Ich hätte mich gern einmal richtig mit einem Tier verständigt. Das ist ein unerreichtes Ziel. Es ist fast schmerzhaft für mich zu wissen, daß ich nie wirklich herausfinden kann, wie die Materie beschaffen ist oder die Struktur des Universums. Das hätte es für mich bedeutet, mit einem Vogel sprechen zu können. Aber da ist die Grenze, die nicht überschritten werden kann. Diese Grenze zu überschreiten würde für mich das größte Glück bedeuten. Wenn Sie mir eine gute Fee bringen würden, die mir einen Wunsch erfüllt, dann würde ich diesen nennen.
Lange Zeit verbrachte Claude Lévi-Strauss die Nachmittage in seinem Büro, bei sich zu Hause im fünften Stock der Rue des Marronniers Nr. 2 im 16. Arrondissement von Paris. In Miniaturform bildete dieses Arbeitszimmer mit seiner gewaltigen, fast enzyklopädischen Bibliothek, seinen ausgewählten Objekten, seinen Mineralien, seinen »Kuriositäten«, seinen Kunstwerken die Welt nach.
Betreten wir das Heiligtum. Ein großer rechteckiger Raum mit einer Rundung an der Fensterseite. An den Wänden Regale voller Bücher, gebundener Zeitschriften, Enzyklopädien und Wörterbücher. Der Schreibtisch, ein in New York erworbenes hispanisierendes Möbel aus dunklem Holz, steht schräg im hinteren Teil; hier schreibt Lévi-Strauss, und hier hält er sich auf, um zu lesen oder wiederzulesen, in einem Sessel mit Rollen, der es ihm ermöglicht, sich zu einem Sekretär voller Papiere und zu einem kleinen runden Tisch aus Stahl zu bewegen, auf dem eine Schreibmaschine (mit deutscher Tastatur) thront. Aus dem Radio dringt leise die unerlässliche klassische Musik. Zurückgelehnt an seinem Schreibtisch sitzend, auf den er manchmal die Füße legt, hat Lévi-Strauss eine große Abbildung der »Tara« vor sich, einer geschlechtslosen grünen Gottheit aus Nepal, die er in den 1950er Jahren im Auktionshaus Drouot erworben hat, ein Bild der Heiterkeit und der Ruhe. Ein thailändisches Krokodil, eine riesige holzgeschnitzte Wurzel aus China, japanische Graphiken und Säbelscheiden vervollständigen die Anwesenheit des Fernen Ostens; auch einige seltene ethnographische Gegenstände, die Haïda-Keule aus Zedernholz, die dazu dient, den Fisch zu erschlagen, und die in einer der ästhetischen Meditationen von Das wilde Denken vorkommt, bringen das Anderswo ins Haus. Auf dem Schreibtisch einige Steine, darunter ein Lapislazuli-Kubus, ein Dolch. Keine Pflanzen. Zwischen Kuriositätenkabinett und Künstleratelier ist das Büro ebenso wie seine visuelle und auditive Umgebung eine Hymne an die Schönheit, wo in der gedämpften Stille des Nachmittags alles miteinander in Beziehung treten, sich alles in der Utopie eines geschlossenen Orts vereinen kann, der eine Welt im Kleinen enthielte: die Bibliothek. Tatsächlich kann Lévi-Strauss, wenn er diesen Papiertempel betrachtet, um die Welt reisen, wie Xavier de Maistre in seiner Reise um mein Zimmer schrieb, ohne sein Büro zu verlassen: an der Wand zur Linken Afrika, Ozeanien und Asien; vor ihm die Periodika und Karteien; rechts Südamerika; hinter ihm in der Ecke Nordamerika, während der Rest der Wand den Enzyklopädien und Wörterbüchern vorbehalten ist, die er durch eine einzige Halbdrehung seines Rollsessels erreichen kann. »Meine Bibliothek war ein Wunderwerk«, wird er später sagen.2 In der Tat ist hier an den Wänden die ganze Welt vertreten, und jedes Werk steht an dem Platz, den die betreffende Population auf der Landkarte eingenommen hätte. Die geographische Anordnung (nach Kontinent) wird also weiterverfolgt, um zu einer Art Anamorphose zwischen der Landkarte und der Bibliothek zu gelangen – zwei homologe Darstellungen, die von der Fülle und dem Reichtum der Welt zeugen.
