ICH BIN NÄMLICH EIGENTLICH GANZ ANDERS, ABER ICH KOMME NUR SO SELTEN DAZU.
(Ödön von Horvarth, Schriftsteller, 1901–1938, aus der Komödie: »Zur schönen Aussicht«)
an nennt uns »Krauts« oder »Piefkes«. Wir gelten als pünktlich, gründlich und verlässlich. Diszipliniert, ein wenig langweilig und übervorsichtig. Aber für Optimismus und überbordende Lebensfreude rühmt man uns nicht gerade. Misstrauisch und skeptisch, das schon eher. In der Eurokrise hat sich unser Ruf als Schwarzseher verfestigt. Mit dem Begriff »German Angst« gibt es sogar einen internationalen Begriff für dieses Phänomen. Wie ist das bei Ihnen – wurden Sie auch schon einmal in diese Stereotypenschublade verfrachtet? Oder haben Sie im Gegenteil eine andere Erfahrung gemacht: und zwar die, dass es da noch ein zweites Bild von den Deutschen gibt?
Vor Glück strahlende Menschen, die ausgelassen in den Straßen tanzen, sich jubelnd um den Hals fallen, mit Fans aus der ganzen Welt ein großes Fest feiern. Das war der ganz normale Zustand während der Fußballweltmeisterschaft 2006 – Sie erinnern sich? Die Deutschen präsentierten ein völlig neues Bild von sich. Gelöst, frei und eins mit sich selbst. Offen und ein wenig verrückt. Plötzlich waren sie nicht mehr nur die Pessimisten und Grantler, für die man sie immer hielt.
Und jetzt kommt die gute Nachricht: Diese Euphorie war mehr als ein Strohfeuer. Sie war ein erstes Symptom eines neuen Lebensgefühls, das unser Land in den vergangenen Jahren stetig verändert hat. Studien zeigen: Aus »German Angst« ist »German Lebensfreude« geworden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in einer aktuellen Erhebung1 festgestellt: Die Menschen in Deutschland sind heute im Durchschnitt zufriedener als zu jedem anderen Zeitpunkt nach der Wiedervereinigung. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte: Wir haben allen Grund, uns über uns selbst zu freuen. Wir können Lebensfreude!
Wenn ich Lebensfreude sage, ist damit übrigens nicht das klassische Glück à la »Schwein gehabt« gemeint, das oft nur einen kurzen Moment währt. Zum Beispiel, wenn wir auf einer Wanderung mit den ersten Regentropfen die Hütte erreichen. Oder der Busfahrer noch einmal stoppt, anstatt uns an der Haltestelle stehen zu lassen. Gemeint ist auch nicht der kurze euphorische Moment: wenn man sich mit seinen Kollegen über den Erfolg eines Projekts freut. Oder wenn der Partner sich eine Überraschung für uns überlegt, uns einen Blumenstrauß mitbringt oder einen Tisch im Lieblingsrestaurant reserviert hat.
Lebensfreude geht darüber hinaus. Sie ist Ausdruck eines dauerhaften Wohlbefindens. Wenn wir uns auch nach dem Projekt noch gut mit unseren Kollegen verstehen und gemeinsam Spaß haben. Wenn wir morgens neben einem anderen Menschen aufwachen und uns darüber freuen, dass genau dieser Mensch neben uns liegt – das ist Lebensfreude. Im Englischen gibt es dafür den Begriff »happy« im Gegensatz zu »lucky«, wenn wir einfach nur Glück haben. Ein Lottogewinner beispielweise ist »lucky«, aber das Niveau seiner Lebensfreude steigt nicht zwangsläufig. Ob uns dieses spontane Glück zufällt, haben wir zudem nicht in der Hand. Ob wir Glück empfinden, schon. Dafür gibt es eine eigene Wissenschaft, die Glücksforschung. Sie besagt: Was wir beeinflussen können, ist die Haltung, mit der wir dem Leben begegnen, auch wenn es einmal nicht so gut läuft. Wie zufrieden wir durchs Leben gehen, auch wenn wir keine Millionen gewonnen haben. Ruut Veenhoven, Sozialpsychologe aus Rotterdam, beschreibt den empirischen Gegenstand der Glücksforschung als »subjektive Freude am Leben im Ganzen«.2 Das klingt erstrebenswert, finden Sie nicht auch?
Statistisch gesehen, ist es sogar sehr wahrscheinlich, dass Sie diesen Zustand bereits kennengelernt haben. Drei von vier Deutschen sagen: Ich freue mich meines Lebens! Und jeder Zweite empfindet sogar große Lebensfreude. Das war das überraschende Ergebnis der ersten repräsentativen forsa-Studie des Coca-Cola Happiness Instituts unter mehr als 2000 Menschen in Deutschland. Alle Umfrageteilnehmer wurden gebeten, ihre Lebensfreude auf einer Skala von 1 bis 10 einzusortieren. Und zwar für die verschiedensten Lebensbereiche: im Familienleben und im Job, in der Freundschaft und in der Liebe, beim Essen und in der Freizeit.
Die Ergebnisse werden uns in den folgenden Kapiteln an verschiedenen Stellen wiederbegegnen: Was die Deutschen lebensfroh macht und wie sie das anstellen, schauen wir uns in diesem Buch einmal ganz genau an. Dazu ziehen wir neben der Happiness-Studie, wie ich sie im Folgenden nennen werde, zahlreiche weitere Studien heran. Sie dürfen gespannt sein: Von Nord nach Süd, von Ost nach West zeigte sich dabei ein buntes Bild der deutschen Lebensfreude. Mit einer breiten Palette von Strategien meistern die Deutschen ihr Leben voller Optimismus. Familie, Freunde und auch der Job tragen einiges dazu bei. Wer seine Lebensfreude weiter steigern möchte, kann sich eine Menge davon abgucken, wie wir auf den nächsten Seiten erfahren werden.
