»Ich würde sagen, ich fürchte mich so sehr davor,
Angst zu haben, dass ich keine Angst habe.«
HÉLÈNE CIXOUS
Was ist Macht – und warum brauchen wir sie?
Als Kind dachten Sie, die ganze Welt würde sich nur um Sie drehen. Sie waren es gewohnt, so ziemlich alles zu bekommen, was Sie wollten. Einfach dadurch, dass Sie laut und anhaltend schrien. Sie waren unglaublich spontan. Sie konnten sich innerhalb einer Sekunde in einen Helikopter verwandeln und über dem Wohnzimmerteppich kreisen. Und Sie hatten großes Vertrauen in Ihre Kampftechnik. Wenn Ihnen Ihre Geschwister oder irgendein anderes Kind auf die Nerven gingen, bissen Sie schon mal zu. Dann kamen Sie in den Kindergarten. Ihr Freundes- und Bekanntenkreis erweiterte sich schlagartig. Ihr anarchisches Temperament wich dem Bewusstsein, dass für das Zusammenleben gewisse Regeln erforderlich sind (»Teile!« – »Spiel fair!« – »Räum deinen Saustall auf!« – »Entschuldige dich, wenn du Mist gebaut hast!« – »Wenn nichts mehr geht, iss ein Stück Schokolade!«). Sie lernten, wie man (fast) ohne Gewalt und Zickenterror seinen Platz in einer größeren Gruppe behauptet – und trotzdem man selbst bleibt. Damals waren Sie mit sich und Ihrem Leben rundum zufrieden. Das sind Sie heute natürlich immer noch. Keine Frage. Sie sind ja jetzt groß und haben ein eigenes Auto, das Sie selbst fahren dürfen. Trotzdem ist alles irgendwie nicht mehr so schön wie früher.
Denken Sie an die Zeit, als Sie sich zuletzt so richtig hundertprozentig glücklich fühlten. Sie erinnern sich nicht? Schon komisch: Obwohl Sie inzwischen die Schule hinter sich gebracht haben und überhaupt deutlich klüger sind als damals, ist Ihnen seit Ihrer Kindheit einiges abhandengekommen. Lockerheit, Fröhlichkeit, Gelassenheit. Wie konnte das passieren?
Geben Sie es zu: Das Erwachsensein hat Ihnen ganz schön zugesetzt. Ihr Urvertrauen ist erschüttert, Ihr Enthusiasmus der Ernüchterung gewichen, Ihr Gefühl von Macht einem Ohnmachtsgefühl. Was nun? Es sieht nicht gut für Sie aus. Sie können die Zeit nicht zurückdrehen. Auch wenn Sie jetzt in der Lage sind, sich Ihr Pausenbrot selbst zu schmieren – in Ihrem Alter werden Sie keinen Kindergartenplatz mehr bekommen. Also haben Sie nur noch drei Möglichkeiten:
a) Sie ergeben sich in das Schicksal aller Unzufriedenen und beißen die Zähne zusammen.
b) Sie warten auf eine Fee, die sich Ihrer 1 000 Probleme annimmt.
c) Sie nehmen das Zepter in die Hand.
Wenn Sie Ihr Leben ändern wollen, rate ich zu c. Dieses Buch zeigt Ihnen, wie Sie sich die Unerschrockenheit Ihrer Kindertage zurückholen und durch imposantes Auftreten in der Erwachsenenwelt dramatische Veränderungen bewirken können … Denn in diesem Buch geht es um MACHT.
»Macht« ist ein notorisch schwammiger Begriff.1 »Die Macht der Macht«, schreibt der deutsche Soziologe Niklas Luhmann (1927–1998), »scheint im Wesentlichen auf dem Umstand zu beruhen, dass man nicht genau weiß, um was es sich eigentlich handele«.2 Machtphänomene sind politisch, militärisch, ideologisch, psychologisch, soziologisch oder ökonomisch bedeutsam – oder alles zusammen. Macht an sich ist weder gut noch schlecht. Das Wort »Macht« geht auf das alt- und mittelhochdeutsche »maht« und das altgotische »magan« für »machen« oder »können« zurück.3 Macht ist zunächst nur eine Disposition, eine Fähigkeit. Es ist die Potenz (von lateinisch potentia), Einfluss zu nehmen, etwas bewirken und verändern zu können.
Vom Potenz-ial der Macht zur konkreten Machtausübung ist es oft ein langer Weg. Wir sind schließlich nicht allein auf der Welt. Außer uns gibt es Milliarden anderer Menschen, die wie wir Ziele und Interessen verfolgen; Ziele und Interessen, die unserem eigenen Wirken oft empfindlich im Wege stehen. Solange sich unsere Macht zu etwas sich nicht als Macht über etwas oder jemanden bemerkbar macht, bleibt sie bloße Potenz, bloße Chance. Kein Mensch hat »Macht schlechthin«4. Wir alle sind nur so mächtig, wie es unsere Beziehungen zu uns selbst und anderen – je nach Situation – erlauben. Niemand ist ewig mächtig (oder ohnmächtig). Macht ist nichts Statisches, sondern stets in Veränderung begriffen. Sie entsteht in und durch Handeln,5 wird größer oder kleiner, wächst oder schwindet. Macht ist nicht absolut, sondern relativ. Sie wirkt je nach Kontext, je nach sozialem Gefüge. Macht ist niemandes Besitz.6 Und: Der Wille zur Macht allein genügt nicht. Man kann sich nicht im luftleeren Raum zum Mächtigsein entschließen. Wenn man nur still bei sich denkt: »Ich bin dann mal mächtig«, und wartet, was geschieht, geschieht gar nichts. Man muss schon ein wenig aktiver werden, den Mund aufmachen, sich artikulieren, kommunizieren7, handeln. Wie mächtig man wirklich ist, was man in seinem Leben bewirken und verändern kann, hängt davon ab, was man aus seinen Beziehungen macht.
