Die Tourismusbranche ist schon seit einigen Jahren einem starken Wandel unterlegen und sie muss sich verstärkt mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und technologischen Trends auseinandersetzen.[1] Zudem handelt es sich um eine reife Branche mit nur geringen Wachstumsraten und Touristen, die aufgrund ihrer Reiseerfahrung immer höhere Ansprüche an das touristische Produkt stellen.[2] Die zunehmende Dynamik auf den Tourismusmärkten führt zu einer höheren Wettbewerbsintensität, der auch Destinationen ausgesetzt sind und deswegen immer häufiger mit Nachfragerückgängen, kürzeren Aufenthalten und Überkapazitäten zu kämpfen haben. [3]
Um den verstärkten Verdrängungswettbewerb abzuschwächen und den negativen Entwicklungen im Tourismus entgegenzuwirken, wird die Lösung schon seit längerem in einer kooperativen Zusammenarbeit der einzelnen touristischen Leistungsersteller gesehen. Die Notwendigkeit dafür resultiert allerdings nicht nur aus dem verstärkten Konkurrenzdruck, sondern ergibt sich vor allem auch aus der speziellen Charakteristik des touristischen Produktes. Das Gesamtangebot einer Destination wird i.d.R. nicht durch einen Anbieter allein gestellt, sondern durch viele verschiedene, unabhängige Leistungsersteller.[4] Da der Gast die Destination aber als Ganzes wahrnimmt, ist eine breite Zusammenarbeit - im Rahmen von Kooperationen - oftmals unerlässlich für die einzelnen Unternehmen. Es gilt die komplementären Güter entlang der gesamten touristischen Dienstleistungskette zu einem abgestimmten und attraktiven Produktbündel zusammenzufassen.[5] Destinationen werden deswegen auch als ein Netz aus kooperationsfähigen und -willigen Netzwerkpartnern gesehen.[6] Die Prozess-, Kompetenz- und Kundenorientierung werden somit als die zentralen Wettbewerbsfaktoren für die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen erachtet. [7]
Voraussetzung für eine funktionierende Netzwerkarbeit im Tourismus ist eine Institution, die die zentrale Koordination und Führung übernimmt. Gemäß ihrer kooperativen Funktionen, kommen dieser Aufgabe vor allem Tourismusorganisationen (TO) nach, die somit eine Doppelfunktion innehaben. [8] Es liegt in ihrem Verantwortungsbereich, die Destination als strategische Wettbewerbseinheit effizient zu managen und die kooperative Zusammenarbeit zu fördern. Zu diesem Zweck sollte sie u. a. ein klares touristisches Leitbild und kooperative Destinationsstrategien definieren, die allen Leistungsträgern zur Orientierung dienen. Ein erschwerender Umstand für TO ist, dass sie gegenüber den selbständigen Unternehmen keine direkte Weisungsbefugnis besitzen, sodass ihr Erfolg daran festgemacht wird, inwieweit sie es schafft, die einzelnen touristischen Akteure durch vertrauensfördernde Maßnahmen zur freiwilligen Teilnahme am Netzwerk zu bewegen. [9]
Problem- und zentrale Fragestellung
Erfahrungen in der Praxis zeigen allerdings, dass viele TO ihren kooperativen Funktionen nicht in ausreichendem Maße nachkommen und somit viele Potenziale und Chancen erfolgreicher Kooperationen ungenutzt bleiben. Dies liegt dabei viel weniger am fehlenden Bewusstsein für eine kooperative Zusammenarbeit, als vielmehr in einer organisationalen und strukturellen Problematik, die im Destinationsmanagement anzutreffen ist. So scheint auf organisationaler Ebene der TO vor allem die operative Umsetzung der kooperativen Strategien große Probleme zu bereiten; falls solche überhaupt definiert werden. Es stellt sich heraus, dass viele TO den administrativen Aufgaben - zu denen auch die Kontrolle der Erfolgswirkung ihrer unternehmerischer Tätigkeiten zählt - gar nicht oder nur unprofessionell nachkommen und somit weit davon entfernt sind, die Destination als strategische Geschäftseinheit zu führen. Die Ursache dafür liegt oft in der strukturellen Problematik begründet, die sich durch stark fragmentierte Destinationsstrukturen und Doppelspurigkeiten in der Aufgabenwahrnehmung unterschiedlicher TO darstellt. Diese Ausgangsproblematik vieler TO spitzt sich insoweit zu, dass nicht nur die touristischen Akteure am Nutzen der Organisationen zweifeln, sondern mittlerweile auch die Tourismuspolitik, die die Vergabe von staatlichen Fördergeldern zukünftig stärker überprüfen möchte und z. B. nur noch an Destinationen vergeben wird, die eine effiziente TO mit funktionierenden Netzwerkbeziehungen, einem strategischen Geschäftsplan und einer geschlossenen Dienstleistungskette vorweisen können.[10]
