Konfliktklärung – Situations- und Auftragsklärung
Es gilt herauszufinden, ob man die Aufgabe übernehmen möchte
Wurde in einer Organisation oder einem Team entschieden, zur Klärung eines bestehenden Konflikts einen Konfliktmoderator/Konfliktmediator hinzuzuziehen, wird bei diesem bald das Telefon klingeln ...
Jetzt geht es darum, das Anliegen des Anrufers zu klären und herauszuarbeiten, ob es zu einer Zusammenarbeit kommen soll. Dazu ist wichtig, das Selbstverständnis zu vermitteln, mit dem man an eine Konfliktklärung herangeht. Zudem gilt es, herauszufinden, ob man diese Aufgabe übernehmen möchte. Für diesen Fall sollte man wissen, mit welchen typischen Denkfehlern und daraus resultierenden Erwartungen man rechnen muss.
Typische Denkfehler
Konflikte sind schlecht!
In China setzt sich der Begriff Konflikt aus dem Zeichen für »mögliche positive Veränderung« und dem Zeichen für »mögliche Gefahr« zusammen. Dementsprechend kann ein Konflikt sowohl als fortschrittshemmende Störung wie auch als unabdingbarer Motor und Stimulus sozialen Wandels gesehen werden. Ich finde diese chinesische »Doppeldeutigkeit« erwähnenswert, weil sie einen wichtigen Kern trifft: Jede Krise beinhaltet Chancen, wenige oder viele, das ist ganz unterschiedlich – nie aber keine! Dies sollte man als Konfliktmoderator verinnerlicht haben. Am leichtesten gelingt einem dies, wenn man das selbst schon durchlebt und erfahren hat, wenn man selbst die eine oder andere »Konfliktschramme« abgekriegt hat.
Jeder Konflikt birgt Potenzial
Dennoch ist auch die Überzeugung wichtig, dass Konflikte nicht immer in »Harmonie« münden können oder müssen. Konfliktbearbeitung ist nicht das Streben, den Zustand wiederherzustellen, der »früher einmal« war. Vielmehr geht es darum, den Beteiligten und Betroffenen in einem ersten Schritt zu helfen anzuerkennen, was ist. In einem zweiten Schritt kann dann ein Verstehen erwachsen, wie es dazu kam, dass es ist, wie es nun einmal ist. Auf dieser Basis kann dann eine (Er)Lösung entstehen – eine Garantie gibt es dafür freilich nicht.
Hinterher ist es so, wie es einmal war!
Man sollte sich als Konfliktmoderator und freilich auch als Konfliktbeteiligter (da ist es nur ungemein schwerer) der Tiefe einer weiteren chinesischen Weisheit bewusst sein: »Du kannst nicht zweimal in denselben Fluss steigen!« Es wird niemals mehr so sein, wie es war, wie schlecht oder gut die Konfliktbearbeitung und Verarbeitung auch immer gelingen mag. Es wird danach schlechter oder besser, auf jeden Fall aber anders sein. Daraus folgt, dass es kindlich naiv, ja unredlich ist, als Konfliktmoderator als Ergebnis einer gemeinsamen Konfliktbearbeitung eine Konfliktlösung zu versprechen, die alles »heil macht«, sodass es hinterher wieder so ist, wie es »vorher einmal war«.
Konfliktbearbeitung bedeutet Konfliktlösung!
Die Anforderung an den Konfliktmoderator ist die, (bestenfalls) eine Klärung der Situation in Aussicht zu stellen, wohl wissend, dass er selbst diese nicht garantieren kann, da er es dazu fertigbringen muss, dass die Konfliktparteien 1. »auspacken« und 2. anerkennen, was ist, um 3. zu erkennen, wie es dazu kam, dass es jetzt ist, wie es ist, und um 4. das (Er)Finden von »Lösungen« erst zu ermöglichen. Gelingt dies, ist ein Stadium erreicht, in dem es möglich ist, darüber nachzudenken, was das nun für die gemeinsame – oder auch nicht gemeinsame – Zukunft bedeuten könnte, kann, wird ... Nur so und erst dann kann eine nachhaltige Lösung entstehen!
Eine Lösung muss »schön« sein!
Die Lösung kann auch in der Trennung liegen
Lösung muss nicht »Friede, Freude, Eierkuchen« heißen! Lösung kann auch heißen: »Wir finden keine Basis mehr für ein weiteres Miteinander. Das Gegeneinander soll (oder muss) aber dennoch aufhören. Die Lösung sieht so aus, dass wir uns trennen.« In einer Organisation kann das bedeuten, dass die Organisationsstruktur verändert wird, dass jemand die Abteilung wechselt oder die Organisation verlässt.
»Möglicherweise ist eine Lösung nicht zu erreichen.«
Ein Konflikt muss analysiert werden!
Bei der Auftragsklärung ist es wichtig, nicht zu wenig zu fragen, vielleicht aus Angst, begriffsstutzig zu wirken oder als inkompetent anzukommen. Andererseits sollte man unbedingt darauf achten, nicht zu tief einzusteigen. Das birgt nämlich die Gefahr, parteiisch zu werden, indem man sich zu sehr nur in die Seite hineindenkt, mit der man das Vorgespräch führt. Zudem ist darauf zu achten, dass »der Druck im Kessel« bleibt und der Gesprächspartner nicht schon jetzt entlastet wird und dadurch im Vorfeld der Eindruck entsteht, es sei ja »bereits alles gesagt«. Beides würde die spätere Klärungsarbeit erschweren.
