In dem „Leben Luthers“ bietet das Kapitel „Luthers Häuslichkeit“ als freundliche Idylle ein liebliches Ausruhen von den dramatischen Kämpfen und dem epischen Gange einer reformatorischen Wirksamkeit. Die Briefe an eine „liebe Hausfrau“ sind unter den Tausenden seiner Episteln die schönsten und originellsten. Dafür liegt der Grund doch nicht allein in dem reichen Gemüt und dem geistvollen Humor des großen Mannes, sondern auch in der Persönlichkeit seiner lebhaften, temperamentvollen Gattin. Es muß doch eine bedeutende Frau gewesen sein, die der große Mann als seine Lebensgefährtin zu sich emporhob und die sich getraute, die Gattin des gewaltigen Reformators zu werden und der es gelungen ist, ihm zu genügen; und ein sympathischer Charakter mußte das sein, an dem er seine frohe Laune so schön entfalten konnte. Sie hat ihrem Doktor das schöne Heim geschaffen und das vorbildliche evangelische Pfarrhaus. Und so lebt auch Luthers Käthe als die Genossin von dem Liebling und Stolz unserer Nation in der Seele des deutschen Volkes in gutem Gedenken.
Es kann nun auffallen, daß eine eigentliche Lebensgeschichte der Gattin Luthers bisher noch gar nicht erschienen ist, daß fast mehr schmähsüchtige Feinde, wie vor hundertfünfzig Jahren ein Engelhard, ihre wenig lauteren Künste an dieser Aufgabe geübt haben; und besonders ist zu verwundern, daß in dem letzten halben Jahrhundert, diesem so hervorragend historischen Zeitalter, — seit den beiden gleichzeitig erschienenen quellenreichen Skizzen von Beste und Hofmann — keine Biographie entstand, nicht einmal für dieses Jubiläumsjahr ihres vierhundertjährigen Geburtstages.
Der Grund dieser eigentümlichen Erscheinung liegt aber doch klar. Einmal wird eben in „Luthers Leben“ das Bild Katharinas von Bora stets mit hineingemalt; sodann ist es schwierig, neben der gewaltigen Gestalt ihres Gatten sie recht zur Geltung kommen zu lassen; endlich ist eine mühsame Kleinarbeit erforderlich, um eine lebensvolle Zeichnung zu entwerfen, und überraschende Entdeckungen sind bei aller Findigkeit hier nicht zu machen.
Dennoch verdient Luthers Käthe — so viel das geschehen kann — für sich besonders betrachtet zu werden, wie ja ihr Bild so oft für sich neben demjenigen des großen Doktors gemalt ist. Ist Frau Käthe freilich nichts ohne den D. Martinus, so kann man doch auch fragen: Was wäre Luther ohne seine Käthe? Dem Lebensbilde des großen Reformators fehlte das menschlich Anziehende, fehlten die vor allem uns Deutschen ausbrechenden gemütlichen Beziehungen des Familienlebens. Und das hat Frau Käthe ihm geschaffen. Ihr ist es zu verdanken, daß die Welt ihn so lange, und so lange in geistiger Frische und freudigem Arbeitseifer gehabt hat.
So mag es ein Denkmal sein, und — wie es der schlichten deutschen Hausfrau geziemt — ein anspruchsloses, was ihr hier zu ihrem vierhundertjährigen Gedächtnistage gesetzt ist.
Zur Zeit der Reformation umfaßte das Land Sachsen etwa das heutige Königreich, den größten Teil der Provinz Sachsen und die thüringisch-sächsischen Staaten. Diese sächsischen Lande aber waren seit dem Erbvertrag von 1485 zwischen den Ernestinern und Albertinern geteilt in ein Kurfürstentum und ein Herzogtum. Wunderlich genug war diese Teilung, aber ganz nach damaligen Verhältnissen: zum Albertinischen Herzogtum, auch „Meißen“ genannt, gehörte der größte Teil vom heutigen Königreich mit den Städten Meißen, Dresden, Chemnitz; ferner ein schmaler Streifen von Leipzig bis nach Langensalza. Dazwischen dehnte sich das Kurfürstentum mit den Hauptstädten Wittenberg, Torgau, Weimar, Gotha, Eisenach westwärts, und Zwickau und Koburg nach Süden. Die Kursachsen sahen mit einigem Stolz auf ihre Nachbarn herab, welche bloß herzoglich waren, gebrauchten auch wohl den alten Spottreim: „Die Meißner sind Gleisner“. Wenn's auch nicht wahr war, es reimte sich doch gut.
Aus dem Herzogtum Meißen stammte nun Katharina von Bora, Luthers
Hausfrau, während er selbst ein geborener Mansfelder, dann ein Bürger
der kursächsischen Residenz Wittenberg und Beamter des Kurfürsten war.
Er beklagte sich wohl bei seiner Frau über ihren Landesherrn, Herzog
Georg den Bärtigen, welcher, ein heftiger Gegner der Reformation, mit
Luther in steter Fehde lag, gehässige Schriften gegen ihn losließ und
die Lutheraner im Lande „Meißen“ verfolgte. Daneben neckte Luther seine
Käthe auch, als sie in Leipzig bei seinen Lebzeiten die Märe von seinem
Tode verbreiteten: „Solches erdichten die Naseweisen, deine
Landsleute“.
