Blütentraum von Menschenhand
Madeiras Gärten versammeln Gewächse aus der ganzen Welt
Weit zieht sich die hohe Mauer am Saum des steilen Sträßchens entlang. Endlich entdecke ich die kleine Pforte. Silbern blinkt ein runder Knauf in ihrem dunkelgrünen Holz. Ein sachter Dreh, der rechte Türflügel schwingt auf – und vor meinen Füßen ergießt sich ein üppiger Garten. Bananenbäume, Hibisken, Strelitzien, Frangipani, Passionsfrüchte, Bromelien, Martinetes, Aloen – alles wächst und gedeiht auf der terrassierten Hangfläche, die sich scheinbar endlos hinabzieht in Richtung Funchal.
Ein schmaler, steiler Pfad leitet zwischen der Pflanzenpracht zu einem winzigen Haus. Im Schatten seiner Veranda sitzt dort stumm ein altes Ehepaar am Tisch. Immer noch hege ich Zweifel, ob ich tatsächlich an der richtigen Adresse bin. Ein öffentlicher Garten soll dieses stille, selbst am Spätnachmittag noch sonnensatte Fleckchen Erde sein? »Sim« – ja, ja, bestätigt die betagte senhora. Flink erhebt sie sich von ihrem Stuhl. »Kommen Sie nur mit mir mit.«
Ein paar Schritte später taucht vor unseren Augen aus dem dichten Grün das erste Gewächshaus auf. Eine Handvoll weiterer solcher estufas staffeln sich talwärts. Und nun sehe ich auch das handgeschriebene Schild: »Bitte klingeln« steht dort auf Portugiesisch, Englisch, Französisch und Deutsch.
Zur Quinta da Boa Vista gehört das abschüssige Gartenreich, das ich versehentlich durch den Hintereingang betreten habe. Seine Königin heißt, wie ich bald erfahre, Lady Betty. In ausgebleichten Jeans und kurzem, mit Scheren, Schaufeln und allerlei anderen gärtnerischen Utensilien bestücktem Schurz steht die alte Dame bei einem der Gewächshäuser mit einem Mal vor mir.
Schon als junges Mädchen im heimatlichen England, erzählt sie, galt ihre Liebe den Orchideen. Ihr Vater, Sir William Cooke, war damals nicht nur als großer Sammler rarer natürlicher Spezies bekannt, sondern zählt überdies zu den Pionieren der Orchideen-Züchtung. Beide, Sir William und seine Tochter, sind früh aktive Mitglieder der Royal Horticultural Society; ihre Wyld Court Orchids Collection erhält immer wieder höchste Auszeichnungen.
Als Lady Betty in den sechziger Jahren mit ihrem inzwischen pensionierten Gatten, dem ehemaligen Royal Airforce Captain Cecil Garton, in dessen Geburtshaus nach Madeira zieht, tritt auch das Blütenerbe ihres Vaters die Reise auf die Atlantikinsel an. Perfekt verschmilzt es dort mit dem mehr als hundert Jahre alten Garten der Schwiegerfamilie auf der rochina, dem Felschen, wie die Einheimischen sagen, an den Hängen von Funchal.
Lady Bettys Geschichte, die inzwischen fortgeschrieben wird von Sohn Patrick, einem diplomierten Botaniker und leidenschaftlichen Pflanzen-Aquarellisten, ist eine der jüngsten im dicken Buch der madeirischen Gartenkultur. Ihre Wurzeln hat diese schon zur Zeit der ersten Zuckerrohrbarone. Denn deren Reichtum drückte sich nicht allein im Kauf flämischer Kunstwerke aus, sondern auch im Bau vornehmer Landsitze – inklusive Garten.
Dutzende dieser Herrenhäuser liegen bis heute inmitten prachtvoller Grünanlagen. Nehmen wir nur die Quinta das Cruzes, wo angeblich schon João Zarco, einer der beiden Entdecker Madeiras, residierte. Oder schauen wir, ebenfalls in der Inselhauptstadt, zur Quinta Magnólia, in deren weitläufigen und baumreichen Park sogar öffentliche Tennisplätze und ein Schwimmbad locken. Mehr als tausend Pflanzengattungen, darunter Exoten wie der madagassische Blütenbombenbaum, aber auch Korallensträucher, Kapokbäume und Schwanenhalsagaven, birgt das Areal der Quinta Estrela in Caniço, heute als Hotelanlage unter dem Namen »Quinta Splendida« bekannt.
Ihre Gärtner arbeiten eng zusammen mit dem Botanischen Garten in Funchal. Bereits im 17. Jahrhundert steht ein jardim botânico als Wunschprojekt in den Chroniken der Insel. Es sollte freilich fast zehn Generationen dauern, bis das Projekt Wirklichkeit wurde. Heute sprießen mehr als zweitausend der schönsten tropischen und subtropischen Gewächse auf dem vier Hektar großen Areal, dem Gelände der ehemaligen Quinta do Bom Sucesso. Das Anwesen – dessen Name »gutes Glück« bedeutet – gehörte übrigens einst der schottischstämmigen Hotelfamilie Reid.
Nach wie vor im Besitz der britischstämmigen Madeirawein-Dynastie Blandy sind die Palheiro-Gärten. Ursprünglich angelegt vom ersten Grafen von Carvalhal, der seinen Jagdsitz auf den fast fünfhundert Meter hoch gelegenen Ländereien über der Bucht von Funchal hatte, gingen sie 1885 – angeblich aufgrund von Spielschulden – in das Eigentum der Blandys über. Die Familie ließ sich ein neues Haus auf dem Grundstück bauen (in dem die Nachfahren noch heute wohnen) und führte die Baum- und Kamelienanpflanzungen des Grafen weiter.
