MEIN KRÄUTERGARTEN & ICH
FRISCHE KRÄUTER – DIE PURE LUST
Einfach zur Türe hinausgehen und sich spontan inspirieren lassen – sehen, schmecken, riechen, fühlen und der Kreativität freien Lauf lassen.
Im Jahr 1983 bin ich nach Guldenburg gekommen; ich habe dort als Küchenchef im damaligen Restaurant meiner Frau begonnen und nicht annähernd vorausahnen können, was diese Entscheidung für meine Zukunft bedeuten würde. Ich sollte hier sehr bald feststellen, dass dieser Ort weit entfernt von meinen bisherigen Stationen und Lebensmittelpunkten Berlin, München und Paris ist – und das nicht allein geografisch. Ich meine das keineswegs überheblich, sondern vielmehr im Hinblick darauf, wie schnell man gewisse Annehmlichkeiten und den Luxus des Angebots der Großstädte annimmt, ohne darüber nachzudenken. Verwöhnt von der riesigen Auswahl an frischen Produkten, habe ich sie über die Zeit offensichtlich als Selbstverständlichkeit betrachtet. Ein Einkaufsgang auf dem Bad Kreuznacher Markt sollte mir diesbezüglich die Augen öffnen und zu einem Schlüsselerlebnis werden. Die Antwort der Marktfrau auf meine Frage nach frischer Minze hat mich völlig verblüfft: »Pfefferminztee bekommen Sie im Lebensmittelgeschäft!« Fest davon überzeugt, dass mich die Dame wohl missverstanden haben musste, habe ich es gleich noch einmal versucht; aber nein, ich hatte ganz richtig gehört: Frische Minze war hier nicht im Sortiment. Mit ein wenig Verhandlungsgeschick und großzügigem Charme habe ich mein Gegenüber zwar für eine Zeit dafür gewonnen, mir meine Kräuter vom Großmarkt zu besorgen, aber dieser Handel mit mir hat sich offenbar nicht rentiert. »Sie kaufen immer nur ein, zwei Bund, auf dem Rest bleibe ich sitzen, junger Mann, das lohnt sich für mich nicht.« Da war selbst mit bestem Zureden nichts mehr zu machen, diese Quelle war versiegt und ich musste eine andere Lösung finden.
Damit war das Initial gesetzt und wir haben begonnen, die Kräuter für unsere Küche selbst zu ziehen; zunächst noch in einem ganz kleinen Rahmen, im Garten hinter dem Restaurant; mit einem Minzebeet hat es angefangen und sich dann immer weiter entwickelt; es hat sich gewissermaßen verselbständigt. Und wie haben wir es fortan genossen, einfach nur aus der Türe hinaus zu gehen und frisch zu schneiden, was es für den Tag braucht: Petersilie, Schnittlauch, Thymian, Rosmarin, Salbei, Estragon, Melisse und Minze – jetzt war alles da und diese Vorzüge wollte ich nie wieder missen. Der Umzug auf die Stromburg 1994 hat uns dann in dieser Hinsicht völlig neue Möglichkeiten eröffnet – hier war mächtig Platz und die Außenanlage sollte ja ohnehin neu gestaltet werden. Was also lag näher, als hier einen Kräutergarten zu planen?
Mehr als nur ein Kräutergarten
Auf der Stromburg ist er zu Hause und so sollen sich dort auch seine Gäste fühlen. Jeder darf im burgeigenen Kräutergarten flanieren, sehen, riechen, schmecken und fühlen, wie reich uns die Natur beschenkt. Und wer möchte, genießt auch die Köstlichkeiten aus der Küche dort: am Chef's table mitten im Kräutergarten.
»Wäre ich nicht Koch, ich wäre Gärtner geworden; es hat mich immer fasziniert, dabei zuzusehen, wie die Natur mit den ersten Sonnenstrahlen im Frühjahr aus dem Winterschlaf erwacht.«
SINNLICHKEIT ZWISCHEN MAUERN
Heute zählt unser Kräutergarten fraglos zu meinen erklärten Lieblingsplätzen auf der Stromburg. Auf rund 80 Quadratmetern gedeihen hier rund um das Jahr Küchenkräuter, essbare Blüten und Heilpflanzen in üppiger Vielfalt und Fülle. Die Düfte, die Farben, das Licht- und Schattenspiel, das den Blick mit dem Sonnenstand in verschiedene Richtungen lenkt und die ganze Palette der Grüntöne auf eindrucksvolle Weise in Szene setzt; das alles bereichert die Sinne. Ich habe mich oft gefragt, ob ich es mir vielleicht nur einbilde, aber nirgendwo kann ich besser entspannen und abschalten. Hier kann ich sogar einmal nichts tun, einfach nur sein und den Augenblick genießen, ich kann das zulassen, und das ist sehr ungewöhnlich für mich. Es mag sein, dass es viel mit der inneren Einstellung zu tun hat, damit, sich bewusst einen Ort zu schaffen, an dem man sich ganz einfach rundum wohlfühlt. Dieser historische Grund, die alten, von Schießscharten durchbrochenen Mauern, an denen das Bruchgestein herunterbröckelt und Efeu, Wein und andere Rankgewächse hinaufklettern, das alles erzeugt nicht nur eine einzigartige Atmosphäre, es lässt einen richtigen Wärmekessel entstehen, der sich für uns als wunderbare Fügung erweist. Das sind natürlich perfekte Voraussetzungen, doch die braucht es gar nicht, um sich zu Hause einen feinen Grundstock anzulegen und die eigenen frischen Kräuter in der Küche zu nutzen. Schon mit wenigen Töpfen und deutlich geringerem Aufwand lassen sich Balkon oder Terrasse selbst auf engstem Raum in Aroma-Oasen verwandeln, an denen man sich täglich erfreut. Und das ist das eigentlich so Sympathische und wirklich Großartige daran: Im Grunde reicht ein Platz auf der Fensterbank schon völlig aus.
