1. Pastor Krieter wird Pfarrer der Gemeinde St. Bonifatius in Harburg-Wilhelmsburg.
Seit dem 1. Oktober 1923 war Karl-Andreas Krieter Pastor der Gemeinde St. Franz-Josef in Harburg-Wilstorf. Im Jahre 1931 bat er den damaligen Bischof von Hildesheim, Dr. Nikolaus Bares, zum ersten Mal um Versetzung und um Zuteilung einer Pfarrerstelle - am liebsten in seiner Heimat, auf dem Eichsfeld.[4] Bischof Nikolaus bot ihm eine Pfarrvikar-Stelle in Groß-Ilsede an. Diese Stelle - zwischen den Städten Hildesheim und Peine gelegen - wollte und konnte Karl-Andreas Krieter nicht annehmen.[5]
Seine weiteren Bitten um Versetzung, die er im Januar und August 1933 schriftlich[6] und im September 1933[7] sogar mündlich seinem Bischof vortrug, wurden nicht erhört.
Abb.1: Karl-Andreas Krieter im Alter von 45 Jahren ; ein Foto aus dem Jahre 1935
Am 16. Dezember 1933 wurde Dr. Bares von Papst Pius XI. zum Bischof von Berlin ernannt.[8] Der Bischofssitz in Hildesheim war vorerst vakant. Deswegen wandte sich Karl-Andreas Krieter mit dem nächsten Schreiben, das den Wunsch nach Versetzung aussprach, an den Generalvikar des Bistums, an Dr. Otto Seelmeyer. Sein Schreiben ist auf Montag, den 4. Juni 1934, datiert.
Dieses Mal erklärte Pastor Krieter sich bereit, jede Pfarrei anzunehmen, „für die man ihn geeignet halte.“[9] Die Hoffnung, eine Pfarrstelle auf dem Eichsfeld zu bekommen, hatte er also aufgegeben.
Generalvikar Dr. Seelmeyer antwortete schon am nächsten Tag. Er forderte Pastor Krieter auf, seinen Versetzungswunsch zu wiederholen, sobald der Hildesheimer Bischofsstuhl wieder besetzt sei.[10]
Am 22. 6. 1934 wurde Dr. Josef-Godehard Machens von Papst Pius XI. zum Bischof von Hildesheim ernannt. Karl-Andreas Krieter konnte sich aber nicht umgehend an den neuen Bischof wenden, denn in den Tagen vom 30. Juni bis zum 2. Juli 1934 geschah in Deutschland Ungeheuerliches. Der Führer der NSDAP, Reichskanzler Hitler, verhaftete persönlich den obersten SA-Führer, Ernst Röhm, und einige andere Personen der SA-Führung. Hitler ließ diese Männer ohne Gerichtsprozess erschießen, weil sie nicht mehr in sein politisches Konzept passten. Gleichzeitig nutzte er die günstige Gelegenheit, die Ermordung weiterer Personen, die ihm unliebsam waren, in Auftrag zu geben. Pastor Krieter erfuhr sehr bald, dass unter den unschuldigen Opfern der „Reichsmordwoche“ prominente Vertreter des katholischen Vereinswesens waren, so Adelbert Probst, der Reichsführer der katholischen Sportvereinigung „Deutsche Jugendkraft“, und Dr. Erich Klausener, der Führer der „Katholischen Aktion“ im Bistum Berlin.[11] In den folgenden Tagen und Wochen schwiegen die deutschen Bischöfe, obwohl sie über die Mordaktionen Hitlers gut informiert waren.[12] Sie hatten Sorge, ein klares Wort gegen die Regierung könne für die Katholiken ein Blutbad zur Folge haben. Vor allem aber standen die Bischöfe zu diesem Zeitpunkt mit der Hitler-Regierung in Verhandlungen wegen des Konkordatsartikels 31 (katholisches Vereinswesen). Eventuell positive Ergebnisse sollten nicht gefährdet werden.
Karl-Andreas Krieter sah ein, dass es in diesen Tagen wenig Sinn machte, seinen Versetzungswunsch zu wiederholen.
Am 23. Juli 1934 vereidigte Reichserziehungsminister Rust - in seiner Funktion als Reichskultusminister - den neuen Bischof von Hildesheim.
Abb.2 : Dr. Joseph-Godehard Machens, vom 22. 6. 1934 bis zum 14. 8 1956 Bischof von Hildesheim
Auch die folgenden Wochen erschienen Pastor Krieter nicht geeignet, sich um eine Pfarrstelle zu bewerben. Wieder stand ihm die „große Politik“ im Wege: Zwei Tage nach der Vereidigung des Bischofs Joseph-Godehard war Europa durch einen Putsch der NSDAP Österreichs, die dort illegal war, erschreckt worden. Die Putschisten hatten in Wien den Bundeskanzler Österreichs, Engelbert Dollfuß, am 25. Juli 1934 niedergeschossen. Sie hatten dem streng gläubigen Katholiken, als er im Sterben lag, weder ärztliche Hilfe noch die kirchlichen Sakramente gewährt. Am Abend desselben Tages war der Putsch zusammengebrochen. Alle Welt sah damals Adolf Hitler als Drahtzieher des schändlichen Mordes. Papst Pius XI. verkündete öffentlich, Dollfuß sei eine bedeutende christliche Persönlichkeit gewesen, der treueste Sohn der Kirche. Hitler bestritt jede Teilhabe an den Vorgängen in Österreich und sprach in Erklärungen und Telegrammen das Bedauern Deutschlands aus.