Im Meißenschen nun hinter der Freiberger Mulde, eine Stunde ostwärts von dem „Schloß und Städtchen“ Nossen lagen die beiden Ortschaften Wendisch- und Deutschenbora, eine Viertelstunde von einander zwischen Tannengehölzen, denn Tanne heißt auf slavisch „Bor“. Hier hatte das Geschlecht der Bora seinen Stammsitz. Von dort verpflanzte es sich in verschiedenen Zweigen an viele Orte des Sachsenlandes; so auch in die Nähe von Bitterfeld und Borna, je fünf Stunden nördlich und südlich von Leipzig. Sie führten alle im Wappen einen steigenden roten Löwen mit erhobener rechter Pranke in goldenem Feld und den Pfauenschweif als Helmzier.
Aus welchem dieser neun oder zehn Zweige aber Frau Katharina, des Reformators Ehegattin, stammte, ist nicht mehr gewiß auszumachen. Mehr als sieben Orte, wie bei dem Vater der griechischen Dichtung, Homer, streiten sich um die Ehre, ihre Geburtsstätte zu sein: das ist fast jeder Ort, wo früher oder später Bora gewohnt und gewaltet haben. Aber man kann eher noch beweisen, daß sie aus acht dieser Orte nicht stammt, als daß sie am neunten Ort wirklich geboren sei.
Vielleicht ist Katharinas Geburtsort beim alten Stammsitz des Geschlechts: zu Hirschfeld, einem sehr fruchtbaren Hofgut in der dörferreichen Hochebene, wo man nördlich nach dem nahen Deutsch-Bora und dem etwas ferneren Wendisch-Bora schaut, gen Westen aber, in einer Entfernung von einer Stunde, die burggekrönte Bergnase von Nossen erblickt.
Wahrscheinlicher aber wurde Käthe zu Lippendorf geboren. Westwärts nämlich von Borna an der Pleiße zieht sich als meißnisches Gebiet ein weites Blachfeld, dessen Einförmigkeit nur durch dunkle Gehölze unterbrochen wird. Nur ein paar hundert Schritte von dem Kirchdorf Medewitzsch erhebt sich das Häuflein Häuser des kleinen Dörfchens Lippendorf und etwas abseits gelegen ein größeres Gut, mit einem Teiche dahinter. Das war zwar kein rittermäßiger Hofsitz, aber doch ein stattliches Lehngut, das heutzutage seinen Besitzer zu einem wohlhabenden Bauern macht. Um 1482 saß dort ein Hans von Bora mit seiner Gemahlin Katharina; um 1505 ist's ein Jan von Bora mit seiner Gattin Margarete, einer geborenen von Ende. Wahrscheinlich ist Hans und Jan nicht Vater und Sohn, sondern dieselbe Person und Margarete nur seine zweite Ehefrau.
Hier wäre nun Katharina an dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, 15-1/4 Jahre nach Martin Luther, auf die Welt gekommen. In diesem bauernhofähnlichen Anwesen wäre sie — vielleicht unter einer Stiefmutter — herangewachsen. An diesem Teich hätte sie als Kind gespielt und hinübergeschaut nach dem nahen Rittersitz Kieritzsch mit seinem Schloßpark und kleinen Kirchlein, und weiterhin über die Wiesen und Gehölze der Mark Nixdorf nach der „Wüstung Zollsdorf“ — wo sie später als ehrsame Hausfrau und Doktorin vom fernen Wittenberg herkommend hausen und wirtschaften sollte, wie sie's zu Lippendorf in Hof und Stall, Küche und Keller von der fleißigen Mutter gelernt.
Aber sicher ist diese Annahme nicht. Es kann auch ein anderer Ort
Katharinas Geburtsstätte sein.
Ja, sicher weiß man nicht einmal den Namen von Vater und Mutter. Hans konnte der Vater wohl geheißen haben, so hieß damals jeder dritte Mann, auch im Bora'schen Geschlecht. Und nach einer andern, nicht unglaubwürdigen Nachricht wäre die Mutter eine geborene von Haubitz gewesen und hätte nach der Tradition den ebenfalls zu jener Zeit sehr beliebten Namen Anna getragen. Dann wäre freilich Lippendorf nicht Käthes Heimat gewesen. Unzweifelhaft gewiß ist nur ihr Geburtstag, der 29. Januar 1499; denn dieser Tag ist auf einer Schaumünze eingegraben, die heute noch vorhanden ist.
Auch ihre nächsten Verwandten sind bekannt.
Katharina hatte wenigstens noch drei Brüder. Der eine, dessen Name nicht genannt ist, verheiratete sich mit einer gewissen Christina und starb ziemlich frühzeitig, vielleicht schon um 1540. Denn sein Sohn Florian, der etwa gleichaltrig mit Luthers Aeltestem d.h. damals vierzehn Jahre alt war, wurde um diese Zeit ins Haus genommen und wollte 1546 die Rechte studieren; damals war „Christina von Bora Witfraw“.
Der andere Bruder Katharinas ist Hans von Bora. Er war 1531 in Diensten des Herzogs Albrecht von Preußen, kehrte aber etwa 1534 von dort zurück, um für sich und seine Brüder das Gütlein Zulsdorf als „Erbdächlein“ zu übernehmen. Er bekam in seinen Mannesjahren von seinem Schwager Luther und von Justus Jonas das Lob eines „aufrichtigen, feinen und treuen Menschen“. „Treu und brav ist er, das weiß ich, dazu auch geschickt und fleißig“, bezeugt ihm...