Für den mit Kunststoffen arbeitenden Ingenieur ist eine Einführung in die Polymerchemie eine notwendige Grundlage, denn die Eigenschaften als Werkstoff, während der Verarbeitung und im fertigen Bauteil hängen stark von Aufbau und Molekülgestalt der Polymere ab.
In diesem Kapitel werden auch einige für das Verständnis dieser Werkstoffklasse notwendige Grundlagen der Werkstoffmechanik aufgefrischt, um die Besonderheiten dieser Werkstoffklasse z. B. bei Zeit- und Temperatureinfluss besser verstehen und vorhersagen zu können.
2.1 | Von Monomer zu Polymer ‒ Grundlagen der Polymerchemie |
Wir werden die Herkunft der Monomere und die drei wichtigsten Polyreaktionen kennenlernen, uns die Molmasse und Molmassenverteilung von Polymeren verdeutlichen und die wirkenden Bindungskräfte besser verstehen. Hiernach soll noch auf die sogenannte Primär-, Sekundär- und Tertiärstruktur von Polymeren eingegangen werden, da nicht nur die Atome der Polymerkette, sondern vor allem deren Anordnung die späteren Werkstoffeigenschaften stark beeinflussen.
2.1.1 | Herkunft der Monomere |
Seit Ende des 2. Weltkriegs, also zu Beginn der modernen Epoche der Kunststoffe, wird Erdöl als Ausgangsstoff für die Polymerchemie verwendet. In einer Raffinerie wird Rohöl destilliert (nach Molekülgröße sortiert), gecrackt (kleingespalten), reformiert (Moleküle teilweise umgebaut) und raffiniert (aufgereinigt). Es entstehen Stoffe wie Gase, Benzine, Heizöl, Bitumen, Schmieröl und Koks (Kettenlänge ansteigend) sowie ‒ je nach Fundort des Öls mehr oder weniger ‒ Schwefel.
Aus dem Rohbenzin namens Naphtha können u. a. Ethen und Propen ‒ zwei leichtflüchtige Gase ‒ gewonnen werden. Diese Gase hießen früher Ethylen und Propylen, Namen, die sich in der Kunststofftechnik und Polymerchemie bis heute gehalten haben, und waren zunächst Abfallstoffe, welche ohne Energiegewinnung verbrannt wurden. Seit langer Zeit jedoch nutzt man Naphta zur Herstellung von Polymeren.
Synthetische Polymere werden aus kleineren Molekülen, den sogenannten Monomeren („mono“; griech.: eins, eine, einer, allein, „mer“, griech.: Teil, Anteil), fadenförmig gebildet. Werden nur wenige (z. B. 10) kleinere Moleküle aneinandergereiht, so bilden sich sogenannte Oligomere von wachsartiger, teils klebriger Konsistenz. Werden mindestens 1000 Atome über chemische Bindungen miteinander verknüpft, spricht man von Polymeren („poly“; griech.: viel). Diese sehr langen Moleküle nennt man auch Makromoleküle („makros“; griech.: groß, weit, lang).
In Bild 2.1 ist eine Darstellung der BASF zu sehen. Sie zeigt, dass nicht nur Ethylen und Propylen, sondern auch andere Chemikalien aus Rohöl gewonnen werden, welche u. a. Rohstoffe für andere Polymere sind. Mit wenigen Rohstoffen (Erdöl, Erdgas, Steinsalz, Schwefel, Wasser, Luft) kann ein Chemieunternehmen ca. 30 bedeutende Monomere herstellen, aus denen Polymere verschiedenster Art und unterschiedlichsten Eigenschaftsspektrums hergestellt werden. Die BASF hat inzwischen das Geschäft mit einigen der dargestellten Polymere in Tochterfirmen ausgegliedert oder verkauft: das heißt aber nicht, dass sie nicht noch die Rohstoffe für diese Polymere liefert.
Bild 2.1 Polymerherstellungsrouten [Bildquelle: BASF SE]
Da die Ölvorräte langfristig knapper und teurer werden, ist es sinnvoll, zunehmend Polymere aus nachwachsenden Rohstoffen auszuprobieren (Bild 2.2). Die Biosynthese läuft entweder in der Natur selbst ab (Beispiele für natürliche Polymere sind Proteine, Zellulose, Spinnenseide) oder sie wird in Bioreaktoren bewusst herbeigeführt:
Biopolymere aus Pflanzen (z. B. Gummibaum)
Biopolymere aus Tieren (z. B. Chitin, Kasein)
Biopolymere aus Mikroorganismen (z. B. Fermentation von Stärke zu Milchsäure und spätere synthetische Polymerisation zu Polymilchsäure PLA)
Biomonomere aus Mikroorganismen (z. B. Polymerisation von aus Bioalkohol gewonnenem Bio-Ethen zu Bio-Polyethylen)
Biomonomere aus Pflanzen (z. B. Bioethanol aus Zucker wird zu Biopolyethylen)
Bild 2.2 Biosynthese von Polymeren [Bildquelle: IGVP, Univ. Stuttgart]
Am Beispiel von fünf möglichen Routen in Bild 2.3 wird deutlich, welche biobasierten Chemikalien und Polymere allein aus Glukose, einem Einfachzucker, hergestellt werden können. Glukose wird hauptsächlich von Pflanzen mithilfe von Fotosynthese aus Sonnenlicht, Wasser und CO2 produziert und kann von allen Lebewesen als Energie- und Kohlenstofflieferant verwertet werden.