Vorherige Treffen vermeiden
Daher macht es in aller Regel auch keinen Sinn, vorab mit weiteren oder gar allen Beteiligten zu sprechen. Meist reicht es, mit dem für den Konflikt Verantwortlichen den Auftrag zu klären. Möchte der Auftraggeber vor/zur Auftragsvergabe ein »Kennenlern-Treffen« oder/und, dass Einzelgespräche mit allen Beteiligten geführt werden, zeugt das lediglich von seiner Unsicherheit. Er will jetzt alles richtig machen und »auf Nummer sicher« gehen. Erklärt man sich zu einem Treffen bereit, muss man wissen, welchen Preis es kosten wird! Es empfiehlt sich, ein derartiges Ansinnen aus genannten Gründen abzulehnen. Es schadet meist mehr, als es nützt.
Situationsscreening
Um eine Orientierung dafür zu bekommen, was es zu klären gilt, kann man eine Metapher nutzen, man könnte sie »Situationsscreening« oder auch Busfahrt nennen. Dabei stellt man sich vor, dass die Betroffenen im Autobus unterwegs sind, und fragt sich: »Was ist im Bus los, was sieht man im Rückspiegel, was beim Blick durch die Frontscheibe, wie sieht die Umgebung aus?«
Innenraum: Was ist denn da derzeit im Bus los? Sitzt jemand am Steuer? Fährt diese Person das Fahrzeug sicher? Hat sie das Vertrauen der Insassen? Ist das Fahrzeug ohne Steuermann, oder steuern es gleich mehrere?
Rückspiegel: Was sieht man im Rückspiegel? Ist die Vergangenheit »spurlos« an den Beteiligten vorübergegangen oder gibt es Ereignisse, die die aktuelle Situation prägen? Liegt da ein Scherbenhaufen oder verhängt aufgewirbelter Staub die Sicht?
Frontscheibe: Was sieht man, wenn man durch die Frontscheibe schaut? Worauf steuern die Insassen zu? Wo wollen sie hin? Was ist ihr Ziel? Gibt es mehrere Ziele? Was ist der Auftrag?
Umfeld: Wie ist die Umgebung beschaffen? Wie das Wetter? Wie die Fahrbahn? Mit welchen Einflüssen und Anforderungen sind die Betroffenen konfrontiert?
Fragen, mit denen man diese vier Aspekte »abscannen« kann, sind:
Frontscheibe
- Welche Aufgaben hat das Team künftig?
- Was sind die Ziele, die das Team anstrebt?
- Wird sich in absehbarer Zeit organisatorisch etwas ändern?
- Welche Ziele verfolgen Sie mit der Konfliktklärung konkret?
- Was darf keinesfalls passieren?
- Was machen Sie, wenn die Konfliktmoderation keine Besserung der Situation bringt?
- Aus welchem Grund machen Sie das nicht schon jetzt?
Innenraum
- Was ist los? Worum geht es konkret?
- Wie äußert sich der Konflikt?
- Welche Rolle spielen Sie in dem Ganzen?
- Wer ist alles involviert?
- Wie verhalten sich diese Personen in Bezug auf den Konflikt?
- Besteht Konfliktbewusstsein/Leidensdruck/Bereitschaft zur Bearbeitung?
- Welche Rolle spielen die Vorgesetzten?
- Wie wirkt sich das konkret auf die Zusammenarbeit aus?
- Sind Sie die für diesen Konflikt zuständige Führungskraft?
- Was ist Ihr Anteil daran, dass es jetzt so ist, wie es ist?
Rückspiegel
- Wie ist die Vorgeschichte?
- Wie lange arbeiten die Menschen schon zusammen?
- Wie lange geht das schon so?
- Wie hat das begonnen?
- Was haben Sie schon unternommen?
Umfeld
- Um welche Organisation handelt es sich?
- Welche Position haben Sie in der Organisation?
- Wie sieht das Organigramm aus?
- Wer sind die anderen Beteiligten und Betroffenen?
- Warum fragen Sie gerade jetzt an?
- Wie stehen die Konfliktparteien dazu, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen?
- Wer weiß davon, dass Sie mit mir sprechen?
- Was ist Ihr Motiv, externe Hilfe anzufordern?
Diese und alle weiteren Fragen, die dem Moderator helfen zu verstehen, wie sich die Situation vor Ort darstellt, sind wichtig. Nur so kann er entscheiden, ob er den Auftrag annehmen möchte. Aspekte, die unbedingt genauer »unter die Lupe« genommen werden müssen, sind im Folgenden skizziert:
Zu klärende Aspekte
Um entscheiden zu können, ob es Sinn macht, die Aufgabe anzunehmen, sind folgende Aspekte gründlich »abzuklopfen«:
a) Echtheit des Anliegens: Ist das Anliegen echt, oder soll die Erledigung einer »lästigen Angelegenheit« in Auftrag gegeben werden?
Es ist zu klären, ob Konfliktmoderation angeraten ist
b) Verhandlung oder Klärung: Soll ein Kompromiss gefunden werden? Ist also eine Verhandlung zu gestalten, die nicht in die Tiefe gehen muss, oder werden Konfliktklärung und Heilung der...