Einführung
Alles fließt
Wenn wir heute vom »Flow« sprechen, dann klingt das sehr modern. Es ist ein Begriff, der inzwischen nicht nur in die Psychologie Eingang gefunden hat, sondern auch in der Umgangssprache zur Beschreibung positiver Zustände, des kreativen Schaffens und des Aufgehens in einer Tätigkeit herangezogen wird. »Es fließt«, das meint quasi das Gegenteil von Erschöpfung und Überlastung, von Blockiertsein und Burnout: Man ist im Flow ganz bei sich und doch ganz intensiv bei der Sache, und das, womit man sich gerade beschäftigt, geht einem mühelos von der Hand. Das ist ein Zustand, den sich heute viele wünschen, die in eine anstrengende und komplizierte Arbeitswelt eingebunden sind. Dabei handelt es sich bei der dahinterliegenden Vorstellung um etwas ganz Altes. So modern es klingt und so gut es in die Beschreibung mancher Probleme in unserer Arbeitswelt passt: Der Begriff und die dahinterliegende Vorstellung bezieht sich auf Einsichten in die Wirklichkeit, in das Leben selbst und die Natur des Menschen, die von großen Weisheitslehrern schon sehr früh formuliert worden sind.
»Alles fließt« sagt Heraklit, der »dunkle« Philosoph Griechenlands (wahrscheinlich 544 – 480 v. Chr.). Dass sich alles bewegt und alles im Fluss ist, dass nichts beständig und fest ist, das ist die Grundlage seiner Philosophie. Das Sein ist im Fluss. Und nur der Mensch, der das verstanden hat, lebt seinsgemäß.
Schon lange vor Heraklit hat in China der große Weisheitslehrer Laotse vom ewigen Fließen gesprochen. Er spricht vom Urquell des Lebens, »der mühelos aus sich selber quillt«. (Backofen 16) Die Aufgabe des Menschen ist es, diesen Urquell in sich strömen zu lassen. Doch um das zu erfahren und wahrzunehmen, dazu braucht es die Haltung der Selbstlosigkeit oder – wie Laotse auch sagt – das Schweigen. »Wer aber nicht schweigen kann, der erschöpft sich.« (Ebd. 15) Wer an sich selbst festhält, wer – um es in der Sprache Meister Eckeharts zu formulieren – seiner selbst nicht ledig ist, in wem also das Ego nicht zum Schweigen kommt, der wird schnell erschöpft. Dem Selbstlosen dagegen strömt der Urquell des Lebens entgegen: »Muss es nicht so sein, dass dem Selbstlosen allein Erfüllung wird?« (Ebd. 16)
Einsichten eines modernen Psychologen
Was Heraklit und Laotse vor über 2500 Jahren den Menschen zu erklären suchten, das hat in unserer Zeit und im Blick auf unsere Lebenswirklichkeit der ungarische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi neu entdeckt. Er hat erkannt, dass der Mensch Glück erfährt, wenn er im Fluss ist. Und dass ihm seine Arbeit nur dann Spaß macht, wenn die Energie in ihm fließt. Der Psychologe wehrt sich freilich auch dagegen, auf diese Erkenntnis festgenagelt zu werden. Er möchte nicht als »Mr. Flow« firmieren. Daher verwendet er im Gespräch mit seiner Interviewpartnerin Ingeborg Szöllösi lieber den Ausdruck »Lebenstanz«. Er sagt: Wir dürfen uns nicht auf die Mitte fixieren, sondern sollten uns dem Tanz um die Mitte herum überlassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Csikszentmihalyi aus Ungarn geflohen und hat in Italien als junger Mensch in vielen Jobs gearbeitet. Immer beschäftigte ihn dabei die Frage: »Wie können Menschen mit mehr Freude und Leidenschaft ihr Leben leben? Wie können sie effizienter und kreativer arbeiten, ohne sich in den eisernen Käfig ihres Berufs und dessen Forderungen einschließen zu lassen?«
Die Antworten, die er gefunden hat, helfen auch uns heute weiter, wenn wir über den Umgang mit aktuellen Belastungen nachdenken.
Flow ist für den ungarischen Psychologen kein Zauberwort. Flow geschieht immer dort, wo Menschen mit Hingabe und Aufmerksamkeit ihre Arbeit gerne verrichten. Dann geht alles wie von selbst. Das hat er etwa an einer alten italienischen Bäuerin beobachtet, die sich gerne auf ihre Arbeit eingelassen hat, weil die ganze Natur ihr dabei Gesellschaft geleistet hat. Flow bedeutet für Csikszentmihalyi also keine bestimmte psychische Technik oder eine Methode, sondern ein Lebensprinzip, einen Zustand, den man erreichen kann und der beschrieben wird als eine Art mühelose Bewegung in einem Strom von Energie. Es geht da zunächst einmal um Hingabe und Fokussierung auf das, was gerade ist. Immer, wenn ich mich mit ganzer Aufmerksamkeit auf das einlasse, was ich gerade tue, fließt in mir die Energie. Ich gehe dann vollkommen in dem auf, was ich tue, und erfahre eine schöpferische Freiheit. Der Psychologe beschreibt es so: »Das Ego verschwindet, die Zeit fliegt. Jede Handlung, jede Bewegung und alle unsere Gedanken ergeben sich nur aus den vorangegangenen.« Menschen vergessen in einem solchen Zustand die Müdigkeit, sogar den Hunger, verlieren alle Störungen durch die Umwelt aus dem Blick und erreichen ein Maximum an Konzentration und Kreativität. Sie fühlen sich weder überfordert noch unterfordert. Sie sind ganz bei sich und ganz bei der Sache.
