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E-Book

Lebensfahrt eines deutschen Erfinders

Vollständige Ausgabe

AutorCarl Friedrich Benz
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl172 Seiten
ISBN9783849605087
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Carl Friedrich Benz war ein deutscher Ingenieur und Automobilpionier. Sein Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 von 1885 gilt als erstes modernes Automobil. Dies sind seine Erinnerungen, aufgezeichnet in einer detaillierten Autobiographie.

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Leseprobe

Das Ringen um des Wagens Zukunft


 


Dank der vielseitigen Erfahrungen, die ich schon seit den siebziger Jahren im Gasmotorenbau – insbesondere beim Bau meiner Zweitaktmotoren – gesammelt hatte, war die Frucht meines Erfindungsgedankens rasch ausgereift. Immer noch stand naturgemäß der Bau von ortsfesten Gasmotoren im Brennpunkt des geschäftlichen Unternehmens. Dem Motorwagen wurden die Stunden des Sonntags geweiht, die Frühstunden des Tages vor Geschäftsbeginn oder die Feierabendstunden.

 

Aus der Umgebung Mannheims hatte ich mir zwei Dreiecke aus drei Straßenzügen herausgewählt. Lange Zeit wurden regelmäßig diese Straßendreiecke von 10–11 Uhr nachts umfahren, das eine Mal »das große Dreieck« (Fabrik-Waldhof-Sandhofen-Käfertal und zurück), das andere Mal das kleine Dreieck (Fabrik-Waldhofstraße-Waldhof-Käfertal-Mannheim). Die Kinder machten sich natürlich ein großes Vergnügen aus diesen Dreiecks-Nachtfahrten. Nur bei Sturm und Regen wollten sie manchmal für das Vergnügen danken. Aber gerade Sturm und Unwetter sollten ja die Kinder wie der Wagen ertragen lernen.

 

So war ich denn mit fiebernder Ungeduld von der ersten Stufe jeder Erfindung: vom Ersinnen, Durchdenken, Zeichnen und Berechnen aufgestiegen zur zweiten Stufe, zur praktischen Ausführung und Verwirklichung, zur Tat! Jetzt, wo ich mich auf der Höhe wähnte, auf der Höhe des Erfinderglücks, merkte ich, daß ich unten stand, ganz unten und wie ein Bettler anklopfen mußte an den Türen der Menschheit und ihrer Kultur. Groß und grau trat jetzt eine Sorge vor mich hin, gegen die alle bisherigen Erfindersorgen nichts waren als kleine Schülersorgen. Jetzt galt's, den Kampf gegen das Lächeln und Lachen der spöttelnden Menschen aufzunehmen. Es galt, sich und seine Erfindung durchzusetzen – trotz aller Verneinung und Ablehnung. Aus dem grübelnden Erfinder mußte der kulturelle Eroberer, aus dem Ringen mit Problemen das Ringen um des Wagens Zukunft werden. Das war die dritte und letzte Stufe der Erfindung, jene gefährliche Stufe, über der schon so mancher große Erfinder nach Überwindung der ersten und zweiten Stufe verzweifelnd zusammengebrochen ist, zusammengebrochen, weil die Menschheit dem unberufenen Wohltäter statt des Lohnes – das Hungertuch reichte. Davor – vor dem Hungertuche – brauchte ich freilich keine Angst zu haben. Dafür sorgten ja meine begehrten ortsfesten Zweitaktmotoren. Daß aber die Überwindung dieser dritten Erfindungsstufe die ganze Beharrlichkeit und Zähigkeit einer ungewöhnlichen Charakterstärke voraussetzt, das bekam ich zu fühlen auf Schritt und Tritt. Selbst die deutsche Fachwelt erkannte – zum Unterschied von der französischen – lange Zeit nicht das fundamental Bedeutsame, Umgestaltende meiner Erfindung für das Verkehrs- und Wirtschaftsleben. Wie trüb die Zukunftsaussichten des jungen ratternden Lebenskandidaten noch einige Jahre später beurteilt wurden, dafür nur ein Beispiel. Vor mir liegt das Herdersche »Jahrbuch der Naturwissenschaften 1888/89«, herausgegeben von Dr. M. Wildermann. Darin beschreibt Dr. G. van Muyden, Bibliothekar des Kaiserlichen Patentamtes zu Berlin, die von mir gebauten Motorboote und fährt dann wörtlich fort: »Auch hat Benz einen Benzinwagen gebaut, welcher auf der Münchener Ausstellung Aufsehen erregte. Diese Anwendung der Benzinmaschine dürfte indessen ebensowenig zukunftsreich sein, wie die des Dampfes auf die Fortbewegung von Straßenfuhrwerken

 

Derlei sachverständige Urteile vermochten meinen Glauben nicht in Fesseln zu legen. Unbeugsam und zäh suchte ich meine ursprüngliche Idee durch alle Stadien ihrer Entwicklung durchzukämpfen bis ans Ziel.

 

Um dem neuen Motorwagen den Weg zu bahnen hinaus und hinein in die reale Welt, nahm ich zunächst Patente, außer in Deutschland auch in allen Industriestaaten des Auslandes. Rastlos und unaufhaltsam arbeitete ich sodann an der Weiterentwicklung meines Wagens. Mängel, die der erste Wagen begreiflicherweise noch aufwies, wurden getilgt. Verbesserungen und Vervollkommnungen sprießen auf in drängender Fülle. Bald zeigen die neuen Modellwagen Holzreifen, bald Eisenreifen. Bald haben nur die Triebräder Eisenreifen, während das Vorderrad im Interesse der Lenkbarkeit auf glattem Pflaster oder gefrorenem Boden einen Vollgummireifen erhält. Um größere Steigungen überwinden und größere Geschwindigkeiten erzielen zu können, wurde ein stärkerer Motor (3 PS) eingebaut.

