1 Ludwig – der Gottgegebene, der Große, der Sonnenkönig
Ludwig XIV. kam am 5. September 1638 auf Schloss Saint-Germain-en-Laye, rund 20 Kilometer westlich von Paris, zur Welt. Seine Geburt war so bemerkenswert, dass ihm die Zeitgenossen den Beinamen »der Gottgegebene« (Dieu-donné) verliehen: Ludwigs Eltern, Ludwig XIII. von Frankreich und die spanische Infantin Anna von Österreich, waren bereits seit 23 Jahren kinderlos verheiratet. Die Dynastie der Bourbonen, die erst mit der Erbfolge des 1610 ermordeten Heinrich IV. auf den französischen Thron gekommen war, war somit über einen längeren Zeitraum ohne eine stabile Nachfolge.1 Frankreich hatte mit dem Salischen Gesetz eine klare Sukzessionsordnung. So war bis zur Geburt des Dauphins, wie der französische Thronfolger traditionell tituliert wurde, der präsumtive Thronerbe Ludwigs Onkel Gaston, Herzog von Orléans, ein notorischer Unruhestifter, der seinerseits keinen männlichen Erben hatte. Die nächsten in der Thronfolge stammten aus einer Seitenlinie der Bourbonen: der Fürst von Condé und seine Söhne, die für einen erneuten dynastischen Bruch und einen Politikwechsel mit ungewissem Ausgang gestanden hätten. Nach den langen Religions- und Bürgerkriegen des 16. Jahrhunderts und dem nicht unproblematischen dynastischen Neubeginn mit den Bourbonen waren dies keine guten Aussichten für ein Land, das gerade erst zur inneren Stabilität zurückgefunden hatte und auf die außenpolitische Bühne zurückgekehrt war. Die Geburt des Thronfolgers 1638 erschien dann als ein Zeichen Gottes, der Neuausrichtung Frankreichs schließlich seinen Segen zu geben. Der Junge wurde nach Ludwig IX. dem Heiligen benannt wie sein Vater und die folgenden französischen Könige. Diese Benennung war nicht nur eine Reminiszenz an den jeweiligen Vorgänger, sondern ein Bezug darauf, dass die Bourbonen auf den Thron gekommen waren, weil sie aus einer von Ludwig dem Heiligen begründeten Seitenlinie abstammten. 1640 wurde die junge Herrscherdynastie weiter abgesichert durch die Geburt von Ludwigs XIV. Bruder Philippe, der den Titel eines Herzogs von Anjou erhielt und nach dem Tod seines Onkels Gaston auch dessen Herzogtum Orléans übernahm.
Selbstbild und Selbstdarstellung
Ludwig XIV., der nach dem frühen Tod seines Vaters bereits 1643 König wurde, nahm in seiner langen Regierungszeit ab 1661 nicht nur alle politischen Entscheidungen in die eigene Hand, sondern er wollte auch das Bild vorgeben, das die Welt und die Nachwelt von ihm haben sollten. Dafür inszenierte er sein eigenes Leben und nutze alle Möglichkeiten der Selbstdarstellung von der Malerei bis zur Architektur, von der Historiographie über das Ballett bis zur Gartengestaltung. Es ist hinter dieser minutiösen Gestaltung kaum möglich, ihn als authentische Person zu greifen. Er ist eine »kulturelle Konstruktion« (Lothar Schilling),2 eine »Königsmaschine« (Roi-Machine, Jean-Marie Apostolidès).3 Seine Biographie zu schreiben, bedeutet zugleich, »Ludwig XIV. zuzusehen, wie er seine Rolle als König spielt, als erster König der Welt« (regarder Louis XIV jouer son rôle de roi, de premier roi du monde, Lucien Bély).4
Dennoch ist es dem König nicht gelungen, das Urteil der Geschichte über ihn so zu prägen, wie er sich sehen wollte: Gezielt lancierte man in Frankreich nach seinem Herrschaftsbeginn die Rede von Ludwig dem Großen (Louis le Grand). Doch obwohl Ludwig XIV. zweifellos prägend war für seine Zeit und obwohl sein Herrschaftsstil und kulturelles Gepränge ein Modell waren, an dem andere sich orientierten, hat sich dieser Beiname nicht durchgesetzt. Selbst in Frankreich, wo der König die öffentliche Meinung kontrollierte, gedachte man seiner nach seinem Tod immer seltener als Ludwig dem Großen, auch wenn der Beiname bis heute sporadisch Verwendung findet. Es ist jedoch das 17. Jahrhundert, das Zeitalter der drei ersten Bourbonen auf dem französischen Thron, das als »großes Jahrhundert« (Grand Siècle) firmiert, weil Frankreich sich in dieser Zeit aus den Bürgerkriegswirren herausarbeitete und sich heraufarbeitete zur politischen und kulturellen Führung in Europa. Ludwig XIV. dominierte dieses »große Jahrhundert« als König von 1643 bis 1715. Er läutete aber auch bereits das Ende des »großen Jahrhunderts« ein, den Niedergang, der sich bis zur Französischen Revolution 1789 immer weiter fortsetzen sollte. Im Rückblick erschien diese Epoche dann umso größer und glanzvoller. Voltaire konterkarierte seine eigene Gegenwart eine Generation später, indem er ihr das »Zeitalter Ludwigs XIV.« entgegenhielt, ein Titel der bis heute leicht als Lobpreis vermeintlich vergangenen Glanzes und Größe missverstanden wird.