Was Kreativität und Glück ermöglicht
Kreativ sein heißt im Wesentlichen nichts anderes als: im Fluss sein. Und »Flow« nennen wir einen Zustand, der Kreativität ermöglicht. Flow, das Fließen des Lebens, ist ein Weg zum Glück. Wenn wir an unsere Arbeit denken, dann ist das Fließen der Energie der Weg schlechthin, auch in unserer Arbeit Erfüllung und Glück zu finden, anstatt nur über die Last und Mühe zu klagen, die sie uns verursachen. Wenn in uns die Energie fließt, dann arbeiten wir effektiv, denn wir werden von dieser Energie getragen. Flow ist, so verstanden, die effizienteste Form schöpferischer und befriedigender Arbeit. Das unterscheidet ihn auch etwa vom Strohfeuer einer Begeisterung, die kurz auflodert und dann ebenso schnell wieder verpufft. Es unterscheidet ihn aber auch von der Verbissenheit in die Arbeit. Es gibt heute auch viele Menschen, die bezüglich ihrer Arbeit eine Manie entwickeln. Sie gehen scheinbar ganz in ihr auf. Doch sie sind zu sehr auf etwas Äußeres fixiert. Flow bezieht sich auch keineswegs nur auf die Arbeit, er kann sich auch der Kunst, dem Genuss, dem Spiel und der Muße zuwenden. Auch dort fließt das Leben, wenn ich mich darin vergesse und ganz darauf einlasse. Beschreibbar ist die besondere Form eines Glückszustands.
Wenn alles zu viel wird
Das Gegenteil des Fließens, wie wir es eben beschrieben haben, ist die Erfahrung des Burnout. Da ist nichts im Fluss. Diese Erfahrung kann mit dem Bild des Ausgetrocknetseins und mit dem Zustand fehlender Dynamik umschrieben werden. Man fühlt sich überfordert, erstarrt, blockiert. Auch Blockaden sind ja charakterisiert durch eine negative Erfahrung: Da fließt keine Energie mehr. Im Gegenteil, man hat den Eindruck, alles sei erstarrt. Man arbeitet weiter, aber es wird nur Routine. Nicht nur, dass die Energie nicht mehr fließt: Man fühlt sich vielmehr als Getriebener. Man wird von einem Termin zum anderen getrieben. Man empfindet keine Freude und keine Befriedigung mehr an dem, was man tut. Man macht zwar alles mit, aber dabei wird man immer unzufriedener, mürrischer, empfindlicher. Man begegnet den Menschen nicht mehr, sondern nimmt sie nur als Störenfriede wahr: »Was will denn der schon wieder von mir?« Die Arbeit wird einem zu viel. Die Menschen werden einem zuwider. Oft reagiert man dann unwirsch und hart. Es ist wie ein Hilferuf: »Lasst mich doch endlich einmal zufrieden. Ich kann nicht mehr und ich will auch nicht mehr!« Wenn einem die Arbeit nicht mehr leicht von der Hand geht, muss man sich anstrengen und sich zur Arbeit zwingen. Aber irgendwann wird der Kraftaufwand zu groß. Man hat keine Energie mehr. Man wirkt kraftlos. Man geht dann jeder Entscheidung und jedem Konflikt aus dem Weg. Man hat auch keine Kraft mehr, in aller Ruhe und Klarheit eine Entscheidung zu treffen. Dann trifft man eben wahllos irgendeine Entscheidung und wird dabei doch von der Angst beunruhigt, sie könne falsch sein. Man verdrängt diese Angst wieder und bleibt damit dennoch erfolglos, weil sie einen nachts bis in die Träume hinein verfolgt und einen morgens beim Aufwachen mit Gewissensbissen quält: »Hätte ich doch anders entscheiden sollen? Was wird wohl aus der Entscheidung?« Irgendwann ist einem dann alles egal. Man macht einfach weiter, ohne große Überlegung, bis gar nichts mehr geht. Manchmal brechen Menschen dann unter einer solchen Belastung zusammen. Sie erleben einen Nervenzusammenbruch. Oder sie fangen auf einmal an zu weinen und hören nicht mehr auf. Ich habe noch deutlich folgendes Bild vor Augen: Ein Manager fährt von einer anstrengenden Sitzung zum nächsten Termin. Er macht bei einer Raststätte Halt und trinkt einen Kaffee, um wach zu bleiben. Als er sich wieder ins Auto setzt, überkommt ihn ein Weinkrampf. Er weiß nicht, was mit ihm los ist. Aber jetzt ist es offenkundig: Burnout.
Kennzeichen tauchen auf
Dass einer in den Burnout gerät, merkt oft die Umgebung eher als der Betroffene selbst. Die Umgebung spürt, wie der Mitarbeiter oder Chef immer gereizter wird, wie er pessimistische Bemerkungen von sich gibt oder sich in Ironie oder Sarkasmus flüchtet. Lehrer, die früher ihren Beruf liebten und sich in der Schule engagierten, machen plötzlich ihre Schüler und die Kollegen herunter. Verkäufer äußern sich nur noch despektierlich und abschätzig über ihre Kunden. In zynisch abwertenden Sätzen gegen Menschen, für die man eigentlich arbeitet, äußert sich auf einmal drastischer Widerwille oder einfach nur Ablehnung: Beziehungen sind gestört und beschädigt. Solche sarkastischen Sätze war man bisher von diesem Menschen nicht gewohnt. Sie sind ein alarmierendes Zeichen dafür, dass sich in diesem Menschen eine innere...