KAPITEL 2:
KOMMUNIKATION UND
MANIPULATION
Manipulation kann nur durch Kommunikation erfolgen – um jemanden zu manipulieren, muss man immer mit ihm kommunizieren. Daher ist es hilfreich, sich einige kommunikative Zusammenhänge zu vergegenwärtigen.
Das Grundmodell der Kommunikation
Das allgemeine Kommunikationsmodell von Schulz von Thun (1981) eignet sich sehr gut, um kommunikative Vorgänge im Zusammenhang mit dem Thema Manipulation zu beschreiben. Schulz von Thun betonte, dass bei der Kommunikation keineswegs lediglich Sachinformationen übermittelt werden, obwohl dies oft angenommen wird. Vielmehr werden darüber hinaus bei grundsätzlich jeder Art der Kommunikation zusätzlich (implizite) Aussagen darüber gemacht, wie man sich die Beziehung der Gesprächspartner und deren Stellung zueinander vorstellt. Man offenbart auch immer etwas von sich selbst und man appelliert an den Gesprächspartner. Wie stark die jeweiligen Komponenten der Kommunikation dabei gewichtet sind, ist von Situation zu Situation sehr unterschiedlich. Bei einem Streitgespräch wird wahrscheinlich eher der Beziehungsaspekt im Vordergrund stehen, bei einem Verkaufsgespräch dagegen eher der Appellaspekt, bei einem Vortrag der Sachaspekt, bei einer Wahlveranstaltung der Selbstoffenbarungsaspekt. Grundsätzlich gilt jedoch, dass bei jeder Kommunikation alle vier gerade genannten Aspekte zumindest implizit enthalten sind.
Wenn z. B. der Vortragende während einer Besprechung die Anwesenden fragt: „Konnten Sie meinen Ausführungen bis hierher folgen?“, so ist dies auf der Sachebene zunächst als eine neutrale Frage zu verstehen, die auf der Beziehungsebene dagegen bedeuten kann: „Ich bin euch sowieso überlegen.“ Oder: „Ihr seid in der Rolle der Unwissenden, die man belehren muss.“ Auf der Appellebene mag die Aussage ausdrücken: „Stellt bloß keine dummen Zwischenfragen, ihr outet euch damit sonst nur als unwissend!“ Oder: „Jetzt zeigt mir einmal, ob ihr mir fachlich Paroli bieten könnt!“ Auf der Selbstoffenbarungsebene kann sie z. B. bedeuten: „Ich bin Experte auf diesem Gebiet.“ Oder: „Ich will lästige Frager zum Schweigen bringen.“ Wie Sie sehen, ist die Bedeutung einer Aussage auf der Beziehungs-, Appell- und Selbstoffenbarungsebene in aller Regel nicht eindeutig – meist sind mehrere Interpretationen möglich. Das kommunikative Problem ist also ein doppeltes: Zunächst muss der Hörer entscheiden, welchem Aspekt einer Aussage er welche Bedeutung beimisst. Wenn er dann weiß, welcher der vier Aspekte ihm der bedeutsamste zu sein scheint, muss er noch aus der Fülle der möglichen Inhalte, die innerhalb dieses Aspekts existieren, den ihm passend erscheinenden heraussuchen.
Die vier Seiten einer jeden Aussage sollen anhand von zwei weiteren Beispielen verdeutlicht werden.
1. Beispiel
Die Aussage „Wie lange machen Sie den Job schon?“ kann auf der Seite des Sachaspekts die neutrale Frage danach beinhalten, wie lange der Befragte dieser Tätigkeit bereits nachgeht. Auf den anderen Ebenen der Kommunikation können z. B. folgende Aussagen dahinterstecken:
Beziehung: | „Ich kenne mich besser aus als Sie.“ |
Appell: | „Finden Sie endlich eine vernünftige Lösung!“ |
Selbstoffenbarung: | „Ich habe kein Vertrauen zu Ihnen.“ |
Die genaue Aussage könnte jedoch auch eine ganz andere sein. Derjenige, an den die Frage gerichtet wurde, bildet sich seine Annahmen dazu, welche Bedeutungen sich jeweils dahinter verbergen mögen.
2. Beispiel
Die Aussage „Sie kamen heute erst um 9.00 Uhr“ kann z.B. zusätzlich zum Sachaspekt folgende Aspekte enthalten:
Beziehung: | „Ich darf Ihnen Anweisungen erteilen, die Sie befolgen müssen.“ |
Appell: | „Bitte seien Sie morgen pünktlicher!“ |
Selbstoffenbarung: | „Ich ärgere mich über Ihre Unpünktlichkeit.“ |
Auch hier ergeben sich die Bedeutungen wiederum nicht zwingend aus dem Gesagten. Sie müssen vielmehr auch vom Hörer „erraten“ werden. Es gilt:
Der Sprechende bestimmt nicht, was der Hörer heraushört.
