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E-Book

Magie

Weltbild, Praktiken, Rituale

AutorLeander Petzoldt
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783406621512
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,49 EUR

Die Wurzeln der Magie reichen in vorgeschichtliche Zeiten zurück, und doch begleitet die magische Praxis den Menschen bis in die Moderne. Noch heute erfährt sie Ablehnung und Zustimmung gleichermaßen. Ist Magie Aberglaube oder doch eher Lebenshilfe? Leander Petzoldt stellt in diesem Buch die Prinzipien des magischen Weltbilds dar und entfaltet die zwei großen Entwicklungslinien in der Geschichte der abendländischen Magie, deren Wirkungen bis in die Neuzeit zu verfolgen sind: die zauberisch-dämonologische Tradition mit Spiritismus und Okkultismus sowie die magisch-naturphilosophische Tradition, die über die Alchemie zu den modernen Naturwissenschaften führt. Er erläutert die wichtigsten magischen Werke und Zauberbücher und führt in magische Praktiken und zauberische Rituale ein. Zum Schluss wirft er einen Blick auf die Alltagsmagie unserer Tage, die - oft nur halbernst betrieben - manchmal zum Religionsersatz geworden ist.



Leander Petzoldt ist em. Univ.-Professor für Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck.

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Leseprobe

EINLEITUNG
DAS FASZINOSUM ODER: WAS IST MAGIE?


Im 18. Jahrhundert hatte der Begriff «Faszination» noch eine völlig andere Bedeutung als heute: Das lateinische Wort fascinare meinte so viel wie «behexen, verzaubern». Wenn wir heute von einer «faszinierenden» Frau sprechen, könnten wir sie ebenso gut «bezaubernd» nennen. Freilich denken wir dabei nicht mehr an Magie oder Zauberei. Das Wort hat einen Bedeutungswandel erfahren, was aber nicht heißt, dass Magie und Zauberei aus unserem Blickfeld, oder besser: aus unserer Kultur, verschwunden wären. Eher drängt sich der Eindruck auf, als seien magisches Denken, okkultistische Betätigung und obskure Teufelskulte zu einem kulturellen Kennzeichen unserer modernen Welt geworden. Das Phänomen ist so alt wie die Menschheit, und die magische Praxis hat den Menschen bis in die Moderne begleitet. Eine sozialpsychologische Untersuchung stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob «das Zunehmen irrationaler Verhaltensweisen durch äußere Faktoren der gegenwärtigen sozialen Situation bedingt ist» (Angst 1972, 135).

In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden im Allgäu in mehreren Teichen und Fischgewässern Hunderte randvoll mit Urin gefüllte Flaschen und Kanister entdeckt. Nach 39 bitterkalten Nachtwachen konnte der Gewässerbesitzer einen Landwirt stellen, der erneut Urinflaschen versenken wollte. Im anschließenden Prozess stellte sich heraus, dass die Ehefrau des Bauern an Depressionen litt und dieser sie heilen wollte, indem er den Urin auf den Rat einer Sympathieheilerin hin nachts in den Gewässern versenkte. Die Ehefrau behauptete vor dem Richter, ihr Allgemeinbefinden habe sich mit Hilfe der Urinversenkungen deutlich gebessert, die vielen von den Nervenärzten verordneten Tabletten hingegen hätten ihre Gesundheit ruiniert. Zwar habe sich ihr Zustand nach den medikamentösen Behandlungen manchmal für einige Wochen stabilisiert, doch seien die depressiven Schübe danach nur umso schlimmer gewesen. Die jahrelange große Not infolge der Krankheit seiner Frau, erklärte der Bauer, habe ihn dazu gebracht, dem Rat der Heilerin zu folgen. Der Landwirt stand übrigens, dies ist noch zu bemerken, wegen Umweltverschmutzung vor Gericht (Schwäbische Zeitung vom 19. November 1982).

