1.1 Orientierung in der Contentflut?
Täglich prasseln viel zu viele Informationen auf uns ein, die erst einmal gesichtet werden müssen, ehe eine irgendwie geartete Verarbeitung oder gar Handlung einsetzen kann. Erst recht gilt dies für die schwierige Aufgabe, sich auch nur in einem einzigen Themengebiet auf dem Laufenden zu halten: Was muss ich lesen, anschauen, abonnieren? Welche aktuellen Nachrichten sind für mich relevant? Wo finde ich Unterhaltung, Rat, Informationsvorsprung? Dann kommt noch der umfangreiche direkte persönliche Austausch im Netzwerk dazu: E-Mail, Messenger, Facebook, vielleicht Twitter oder sogar Snapchat. Häufig ist es für den Nutzer nicht nur nicht hilfreich, sondern vielmehr regelrecht furchterregend, wie viele Inhalte in welcher Frequenz manche Sender so in die Welt hinausschicken. Plötzlich ist etwa die eigene Facebook-Timeline voll mit einer Befindlichkeitsbekundung nach der anderen, und das alles von einem einzigen Account. Da rattert bei Twitter ein Tweet nach dem anderen mit Links zu ein und derselben Firmen-Website durch. Oder man kommt in den Neuigkeiten auf Instagram trotz endlosen Scrollens überhaupt nicht ans Ende der Produktfotos einer nur mittelmäßig interessanten Consumermarke. Der logische Schritt, dieser Menge überhaupt noch Herr zu werden, besteht darin, alles auf den ersten Blick als irrelevant Eingeordnetes auszublenden; Accounts zu entfolgen; Kanäle zu deabonnieren; Newsletter abzubestellen und so weiter.
Im Umkehrschluss bedeutet dies für diejenigen, die Inhalte produzieren: Zwar wird derjenige, der nichts publiziert und nicht interagiert, erst gar keine Sichtbarkeit erreichen. Doch ebenso gefährlich für die eigene Reputation, die Sichtbarkeit und das Gehörtwerden in relevanten Dialogen ist eben ein Zuviel an Output. Das gilt eben vor allem dann, wenn immer nur in eine Richtung gesendet wird, ohne Rückkoppelung und Erfolgsmessung. Wer andere das Fürchten lehrt, weil er oder sie pausenlos postet, twittert oder Nachrichten schickt, befindet sich schnell auf dem virtuellen Abstellgleis. Denn das Entfolgen oder Deabonnieren ist eben schnell gemacht. Einmal verlorene Kontakte – oder, noch schlimmer: solche, die den Absender einfach stummgeschaltet haben – sind nur sehr schwer zurückzugewinnen. Da sie alten Sender-Empfänger-Paradigmen folgen und keine sinnvollen Feedback-Mechanismen etabliert haben, ist es den Betreffenden in den meisten Fällen gar nicht bewusst, dass sie die kostbare Aufmerksamkeit ihres Netzwerks respektive ihrer Community überstrapazieren.
Wie findet man heraus, was andere interessiert?
Wie aber findet man heraus, wie viel Content das eigene Umfeld sich wünscht und wertschätzt? Und woran merkt man, wenn es doch zu viel wird? Das zu vermitteln stellt allerdings ist eine schwierige Aufgabe dar, und die Lösung liegt nur sehr bedingt in der quantitativen, objektivierbaren Messung. Vieles kann man nur auf die Art und Weise herausfinden, für die soziale Netzwerke eigentlich gemacht sind: im direkten Kontakt zu Gesprächspartnern. Es geht also darum, in Dialog zu treten. Es geht darum, Beziehungen zu pflegen. Es geht darum, dem Orientierung Suchenden, dem in der Informationsflut Schwimmenden zu signalisieren: „Ich bin dein Lotse. Ich sorge dafür, dass du erfährst, was für dich relevant ist. Und nur das.” Dann – und nur dann! – werden die Stakeholder auch den originären Content der dazugehörigen Marke wahrnehmen, wertschätzen und weiterverbreiten.
Deshalb bringt es meistens nur wenig bis nichts im Sinne eines vernünftigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses, eine externe Agentur mit der Erstellung objektiv nachweisbaren, sichtbaren Contents zu beauftragen, solange die Leitung desselben Unternehmens sich immer noch jeglicher persönlicher Digitalpräsenz verweigert. Viel wichtiger, als die große Contentschleuder anzuwerfen, ist es also, einerseits in wirklich nützliche Inhalte (auch Unterhaltungswert ist ein Nutzen!) und andererseits in Markenbotschafter und Markengesichter zu investieren. Die meisten deutschen Unternehmen haben das Kapital, das in ihren eigenen Reihen schlummert, noch nicht annähernd gehoben. Damit sollten sie beginnen, und zwar schnell.
Wie finden Menschen zu den richtigen Informationen – und umgekehrt?
