verteidigen, - und dennoch korrekt und respektvoll mit Kaktusmenschen umgehen. Ein wichtiges Buch für all jene, die sich gegen Diskriminierungen und andere Benachteiligungen wehren wollen.

Rotraud A. Perner, langjährige Universitätsprofessorin für Prävention und Gesundheitskommunikation, ist Psychotherapeutin/Psychoanalytikerin sowie promovierte Juristin mit postgradualen Studien der Soziologie und Theologie. Sie verfügt über breites Erfahrungswissen, wie seelische Verletzungen vermieden und geheilt werden können. Zu ihren Buchpublikationen zählen: 'Ungeduld des Leibes' (Orac), 'Königin! Über weibliche Kraft' (Kösel), 'Darüber spricht man nicht - Tabus in der Familie' (Kösel) u.v.a.

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Leseprobe

Kaktusmenschen
und andere Unholde


Zur Durchsetzung des beherrschenden Einflusses

bedient sich der Aggressor gewisser Vorgehensweisen,

die die Illusion von Kommunikation bieten –

einer eigenartigen Kommunikation, nicht geschaffen,

um zu verbinden, sondern fernzuhalten

und jeglichen Austausch zu verhindern.

M.-F. Hirigoyen2

Sie brüllen herum.

Sie hüllen sich in tagelanges Schweigen.

Sie verspotten ihr Gegenüber, am liebsten vor Publikum: Kaktusmenschen – Menschen, die sich Dornen und Stacheln haben wachsen lassen und sie bevorzugt dort einsetzen, wo eigentlich vertrauensvolle Zusammenarbeit angesagt wäre: im Beruf wie in der Partnerschaft.

Dann sitzen verzweifelte Männer oder Frauen in meiner Praxis auf meiner weißen Ledercouch und fragen, was denn an ihnen oder ihrem Verhalten so arg wäre, dass ihre Vorgesetzten, Partnerpersonen, Vater oder Mutter oder sonst irgendwer sie wie den letzten Dreck behandelten. Dann kommt es immer wieder vor, dass ich sie warne: »Halten Sie bitte Distanz! Vermeiden Sie, dicht heranzutreten – einen Kaktus umarmen Sie ja auch nicht!« Und oft setze ich noch hinzu: »… oder ist es Ihr Ziel, blutig gestochen zu werden?«

So bildete sich mit der Zeit vor meinem geistigen Auge das Bild von diesen »Kaktusmenschen« heraus – Menschen, denen man nicht zu nahe kommen sollte, weil sie stachelig sind oder Dornen haben, weil sie sticheln und stechen, anstacheln und aufstacheln, mal nur pieken, dann aber wieder erstechen, oft nur hervorstechen wollen und andere ausstechen und manchmal auch bestechen (im Doppelsinn des Wortes) … denn manchmal präsentieren Kakteen ja wunderschöne Blüten. Da vergisst man leicht die vielen Stacheln …

Es gibt aber auch Kaktusmenschen, die tauchen als Disteln oder Kletten auf. Manche tarnen ihre Dornen unter Rosenblüten, oder ihre Winzigstacheln sind so klein, dass man erst bei näherem Kontakt merkt: Vorsicht, Brennnessel!

Allerdings wirkt jemand manchmal nur wie ein Kaktusmensch, ist in Wirklichkeit aber »nur« erschöpft und ausgebrannt und deshalb aggressiv und nicht mehr fähig oder aber auch willens, eine zivilisierte Kommunikationsform zu pflegen.

Es gibt aber auch sozial inkompetente Menschen, die einfach nicht gelernt haben – und auch nicht nachlernen wollen –, wie man mit den eigenen unangenehmen Gefühlen wie Bedrängnis, Unwissenheit oder Hilflosigkeit anders als mit Grobklotzigkeit umgehen kann.

Und dann gibt es noch Verhaltensweisen, die Symptom einer Charakterneurose oder einer anderen behandlungsbedürftigen seelischen Störung sind, wie das Borderline-Syndrom etwa.

