Willkommen im praktischen Teil. Im zweiten Teil des Buches möchte ich Ihnen die von mir entwickelte Blasentechnik vorstellen. Damit lernen Sie, mittels einfacher Übungen Ballast abzuwerfen und Ihr ureigenes Ich zu befreien, sich wiederzufinden oder sich überhaupt zum ersten Mal wirklich selbst zu entdecken. Sie lernen, in jeder Situation bei sich zu bleiben und zu den Menschen in Ihrem Umfeld einen gesunden Abstand zu haben – nicht, um auf Distanz zu gehen, sondern, um auch die anderen besser zu verstehen.
Es ist zunächst einmal essenziell, festzustellen, dass unser Ich viel mehr ist, als sich in Kilo und Zentimeter vermessen lässt. Der Mensch ist ein unglaublich vielschichtiges Wesen. Jeder Einzelne ist eine Skulptur, an deren Entstehung viele mitgewirkt haben: Eltern, Erzieher, Freunde und viele mehr. Im Laufe unserer Entwicklung gewinnen einige unserer Eigenschaften an Wichtigkeit, andere werden verschüttet. Das hängt stark von unserer Lebenssituation ab. Besonders prägend sind dabei unsere Erziehung, unsere Ausbildung, unsere Arbeit und unsere Beziehungen.
Wenn ich meinen Klienten in der ersten Sitzung die Frage stelle „Wer sind Sie? Was macht Sie aus?“, ist die erste Antwort oft ein fragender Blick. Viele Menschen sind sich ihrer selbst viel zu wenig bewusst. Im Gespräch ist ihnen manches Mal die Anstrengung anzusehen, mit der sie in sich gehen. Mit höchster Intensität versuchen sie sich zu erforschen und stellen am Ende nicht selten fest, dass es da nicht viel zu berichten gibt. Was nicht daran liegt, dass es sich bei Ihnen um vollkommen unbeschriebene Blätter handelt, vielmehr ist die Persönlichkeit im Laufe der Zeit verschüttet worden, man hat das Gefühl für die eigenen Stärken und alles, was einen besonders macht, verloren. Umso mehr lohnt es, sich auf den Weg zu sich selbst zu machen.
Die Frage, die es zu ergründen gilt, ist tiefgreifend: Wer bin ich? Die Antwort hilft mir, mir meiner selbst bewusst zu werden. Je mehr ich mich für mich selbst interessiere, desto mehr wertschätze ich mich auch. Und wenn ich herausfinde, was mir guttut, achte ich auch entsprechend mehr auf mich. Selbstbewusstsein, Selbstachtung und Selbstwert hängen eng miteinander zusammen. Ich spreche hier auch von der Stärkung der inneren Strukturen. Nachdem ich in meiner Praxis festgestellt habe, dass viele Klienten sich damit schwertun, sich selbst zu finden und ihre ureigenen Bedürfnisse auszuloten, habe ich eine Technik für sie entwickelt, die ihnen dabei hilft. Sie können Sie auch außerhalb von meinen Sitzungen anwenden und Ihren Selbstfindungsprozess im Alltag weiterführen.
Um meinen Klienten zu einem besseren Selbstgefühl und dadurch mehr innerer Stärke zu verhelfen, habe ich die Blasentechnik entwickelt, die dafür sorgt, dass jeder sich selbst und andere besser wahrnehmen kann, und erkennt, wer er ist. Ziel der Übungen ist es, das Innere in Einklang zu bringen und zu erfahren, wie man in jeder Situation bei sich bleibt. Und eines sei noch vorausgeschickt: Man muss keine ausgewachsene Psychose haben, um davon zu profitieren.
Zunächst einmal müssen wir uns dabei Folgendes bewusst machen: Jeder Einzelne von uns ist mehr, als sein Spiegelbild zeigt. Die vielen Bestandteile unserer Persönlichkeit, unser Charakter, unsere Gene, unsere Erfahrungen, unsere Wünsche, die verschiedenen Rollen, die wir im Leben einnehmen, strahlen über unseren Körper hinaus, sie sind wie eine „Aura“, die uns umgibt.
Jeder Mensch wird von seiner eigenen Blase umgeben.
Jeder von uns ist so viel mehr, als in die körperliche Hülle reinpasst. Der Charakter, die Gene, die Erfahrungen, die Wünsche und noch unendlich viel mehr ist, was uns ausmacht. Stellen Sie sich doch einmal Ihre Blase mit Ihren wichtigsten Eigenschaften vor.
GEHEN SIE AM BESTEN GANZ DIFFERENZIERT VOR:
• Leidenschaften: Begeisterung, Eifersucht, Enthusiasmus, Hass, Liebe, Erotik, Zorn
• Emotionen: Angst, Freude, Liebe, Melancholie, Trauer, Vertrauen
• Stimmungen: Fröhlichkeit, negative Stimmung wie frostig oder gedrückt
• Empfindungen: Ekel, Depression, Scham, Schmerz, Sexualität, Wohligkeit
• Sinnliche Wahrnehmung: Tasten, Riechen, Schmecken, Hören, Sehen
• Wünsche: Bedürfnisse, Interessen, Lust, Neigungen
• Erkennende Gefühle: Emotionale Intelligenz, Intuition, Kreativität, Phantasie
• Gefühls(un)tugenden: Geiz, Gewissen, Mitleid
Um sie darzustellen, wähle ich das Bild einer Seifenblase, die uns umgibt. Stellen Sie sich vor, Sie und jeder Einzelne von uns hat eine Art Seifenblase um sich herum. Ganz dünn, schön beweglich und bunt schillernd. Und in dieser Blase ist alles, was uns ausmacht: unser Charakter, unsere Gene, unsere Erfahrungen, unsere Wünsche und noch unendlich vieles mehr. Unsere ganz eigene kleine Welt. Betrachten Sie jetzt mal ganz intensiv Ihre eigene Blase, schauen Sie sich darin um. Was macht Sie aus? Was ist alles Teil von Ihnen?
