Wie ich lernte, Wunder zu vollbringen
1973, als ich vierundzwanzig Jahre alt war, verurteilte ein Richter mich dazu, entweder so lange in einer Entziehungskur durchzuhalten, bis ich clean war, oder für bis zu fünf Jahre ins Gefängnis zu wandern.
Seit meinem zwölften Lebensjahr trank ich, und mit achtzehn ging ich zu Drogen über. Diesem Richter war es egal, dass ich einen Abschluss mit Auszeichnung gemacht hatte. Er wollte nicht wissen, warum ein scheinbar so nettes Mädchen wie ich mitten in der Nacht in Drogerien einbricht. Er sagte, ich sei für mein Verhalten selbst verantwortlich – das war etwas, was ich bis dahin noch nie gehört hatte.
Ich wollte nicht damit aufhören, Drogen zu nehmen, denn ich genoss den Rauschzustand. Als die Drogen mir kein Hochgefühl mehr verschafften, betäubten sie mich wenigstens, und so fühlte ich mich immer noch besser als ohne sie. Während meiner Entziehungskur besuchte mich ab und zu meine Bewährungshelferin. Einmal konnte ich gerade noch verhindern, dass sie mich beim Kiffen erwischte – glücklicherweise, denn schließlich wollte ich auf keinen Fall ins Gefängnis wandern.
Ich hatte seit zwölf Jahren nicht mehr mit Gott gesprochen, aber an diesem Tag fing ich wieder damit an. Ich sagte, ich wisse nicht, ob Er sich noch für mich interessiere, und ich würde gern wissen, ob es eine Therapie gebe, die mich clean machen könne. Ich hielt mich selbst für grundsätzlich geschädigt, schlecht und falsch. Damals wusste ich nicht, dass Sucht eine Krankheit ist. Dann sagte ich, wenn Gott sich noch immer für mich interessiere und wenn es eine geeignete Therapie für mich gebe, ob Er mir bitte helfen würde, sie zu finden. Ich schaute mich in meinem Zimmer um. Nichts passierte. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte.
Ein paar Tage später kiffte ich schon wieder. Marihuana war zwar nicht meine Lieblingsdroge, aber ich kam an nichts anderes heran. Ich zog an dem Joint. Plötzlich sah die Welt wie ein Gemälde von Monet aus. Alles ging ineinander über. Alles und jedes war miteinander verbunden. Die Welt verwandelte sich in ein ätherisches Violett. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, nicht mehr high werden zu dürfen. Ich wusste, dass ich kein Recht hatte, mir das anzutun. In diesem Augenblick erkannte ich: Wenn ich nur halb so viel Energie darauf verwendete, das Richtige zu tun, wie ich darauf verwendet hatte, das Falsche zu tun, könnte ich fast alles schaffen, was ich wollte.
Ich nahm noch einen Zug von dem Joint. Dann lief ich ins Therapiezentrum und stürzte mich mit all der Leidenschaft auf den Entzug, mit der ich mich auf den Drogenkonsum gestürzt hatte.
Von einem Rückfall auf einer Halloweenparty abgesehen, auf der ich einen Schluck aus einer Whiskeyflasche nahm, war ich nun immer nüchtern. Manche Menschen würden das vielleicht ein Wunder nennen. In Entziehungskuren spricht man von einem spirituellen Erwachen. Was auch immer da geschah, ich hatte es jedenfalls nicht selbst bewirkt. Ich wurde durch die Gnade Gottes nüchtern.
Wunder zu vollbringen ist etwas anderes als erhörte Gebete, spirituelles Erwachen oder die Gnade Gottes. 1978 lehrte das Leben mich, Wunder zu vollbringen.
1975 hatte ich angefangen, in einem Drogenbehandlungszentrum in Minneapolis als Familienberaterin zu arbeiten. Damals lernte ich David Beattie kennen, einen führenden Suchtbeauftragten in Minnesota, der ständig in den Medien auftrat. Er vermochte den wildesten Psychopathen zu besänftigen, das Vertrauen von Mördern und Vergewaltigern zu gewinnen und Richter wie Bewährungshelfer zu bezaubern. Alle liebten oder mochten David – bis auf meine Mutter. Er war groß, gutaussehend, klug und humorvoll, und damit verkörperte er alles, was ich mir von einem Mann wünschte. Wir verliebten uns ineinander.
Im Dezember heirateten wir. Ich hätte nicht glücklicher sein können, als ich einen Monat später schwanger wurde. Ich mochte es, dass es in unserer Beziehung nicht bloß um uns ging. Wir beide widmeten unser Leben dem Dienst am Nächsten. Gott konnte unsere Ehe dazu nutzen, anderen Menschen zu helfen. Zum ersten Mal glaubte ich, Träume könnten wahr werden.
Doch das Leben war nicht vollkommen.
Von Anfang an hatte ich mich in Bezug auf meine Ehe unbehaglich gefühlt, aber ich redete mir ein, das liege daran, dass ich nie die Liebe einer Familie erlebt hatte.
Die anfängliche Verklärung von David verblasste, aber es dauerte lange, bis mir das klarwurde. Zuerst verschwand mein Mann hin und wieder. Er fuhr einkaufen und kam zwei Tage lang nicht nach Hause. Dann erfuhr ich, dass er es hasste, als Berater zu arbeiten. Eigentlich wollte er überhaupt nicht arbeiten. Er wollte auf die Schnelle reich werden, um nie mehr arbeiten zu müssen.