Die ausgeklügelte Anordnung dieser weltumspannenden Bibliothek darf ihren lebenswichtigen Charakter nicht vergessen machen: Die 12 000 Bücher, vor allem aber auch die vollständigen Jahrgänge internationaler Zeitschriften, besonders Man oder American Anthropologist, sowie die Tausende von Sonderdrucken versorgen ihren Besitzer mit dem für die wissenschaftliche Arbeit notwendigen Material. Keine Erkenntnis ohne die Kanäle, durch die diese regelmäßig auf Karteikarten übertragenen Daten übermittelt werden. Wie seine Zeitgenossen ist Lévi-Strauss ein großer Arbeiter der Karteikarte, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts für jede vergleichende Studie zu einem der unabdingbaren Werkzeuge geworden ist. Er besitzt einen Karteischrank, der in Zusammenfassungen alle Werke enthält, die er während der Kriegsjahre in der New York Public Library gelesen hat, das heißt mehrere tausend. »Ich kann sagen, dass mir zu einer bestimmten Zeit, in den 1940-1950er Jahren, nichts entging, was auf dem Gebiet der Ethnologie veröffentlicht wurde.«3 Um die Welt reisen und Kenntnisse sammeln: Lévi-Strauss' Bibliothek ist das Archiv einer gelehrten Praxis, für die noch der Anspruch auf Vollständigkeit gilt. Anfang der 1960er Jahre flogen ein paar Papageien frei in dieser Höhle des Wissens herum. Sie waren gerade aus Amazonien gekommen, mit Hilfe von Isac Chiva, Lévi-Strauss' Assistenten im Laboratoire d'anthopologie sociale am Collège de France, und komplizierter Kriegslisten am Rande der Legalität. Chiva weiß, dass sein Kollege und Freund die Tiere liebt, dass er in Gesellschaft von Affen gelebt hat, die er aus Brasilien mitgebracht hatte, dass, wenn es nach ihm ginge, Hunde, Katzen und alle möglichen Tierarten in seinem Büro Zuflucht finden und sein Arbeitszimmer in eine Menagerie verwandeln würden. Und genau das trifft leider ein: Die Papageien klauen ständig die Brille des Anthropologen und beschmutzen alles. Lévi-Strauss muss sich ihrer entledigen, ebenso wie seines Traums von einem menschlichen Leben, das nicht von der Welt der Tiere getrennt ist. Er wird in der Lage sein, dieses Hirngespinst wiederaufleben zu lassen: durch Eintauchen in die Welt der amerindianischen Mythen, in der Tiere und Menschen wiedererschaffen werden, die am selben Universum teilhaben.
Das Geheimnis Lévi-Strauss
Dieses studiolo der Renaissance, das Claude Lévi-Strauss' Büro ist, belehrt und erstaunt uns: Es »passt« nicht zu dem avantgardistischen Bild vom Pionier des Strukturalismus – dieser hochfliegenden Theorie, die häufig mit dem modernistischen Kontext der 1950er-1960er Jahre assoziiert wird und die darauf abzielt, die Voraussetzungen des symbolischen Denkens mit Hilfe einer neuen Kunst des Vergleichs zu rekonstruieren: Es ist nicht, wie man allzu oft meint, die Suche nach den Invarianten der Gesellschaften, sondern vielmehr die Suche nach ihren als Variationen aufgefassten Unterschieden, unter Bevorzugung der Beziehungen, die sie ineinander übergehen lassen. Der Strukturalismus, der sich ursprünglich in der Linguistik herausgebildet hat und sich nicht nur auf die Anthropologie, sondern auch auf verschiedene Räume des Wissens (Literaturkritik, Psychoanalyse, Geschichtswissenschaft …) bezieht, geht auch zurück auf den Sieg der Wissenschaft und speziell den der anthropologischen Disziplin, die dank Lévi-Strauss in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Eingang in den Pantheon der Sozialwissenschaften fand. Das sind die Grundzüge des Strukturalismus Lévi-Strauss'scher Prägung, dessen wesentliche Episoden sich, wie man überrascht entdeckt, im Arbeitszimmer eines Mannes der Renaissance abgespielt haben …
Wer also ist Claude Lévi-Strauss? Ein Kind des Jahrhunderts, 1908 in Brüssel geboren und hundertundein Jahr später, 2009, in Paris gestorben. Er wächst in einer israelitischen Familie auf, die den klassischen Weg des sozialen Aufstiegs à la française hinter sich hat, vom Elsass nach Paris. In dieser bürgerlichen, ganz im 19. Jahrhundert verankerten Welt entfaltet sich Claude als umhegtes Einzelkind, auf dem alle Hoffnungen einer zum Teil deklassierten Familie ruhen. Sein Vater ist Maler, ebenso zwei seiner Onkel. Wenn man sich nicht der Kunst hingibt, macht man Geschäfte. Eine herzliche, weitverzweigte, zusammengeschweißte, ihrem säkularisierten Judentum verhaftete und patriotische Verwandtschaft bevölkert seine Kindheit. Als sehr guter Schüler kommt er in die literarischen Vorbereitungsklassen des Lycée Condorcet, verzichtet jedoch darauf, sich auf die Aufnahmeprüfung zur École normale supérieure vorzubereiten, womit er die erste jener existentiellen Wendungen vollzieht, deren Geheimnis er alleine kennt. Er wird nun ein dilettierender Student, indem er ein doppeltes Studium in Jura und in Philosophie absolviert, das ihn 1931 zur agrégation führt. Vor allem aber ist er in jenen Jahren ein glühender aktiver Sozialist, der unter den Auspizien von Marx und der SFIO [Section française de l'Internationale ouvrière] die Welt verändern will. Im Gegensatz zu vielen seiner Kommilitonen, zum Beispiel dem Ehemann seiner Kusine, Paul Nizan, wird er nie Kommunist. Statt die Welt zu verändern, verlässt er 1935 die seine. Das Angebot, in Brasilien zu unterrichten, ermöglicht es ihm, die Indianer zu studieren, von denen man in Paris annimmt, sie bevölkerten die Umgebung von São Paulo … Diese existentielle und intellektuelle Abzweigung – er gibt die alte Philosophie für die junge Ethnologie auf – ist natürlich entscheidend: Mit...