Nach wie vor lautet eine der häufigsten Fragen, die mir in der Beratung oder nach Vorträgen gestellt werden: „Was sollen wir denn in den Social Media, etwa auf Facebook, posten, um unsere Zielgruppen am besten zu erreichen?” Dabei ist die Frage falsch gestellt; das reine Aussenden eigener Inhalte steht nicht im Vordergrund. Sie müsste vielmehr lauten: „Wie können wir als unverwechselbare Marke mit unverwechselbaren Gesichtern an den wirklich relevanten Gesprächen teilnehmen?” Denn dort, wo viele Menschen sich treffen, geht es vor allem um Beziehungen, Austausch, Gespräche zwischen den Beteiligten. Verbindung zu einem Gesicht, Glaubwürdigkeit einer Person, Informationsvermittlung nicht von einem eher abstrakten Markenaccount: All das wird in der Zukunft darüber entscheiden, ob und wie sich andere mit den Inhalten eines Unternehmens beschäftigen; ob und wie sie eine Bindung zu der Marke empfinden. Fast immer, wenn Entscheider oder Kommunikationsverantwortliche sich beklagen, dass ihre Marke in sozialen Netzwerken auf zu wenig Resonanz stößt, kann man feststellen, dass von eben denselben niemand wirklich in sozialen Netzwerken aktiv ist.
Wieso aber sollte es anders sein als in vordigitalen Zeiten? Jedem, der ein wenig Erfahrung in Marketing und Vertrieb hat, ist bewusst, wie erfolgsentscheidend es ist, wenn man die eigenen Stakeholder (Kunden, Empfehler, Meinungsbildner, Geschäftspartner, Lieferanten …) auch persönlich kennt. Im Gespräch erfährt man Dinge, die einem kein noch so guter Praxisleitfaden oder Berater nahebringen kann. Man bekommt ein Gefühl für die Gesprächspartner, für ihre Bedürfnisse, Vorlieben und ihr Verhalten. Man kann direkt reagieren und nachfragen. Dass trotzdem immer noch so viele Marketingverantwortliche und Unternehmer im alten One-to-Many-Paradigma feststecken, hat eben vor allem damit zu tun, dass sie selbst kaum Erfahrungen im Internet sammeln. Oder dass sie, wenn sie beispielsweise als Privatmenschen oder Informationssuchende online unterwegs sind, nicht den Transfer auf die Anbieterseite vollziehen.
Um zu verstehen, wo erstaunlicherweise immer noch viele Entscheider feststecken, schauen wir uns einmal an, wie sich Inhaltsvermittlung und Dialoge im Internet entwickelt haben. Tatsächlich haben sich die Gespräche im Internet mit den Möglichkeiten verändert, die die Technologie erlaubt. Natürlich handelt es sich hier um eine kontinuierliche Weiterentwicklung, nicht um in sich abgeschlossene Schritte.
Abb. 1: Dialog im Web (© Bernd Völcker, Infopark AG)
Phase 1: Broadcast
Mitte der 1990er-Jahre kommen die Angebote im Internet einem riesigen, ständig wachsenden Buch gleich, das sich mit der Zeit immer komfortabler durchsuchen lässt. Jeweils einer sendet, viele empfangen, wie im Radio oder im Fernsehen: „Broadcasting” oder „One to Many” sind die Begriffe, die dieses Prinzip am besten beschreiben. Rückkoppelung und Reaktionen finden zumeist über andere Kanäle statt; noch lange nicht jeder verfügt über eine eigene E-Mail-Adresse. Reaktionszeiten auch auf elektronische Post sind zuweilen durchaus mit dem klassischen Postweg vergleichbar. Internetforen, in denen direkter Austausch stattfindet und die man als die Vorläufer der sozialen Netzwerke sehen kann, ermöglichen zwar bereits eine schnellere, direkte Interaktion, sind aber kein Massenphänomen. Gleiches gilt für die ersten Weblogs. Einfach mal schnell einen Inhalt ins Internet bringen: Das liegt selbst für die meisten Unternehmen noch relativ lange außerhalb des Machbaren. Firmen-Websites werden konzipiert wie Printprodukte und meistens auch ähnlich selten aktualisiert.
Phase 2: Soziale Netzwerke und Dialog
Etwa ab 2007 oder 2008 beginnen sich die erst wenige Jahre zuvor gegründeten Social Media einer breiteren Bevölkerung zu erschließen. Die SMS verändert als schnelle Möglichkeit, Kurznachrichten zu senden, zugleich unsere Anforderungen und Erwartungen an die Reaktionsgeschwindigkeit des Gegenübers. Unternehmen können über ihre Website nicht mehr nur senden, sondern zugleich kurzfristig Anfragen erhalten. Auch hier steigen die Erwartungen der Konsumenten mit den Reaktionsoptionen, die die neuen Medien bietet. Das Paradigma in der Unternehmenskommunikation der Nuller-Jahre, das noch bis vor relativ kurzer Zeit galt (und nach wie vor ziemlich fest in den Köpfen vieler Entscheider und Kommunikatoren verankert ist), lautet: Im Mittelpunkt der eigenen Kommunikation liegt die...