Die Beziehung der modernen Frau zur Macht ist kompliziert. Die moderne Frau ist so mächtig, dass sie fast schon wieder ohnmächtig ist. Sie kann so viel, dass dieses viele sie beinahe unterjocht. Die Frau von heute ist klug, kompetent, engagiert, stilsicher, qualitätsbewusst. Sie ist effizient, produktiv, erfolgreich. Und sie ist extrem diszipliniert. Sie möchte nicht nur beruflich durchstarten, sondern auch eine gute Partnerin, sensationelle Mutter und/oder tolle Freundin sein (bitte möglichst alles gleichzeitig!) – und sie möchte dabei stets gut aussehen. Ihre Ansprüche sind hoch, höher, die höchsten. Vor allem die an sich selbst. Ihre Interessensgebiete reichen von Mode, Muffins, Männern und dem MDAX bis hin zu Marathon. Macht gehört eher nicht dazu. Warum eigentlich nicht?
Wenn Sie eine moderne Frau sind und die Vorteile des Mächtigseins entdecken wollen, haben Sie zum richtigen Buch gegriffen. Dieses Buch macht Ihnen Mut zum Umdenken. Es möchte Sie ermächtigen, sich aus der Überdrehungs-und-Anspannungs-Spirale zu befreien, tatsächliche und vermeintliche Abhängigkeiten loszuwerden und Ihre eigene Herrin zu sein, kreativ zu werden, Ihre Mitmenschen zu inspirieren und Großes in Bewegung zu setzen. Es will Sie zu einem Fan der Macht machen, indem es Ihnen beweist, dass Freiheit, Glück und Anerkennung nicht ohne Machtausübung zu haben sind.
Dieses Buch erinnert Sie an Ihre Potenz-iale und motiviert Sie, Ihren Mut auszupacken. Den Mut, tätig zu werden, die Ihnen angemessene Position zu erobern und zu erhalten. Den Mut, Sie selbst zu sein und ein Leben zu führen, das nicht nur andere glücklich macht, sondern auch Sie selbst. Wenn Sie zwischen »Glück« und »Macht« partout keine Verbindung herstellen können, weil sich Ihnen schon beim Gedanken an das Wort »Macht« die Zehennägel aufrollen, liegt es vermutlich daran, dass Sie von einem ausschließlich negativen Machtbegriff ausgehen. Sie assoziieren Macht mit Manipulation, Kontrolle, Unterdrückung. Damit haben Sie natürlich nicht ganz unrecht. Macht hat viele Gesichter. Da Machtausübung stets auf einer gewissen Asymmetrie zwischen »Ober« und »Unter« basiert, ist es vom Machtgebrauch zum Machtmissbrauch oft nur ein kleiner Schritt. Aber: Wo Macht Freiheit verhindert, handelt es sich nicht mehr um Macht, sondern um Zwang.8 Der mächtigere »Ober« (der Chef, die Mutter, der Therapeut, die Kanzlerin) muss dem ohnmächtigeren »Unter« (der Mitarbeiterin, dem Kind, dem Patienten, dem Volk) eine wenigstens minimale Möglichkeit lassen, jederzeit frei zu wählen, ob er sich mit dem Willen des »Ober« identifizieren und gehorchen will – oder lieber für eine andere Option votiert. Eine, die das bisherige Machtverhältnis Potenz-iell ins Wanken bringt. Jeder Mensch, der nicht unter Zwang steht und keiner körperlichen Gewalt ausgesetzt ist, hat eine Chance aufs Mächtigsein – dadurch, dass er jederzeit anders handeln kann.
Die Dramaturgie dieses Buches folgt der Machtentwicklung der modernen Frau im Kampf gegen traditionsreiche Frauenleiden – Automatismen des Denkens, Fühlens und Tuns, die bis in die 1950er-Jahre oder gar ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Sie beginnt bei der Beziehung dieser Frau zu sich selbst (Teil I), setzt sich in ihren Beziehungen zu anderen fort (Teil II) und endet bei Wirklichkeit und Möglichkeit weiblicher Macht im Kontext des (angestammt) Männlichen (Teil III). Ob Sie diesen Weg lesend nachvollziehen und Ihre eigenen Konsequenzen daraus ziehen oder lieber intuitiv zwischen den Kapiteln hin- und herspringen: Ihre Macht wird unaufhaltsam wachsen. Denn am Ende jeden Kapitels finden Sie ein »Philosophisches Machtmittel«, das zur sofortigen Verwendung für Sie bereitsteht.
Teil I dreht sich um die gefährliche Angewohnheit moderner Frauen, sich für andere selbst zu optimieren, bis der Arzt kommt. Frauen am Abgrund sind Meisterinnen der Selbstausbeutung, der Angst und des schlechten Gewissens. Kapitel 1 veranschaulicht den Machtkampf, der in der Frau am Abgrund tobt, zeigt, welche Rolle ihr innerer »Herr« und »Knecht« dabei spielen, und schafft die Basis, um die eigene »Knechtschaft« in »Herrschaft« zu verwandeln. Kapitel 2 widmet sich dem...