Exkurs in die Tiefenpsychologie


Der Mangel an positiven inneren Figuren …

unterstreicht die Wichtigkeit der Vereinigungserfahrung

für die Umwandlung der toten, verfolgenden, inneren Welt

in einen Ort liebevoller Unterstützung.

N. Schwartz-Salant3

»Kakteen«, lese ich in wikipedia4, »sind ausdauernde Sträucher, seltener Bäume.«

Ja, ausdauernd sind sie auch, die Kaktusmenschen, konsequent in der Perfektionierung ihres Kommunikationsstils der kleinen oder großen Stiche. »Hauptsprosse und Zweige wachsen meist aufrecht oder aufstrebend, manchmal auch kriechend oder hängend.«

Kaktusmenschen zielen auf Überlegenheit und neigen meist zur Überheblichkeit; bewusst ist ihnen das selten, ganz im Gegenteil meinen sie, sich vor anderen schützen zu müssen, wortlos natürlich, denn partnerschaftliches Gespräch, den Dialog eines Sich-aufeinander-Abstimmens und den bedachten Verzicht auf verbale Gewalt müssten sie erst lernen, und das widerstrebt ihrem Auf-Streben. Kriechen und Hängen hingegen ist ihnen grundsätzlich nicht zuwider – vorausgesetzt, die übergeordnete Autorität ist machtvoll und prächtig genug. Allerdings halten sie solche Unterordnung nicht auf Dauer aus; bei erster Gelegenheit werden sie ihre Stacheln – eigentlich Dornen oder Borsten, Wolle oder Filz – ausfahren und damit ihre Berührungsscheu signalisieren.

Kakteen sind »Sukkulenten« – Pflanzen, die in der Lage sind, erhebliche Wassermengen in den Blättern, im Stamm oder auch in den Wurzeln zu speichern, um somit lange Trockenperioden überstehen zu können.

Tiefenpsychologisch gedeutet steht Wasser für Gefühle; dementsprechend wären Kaktusmenschen solche, die ihre eigenen Gefühle wie auch die, welche ihnen ihre jeweiligen Kommunikationspartner entgegenbringen, in unterschiedlichen Tiefenlagen ablegen, ohne sie zu »verdauen«, geschweige denn eine Reaktion zurückzugeben. Das heißt nicht, dass es unmöglich wäre, dass irgendwann doch auf diese Gefühlsreserve zurückgegriffen wird – aber dann meist in einer Form, die nicht zur aktuellen Situation passt, daher für die AdressatInnen des Gefühlsausbruchs fürs Erste einmal unverständlich wirkt; darauf wiederum reagiert der Kaktusmensch mit Unverständnis. Er oder sie hält sich ja für sozial kompetent – daher sind es immer die anderen, die Schuld tragen, warum haben sie sich nicht an ihn bzw. sie angepasst …

Sukkulenten sind äußerst anpassungsfähig, betont der Kakteenexperte Holger Dopp. Kaktusmenschen auch – sie passen sich nämlich nicht flexibel an äußere Einflüsse an, sondern sie passen ihre Sukkulenz, d. h. ihre Unbeeinflussbarkeit durch Gefühle, den Anforderungen des eigenen Stabilitätsideals an; damit bleiben sie äußerlich unverändert, so wie sie sind, und scheinbar ohne irgendwelche Beeinträchtigungen. So schreibt auch Holger Dopp: »Sie haben sich im Laufe ihrer Entwicklung den unterschiedlichsten klimatischen Bedingungen angepasst und entsprechend ihrer extremen Standorte ganz bestimmte zusätzliche Schutzmöglichkeiten entwickelt.«5

