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»In airplane crashes and chemical industry accidents, (…) in the NASA Challenger and Columbia desasters, (…) a common finding is that lower-ranking employees had information that would have prevented (…) the accident, but either it was (…) ignored or overridden.«
Edgar H. Schein, »Humble Inquiry«
Besserwisseritis
Fallbeispiel
Die Agentur stellt die neue Website der Firma als Betaversion online. Der Manager studiert sie übers Wochenende, ruft dann am Montagmorgen um halb acht den Agenturchef an und sagt: »Warum sind die Überschriften serifenfrei? Der Kontakt-Button ist zu klein, der Zeilenfall zu schmal …« Und so weiter: 47 Korrekturpunkte. Raten Sie mal: Welchen Job hat dieser Manager? Ist er der Marketing-Chef? Der Hausgrafiker? Nein. Er ist der Geschäftsführer. Ein Geschäftsführer, der einem Layouter Kommas korrigiert? Das ist ja krank!
Pathologie
Die Website wird für 4000 Euro überarbeitet. Kein Mensch merkt den Unterschied (außer dem Mikromanager). Dafür fehlt das Geld bei einem Kundenprojekt. Der Kunde ist sauer und droht mit Konsequenzen. Der Vertriebschef rauft sich die Haare: »Hab ich nicht schon genug Sorgen? Warum tut mir der Geschäftsführer das an? Was hat er nur gegen mich?« Nichts.
Er ist kein Geschäftsführer, er ist Besserwisser. Tag und Nacht sucht er nach Fehlern und wenn er einen findet, springt er aus dem Gebüsch und ruft: »Jetzt hab ich dich!« Armer Kerl. Ist ihm zu helfen?
Wenn es Ihren Chef erwischt
Wer es ständig besser wissen muss, besorgt sich auf diese Weise seine Erfolgserlebnisse. Das ist für alle Gesunden unausstehlich? Aber ein Ansatzpunkt für die Guerilla-Therapie: Kurieren Sie Ihren Chef! Loben Sie ihn für echte Erfolge überschwänglich. Damit nehmen oder mildern Sie bei ihm das Gefühl, er litte an einem Mangel.
Therapie-Anfänger verschätzen sich meist in der Dosis. Sie unterdosieren. Was ist die richtige Dosierung? Einfach: Saturation. Beim großen Blutbild muss der Anerkennungsspiegel im Blutserum des Vorgesetzten gesättigt sein, sodass Sie eine deutliche Reduktion seiner Ätscherei feststellen können.
Therapie-Ansätze
Viele Menschen mit ätschendem Chef behandeln seine psychotischen Schübe pragmatisch: Sie ignorieren den Anfall. Ein Sachbearbeiter sagte mir mal: »Einmal am Tag muss der Chef den Kopf zur Tür reinstecken und uns unsere Fehler vorhalten. Dann sagen wir brav: ›Ja, Chef, ganz schlimm, Chef!‹ – er ist zufrieden, verschwindet wieder und wir können in Ruhe weiterarbeiten.«
Falls der Chef tatsächlich auf das Beheben von Fehlern besteht, die keine sind, hilft auch die Pick-up-Therapie (s. u.). Widersprechen Sie einem Kranken niemals: »Aber das kostet uns 4000 Euro!« Das verschärft nur den Anfall. Immer zunächst den Faden aufnehmen (Pick-up) – und dann erst Konsequenzen aufzeigen und Maßnahmen vorschlagen: »Ja, das sind fehlerhafte Stellen. Ich würde vorschlagen, dass wir mit Hausmitteln alles eliminieren, was wir können – wenn wir das nach außen geben, kostet uns das nämlich viel Geld.«
Wenn es Sie erwischt
Der beste Schutz gegen unproduktive Fehlerklauberei ist ein gefestigtes Bewusstsein für strategische Ziele, Prioritäten und Werte. Wer weiß, was wirklich wichtig ist, hat keine Zeit für Kinkerlitzchen.
Bläh-Ego
Sekundärnutzen
Wer braucht schon ein aufgeblähtes Ego? Jeder Manager, jede Managerin. Selbstüberschätzung ist kein Makel, sondern Berufsvoraussetzung im Management. Das ist übrigens einer der Hauptgründe für die geringe Präsenz von Frauen in Führungspositionen, den keine Quote der Welt wird ändern können: Männer überschätzen sich (im Durchschnitt!) fast schon genetisch bedingt pathologisch, Frauen unterschätzen sich gleichermaßen notorisch. Oder wie ein Vorstand sagt: »Man muss schon über eine gesunde Portion Größenwahn verfügen, um so einen Job anzunehmen!« Die beiden entscheidenden Worte sind »gesunde Portion«. Das überragende Problem in Management und Politik ist, dass dieses gesunde Maß epidemisch verloren ging.
Pathologische Selbstüberschätzung
Es gibt Unterschiede zwischen gesunder und pathologischer Selbstüberschätzung. Einer dieser Unterschiede ist die Feedbacktoleranz. Pathologische Bläh-Egoisten postulieren zum Beispiel: »Ich komme mit allen Mitarbeitern klar!« – während die Mitarbeiter das Gegenteil behaupten und das auch per Feedback kommunizieren. Der pathologische Bläh-Egoist kriegt davon nichts mit, weil sein Bläh-Ego ihn blind für jede sachdienliche Rückmeldung aus seinem Umfeld macht. Ist das heilbar?