Außerhalb Frankreichs hielten sich die Bewunderung für Ludwig XIV. und die Kritik an ihm allerdings ohnehin frühzeitig die Waage. Seiner aggressiven, überpräsenten Selbstdarstellung setzten andere Herrscher moderatere, oft konkurrierende, Inszenierungsmodelle entgegen. Die gegen den König gerichteten politischen, militärischen und publizistischen Kampagnen kritisierten nicht nur sein Handeln, sondern sie dekonstruierten bereits zeitgenössisch auch seine eigene Inszenierung.5 Neben dem Mythos Ludwig XIV. entstand so zeitgleich ein Gegenmythos. Im distanzierten historischen Urteil ist die Rolle des Königs in der Geschichte offensichtlich zu zwiespältig, als dass man ihn als »der Große« titulieren würde. Unbestritten sind dagegen seine Wirkung und Prägekraft, die bis in die Gegenwart reichen. Präsent ist er als »Sonnenkönig« (Roi Soleil). Die Sonnensymbolik hatte Ludwig XIV. selbst aufgegriffen und damit die führende Position des Kaisers in der fürstlichen Hierarchie in Frage gestellt. Der Titel des Kaisers implizierte traditionell den Vorrang vor allen anderen christlichen Fürsten, eine Rolle, die mit der der Sonne am Firmament in Analogie gesetzt wurde. Doch Ludwig XIV., ein politisch und militärisch starker Herrscher, dessen Position durch eine auf ihn zugeschnittene Staatsrechtstheorie bekräftigt wurde, sah sich angesichts seines eigenen Erbrechts und seiner vermeintlich uneingeschränkten Autorität als französischer König den Kaisern überlegen, die gewählt wurden und sich der politischen Mitsprache der Reichsstände stellen mussten. Herablassend betrachtete er sie als »Wahlfürsten« und »Generalkapitäne einer Deutschen Republik«.6 Erfolgreich etablierte sich Ludwig XIV. gegen Leopold I., dem die Sonnensymbolik eigentlich gebührte, als »die andere Sonne«.7 Dieses Symbol, das, anders als die Beinamen vom Gottgegebenen oder vom Großen, subtil in Bildprogrammen, Ballettkostümen oder Feuerwerksfiguren transportiert wurde, ging schließlich ganz auf Ludwig XIV. über. Zu verhalten hatte Leopold I. die Sonnenemblematik verwendet, zu wenig passte sie zum defensiven Kaisertum, das er repräsentierte. Für Ludwig XIV. erwies sie sich dagegen als perfekt. Prägnant bringt dieses Symbol seine Rolle in der Geschichte auf den Punkt, denn wie die Sonne besaß er eine Strahlkraft, die zugleich wärmte und faszinierte, aber auch blendete und verbrannte.
Titulierungen Ludwigs im Kontext seiner historischen Bedeutung
Ob wir die Titulierung Ludwigs XIV. als Gottgegebenem, als Großem oder als Sonnenkönig aufgreifen, immer sind es Beinamen, die der dynastischen oder herrschernahen Propaganda entspringen. Die Geschichtswissenschaft hat diese zu entschlüsseln und gegebenenfalls zu dekonstruieren. Dennoch machen die verschiedenen Titulierungen Ludwigs eines deutlich: die Entwicklung Frankreichs von einer um Stabilität ringenden Monarchie in den 1630er Jahren, für die bereits die Geburt des Thronfolgers ein göttliches Geschenk war, hin zu einer Führungsmacht in Europa, deren Herrscher eine herausragende Rolle in der Geschichte beanspruchte und einnahm. Dieser Schritt war keineswegs das alleinige Werk Ludwigs XIV., der allerdings das, was andere vor ihm und für ihn aufgebaut hatten, konsequent zu nutzen verstand. Ludwig XIV. war der erste französische König seit rund einem Jahrhundert, der sich wieder völlig auf die Außenpolitik, aber auch auf einen systematischen Staatsaufbau konzentrieren konnte. Frankreich war mit dem Frieden von Cateau-Cambrésis 1559 von der politischen Bühne Europas verschwunden und in den Religionskriegen versunken. Die französischen Könige, die bis dahin ihre Monarchie und deren Rolle in Europa aktiv gestaltet hatten und dabei an der Spitze des Kampfes gegen die habsburgische Hegemonie standen, agierten zunehmend defensiv. Die Zerreißprobe erlebte Frankreich, als mit dem Bourbonen Heinrich...