Da sich die einzelnen Aspekte einer Aussage nicht zwangsläufig ergeben, sind nachfolgend einige Aussagen bzw. Fragen aufgeführt, die dabei helfen sollen, die einzelnen Aspekte zu identifizieren.
1. Sachaspekt
Die Sachebene vermittelt die reine, emotionslose, nicht interpretierende und nicht wertende Botschaft. Nachrichtensprecher bemühen sich besonders um diese Art der Kommunikation.
Aus der Sicht des Senders:
• Es geht um die Sache selbst.
• Darüber informiere ich den Gesprächspartner.
Aus der Sicht des Empfängers:
• Darüber will mich der Sender informieren.
• Wie ist die Sache zu verstehen?
2. Beziehungsaspekt
Aus der Sicht des Senders:
• So stelle ich mir unsere Beziehung vor.
• Wie sehe ich den anderen und unsere Beziehung zueinander?
Aus der Sicht des Empfängers:
• Wie sieht mich der andere?
• Wie redet der andere mit mir?
3. Selbstoffenbarungsaspekt
Aus der Sicht des Senders:
• Das teile ich dem Gesprächspartner von mir mit.
• Was will ich von mir mitteilen?
Aus der Sicht des Empfängers:
• Was ist mit dem anderen los?
• In welchem Zustand befindet der andere sich?
• Wie stellt sich der andere als Person dar?
4. Appellaspekt
Aus der Sicht des Senders:
• Das will ich vom Gesprächspartner.
• Dazu will ich den anderen veranlassen.
Aus der Sicht des Empfängers:
• Was soll ich aus Sicht des anderen denken, fühlen oder tun?
• Was will der andere von mir?
Die Tatsache, dass man nicht mit Bestimmtheit sagen kann, welche versteckten Botschaften noch hinter dem Gesagten stecken, diese „Grauzone“ in der Kommunikation wird sehr oft als Manipulationsinstrument genutzt. Der Manipulierende hofft dabei, dass der Manipulierte die entsprechende manipulative Aussage aus dem Gesagten heraushört. Für den Manipulierenden hat dies den Vorteil, dass er sich hinterher immer damit herausreden kann, dass er es so natürlich nicht gemeint habe und der Manipulierte mit seiner Interpretation völlig falsch liege.
Erweiterungen des Modells
Um die kommunikativen Prozesse, die bei der Manipulation eine Rolle spielen, besser zu verstehen, ist es sinnvoll, das soeben vorgestellte Grundmodell von Schulz von Thun in zwei Punkten zu erweitern, und zwar auf der Beziehungsseite und auf der Seite der Selbstoffenbarung.
Erweiterung auf der Beziehungsseite
In der Kommunikation wird immer ein Teil der Information dazu verwendet, die gegenseitigen impliziten Vorstellungen bezüglich der Beziehung der beiden Gesprächspartner zueinander darzustellen. Diese kann prinzipiell drei Formen annehmen: Beide Gesprächspartner können gleichberechtigt sein, der eine kann dem anderen übergeordnet oder untergeordnet sein.
Erste Erweiterung des Grundmodells
Diese drei Beziehungsarten können strukturell vorgegeben sein, z. B. in Form hierarchischer Unterstellungen im Falle einer Konstellation Vorgesetzter-Mitarbeiter. Möglicherweise werden sie aber auch durch die Art der Kommunikation der beiden Interaktionspartner definiert, vor allem dann, wenn sich die Gesprächspartner nicht oder nur wenig kennen. Diese Definition der Beziehungen kann ein strukturell bestehendes hierarchisches Gefälle verstärken, abschwächen, ganz eliminieren oder gar völlig verdrehen. Das geschieht, wenn die Stellung der Partner zueinander eher anhand der paraverbalen denn der verbalen Kommunikation festgelegt wird. Paraverbale Kommunikation bedeutet, dass sich ein inhaltlich identischer Text von verschiedenen Personen gesprochen ganz unterschiedlich anhören und dadurch zu ganz verschiedenen Interpretationen Anlass geben kann (Hofmann 2001). Solche Unterschiede, die nur in der gesprochenen Kommunikation auftreten, bezeichnet man als paraverbale Unterschiede.
Wie vermittelt man in der Kommunikation die Vorstellungen, die man von der gegenseitigen Beziehung zueinander hat?
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