Einleitung
Ich hatte schon immer das Ziel, mich einzubringen, mit Haut und Haar, und das Leben so anzunehmen, wie es eben tickt. Ebenso die Menschen, die mir begegneten. Wenn wir uns trafen und ein Stück des Weges gemeinsam gingen, wunderbar! Und wenn wir uns dabei frei fühlten und harmonisch ergänzten, umso besser. »Liebe muss nicht bitten; auch nicht fordern. Liebe muss die Kraft haben, in sich selbst zur Gewissheit zu kommen«, schrieb einst HERMANN HESSE.
Mir wurde früh bewusst, dass wir uns nicht auf Erkenntnissen und dem Fundus unserer Erfahrungen ausruhen dürfen. Ich wollte meine Seele nie verkaufen. Und ich wollte nie Menschen gehören, denen ich mich nicht wirklich tief zugehörig fühle. Nie mit Menschen leben müssen, die manipuliert waren, die alles aussitzen oder ihr Fähnchen nach dem Winde drehen. Ich wollte mich selbst nicht für irgendwelche »Angebote« aufgeben. Jeder Tag bedarf der Wachsamkeit, des klaren Auges und des scharfen Verstandes! Wir sollten unser Bauchgefühl nicht überhören.
Zu uns selbst zu finden, zu unserem eigenen Kern, und diesen zu bewahren, ist eine zentrale Lebensaufgabe. Es wird jedoch von vielen Seiten versucht, uns davon abzubringen, uns zu manipulieren und zu verhindern, dass wir als Menschen vollständig erblühen. Allerlei Verlockungen und »Vorteile« werden uns in Aussicht gestellt, ja, wenn wir uns nur dem Mainstream anpassen. So finden wir uns schneller in Ketten vor, als wir glauben. Wir befinden uns in einem »goldenen Käfig«, noch bevor wir denken können. Plötzlich stellen wir fest, dass wir uns in »Sachzwängen« vollkommen verstrickt haben, in einer »Zwangsjacke« gefangen sind.
Wir alle können von unserem Kern entfremdet werden. Sofern wir uns selbst überhaupt spüren können, machen Angst und Harmoniebedürfnis es uns allzu oft schwer, an unseren inneren Impulsen festzuhalten. Wir können leicht verbogen werden. Und ein Mensch, der nah bei sich zu bleiben sucht, gilt manchen als »Spinner«, wird von anderen als »Traumtänzer« beschimpft.
Wir alle leben in einem Spannungsfeld aus eigener Erfahrung, biografischen Ereignissen, Familie und Herkunft – und der Gesellschaft, der Religion, des politischen Kontexts. Es werden daher ganz unterschiedliche, meist gänzlich widersprüchliche Erwartungen an uns gerichtet – und wir selbst entwickeln ebenso widersprüchliche Erwartungen an unser Dasein, an das Leben, auch an unsere Mitmenschen. Wir haben diverse Rollen zu erfüllen, als Frau, als Mann, als Kind oder Heranwachsende, als Schülerin, Student oder Arbeiter, als Ehefrau, vielleicht auch als Mutter, als Berufstätige, als Akademikerin, als Künstlerin. Wir versuchen den Bildern nachzueifern, die andere für uns entworfen haben und die uns in den Medien vorgehalten werden. Diese Bilder prägen uns unterbewusst. Und wir stellen entsprechende Rollenerwartungen an andere, fast immer ohne uns dessen bewusst zu sein. Wir können uns kaum dagegen wehren.
Dies alles überfordert die meisten von uns, zumindest zeitweilig. Der gesellschaftliche Druck, wie wir zu sein haben, drängt uns in Rollen, zu Verhaltensmustern, die uns kaum entsprechen. Wir alle sollen Leistung bringen, sollen konsumieren, funktionieren. Wir sollen arbeiten, um immer neue Güter zu erwerben. Kein Wunder, dass es uns schwer fällt, dabei unsere Bestimmung im Leben zu finden, zu unserer Selbstbestimmung und zur vollen Entfaltung unseres Potenzials zu gelangen, uns nicht zu verbiegen und zu erkennen, wofür unser Herz eigentlich schlägt.
Es geht hier also um Selbstfindung. Es geht um die Aushöhlung unseres Inneren, um eine Art »Gehirnwäsche«, die uns dem Mainstream verpflichtet. Es geht um den »Elfenbeinturm«, in dem sich viele von uns ängstlich und frustriert verkriechen. Es geht um die »verkitschte Lebensweise«, die uns tagtäglich auf sämtlichen Kanälen angepriesen wird. Es geht um das »Hamsterrad«, das »Spinnennetz«, in dem wir alle uns befinden. Es geht um das permanente »Kreisen um unsere Hülle«, mit dem wir unsere Mitmenschen beeindrucken wollen, aber gleichzeitig jeden Bezug zum Du verlieren. Es geht um unser verloren Sein in virtuellen Scheinwelten, um unsere »Schere im Kopf«, um den »Weichspülgang«, der unsere Träume und Visionen verblassen lässt. Es geht um die äußerst ungesunde Kompensation dieser sinnlosen Lebensweise, beispielsweise durch Konsum und Betäubungsmittel.