Wer bisher wenig bis gar keine Erfahrung mit der Pflanzung und Pflege von Kräutern hat, sollte für den Anfang eher robuste Sorten wählen: Rosmarin, Thymian, Salbei, Majoran oder auch Melisse zeigen sich relativ anspruchslos und überstehen in der Regel selbst Frostperioden gut. Es lohnt sich, wie bei allem, nach qualitativ hochwertiger Ware Ausschau zu halten: Die Pflanzen sollten gesund und frisch aussehen, stabile Stängel und eine satte Farbe aufweisen; wirken sie blass oder gelblich, ein wenig lasch und hoch aufgeschossen, kann dies ein Indiz dafür sein, dass es sich um zu schnell hochgezogene Kandidaten handelt, bei denen das Risiko groß ist, dass sie rasch eingehen. Bei der Standortwahl sind bevorzugt sonnige oder halbschattige Plätze zu wählen. Sollten Sie unsicher sein, lassen Sie sich von einem Fachmann beraten, denn solch ein Gespräch vermittelt immer nützliche Tipps.
Schneiden Sie Kräuter grundsätzlich mit der Schere und verzichten Sie darauf, einzelne Blättchen abzuzupfen; so können die Pflanzen neu austreiben, sich besser verzweigen und entwickeln.
»Kräuter sind die Blumen der Köche, es geht einfach nicht ohne – sie sorgen für herrliche Frische und geschmackliche Intensität.«
LEBEN FÜR DEN GESCHMACK
In der Küche zählen Kräuter heute fraglos zu den elementaren Grundprodukten. Und nicht nur Klassiker sind gefragt wie Petersilie, Schnittlauch, Thymian, Dill und Estragon. Alte Sorten wie Beifuß, Borretsch, Pimpinelle oder Brunnenkresse sind wieder entdeckt und permanent kommen spannende neue Züchtungen auf den Markt, die das Repertoire erweitern. Zu meinen liebsten Entdeckungen gehört die Stevia, die eine willkommene Alternative zu künstlichen Süßstoffen bietet. Die Bandbreite der Geschmacksnuancen nimmt stetig zu und ist in ihrem Facettenreichtum unvergleichlich – von bitter über erdig und mineralisch bis scharf, von sauer und grasig über menthol- bis zitrusartig zu lieblich und fruchtig-süß. Damit eröffnen sich mannigfaltige Möglichkeiten für unzählige kontrastvolle Kombinationen und genau darin liegt für mich der besondere Reiz. Mit wenig Aufwand lässt sich ein überraschender Gaumenkitzel erzeugen, der die Speisen harmonisch abrundet und eindrucksvoll aufwertet.
Lieblingsplatz à la saison
Das liebevolle Arrangement von Beeten, Amphoren und Kübeln, in denen Kräuter, essbare Blüten und Heilpflanzen gedeihen, macht den Garten zum wandlungsfähigen Lieblingsplatz.
Zuwendung und Fleiß werden belohnt
Kräuter brauchen, wie alle Pflanzen, ein klein wenig Zuwendung und Pflege. Trotzdem muss der Aufwand beim Gärtnern nicht groß sein, um reichen Lohn zu ernten.
»Die Natur hat mich schon sehr früh eingenommen und so geht es mir bis heute noch; wir können so viel von ihr lernen und auf viele andere Lebensbereiche übertragen.«
GESCHMACKSERLEBNISSE PRÄGEN
Nie werde ich meinen ersten Lachs mit Sauerampfer vergessen, den mir Eckart Witzigmann serviert hat; das war eine Aromenexplosion, die mich beeindruckt hat. Aber nicht nur die anspruchsvolle Küche führt zu solchen bleibenden Erinnerungen. Meine ersten intensiven Begegnungen mit Kräutern führen mich wieder weit in meine Kindheit zurück; wie haben wir die Sauerampferblätter geliebt, die meine Mutter mit Wasser benetzt und in Zucker getaucht hat – dieses herrliche Prickeln auf der Zunge, dieser Kontrast von Süße und Säure, das waren unsere Drops. Oder die verquirlten Eier in Butterschmalz, die mein Großvater in liebgewonnener Regelmäßigkeit für mich zubereitet hat – ich war ganz wild danach. Als Bub habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, was wohl das Besondere daran war, aber es ist mir in wacher Erinnerung geblieben, dass er dafür ein Kraut aus unserem Garten verwendet hat. Erst Jahrzehnte später habe ich meine Mutter danach gefragt, was es wohl gewesen sein könnte, den Garten gab es längst nicht mehr und wir konnten nur Vermutungen darüber anstellen; es muss wohl eine Art brauner Minze gewesen sein – also...