Zur besseren tiefenpsychologischen Verdeutlichung könnten wir den räumlichen Begriff Standort durch den des mentalen Standpunkts ersetzen – dann wird klar, dass solche Kaktusmenschen lieber auf seelische Nahrung oder gar Bereicherung verzichten, wenn dadurch ihr Standpunkt gefährdet wäre, denn: ihr Standpunkt gibt ihnen Schutz und Sicherheit. Dopp weiß: »So dient ein mitunter starker weißer Reifbelag auf Blättern oder Stamm als ausgezeichneter Verdunstungsschutz, ebenso wie die dichte Bedornung bei Kakteen, die darüber hinaus sehr sinn- und wirkungsvoll vor Tierfraß schützen kann.« Und weiter schreibt er: »Gleichermaßen attraktiv wie wirkungsvoll ist die dichte, weiße Behaarung von einigen Hochgebirgskakteen, die die Pflanzen tagsüber vor allzu starker Erwärmung und vor Verbrennung schützen und in den Nachtstunden vor Unterkühlung oder gar Erfrierungen.«

Bleiben wir beim Versuch, den Begriff »Verdunstung« tiefenpsychologisch zu interpretieren: Unser Unbewusstes »spricht« in Bildern, in Metaphern (Gleichnissen), es liebt Wortspiele und Verballhornungen, auch kennt es keine Zeit, sondern fasst Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen, und: es will immer nur unser Bestes. Sigmund Freud formulierte, der Traum sei der Hüter des Schlafes, und in Träumen kommen unsere unbewussten Seelenanteile zum Vorschein, ebenso wie in Fehlleistungen (Versprechen, Verschreiben, Verlegen etc.) oder Pointen und Witzen und auch in psychosomatischen Symptomen.

»Verdunsten« entspricht dem Schwitzen wie auch dem Weinen oder anderen Flüssigkeits-Abgaben. Wenn wir nun daran denken, wann uns »das Wasser hochkommt«, so steht das in Zusammenhang mit Aufwallung innerer Hitze, einem klassischen Anzeichen von Stresshormonausschüttungen. Wer kennt ihn nicht, den Adrenalinstoß, den wir verspüren, wenn wir negativ beschämt oder aber auch positiv überrascht werden? Auf die Urszenen solcher Spontanreaktionen reduziert, können wir bei entsprechender Selbstreflexion erkennen: Unser Körper macht sich entweder kampf- oder paarungsbereit.

Vor beiden Arten von »Hitze« will sich ein Kaktusmensch schützen. Er oder sie will (oder muss, wenn es beispielsweise der Beruf verlangt) souverän sein oder zumindest wirken, und das wird vielfach mit Fühllosigkeit gleichgesetzt.

Urcool – oder was?


Er sucht die Ablehnung, weil es ihn beruhigt zu sehen,

dass das Leben für ihn genau so ist,
wie er es immer schon wusste.

M.-F. Hirigoyen6

Der Kaktusmensch weiß oder ahnt zumindest, dass er oder sie sich mit Gefühlen schwertut. Weil dies noch immer überwiegend ein Männerproblem ist, will ich im Folgenden primär die männliche Sprachform verwenden – es heißt ja auch »der« Kaktus. Es gibt aber auch »weibliche« Stachelwesen: »die« Distel, »die« Klette, »die« Stechpalme, »die« Rose … Sie alle schützen und wehren sich vor »Berührung« durch ihre Dornen, aber auch durch Behaarung oder Reifbelag.

So erzählte mir Franz, einer meiner liebsten Kollegen – und kein Kakteenfreund! –, dass er einmal durch Zufall entdeckte, dass von einem seiner ungeliebten Fensterbrettbewohner nur mehr die weiße Pelzhülle existierte, die darunter vermutete Pflanze aber längst den Weg alles Sterblichen gegangen war. So kann der Schutzmantel sogar seine ursprüngliche Lebensberechtigung überdauern …

Der Begriff »Berührtwerden« besitzt Doppelsinn – je nachdem ob wir äußerlich, körperlich oder innerlich, seelisch Berührung, »Rührung« spüren. Da sind sie wieder: die Gefühle und Gefühlsbewegungen, die der Kaktusmensch so bemüht zu vermeiden sucht. Auch das Wort Emotion – vom lateinischen ex, das heißt heraus, und movere, das heißt bewegen – verweist auf die innere Bewegung, die wir, wenn wir ihrer gewahr werden, mittels Namensgebung zu einem...

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