Dann erfuhr ich, dass David mich von Grund auf belogen hatte. Er war nie nüchtern geworden. Er war ein Komasäufer. Außerdem hatte er ernste finanzielle Probleme. Nach meiner Entziehungskur hatte ich hart dafür gearbeitet, wieder Kredite aufnehmen zu dürfen. Nun hatte er alles kaputtgemacht. Aber ich hatte mich dafür entschieden, ihn zu heiraten, bis dass der Tod uns scheidet. Das meinte ich auch so. Es dauerte Jahre, bis meine Realitätsblindheit nachließ. Als mir schließlich bewusst wurde, dass ich damit begonnen hatte, die Tage bis zu seinem mutmaßlichen Tod zu zählen, begriff ich, dass eine Scheidung der größte Liebesdienst wäre. Es sollten aber noch einige Jahre vergehen, bis ich tatsächlich in der Lage war, die Scheidung einzureichen. Es war ein langer, zermürbender Prozess, mich der Realität zu stellen und zu lernen, mich um mich selbst zu kümmern.
Nach unserer Hochzeit lebten wir in meiner kleinen Wohnung. Als unsere Tochter Nichole geboren wurde, zogen wir zunächst in eine größere Wohnung um, dann entschied David, ein Haus zu kaufen. Aber wir hatten kein Geld für eine Anzahlung, und unsere Ersparnisse hatte er versoffen. Er überredete mich, meine Mutter um ein Darlehen zu bitten. Sie gab es uns, und so fingen wir an, uns Häuser anzusehen, doch wir waren keine betuchten Käufer. Die schönen Häuser waren für uns unerschwinglich. Am Ende reichte es nur für ein fünfundsiebzig Jahre altes zweistöckiges Haus, das in den letzten fünfzehn Jahren vermietet gewesen war. Es war so heruntergekommen, dass es schließlich niemand mehr mieten wollte, und so hatte es drei Jahre lang leer gestanden. Ein uralter schmutziger orangefarbener Veloursteppich bedeckte den Fußboden. In den Wänden waren Löcher, die bis ins Freie gingen. Unser ganzes Mobiliar bestand aus einem gebrauchten Bett, einer Kommode und einem Gitterbettchen für Nichole. Das alles entsprach nicht gerade meinen Träumen.
Dann wurde ich erneut schwanger. Durch ein Baby würde sich unsere Ehe zwar auch nicht zum Positiven hin verändern, doch neben dem Nüchternwerden waren meine Kinder das Beste, das mir je zuteilwurde. Mein Nestinstinkt regte sich heftig. Ich sah mich im Haus um. Konnte ich das einem Baby zumuten? Als Junkie hatte ich besser gelebt.
Ich hatte keine Ahnung, wie man Wände streicht oder tapeziert. David, der von Haus aus zu nichts fähig war, wollte von einer Renovierung gar nichts wissen. »Wenn ich lerne, irgendwas zu tun, erwartest du doch bloß von mir, dass ich es wieder tue«, meinte er. Er konnte nicht mal mit einem Schraubenzieher umgehen und daher auch nicht das Gitterbettchen vor Nicholes Geburt zusammenbauen. Er war völlig ungeeignet, dieses Haus zu sanieren.
So fing ich an, ein Ritual auszuführen, nachdem ich Nichole abends ins Bett gebracht hatte. Ich setzte mich mitten im Wohnzimmer auf den Fußboden. Dann dachte ich daran, wie sehr ich dieses Haus hasste. Ich dachte daran, wie sehr Gott und David mich enttäuschten. Selbst Davids psychotische Klienten wurden nüchtern, bekamen Jobs, kauften hübsche Häuser und hielten sie gut instand. Sie lebten besser als wir. Es wäre so schön, jemanden zu haben, an den ich mich anlehnen konnte, der sich hin und wieder um mich kümmerte. David konnte sich nicht einmal um sich selbst kümmern.
Jede Nacht, wenn ich nach unten ging, starrte ich die hässlichen Wände an und fühlte mich elend, hoffnungslos und deprimiert. Als ich einem Freund von David gestand, wie sehr ich dieses Haus hasste, sagte er, ich sollte dankbar sein, dass wir eine Immobilie besäßen. Dankbar dafür? Ausgeschlossen, dachte ich. Mir war dieses Haus einfach nur zuwider.
Im September 1978 hielt ich es nicht mehr aus. Bald würde ich Mutterschaftsurlaub haben, das Baby sollte Ende Januar kommen. Thanksgiving wird lustig, dachte ich, wir können auf dem Fußboden sitzen, David kann Putenschenkel abnagen und dann die Knochen wie ein Höhlenmensch durchs Zimmer werfen. In diesem Augenblick kam mir die Idee.
Ich wusste vielleicht nicht, wie man eine Tapete anklebt, aber nach allem, was ich getan hatte, konnte ich bestimmt lernen, ein Zimmer zu streichen. Das Geld war knapp, doch ein Anstrich mit einer billigen weißen Farbe wäre bestimmt eine Riesenverbesserung. Ich hatte zwar vom Anstreichen überhaupt keine Ahnung, doch der Geistliche, der mich während meiner Entziehungskur befragt hatte, meinte, ich hätte eine positive Eigenschaft – die einzige positive Eigenschaft, die wir finden konnten –, und die bezeichnete er als Beharrlichkeit. (Ich glaube, er meinte wohl eher Besessenheit.) Ich war fest entschlossen, das Esszimmer noch vor Thanksgiving fertig zu haben. Bis das Baby kam, würden wir in einem anständigen Haus leben.
Ein Nachbar lieh mir eine Trittleiter. Ich schrubbte die tapezierten Wände ab, so gut ich konnte. Wir hatten keine Vorhänge, doch eine ansehnliche Anrichte aus Eiche deckte zumindest eine Wand des Zimmers...