Dieser Fall zeigt, dass Menschen in ihrer Hilflosigkeit auch noch in unseren Tagen zu einem völlig irrationalen Verhalten veranlasst werden können und auf magische Praktiken zurückgreifen, von denen man annimmt, sie seien mit dem Mittelalter vergangen. Der Urin als eine mit dem kranken Menschen eng verbundene Materie, als Ausfluss der Krankheit sozusagen, wird gemäß dem Grundsatz der sympathetischen Magie in einem tiefen Gewässer versenkt: Die Krankheit soll – so der hier übliche Analogieschluss – ebenso verschwinden, wie die Urinflüssigkeit in der Tiefe des Wassers verschwindet. Als noch wirksamer wird das Ritual angesehen, wenn es bei abnehmendem Mond geschieht, denn die Abnahme des Mondes soll mit dem Rückgang der Krankheit korrelieren. Dies sind Rezepte und magische Verhaltensweisen, die bei einer leichtgläubigen Bevölkerung immer wieder Resonanz finden; bei Menschen, die sich in ihrer leiblichen oder seelischen Not nicht anders als durch den Besuch obskurer Heiler und Besprecher zu helfen wissen, welche die Situation ihrer Klienten dann ausnutzen und deren Unaufgeklärtheit zum eigenen Vorteil missbrauchen.

Abgesehen davon, dass sich eine Zunahme irrationaler Verhaltensweisen bzw. die Existenz einer magischen Subkultur schon durch einen Blick in die Tageszeitungen belegen lässt, findet sich unter denen, die ihre Zuflucht zu magischen, esoterischen und okkultistischen Praktiken nehmen, oder diesen zumindest nicht ablehnend gegenüberstehen, ein signifikant hoher Anteil an Akademikern. Es ist dies eine Beobachtung, die auch amerikanische Soziologen bestätigen, dass nämlich das größte Interesse an Astrologie «nicht auf dem Lande, bei den Bauern oder den Vertretern niedriger Berufe zu finden ist, sondern eher in den am dichtesten besiedelten Stadtzentren, bei Angestellten und Beamten.» (Tiryakian 1972, 496) Wachsender Bildungstand und Zugehörigkeit zur sozialen Oberschicht stellen also keineswegs ein Hindernis dar, wenn es darum geht, sich einer sozusagen «privaten» Magie zu bedienen, um jene Anforderungen der Umwelt, die Unlust erzeugen und die auch für den Intellektuellen zunächst nicht rational durchschaubar sind, als irrational auszuweisen und auf diese Weise zu bewältigen. Und wer wüsste sich selbst vollkommen frei von jenem alltäglichen Aberglauben, der beim Überqueren der Straße das Umschalten der Verkehrsampel von Grün auf Rot gleichsam spielerisch als Orakel für den guten oder schlechten Verlauf eines Vorhabens in Anspruch nimmt?

Georg Christoph Lichtenberg hat dieses quasi-magische Verhalten in seinen Sudelbüchern, wie er seine Tage- bzw. Notizbücher nannte, sehr klar und selbstkritisch beschrieben: «Ist das nicht ein herrlicher Zug in Rousseau’s Bekenntnissen, wo er sagt, er habe mit Steinen nach Bäumen geworfen, um zu sehen, ob er selig oder verdammt würde? Großer Gott, wie oft habe ich Ähnliches getan, ich habe immer gegen den Aberglauben gepredigt und bin für mich immer der ärgste Zeichendeuter. Als N… auf Tod lag, ließ ich es auf den Krähenflug ankommen, wegen des Ausgangs, mich zu trösten. Ich hatte, wenn ich am Fenster stand, einen hohen Turm mir gegenüber, auf dem viele Krähen waren. Ob rechts oder links vom Turm die erste Krähe erschien. Sie erschien von der linken, allein da tröstete ich mich wieder damit, dass ich nicht festgesetzt hatte, welches eigentlich die linke Seite des Turms genannt zu werden verdiene. Es ist vortrefflich, dass Rousseau sich mit Fleiß einen dicken Baum aussuchte, den er also nicht leicht fehlen konnte.» (Lichtenberg 1983, I, 520)