Eine lange, gewundene Kamelienallee läuft gleich parallel zum Eingangspfad. Und oberhalb des mit mächtigen Farnbäumen und Bananenstauden weitgehend naturbelassenen Parkabschnitts namens Ribeiro do Inferno, Höllenfluss, bezaubern weitere Kamelienarten das Auge. Zwischen der Blandy-Villa und dem einstigen Jagdhaus, das heute den Kern eines kleinen Luxushotels bildet, entfaltet dann jeder Erdteil seine botanische Pracht: Passionsblumen aus Südamerika wachsen hier, Tuberosen und Blutlilien aus Mexiko, Granatäpfel aus China, Thunbergia aus Indien, afrikanische Zedern aus Kenia.
»Zu jeder Jahreszeit zeigt der Garten ein anderes Gesicht«, freut sich Cristina Blandy, die inzwischen für die Gestaltung und Entwicklung der Jardins do Palheiro verantwortlich zeichnet. Gerade hat sie ein neues Rosenbeet anlegen lassen, mit den Steinen der umplatzierten historischen Babes-Säule aus Funchals Hafen als Mittelpunkt. Und wenn man vom »Versunkenen Garten« über das »Lange Randbeet« durch den Jardim da Senhora, den »Garten der Dame« schlendert, fällt der Blick seit Kurzem auf einen filigranen Pavillon: das neue Teehaus der Palheiro-Gärten.
Ebenfalls neu gestaltet, wenngleich schon vor einiger Zeit, wurden die Gärten von Monte. Im Jardim do Imperador, dessen Herrenhaus einst Kaiser Karl I. von Österreich letzte Zuflucht bot, ist im Ausguck, dem sogenannten Malakoff-Turm, eine winzige Kaffee- und Teebar entstanden – mit großzügiger Terrasse unter den schattigen Kronen mächtiger Schirmakazien. Der große Gartenpavillon neben der Villa dient inzwischen als Galerie: Ein Konvolut historischer Schwarz-Weiß-Fotografien erinnert an den Wänden beider Etagen an die einstigen Besitzer und hochherrschaftlichen Gäste der Quinta do Monte.
Erbaut wurde der vornehme Landsitz im Auftrag eines jungen Engländers namens David Webster Gordon, der Anfang des 19. Jahrhunderts von London nach Madeira kam. Einer seiner Söhne übernahm nach des Vaters Tod das Hanganwesen und ließ den Malakoff-Garten anlegen, ein inzwischen wiederhergestelltes Kunstwerk aus sechsundsechzig Blütenbeeten. Danach begann eine wechselvolle Geschichte für das Areal. Seine Pflanzen indes überdauerten tapfer alle Änderungen der Besitzverhältnisse. So entdeckt, wer heute durch das schmiedeeiserne Portal tritt und den mit kleinen, dunklen Basaltkieseln gepflasterten Parkwegen folgt, nicht nur Baumriesen, die mehr als zwanzig Meter in den Himmel wachsen, sondern auch eine dichte Fülle exotischer wie einheimischer Gewächse.
Vor allem die Exotik hatte es José Manuel Berardo angetan, einem in Südafrika zu Reichtum gekommenen Unternehmer. Er verwandelte das steile Hanggelände der einstigen Quinta do Prazer, aus der im 19. Jahrhundert das bis 1943 betriebene Monte Palace Hotel erwuchs, in einen tropischen Garten mit Pflanzen aus aller Welt. Viele Tausend Arten kamen bislang zur originären Vegetation hinzu, darunter eine einzigartige Sammlung von Palmfarnen, die als lebendige Fossilien gelten. Inmitten des üppigen Grüns des Jardim Monte Palace liegt auch ein Teich mit Koi-Karpfen und ein See mit Miniaturfestung in der Mitte. Immer wieder begegnet das Auge zudem künstlerischen Reminiszenzen an europäische wie fremde Kulturen: Azulejo-Friese, Buddhafiguren, Pagoden, fernöstliche Tore …
Einer der jüngsten Gärten der Insel widmet sich ausnahmslos einer einzigen Pflanze: der Rose. In den Gärten der Quinta do Arco, einem an der Nordküste Madeiras in Arco de São Jorge gelegenen Gutsbesitz, haben Elisabete Albuquerque und ihr Mann Miguel (der in der Inselhauptstadt das Amt des Bürgermeisters bekleidet) mehr als tausend verschiedene Rosenarten versammelt. Die bedeutendsten und seltensten von ihnen sind mit Namen und entsprechender Klassifizierung bezeichnet. Alte Sorten sind ebenso darunter wie zeitgenössische Züchtungen. Die Palette reicht von Albas über Bourbon und Damasco bis hin zu Floribundas, Hybrid Musk und Polyanthe.
Aber Madeiras Grün hat noch viele weitere Facetten. Allein in der Hauptstadt der Insel locken noch der historische Stadtpark Jardim Municipal auf dem Gelände des einstigen São-Francisco-Klosters und der weitläufige Santa-Catarina-Park an der Avenida do Infante unterhalb des Regierungssitzes Quinta Vigia. Ganz versteckt im Herzen Funchals liegt zudem der kleine Heilkräutergarten Jardim de Plantas Aromaticas – während sich der Ökologische Park von Funchal, ungeachtet seines Namens, weit außerhalb der Metropole, auf halbem Weg zwischen Monte und Poiso Pass, über fast tausend Hektar Fläche und etliche Höhenmeter zieht. Eine beachtliche Bandbreite einheimischer Gewächse ist auf dem riesigen Parkgelände versammelt; nicht zuletzt durch das zusätzliche Pflanzen verschiedener Lorbeerbäume wie den Til, den Vinhático oder den Barbusano. Auf einer Höhe von rund sechzehnhundert Metern haben sich auch die...