Normalerweise kommt Glukose aber nicht frei, sondern als Disaccharid (Milchzucker, Rübenzucker) oder in ihrer langkettigen, polymeren Form (wie Stärke, Cellulose u. a.) vor, die in Pflanzen sowohl Reservestoffe als auch Bestandteil der Zellstruktur sind. Die langkettigen Saccharide werden bei der Nahrungsaufnahme durch Menschen, Tiere, Pilze und Bakterien mithilfe von Enzymen erst wieder zum Einfachzucker Glukose abgebaut, bevor sie verstoffwechselt werden.
Wir werden in Abschnitt 6.3 noch näher auf biobasierte Polymere und biobasierte Kunststoffe eingehen.
Bild 2.3 Glukosebasierte Polymere [Bildquelle: IGVP, Univ. Stuttgart]
Die drei wichtigsten chemischen Reaktionen (Polyreaktionen), welche Monomere zu Polymeren reagieren lassen, sind die Polymerisation, die Polykondensation und die Polyaddition. Während die Polymerisation eine Kettenwachstumsreaktion ist, bei der ungesättigte Monomere zu Polymeren verknüpft werden, sind die Polykondensation und Polyaddition Stufenwachstumsreaktionen, bei denen unterschiedliche Moleküle im Wechsel miteinander reagieren und eine lange Molekülkette bilden. Beide Stufenwachstumsreaktionen sind ähnlich, aber während bei der Polyaddition keine Nebenprodukte abgespalten werden, entstehen bei der Polykondensation Nebenprodukte wie Wasser, Chlorwasserstoff, Ammoniak und Alkohole, die abgeführt werden müssen, um die Reaktion fortzuführen.
Die Polymerisation soll hier am Beispiel einer radikalischen Polymerisation erläutert werden (Bild 2.4). Bei der radikalischen Polymerisation liefert ein Radikalbildner, der sog. Initiator, Radikale, d. h. Moleküle mit freiem/ungepaartem Elektron, welche die C=C-Doppelbindung in den Monomeren, wie z. B. dem Ethen, angreifen. Der Initiator „schnappt“ sich ein Elektron dieser Doppelbindung und geht eine Bindung mit dem Monomer ein. Dieser Schritt wird als Kettenstart bezeichnet.
Das Monomer wird durch die Bindung an den Initiator nun selbst zum Radikal und geht deshalb mit einem benachbarten Monomer eine Bindung ein. Dieses wird dadurch wiederum zum Radikal und sucht sich einen nächsten Partner. Die Molekülkette wird immer länger, was als Kettenwachstumsreaktion bezeichnet wird. Das Wachstum der Ketten wird häufig durch Rekombination beendet, d. h. die Radikale zweier Molekülketten gehen eine chemische Bindung ein.
Bild 2.4 Schematischer Ablauf der radikalischen Polymerisation
Die Länge der Molekülketten wird hier durch die Konzentration des Initiators bestimmt. Je höher die Initiatorkonzentration, desto mehr Ketten werden zu Beginn der Polymerisation gestartet und desto weniger Monomere stehen pro Kette zur Verfügung. Die Molekülketten bleiben also kürzer bei Hinzugabe von mehr Intitiator.
Aus n Monomeren wird ein Polymer mit n Wiederholungseinheiten gebildet (Bild 2.5). Das Monomer ist in der Regel eine Kohlenwasserstoffverbindung. Die einfachste Verbindung ist das Ethen (früher: Ethylen).
Bild 2.5 Strukturformeln verschiedener Monomere und daraus gebildeter Polymere
Häufig wird ein Wasserstoffatom durch ein charakteristisches Atom oder eine charakteristische Atomgruppe, dem sogenannten Substituenten, ausgetauscht, wodurch sich die chemische Bezeichnung des Monomers ändert. Bei dem Austausch (Substitution) eines H-Atoms an Ethen durch ein Cl-Atom entsteht das Monomer Chlorethen (Trivialname: Vinylchlorid). Die Substitution durch einen Phenylring ergibt das Phenylethen (Trivialname: Styrol). Hieraus wird jeweils durch die radikalische Polymerisation Polyethylen (PE), Polyvinylchlorid (PVC) und Polystyrol (PS) hergestellt.
Für einige Polymerisationsreaktionen existieren spezielle Katalysatoren, sog. metallorganische Verbindungen, welche ein Polymer mit besonders regelmäßiger Struktur erzeugen. Das Monomer kann nur in einer ganz bestimmten Weise an die Kette angekoppelt werden. Man nennt die Art der Bindung zwischen Katalysator und Kette eine koordinative Bindung und spricht deshalb von einer koordinativen Polymerisation. Wichtige metallorganische Verbindungen sind Ziegler-Natta-Katalysatoren und Metallocen-Katalysatoren.
Die Wissenschaftler Karl Ziegler und Giulio Natta erhielten für ihre Arbeiten 1963 den Nobelpreis.