TO stehen somit immer mehr in der Pflicht ihre Bemühungen in die Netzwerkbeziehungen zu intensivieren und Rechenschaft über die Effektivität ihrer Tätigkeiten anhand quantifizierbarer, ökonomischer Indikatoren abzugeben. Die Forderung nach einem entsprechenden Controllingsystem wird somit immer lauter, wobei sich diese für die Effektivitäts- und Effizienzmessung von TO noch in der Entwicklungsphase befinden.[11]
Als mögliches Instrument könnte sich die Balanced Scorecard (BSC) eignen, die in den 90er Jahren von Kaplan/Norton, zunächst im privatwirtschaftlichen Sektor, als Performance- Measurement Instrument[12] entwickelt wurde. Als mittlerweile gut erprobtes Management- und Controllinginstrument soll sie vor allem dabei helfen, einmal festgelegte Strategien in gezielte operative Maßnahmen umzusetzen und anhand von ausgewählter Kennzahlen kontinuierlich zu messen. Die einzelnen strategischen Ziele und Kennzahlen werden dabei nicht isoliert voneinander betrachtet, sondern in einem Ursache-Wirkungsdiagramm in Verbindung zueinander gesetzt. Seit ihrer Konzeption wurde die BSC ständig weiterentwickelt und man versuchte immer wieder sie den Rahmenbedingungen unterschiedlichster Branchen anzupassen. Aus der Logistikbranche und auf Grundlage des Supply-Chain-Managements (SCM) entstand z. B. der Ansatz einer Netzwerk-BSC. Diese soll Kooperationspartner in Unternehmensnetzwerken dabei unterstützen, bewusst in die Kooperationsarbeit zu investieren, ihre Aktivitäten besser aufeinander abzustimmen und die Effektivität und Effizienz der gemeinsamen Zusammenarbeit zu messen. [13]
Da TO gemäß ihrer Doppelfunktion unter starken Druck stehen effizienter und effektiver zu arbeiten, um
1. ihren unternehmensinternen, operativen Tätigkeiten besser nachzukommen, damit politische und private Stakeholder einen höheren Nutzen wahrnehmen, und um
2. die kooperative Zusammenarbeit innerhalb des Destinationsnetzwerkes stärker zu fördern, um besser im internationalen Wettbewerb bestehen zu können,
soll in dieser Diplomarbeit Antwort auf folgende zentrale Leitfrage gegeben werden:
Wie können TO ihre Ineffizienzen überwinden und gemäß ihrer kooperativen Funktionen mehr Einfluss auf die Entwicklungen innerhalb einer Destination nehmen?
Zur Konkretisierung lassen sich daraus folgende Teilfragen ableiten:
Wie können TO die Zusammenarbeit in Kooperationen fördern und somit die Entwicklung von kooperativen Netzwerken unterstützen?
Welchen Nutzen haben die BSC im Allgemeinen und die Netzwerk-BSC im Speziellen für touristische Destinationen? Inwieweit können sie zur Lösung der aktuellen Problematik beitragen?
Wie lässt sich der Netzwerk-BSC-Ansatz auf touristische Destinationen übertragen?
Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
Ziel dieser Arbeit ist die Konzipierung einer Netzwerk-BSC für touristische Destinationen, die den Tourismusverantwortlichen einer Destination dabei helfen soll, sowohl der organisationalen als auch der strukturellen Problematik im Destinationsmanagement effizient zu begegnen, damit TO in der Lage sind ihrer doppelten Verantwortung besser nachzukommen.
Dazu werden nach dieser Einleitung im zweiten Kapitel wichtige Begrifflichkeiten geklärt und die Bedeutung von Kooperationen im Tourismus hervorgehoben, indem die Ziele und Chancen möglichen Risiken gegenübergestellt werden. Außerdem soll die Problematik des Destinationsmanagement noch einmal ausführlicher dargestellt werden. Im dritten Kapitel werden anhand einer Systematisierung verschiedene Netzwerk-BSC-Ansätze vorgestellt, aus denen das passende ausgewählt wird, um später als Grundlage für den konzeptionellen Teil der Arbeit zu dienen. In diesem Zusammenhang werden auch einige kooperative Kennzahlen vorgestellt. Im Anschluss daran erfolgt im vierten Kapitel der Versuch, bisherige BSC- Konzepte aus dem touristischen Bereich und vor allem aus dem Destinationsmanagement zu systematisieren. Es soll untersucht werden, inwieweit sie in der Lage sind, Lösungswege zur Behebung der organisationalen und strukturellen Problematik aufzuzeigen. Das fünfte Kapitel besteht aus den konzeptionellen Teil der Arbeit. Aufbauend auf den Erkenntnissen des dritten und vierten Kapitels wird ein idealtypisches Netzwerk-BSC-Modell für Destinationen konzipiert. Es soll dargestellt werden, wie die Verantwortlichkeiten auf den einzelnen Tourismusebenen verteilt sein sollen und wie ein Roll-out auf die unteren Ebenen erfolgen kann. Am Fallbeispiel der Destination Graubünden wird das idealtypische Modell auf seine Praxistauglichkeit hin überprüft. Graubünden hat im Zuge einer Tourismusreform die optimalen Rahmenbedingungen für die Anwendung eines solchen Modells geschaffen und in diesem Zusammenhang eine BSC...