Der engagierte Aufklärer und Freigeist, der – selbst nicht frei von irrationalen Anwandlungen – den «Angang» (obviamentum, obviatio, enodia), wie die Volksglaubensforschung diese Spielform des Aberglaubens bezeichnet, als Antwort auf die Fragen an das Schicksal herausfordert, ist ein treffendes Beispiel für die «Gespaltenheit» des intellektuellen Denkvermögens, das sich je nach Bedarf konträrer Denkweisen bedient: einer Denkweise, die – den Regeln der Logik folgend – zu zwingenden Schlüssen kommt, und einer Denkweise, die irrationalen Vorstellungen Raum gibt, welche sie – würde sie der Kontrolle des Verstandes unterliegen – ablehnen müsste. Ein Zeitgenosse Lichtenbergs, der Schriftsteller und Philosoph Karl Philipp Moritz, stellte 1789 in seinem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde ganz ähnlich fest: «Es giebt eine Sucht, viele Dinge leicht erklärlich zu finden, eben so wie es eine Sucht giebt, viele Dinge unerklärlich zu finden – und man fällt sehr leicht von einem Extrem aufs andere.» (Moritz 1986, VII, 194) Festzuhalten bleibt, dass selbst aufgeklärte, rational denkende Menschen bedenkenlos irrationalen Impulsen folgen, wenn angstauslösende oder stark affektive Situationen sie dazu herauszufordern scheinen. So wird magisches Denken und Verhalten gleichsam zu einem Bestandteil des privaten Lebensstils, der individuelle Bedürfnisse, Wünsche und Hoffnungen zu erfüllen verspricht und von dem man sich je nach Situation auch wieder distanzieren kann.

Magie lässt sich zunächst ganz allgemein als eine psychische Reaktion des Menschen auf seine Umwelterfahrungen bezeichnen, die darauf zielt, diese Umwelt in einem bestimmten Sinne zu beeinflussen. Diese sehr allgemein gehaltene Definition bedarf einer Differenzierung, die freilich angesichts der allgemeinmenschlichen und globalen Verbreitung des Phänomens kaum zu leisten ist. Zwar bemerkt Bronislaw Malinowski zu Recht, dass Magie in ihren grundlegenden Denkmustern auf dem ganzen Globus von einer frappierenden Ähnlichkeit, ja Identität sei (Malinowski 1973). Doch muss man feststellen, dass die jeweils angewandten Praktiken historische und lokale Unterschiede aufweisen und nur in ihrem jeweiligen kulturellen Kontext verständlich bzw. interpretierbar sind. Nicht ohne Grund bewegen sich Diskussionen über das Wesen der Magie in einem historisch retrospektiven und ubiquitären geographischen Rahmen; das bedeutet aber auch, dass häufig Unvergleichbares gleichgesetzt wird, indem die Beispiele eklektisch einem historisch und kulturell nicht exakt abgegrenzten Raum entnommen werden – eine Betrachtungsweise, die nicht unbedingt zu stringenten Ergebnissen führt. Mit Recht bezweifeln einige Theoretiker, dass «ein in der europäischen Tradition entstandenes Konzept überhaupt in allen Gesellschaften deskriptiv angewendet werden kann und darf.» (Graf 1996, 21) Nichtsdestoweniger muss man konstatieren, dass Magie ein Urphänomen der Menschheit darstellt und es keine Epoche gibt, die frei wäre von Magie. Hinzu kommt, dass Magie keine innere Entwicklung aufweist, sondern immer gleich bleibt. «Primitive Magie – jeder Feld-Anthropologe weiß dies aus Erfahrung – ist außergewöhnlich monoton und langweilig, streng begrenzt in ihren Aktionsmöglichkeiten, eingeschränkt in ihrem Glauben und in ihren Grundvoraussetzungen kümmerlich»,...

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