Macht des Bewusstseins
Das Schöne an unterbewussten Manager-Krankheiten ist: Macht man sie sich bewusst, verlieren sie nicht nur ihren Schrecken, sondern können sogar zur Erfolgssteigerung eingesetzt werden.
Ein besonders genialer Verhandler einer Bank, die Mergers & Acquisitions betreut, sagt, nach dem Rezept seines Erfolgs gefragt: »Ich bin eigentlich ein ziemlicher Choleriker. Früher hat mir das Karriere, Ehe und Erfolg zerstört. Seit ich mir diesen unbewussten Trieb situativ bewusst gemacht habe, kann ich ihn nicht nur im Zaum halten – ich kann ihn ganz bewusst einsetzen.«
Manchmal, wenn es nötig ist, wenn es genau das ist, was die akute Situation verlangt, wird er »zum Arschloch«, wie er selber sagt, haut auf den Tisch, lässt die Sau raus, brüllt seine Verhandlungspartner an, holt damit den entscheidenden Erfolg und ist Sekunden danach wieder lammfromm, schüttelt allen Beteiligten freundlich lächelnd die Hand und geht mit ihnen einen trinken – und alle sind’s zufrieden.
Salutogenese-Strategie
Salutogenese ist im Gegensatz zur Wissenschaft von den Krankheiten (Pathologie) die Wissenschaft von dem, was uns gesund hält. In ihrem Sinne ist es müßig bis unnütz und sogar gefährlich, sich seine Manager-Macken abgewöhnen zu wollen. Das gelingt nur selten vollständig und wenn, dann nur mit ungeheurem Aufwand. Choleriker bleibt Choleriker. Nimm einem Pedanten das Erbsenzählen weg, und es stürzt nicht seine Welt ein, sondern schlimmer: seine Identität.
Man kann und sollte seine eigenen Schwächen nicht ausmerzen (das wissen wir aus jedem guten Management-Training). Man sollte sie stattdessen systematisch reflektieren, in- und auswendig kennen- und damit managen lernen. Das ist das Entscheidende: Neurotiker leiden unter ihren Neurosen, Manager managen sie.
Bürokratenwahn
Fallgeschichte
Ein Manager soll binnen eines halben Jahres eine mobile Sales Force aufbauen. Er startet im August, klotzt richtig ran, opfert Abende und Wochenenden und kriegt tatsächlich bis Februar alles gebacken. Fast alles.
Es fehlen noch Tablets für seine sechs Verkäufer. Er beauftragt den Einkauf. Tags darauf ruft der zuständige Einkäufer an:
»Wir haben ein Problem.«
»Wegen sechs Tablets? Wie das?«
»Der Oberbuchhalter … Am besten, Sie rufen ihn an.«
»Was will ich mit dem Oberbuchhalter? Ich will sechs Tablets! Und pronto! Sonst schaffe ich meinen Endtermin nicht! Und mein Bonus wäre futsch!«
Aber er redet mit dem Chefbuchhalter.
Dieser erklärt ihm: »Tablets sind IT, und IT kaufen wir einmal im Jahr ein, und zwar im Januar. Jetzt ist Februar. Sie sind einen Monat zu spät. Sie müssen erst wieder elf Monate warten.« Die folgenden Sekunden gehen ins Guinnessbuch der Rekorde ein als längster jemals ausgestoßener Fluch auf einer Teppichetage. Der Konzern soll ein Jahr lang auf einen siebenstelligen Umsatz verzichten, bloß damit der Oberbuchhalter keine Umstände hat? Das ist krank.
Fehltherapien
Damit wir uns recht verstehen: Es gibt viele nette, fleißige und hocheffiziente VerwaltungsmitarbeiterInnen. Aber es gibt auch eine Menge Bürokraten. Wie reagieren wir auf sie? Die meisten Menschen reagieren mit Resignation, Wut, Tobsucht und Frust. So betrachtet ist Bürokratenwahn eine absurde Krankheit: Die Gesunden leiden darunter weitaus heftiger als die Kranken. Mit dieser Krankheit kann der kleinste Buchhalter den größten Vorstand ausbremsen. Vielerorts ist der Bürokratenapparat die mächtigste Instanz im Unternehmen. Gut zureden und Appelle an die Vernunft helfen da nicht. Was dann?
Kreative Therapien
Wer irgendeine halb gare Regularie hinter sich hat, hat – zumal in Deutschland – immer recht. Deshalb umgeht man Bürokraten am besten, indem man sie bei ihrem eigenen Spiel schlägt.
Die Bürokratie in ihrem Regulierungskoller hat inzwischen die einfachste Bleistiftbestellung (6 Ausführungen!) so verkompliziert, dass sie, wie alle überkomplexen Gebilde, automatisch auch Schlupfwege produziert. Manchmal muss man sie suchen – aber sie sind immer da.
Im vorliegenden Fall sucht besagter Manager so lange nach dem Bypass (nicht dem koronaren, sondern dem organisatorischen), bis er bei einer Tochtergesellschaft einen Buchhalter findet, der noch am Unternehmenserfolg interessiert ist. Hier bestellt er seine sechs Tablets. Die Tochter rechnet den Posten am Jahresende mit dem Head Office ab – und alle sind zufrieden, keiner hat irgendwelche Kompetenzen überschritten, der Manager schafft sein Projektziel termingerecht, kriegt den verdienten Bonus und das Unternehmen den erhofften zusätzlichen Umsatz: Schon im ersten Jahr holen die sechs Verkäufer 1,4 Millionen Euro – im Gegensatz zu den null Euro, die der kollernde Oberbuchhalter billigend in Kauf genommen hätte. Warum hat der...