 

Am 8. April 1887 erhielt ich ein Patent auf »die Anordnung (Abb. 22) der im Innern der Riemenscheibe R angebrachten Stirnräder Z Z' Z'' Z''' und des Mitnehmers M, um durch eine kleine Bewegung am Steuerhebel b das Fahrzeug sofort aus einer raschen Gangart in eine langsamere oder umgekehrt versetzen zu können, zweitens Verwendung der vorhandenen Kraft des Motors zum Überwinden großer Steigungen.«

 

Das Wesentliche der patentierten neuen Getriebekonstruktion ist ein Planetengetriebe, auch Epizykloidengetriebe genannt.

 

Beim langsamen Gang hält der Mitnehmer M das Zahnrädchen Z'' fest, während die Klauenkuppelung K die Welle a mit dem Zahnrad Z' verbindet. Wie Planeten (daher »Planetengetriebe«) drehen sich die zusammengenieteten Zahnräderpaare Z und Z''' beim Umlauf der Riemenscheibe: 1. um den eigenen Mittelpunkt (Bolzen) und 2. um die Achse a. Da Z''' größer als Z'' ist, macht Z''' und damit auch Z bei einem Umlauf der Riemenscheibe keine ganze Umdrehung. Indem Z in das größere Zahnrad Z' eingreift, wird Z' und damit a sich wieder etwas langsamer drehen als Z. Es findet also wiederholt eine Verminderung der Geschwindigkeit statt. Wird dagegen der Mitnehmer M freigegeben und die Riemenscheibe R direkt durch die höher hinausgeschobene Kupplung K mit der Achse a verbunden, so fährt der Wagen mit der großen Geschwindigkeit.

 

Je nach der Stellung des Steuerhebels b war es also möglich: 1. Riemenscheibe und Motor leerlaufen zu lassen, 2. die Kraft unter Zwischenschaltung des Planetengetriebes auf das Differentialgetriebe und 3. die Kraft unmittelbar auf das Differentialgetriebe zu übertragen.

 

Der neue Wagen vor der Polizeischranke


 


Beim Fahren ist mir nie ein Unglück passiert, mein Leben lang. Ich habe nie die Vorsicht auf meinem Wagen und die Rücksicht auf meine Mitmenschen außer acht gelassen. Die vielen Chauffeure, die durch meine Schule gingen, wissen davon ein Liedlein zu singen. Wen immer ich am Schnellfahren ertappte, der mußte zur Strafe wieder 14 Tage am Schraubstock arbeiten.

 

Ich war daher sehr überrascht, als ich vom Bezirksamt Mannheim schon in den ersten Erfinderjahren eine Vorladung bekam. Die hatten mir meine Fahrer eingebrockt. Sie machten sich nämlich ein besonderes Vergnügen daraus, in schneidigstem Tempo an Polizisten vorüberzusausen. Die Folge war eine polizeiliche Anzeige beim Bezirksamt, auf Grund deren man mich vor das Forum zitierte.

 

»Überhaupt«, sagte der Amtmann Bierbaum, »wissen Sie nicht, daß das Fahren mit elementarer Kraft nach einem Landtagsbeschluß bei uns in Baden verboten ist?«

 

Das war nun freilich für einen, der mit dem Motorwagen Zukunft und Welt erstürmen will, ein Weghindernis von der Anmut eines Drahtverhaus. Sofort ging ich daran, mit allen Waffen Ciceros gegen dieses Drahtverhau anzukämpfen. Und siehe da, der Mann an der Schranke ließ sich durch Vernunftgründe überzeugen, zog die Barriere hoch und gab den Amtsbezirk Mannheim zur Durchfahrt frei. Darüber hinaus aber mußte ich die Genehmigung des Ministeriums einholen. Die Genehmigung kam, aber sie hätte sich in praxi auswirken müssen wie eine Nichtgenehmigung. Sechs Kilometer Fahrgeschwindigkeit innerhalb und zwölf Kilometer außerhalb der Stadt!

 

Da dieses salomonische Urteil naturgemäß durch keinerlei Sachkenntnis getrübt war, versuchte ich noch einmal mit den Waffen der Vernunftgründe zu fechten. Ich lud die Herren zu mir nach Mannheim ein, um sie von der Betriebssicherheit und Ungefährlichkeit meiner Wagen überzeugen zu können. Richtig, sie nahmen an und teilten mir den Zug mit, mit dem sie in Mannheim einzutreffen gedachten. Fahrmeister Tum gab ich den Auftrag, die Herren an der Bahn mit der »Benzinchaise« abzuholen. Selbstverständlich schärfte ich ihm ein, mit den »gefährlichen« Herren keinesfalls schneller als sechs Kilometer die Stunde zu fahren.

 

Die Herren kamen an, stiegen ein und freuten sich zunächst wie die Schneekönige über das behaglich-langsame Dahinfahren des pferdelosen Wagens. Mit der Zeit kommt ihnen das Tumsche Tempo doch etwas langweilig vor. Und als gar ein Milchfuhrmann mit seinem abgerackerten Gaul Miene macht, den Kraftwagen zu überholen, ruft einer der Ministerialräte dem guten Tum zu: »He, Sie! Können Sie denn nicht schneller fahren?« »Können tu ich's...

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