Ich schiebe ein kleines »aber« hinterher. Denn die Glücksforschung besagt: Wenn wir anhaltend mehr Lebensfreude gewinnen wollen, ist es nicht mit ein oder zwei Strategien getan. Lebensfreude ist eine Daueraufgabe. Und das liegt nicht zuletzt an der Gegenwart, in der wir heute leben: Unsere Welt wandelt sich schneller denn je und konfrontiert uns stetig mit neuen Entwicklungen. Um herauszufinden, welche Ideen und Werte uns angesichts dessen dabei helfen können, auf lange Sicht die Lebensfreude zu bewahren, habe ich mit dem Trendbüro eine zweite große Happiness-Studie durchgeführt. Sie trägt den Titel »Die Megatrends der Gesellschaft und ihr Potenzial für Lebensfreude«3. Darin haben wir Menschen befragt, die sich von Berufs wegen intensiv mit dem Thema Lebensfreude beschäftigen. Elf Experten ganz unterschiedlicher Disziplinen aus Wirtschaft, Medizin, Psychologie, Trend- und Glücksforschung analysieren darin gemäß der Delphi-Methode die großen Strömungen unserer Gesellschaft: das, was unser heutiges Tun und Miteinander ausmacht und uns in Zukunft bewegen wird. Drei große Trends haben sich herauskristallisiert, in deren Spannungsfeld sich unsere Lebensfreude bewegt: Autonomie, Optionsvielfalt und Verbundenheit.
Das Expertenpanel ist den Fragen nachgegangen: Was machen diese Trends mit unserer Lebensfreude? Tragen sie dazu bei, dass sie wächst? Und falls ja: Wie können wir selbst daran mitwirken? Das Besondere dieser Studie ist: Sie gibt nicht nur einen guten Überblick über den Istzustand unserer Gesellschaft, sondern auch ganz alltagspraktische Tipps.
Immer wenn ich mich in den nächsten Kapiteln auf diese Studie beziehe, werde ich von der Megatrends-Studie sprechen.
Jetzt werden Sie sich vielleicht fragen: Warum sollen ausgerechnet Autonomie, Optionsvielfalt und Verbundenheit für mich persönlich wichtig sein? Diese Trends sind gewissermaßen die drei großen Antworten auf die Entwicklungen des 21. Jahrhunderts, die unsere Fähigkeiten zum Empfinden von Lebensfreude herausfordern. Der technologische Fortschritt und die Globalisierung sind nur einige der Faktoren, die unsere Lebensfreude auf eine ganz neue Probe stellen.
Nehmen wir beispielsweise die Autonomie: Wie wirkt sich die zunehmende Eigenverantwortung des Einzelnen auf seine Lebensfreude aus? Im Job beispielsweise können wir immer mehr selbst mitbestimmen – aber müssen wir deshalb auch rund um die Uhr erreichbar sein? Und was macht die zunehmende Optionsvielfalt, die Fülle der Möglichkeiten, mit uns? Soziale Netzwerke erleichtern es, überall auf der Welt neue Kontakte zu knüpfen. Aber ist ein Like schon eine Freundschaft? Und noch etwas bewegt uns: Das Leben ist weniger planbar denn je. Jobwechsel, neue Partnerschaft, Umzug in eine andere Stadt: Dass schon morgen alles anders sein kann, ist der Normalzustand, den wir kaum mehr hinterfragen. Die gefühlte und gelebte Eigenverantwortung wächst: Wir sind unseres Glückes Schmied. Daher wird für uns die Selbstwirksamkeit wichtig: das Gefühl, das Ruder des Lebens selbst in der Hand zu haben.
Sicherheit spielt im deutschen Wertekanon indes kaum noch eine nennenswerte Rolle.4 Wir beginnen uns daran zu gewöhnen, dass es keine äußere Sicherheit mehr gibt, und besinnen uns wieder stärker auf uns selbst und unser Umfeld. Und damit wären wir bei dem dritten Trend, der Verbundenheit, angekommen. Die Menschen in Deutschland konzentrieren sich stärker auf vertrauensvolle Beziehungen. Die gemeinsamen privaten Momente machen das Leben lebenswert. Ganz nach dem Motto: Auch wenn sich die Welt nicht ändern lässt – mein Leben und meine Bindungen kann ich nach meinen Vorstellungen gestalten. Wie wir daraus viel Lebensfreude ziehen können, nehmen wir in den nächsten Kapiteln noch einmal genauer unter die Lupe. So viel kann ich Ihnen aber schon verraten: Sich intensiv mit anderen zu vernetzen hat großen Einfluss auf unsere Lebenszufriedenheit.
Und noch etwas zahlt darauf ein: in Verbundenheit mit anderen schöne Momente zu genießen. Die Deutschen sind diesbezüglich sehr engagiert, wie die Happiness-Studie zeigt: Freizeitgestaltung und Kinderbetreuung sind für sie echte Glücksgaranten. Beim Austoben auf dem Bolzplatz oder bei Kissenschlachten mit den Kleinen lebt die Lebensfreude auf – und dabei wird viel gelacht.
Was mich zudem optimistisch stimmt: Die Deutschen entdecken ihre Geberqualitäten. Sie machen gern kleine freundliche Gesten. »Das...