Es geht auch um den globalen Kontext, den wir meist verdrängen, der uns zu funktionierenden Rädchen des Raubtierkapitalismus macht, gleichzeitig zu Mittätern und Opfern. Ein Wechselspiel. Es geht um Systeme, die stellvertretend für uns gigantische Mauern und Grenzanlagen ziehen, die in unserem Namen Menschen verhungern lassen, die uns zu »seelenlosen Zombies« machen. Es geht um den Verlust unserer Empathie, unseres solidarischen Handelns, unserer Demokratien und unserer Selbstbestimmung. Um unser Mitläufertum, das Aufgeben von politischer Verantwortung, das Wegschauen – und immer wieder: das Verdrängen.
Es geht hier also um nicht weniger als die Notwendigkeit einer Befreiung, um unsere Metamorphose, “the big change”, um neue Lebenslust, um unser Wachstum, die Entwicklung unserer Phantasie. Es geht auch um Kunst, um Lebenskunst, Philosophie. Ich möchte Mut machen zur Selbstreflexion und Veränderung. Ich möchte dazu aufrufen, alte Trampelpfade zu verlassen, die »Pfropfen in unserem Kopf« zu lösen, Angstblockaden zu überwinden. Es geht um den Prozess einer inneren Umkehr, zu uns selbst. Es geht gleichzeitig um einen globalen Kampf. Ich möchte einen Aufbruch.
Obwohl ich von meiner akademischen Ausbildung her Philosophin bin, sind die hier vorgestellten Texte keine wissenschaftlichen Abhandlungen, keine akademischen Schriften, bilden kein in sich geschlossenes »philosophisches System«, nicht eigentlich eine Theorie. Ich stelle viele Fragen, stelle vieles in Frage, auch wenn ich selbst nicht immer Antworten darauf finden kann. Meine Texte spiegeln meine eigene tägliche Auseinandersetzung mit philosophischen, vor allem ethischen Fragen, mit Themen der Kunst, Ästhetik und Politik, insbesondere mit meiner Lebenspraxis. Sie sind Facetten meiner eigenen Denkbewegungen, ein intimes Kaleidoskop, das meine tägliche Selbstreflexion, Beobachtung und Kontemplation spiegelt. Sie dienen dazu, mich zu orientieren, zu ordnen und Erlebtes zu verarbeiten. Meine Methode ist die Philosophie.
Ich hatte mir während meines Studiums angewöhnt, alle Texte und Gedanken mit dem sezierenden Blick der Wissenschaftlerin zu betrachten. Gleichzeitig spürte ich, dass gerade dadurch viel verloren ging. Trotz meines »akademischen Auges« konnte ich mir ein berührt Werden durch die philosophischen Texte und ein tieferes Verständnis bewahren. Manche konnten mein Herz unmittelbar erreichen. Ein Werk, ein philosophischer Gedanke, erschließt sich nicht einfach durch akribische Analyse. Vieles spricht uns auch intuitiv an, ein Verständnis entwickelt sich erst später. Und was nutzen die philosophischen Konstrukte und Utopien, wenn wir sie nicht auch in unserem persönlichen Leben wiederentdecken – und anwenden? Die Liebe zur Wahrheit ist oft unbequem. Sie stößt auf Widerstand. Insbesondere auf den der akademischen Opportunisten. Es schmerzt mich, dass gerade die Stimme der Philosophie als angewandte Geisteswissenschaft in unserer Gesellschaft weitgehend fehlt, zumindest als aufrüttelnde, mahnende Kraft, die sich deutlich gegen die vielfach vorhandenen Missstände laut und kritisch Gehör verschafft. Es sind nur wenige, die mutig genug sind, für die Wahrheit einzutreten, für sie zu kämpfen. Die Zeiten ändern sich, aber die wahren Erkenntnisse der Philosophie überdauern, wenn auch häufig nur im Untergrund. Es mangelt uns nicht an fundierten Werken und ethischen Erkenntnissen, aber es besteht ein Mangel in ihrer Umsetzung.
Dies hatte ich schon während meiner Schulzeit intuitiv erkannt und in Essays, Zeichnungen und meiner Lebenspraxis sichtbar werden lassen. Aber es brauchte einige Zeit, bis ich nach meinem Studium eine eigene philosophische Praxis entwickeln und zu meiner Methode finden konnte.
Auch wenn in uns über den ganzen Tag hindurch Ideen und Gedanken gären, so finden wir selten Ruhe und Konzentration, ihnen nachzusinnen und daraus längere Abhandlungen zu formulieren. Ich habe mir daher schon vor vielen Jahren angewöhnt, meine Ideen in handlichen Notebooks, die ich ständig bei mir trage, zu notieren und in kleinen Zeichnungen, die die Inhalte knapp visualisieren, festzuhalten. Ich notiere mir diese unmittelbar und konsequent, auch nachts, bevor sie wieder verblassen könnten. Diese Einfälle spiegeln nicht nur kognitive Prozesse, nicht nur meinen Intellekt, sondern auch intuitive Denkbewegungen, Träume und Visionen. Gerade nachts unterliegt unser Denken weniger der Kontrolle des Intellekts, ist weniger einer strengen Logik unterworfen, kann frei fließen, entfaltet sein volles Potenzial. Viele Wissenschaftler berichten davon, dass sie in solchen Situationen, während...