Den deutschen Botschafter, der sich von den Putschisten nicht eindeutig distanziert hatte, setzte Hitler scheinheilig ab. Nachfolger sollte Vizekanzler Franz von Papen werden. Der folgte dem Willen Adolf Hitlers, obwohl er genug Gründe gehabt hätte, sich zu verweigern.
Pastor Krieter, der als Mitglied der katholischen Zentrumspartei [13] die Politik aufmerksam verfolgte, erlebte eine Wiederholung, die ihn traurig stimmen musste: Wie bei der so genannten Röhm-Revolte erschien Adolf Hitler - der Kanzler des Deutschen Reiches - in einem denkbar ungünstigen Licht, und wie die Bischöfe sich am Monatsbeginn opportunistisch gefügt hatten, so fügte sich am Monatsende der prominente Katholik, Franz von Papen.
Wenige Tage nach den Ereignissen in Wien las Pastor Krieter in den „Harburger Anzeigen und Nachrichten“,[14] Reichspräsident von Hindenburg läge auf seinem Gut Neudeck im Sterben. Aus derselben Zeitung erfuhr Pastor Krieter, dass Hitler nach Neudeck gefahren sei, um sich den Segen des sterbenden Reichspräsidenten zu holen. Als er sich diese anrührende Szene vorgestellt hat, mag Pastor Krieter eine andere Nachricht der Zeitung nicht so ernst bewertet haben wie es notwendig gewesen wäre: Noch vor seiner Abreise hatte Adolf Hitler ein Gesetz über die Nachfolge des Reichspräsidenten durch das Reichskabinett beschließen lassen. Das Gesetz vereinte das Amt des Reichskanzlers mit dem Amt des Reichspräsidenten. Damit war Adolf Hitler uneingeschränkter Herrscher über das Deutsche Reich, Diktator auf Lebenszeit. Zur Abrundung seiner Alleinherrschaft ließ Hitler erst die Soldaten der Reichswehr und wenige Tage danach alle Beamten auf sich vereidigen.[15] Die Soldaten der Reichswehr hatten am 2. August 1934 - also am Todestag Paul von Hindenburgs - zu sprechen: „Ich schöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als deutscher Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“
Abb.3: „Harburger Anzeigen und Nachrichten” vom 20. August 1934
Es gibt keine Gewissheit, dass Pastor Krieter im August 1934 das zielbewusste Machtstreben Hitlers sofort und vollständig durchschaut hat. Wenn man politisch gutgläubig war, konnte man annehmen, der Reichskanzler bürde sich die zusätzliche Arbeitslast nur auf, um Deutschland wohlzutun. Im Übrigen sollte das Gesetz nur Bestand haben, wenn das Deutsche Volk sein Einverständnis gäbe. Hitler ließ am Sonntag, den 19. August 1934, eine „Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt“ durchführen. 89,9% der Deutschen stimmten an diesem Tag dafür, dass in der Person Adolf Hitler die Ämter Reichskanzler und Reichspräsident vereinigt würden.
4,3 Millionen Deutsche stimmten dagegen. Falls Pastor Krieter sich gegen Adolf Hitler entschieden haben sollte, dann war er kein „treuer“ Deutscher, dann gehörte er nicht zur „einigen Nation“. Dann war er einer der „Miesmacher und Kritikaster“, gegen die seit Wochen in der Presse und von Rednern bei Großveranstaltungen Beleidigungen und Drohungen ausgesprochen wurden.[16]
1.1 Das Angebot des Bischofs
Von Dienstag, den 4. September, bis Montag, den 10. September 1934, fand in Nürnberg der Sechste Reichsparteitag der NSDAP statt. Die Festtage der Nationalsozialisten standen in diesem Jahr unter dem Motto „Triumph des Willens“. Alle Deutschen und auch das Ausland sollten sehen, dass „Führer und Volk“ eine unzertrennliche Einheit seien, bereit zu großen Taten.
In diesen Hochtagen nationalsozialistischer Propaganda erhielt Pastor Krieter ein Telegramm aus Hildesheim. Am Donnerstag, den 6. September 1934, las er: „ Bischof beabsichtigt, Ihnen Wilhelmsburg, Bonifatius, zu übertragen; erbitten Drahtantwort, Generalvikariat“ [17]
Karl-Andreas Krieter war überrascht. Weil der damalige Pfarrer von St. Bonifatius,...