So könnte Ihre Blase z. B. aussehen – oder auch ganz anders. Das hängt davon ab, was für Gefühle Sie haben, welche Rollen im Leben Sie einnehmen. Denken Sie in Ruhe darüber nach und ergänzen Sie mit der Zeit alles, was Ihnen wichtig ist.
Die Visualisierung hilft, sich komplizierte Zusammenhänge zu verinnerlichen und anschaulich zu machen. Nehmen Sie ein Blatt, zeichnen Sie sich und Ihre Blase und schreiben Sie in die Blase, was Sie ausmacht, was Ihnen zu Ihrem Charakter einfällt, was Ihre Wünsche und Ziele sind.
Treffe ich mit anderen Menschen zusammen, sollte ich versuchen, auch sie in ihrer ganz eigenen Blase wahrzunehmen. Dann erkenne ich, dass diese Menschen ebenso wie ich etwas in die Wiege gelegt bekommen haben oder auf andere Weise geprägt wurden und aus diesem Grund die Welt aus einer ganz anderen Warte aus sehen, als ich das tue. Denn jeder betrachtet und beurteilt Menschen und Situationen auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen, aus dem heraus, was er gelernt hat im Leben. Der eine findet rote Fahrräder toll, weil bei ihm Rot ein gutes Gefühl hervorruft. Rot ist bei ihm in Gehirn positiv abgespeichert, anderen wiederum ist die Farbe eher ein rotes Tuch. Der Mensch neigt aber dazu, eigene Gefühle auf andere zu projizieren, doch dazu mehr im vierten Teil ab S. 196.
Betrachten Sie die Menschen in Ihrer Umgebung.
Stellen Sie sich alle, die Ihnen begegnen, in ihrer Blase vor.
Jeder lebt in seiner ganz eigenen Welt und nimmt sie durch seine Blase ganz anders wahr als andere – abhängig von seinen Erfahrungen, seinem Charakter, seinem Temperament und seiner Persönlichkeit.
Zeichnen Sie jetzt neben Ihrer Blase mehrere Personen aus Ihrem Umfeld auf, z. B. aus der Familie, dem Kollegen- oder Freundeskreis, und lassen Sie die Zeichnung auf sich wirken. Vielleicht spüren Sie schon bald einen gewissen Abstand, vielleicht aber auch eine gewisse Neugier. Die neue Sichtweise auf Ihr Umfeld kann verschiedene Gefühle auslösen.
Mit dieser Methode lernen Sie sich und andere besser zu verstehen. Auf diese Weise entsteht ein gesunder Abstand zum Gegenüber. Begegne ich im Alltag einem schlecht gelaunten Menschen, nehme ich seine miese Laune nicht mehr so persönlich. Ist beispielsweise die Kellnerin im Café unfreundlich zu mir, werde ich vielleicht sogar neugierig und versuche herauszufinden, warum sie so reagiert, wie sie es gerade tut. Oder sie tut mir einfach nur leid, weil ich sehe, dass bei ihr etwas im Argen sein muss. Damit nehme ich mich und den anderen in aller Vielschichtigkeit wahr.
So entsteht ein harmonisches Hin und Her. Stellen Sie sich vor, der Kontakt verbindet unsere Blase mit dem Außen. Visualisiert man diesen Vorgang, sieht es aus wie ein Unendlichkeitszeichen:
Wenn Sie in Kontakt mit anderen gehen, dann verbinden Sie sich mit der Person und ihrer Blase. Sie nehmen ihre Gesten wahr, Sie fragen vielleicht, wie es ihr geht. Sie erzählen ihr, wie es Ihnen geht.
Jetzt weiten wir Ihre Vorstellung noch aus. Stellen Sie sich in Ihrer Blase vor und die Menschen im Außen im Allgemeinen. Das kann eine Gruppe sein oder sogar auf die Gesamtheit der Gesellschaft erweitert werden.
Wenn Sie die Blasen verbinden, dann entsteht ein Unendlichkeitszeichen. Visualisieren Sie, wie Sie mit dem Außen in Verbindung sind. Dieses Unendlichkeitszeichen soll das Hin und Her symbolisieren: Ich nehme das Außen wahr und ich nehme mich wahr. Ich gehe mit dem Außen in Kontakt und ich teile mich mit.
Ein harmonischen Hin und Her – ein Nach-außen-Schauen, Fragen, Wahrnehmen und Nach-innen-Fühlen. Ich spreche über meine Gefühle und Wünsche und hinterfrage interessiert die Gefühle des anderen. Ich bilde keine Hypothesen darüber, was...