Kapitel 1
Multitalent Schilddrüse
Die relativ kleine Schilddrüse ist für einen gesunden Organismus extrem wichtig. Sie beeinflusst alle möglichen Körperfunktionen und kann auf unterschiedlichste Weise die Lebensqualität mindern. Sind beispielsweise zu viele oder zu wenige Schilddrüsenhormone im Blut, geraten bei vielen Menschen die Psyche, das Herz-Kreislauf-System und das Körpergewicht aus der Balance. Die betroffenen Patienten fühlen sich einfach nicht mehr wohl in ihrer Haut. Dabei sind es oft viele Kleinigkeiten, die in der Summe extrem lästig sind.
Lage, Größe und Form
Die Schilddrüse liegt im Hals, und zwar kurz unter dem Kehlkopf und vor der Luftröhre. Im gesunden Zustand ist sie so klein, dass sie von außen kaum gesehen oder ertastet werden kann. Beim Schlucken allerdings bewegt sich der Kehlkopf und die Schilddrüse gleich mit. Durch diese Schluckbewegungen kann der geübte Blick des Facharztes feststellen, ob die Schilddrüse in Form und Größe auffällig verändert ist. Das ist zwar keine gesicherte Diagnose, sondern nur ein wertvoller Hinweis darauf, ob weitere Untersuchungen notwendig sind.
Die Schilddrüse ist ungefähr so groß wie eine Walnuss. Bei einer Frau wiegt das Organ etwa 18 Gramm und beim Mann kann es bis zu 25 Gramm wiegen. Durch ihre Position erhielt die Schilddrüse ihren Namen: Sie liegt nämlich wie ein Schild, umgeben von Halsmuskeln, vor der Luftröhre. Als Drüse wird sie bezeichnet, weil die Hormonproduktion ihre wichtigste Aufgabe ist.
Die Schilddrüse hat – mit ein bisschen Fantasie betrachtet – die Form eines Schmetterlings. Sie hat zwei Seitenlappen mit einem Verbindungssteg (Isthmus) in der Mitte. Die Seitenlappen bestehen aus kleinen Drüsenläppchen, den Lobuli. Diese wiederum teilen sich in winzige Bläschen (Follikel) auf. Hinter der Schilddrüse liegen vier pfefferkorngroße Nebenschilddrüsen. An sich ist die Schilddrüse (rein optisch) ein eher unscheinbares Organ, doch hier entstehen die Stoffe, die den ganzen Körper beeinflussen – die Schilddrüsenhormone.
Alle eineinhalb Stunden fließt das gesamte Blut eines Menschen einmal durch die Schilddrüse. Damit ist sie etwa vier- bis fünfmal stärker durchblutet als zum Beispiel die Niere – und das nicht ohne Grund: Die Schilddrüsenhormone, im Wesentlichen T3 (Trijodthyronin) und T4 (Tetrajodthyronin oder Thyroxin), mischen im Körper fast überall mit. Unter ihre Regie fallen beispielsweise das Herz-Kreislauf-System, die Verdauung, der Knochenaufbau und sogar die Psyche.
Der geregelte Hormonhaushalt
Die Schilddrüse ist ein hormonproduzierendes Organ und somit Teil des sogenannten endokrinen Systems. Der geregelte Hormonhaushalt, der durch die Schilddrüsenhormone in Gang kommt, ist, neben dem Nervensystem, das zweitgrößte körpereigene Netzwerk. Die Aufgabe dieses Netzwerks ist es, wichtige Kommunikations- und Steuerungsabläufe im Körper anzuregen und zu optimieren. Dazu gehören so wichtige Bereiche wie Körperwachstum und Knochenstruktur, Verdauung und Fortpflanzung.
Endokrine Drüsen
Davon gibt es im Körper mehrere: Zirbeldrüse, Hypothalamus, Hirnanhangdrüse, Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Nebenniere und Bauchspeicheldrüse sowie die weiblichen bzw. männlichen Geschlechtsorgane. Jede einzelne dieser Drüsen produziert bestimmte chemische Stoffe, also Hormone, die ins Blut abgegeben und zu bestimmten Zielorganen transportiert werden. Dort bewirken sie den Aufbau, die Veränderung oder die Funktion bestimmter Körperzellen.
Ganz allgemein sind Hormone chemische Botenstoffe, die über den Blutkreislauf zu allen möglichen Körperbereichen transportiert werden. Dabei hat jedes Hormon ein spezielles Ziel, nämlich eine Zelle, an die es andockt und eine Veränderung bzw. Funktion in Gang setzt. Im Falle der Schilddrüsenhormone ist es im Wesentlichen eine Beschleunigung oder Verlangsamung der ursprünglichen Zellaktivitäten.
Obwohl es (vgl. Kasten) viele Drüsen im Körper gibt, so sind diese doch jeweils hochspezialisiert und voneinander unabhängig. Allerdings werden sie alle von der Hirnanhangdrüse gesteuert und vom Hypothalamus, der der Hypophyse vorgeschaltet ist, kontrolliert.
Die Hirnanhangdrüse (auch Hypophyse genannt) ist ein etwa erbsengroßes Organ und zugleich doch der Taktangeber der meisten hormonproduzierenden Drüsen. Sie liegt im Zwischenhirn und ist eng mit dem Hypothalamus verbunden. Acht verschiedene Hormone werden dort produziert – für die Schilddrüse relevant ist vor allem das TSH.
Wenn man nun die Funktionsweise der Schilddrüse verstehen möchte, so kann man sich diesen Regelkreis in etwa so vorstellen:
Im Hypothalamus wird das Hormon TRH produziert. Es wird auch als Thyreotropin releasing hormone bezeichnet. Dieses Hormon wird an die Hypophyse weitergeleitet, die damit sozusagen den Auftrag erhält, ein weiteres Hormon zu produzieren: das TSH. Je mehr TSH ins Blut abgegeben wird und auf diesem Weg in die Schilddrüse gelangt, desto intensiver ist die Reaktion der Schilddrüse: Sie produziert quasi als Antwort T4- und T3-Hormone (sowie einige andere, vgl. hier). Diese werden einerseits in der Schilddrüse gespeichert und andererseits ebenfalls ins Blut abgegeben.
Die Hormonproduktion der Schilddrüse wird also über die Hypophyse initiiert und dem jeweiligen Bedarf angepasst. Ist ein gewisser Level an Schilddrüsenhormonen im Blut erreicht, wird die Produktion wiederum über Hypothalamus und Hypophyse gedrosselt.
Die Schilddrüsenwerte, die beispielsweise durch Laboruntersuchungen ermittelt werden, zeigen also nicht nur, ob die Schilddrüse an sich arbeitet, sondern auch, ob und wie gut der Regelkreis zwischen Schilddrüse und Hirnanhangdrüse funktioniert.
Nun gehört es auch zum Gesamtverständnis dieses komplexen Vorgangs, die einzelnen Protagonisten genauer zu betrachten:
Ganz allgemein gibt es zwei Gruppen: Das TSH nennt man im medizinischen Fachjargon auch zentraler Schilddrüsenwert (Thyreotropin). Die Schilddrüsenhormone T3 und T4 werden als periphere Schilddrüsenwerte bezeichnet.
Der zentrale Schilddrüsenwert
Die Abkürzung TSH steht für Thyreotropin. Im Fachjargon wird dieses Hormon auch als Thyreoidea stimulating hormone bezeichnet. Der Name gibt zugleich einen guten Hinweis auf die Aufgabe, nämlich die Stimulierung der Hormonproduktion in der Schilddrüse. TSH wird von der Hypophyse produziert und über die Blutbahn zur Schilddrüse transportiert. Dort angekommen, regt es die Aufnahme von Jod an und fördert damit die Produktion von T4 und T3.
Schilddrüsenhormone und ihre Normbereiche
Schilddrüsenhormone | Normalwerte |
fT3 (freies T3) | 2,2 – 5,5 pg / ml |
fT4 (freies T4) | 0,6 – 1,8 ng / dl pmol / l |
Thyreotropin (TSH) | 0,4 – 2,5 mU / l |
Die peripheren Schilddrüsenwerte
Als periphere Schilddrüsenwerte bezeichnet man T3 und T4.
Die Abkürzung für Trijodthyronin ist T3.
Das ist das wirkungsvollste Schilddrüsenhormon und bleibt bis zu 19 Stunden im Organismus, bevor es abgebaut wird.
Die Abkürzung für Thyroxin bzw. L-Thyroxin ist T4.
Diese T4-Hormone sind chemisch gesehen überwiegend eine Vorstufe zum T3. Deshalb kursieren in der Regel dreimal mehr T4-Hormone im Organismus als T3. Sie werden bedarfsgerecht in den Körperzellen umgewandelt.
Freies T3 und T4 (auch fT3 und fT4)
Sie gehören ebenfalls zu den peripheren Schilddrüsenhormonen. Während T3 und T4 nicht frei im Blut zirkulieren, weil sie an ein sogenanntes Transportprotein (das ist eine Eiweißform) gebunden sein müssen, können freie T3- und T4-Hormone ungebunden als Botenstoffe durchs Blut zirkulieren.
Das wichtigste Bindungseiweiß ist das Thyroxin bindende Globulin (TBG).
Zu den Schilddrüsenhormonen gehört auch das Calcitonin. Dieses Hormon steuert den Kalzium- und Phosphathaushalt. Erhöhte Werte können unter anderem auf Schilddrüsenerkrankungen hindeuten.
Schilddrüse & Stoffwechsel: Alles und Nichts?
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